Leitsatz (amtlich)
Wird der Anspruch auf ein laufendes Ruhegehalt nach Eintritt des Versorgungsfalles aus wirtschaftlich vernünftigen Gründen, die in der Person des Arbeitnehmers liegen, kapitalisiert, so ist § 34 Abs. 3 EStG anzuwenden. Die Abfindungssumme kann auf die dem Jahr der Abfindung folgenden Veranlagungszeiträume verteilt werden. Dabei ist der Versorgungsfreibetrag des § 19 Abs. 3 EStG nur für das Jahr des Zuflusses zu gewähren.
Normenkette
EStG § 19 Abs. 3, § 34 Abs. 3
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) trat im Jahre 1969 nach Erreichen der Pensionierungsgrenze in den Ruhestand. Aufgrund eines Versorgungsversprechens seiner Arbeitgeberin hatte er gegen diese einen Anspruch auf ein Ruhegehalt in Höhe von 200 DM monatlich. Er hatte das Recht, statt dessen die Zahlung des kapitalisierten Wertes des Ruhegehaltes zu verlangen. Der Kläger entschied sich für die Kapitalisierung und erhielt von seiner Arbeitgeberin im Streitjahr 1969 den abgezinsten Wert des Ruhegehalts im Betrag von 27 054 DM ausbezahlt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) wendete auf den Abfindungsbetrag § 34 Abs. 3 EStG an und verteilte die Abfindungssumme auf die Jahre 1967 bis 1969. Der Antrag des Klägers, den Abfindungsbetrag auf die Jahre 1969 bis 1971 zu verteilen und für jedes dieser Jahre den Versorgungsfreibetrag des § 19 Abs. 3 EStG zu gewähren, hatte keinen Erfolg. Im Einspruchsverfahren wurde dem FA bekannt, daß das Ruhegehalt auf Wunsch des Klägers kapitalisiert worden war. Hierauf lehnte es die Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG ab und änderte den Einkommensteuerbescheid 1969 durch die Einspruchsentscheidung zum Nachteil des Klägers ab.
Die Klage hatte zum Teil Erfolg. Das FG führte zur Begründung seiner Entscheidung, die in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1972 S. 434 (EFG 1972, 434) veröffentlicht ist, im wesentlichen aus: § 34 Abs. 3 EStG sei auf kapitalisierte Versorgungsbezüge auch dann anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige die Kapitalabfindung an Stelle laufender Versorgungsleistungen aus wirtschaftlich vernünftigen Gründen gewählt habe. Der Versorgungsfreibetrag des § 19 Abs. 3 EStG sei im Streitfall nur einmal und zwar vor der Verteilung der Einkünfte auf mehrere Jahre abzuziehen. Die kapitalisierten Versorgungsbezüge seien auf die vorausgegangenen und nicht auf die dem Veranlagungszeitraum des Zuflusses folgenden Kalenderjahre zu verteilen. Nach der Rechtsprechung des BFH sei zwar eine Verteilung auch auf künftige Veranlagungszeiträume nicht schlechthin ausgeschlossen (Urteil vom 17. Juli 1970 VI R 66/67, BFHE 99, 381, BStBl II 1970, 683). Eine Verteilung auf spätere Veranlagungszeiträume komme jedoch nur bei zusammengeballten Vorauszahlungen in Betracht. Die zur Abgeltung eines laufenden Ruhegehalts gezahlte Kapitalabfindung habe jedoch nicht den Charakter einer Vorauszahlung. Bezugspunkt für die Einordnung der Kapitalabfindung unter die Begriffe Nachzahlung oder Vorauszahlung sei der in der Vergangenheit erdiente Versorgungsanspruch des Klägers.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 34 Abs. 3 EStG. Der Kläger ist der Meinung, daß die Kapitalabfindung auf die Jahre 1969 bis 1971 zu verteilen sei. Das FG habe die wirtschaftliche Begründung des Altersruhegeldes mit dem hier maßgebenden Vorgang der Einkunftserzielung verwechselt. Die Einkünfte aus dem Versorgungsversprechen erziele der Kläger erst ab dem 65. Lebensjahr. Da somit seine zukünftigen Ruhegehaltsbezüge durch die Kapitalabfindung zusammengeballt würden, sei die Abfindungssumme auf die Jahre zu verteilen, in denen das Ruhegehalt hätte erzielt werden sollen. Die Art und Weise der Berechnung der Abfindungssumme - Abzinsung der zukünftigen Ruhegehaltszahlungen - verdeutliche, daß es sich um künftige Einkünfte handele. Auch die Erwägung, daß ein Rentner im Alter regelmäßig keine dem Progressionssatz unterliegenden Einkünfte mehr erziele, spreche dafür, die Abfindungssumme auf die Jahre mit einer niedrigeren Steuerbelastung zu verteilen. Schließlich sei zu berücksichtigen, daß es sich bei der Abfindungssumme um eine Entschädigung für künftig entgehende Einnahmen handle.
Der Kläger beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Abfindungssumme zum Zwecke der Einkommensteuerveranlagung auf die Jahre 1969 bis 1971 zu verteilen.
Das FA ist der Auffassung, daß § 34 Abs. 3 EStG im Streitfall schon deshalb nicht anzuwenden sei, weil keine wirtschaftlich vernünftigen Gründe für die Zusammenballung der Einkünfte vorgelegen hätten. Abgesehen davon sei hier die Zusammenballung der Einkünfte in einem Jahr vom Kläger selbst zu vertreten und könne deshalb nicht als zwangsläufig angesehen werden. Aus dem Zweck des § 34 Abs. 3 EStG ergebe sich, daß die Gründe für die Zusammenballung der Einkünfte ganz oder wenigstens überwiegend in der Sphäre des Arbeitgebers liegen müßten. Sei es einem Steuerpflichtigen möglich, die Zusammenballung der Einkünfte zu vermeiden, so bestehe kein Anlaß zu der Annahme einer Härte, die § 34 Abs. 3 EStG mildern wolle. Würde der Anwendungsbereich des § 34 Abs. 3 EStG in der vom Kläger begehrten Weise erweitert, so könnte die Höhe der Steuer willkürlich beeinflußt werden. Wenn man aber - entgegen der Auffassung des FA - § 34 Abs. 3 EStG im Streitfall überhaupt für anwendbar halte, so komme eine Verteilung der Einkünfte auf die Jahre 1969 bis 1971 nicht in Betracht. Denn § 34 Abs. 3 EStG stelle nicht darauf ab, wann die Einkünfte i. S. von § 11 EStG zugeflossen wären, sondern allein darauf, wann die Einkünfte erwirtschaftet seien.
Entscheidungsgründe
Die vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Nach § 34 Abs. 3 EStG können Einkünfte, die die Entlohnung für eine sich über mehrere Jahre erstreckende Tätigkeit darstellen, zum Zweck der Einkommensteuerveranlagung auf die Jahre verteilt werden, in denen sie erzielt wurden. Sie werden dabei als Einkünfte eines jeden dieser Jahre angesehen; die Gesamtverteilung darf drei Jahre nicht überschreiten. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, die Progression des Einkommensteuertarifs bei für die Tätigkeit mehrerer Jahre zusammengeballten Entlohnungen unter bestimmten Voraussetzungen zu mildern. Erhält ein Steuerpflichtiger eine Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit, so soll er steuerlich weitgehend so behandelt werden, als sei ihm die Entlohnung jeweils zeitgerecht zugeflossen (vgl. Urteile des Senats vom 8. März 1957 VI 32/56 U, BFHE 64, 496, BStBl III 1957, 185; vom 11. Juni 1970 VI R 338/67, BFHE 99, 306, BStBl II 1970, 639).
Das FG hat zutreffend ausgeführt, daß die Voraussetzungen für die Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG im Streitfall erfüllt sind. Nach den tatsächlichen, nicht angegriffenen Feststellungen der Vorinstanz ist die dem Kläger gewährte Kapitalabfindung den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 EStG) zuzurechnen. Im Rahmen solcher Einkünfte ist die Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile VI R 66/67 und vom 30. Juli 1971 VI R 258/68, BFHE 103, 339, BStBl II 1971, 802) allein davon abhängig, ob eine zusammengeballte Entlohnung gegeben ist, für die wirtschaftlich vernünftige Gründe vorliegen. Dabei ist es unerheblich, ob solche wirtschaftlich vernünftigen Gründe in der Person des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers gegeben sind. Die gegenteilige Auffassung des FA, die wirtschaftlich vernünftigen Gründe müßten in der Person des Arbeitgebers vorliegen, läßt sich weder aus dem Wortlaut oder dem Zweck der Vorschrift noch aus deren Entstehungsgeschichte begründen. Dem Wortlaut des § 34 Abs. 3 EStG läßt sich für die vom FA vertretene einschränkende Auslegung des § 34 Abs. 3 EStG nichts entnehmen. Der Zweck der Vorschrift, einen Steuerpflichtigen bei einer Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit steuerlich weitgehend so zu behandeln, als sei ihm die Entlohnung jeweils zeitgerecht zugeflossen, rechtfertigt es nicht, die Begünstigung des § 34 Abs. 3 EStG nur dann zu gewähren, wenn wirtschaftlich vernünftige Gründe in der Person des Arbeitgebers vorliegen. Auch wirtschaftlich vernünftige außersteuerliche Gründe in der Person des Arbeitnehmers können zur Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG führen. Nur bei willkürlichen Einmalzahlungen für eine mehrjährige Tätigkeit, die allein aus Gründen der Steuerersparnis vorgenommen werden, ist § 34 Abs. 3 EStG nicht anzuwenden. Der Senat teilt nicht die Befürchtung des FA, daß ein Steuerpflichtiger die Steuerhöhe mißbräuchlich und willkürlich beeinflussen könne, wenn in seiner Person liegende wirtschaftlich vernünftige Gründe die Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG rechtfertigen. Anders als nach dem gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG 1934 geltenden Rechtszustand kann sich ein Steuerpflichtiger nach § 34 Abs. 3 EStG in der gegenwärtig geltenden Fassung der normalen Tarifversteuerung für die Jahre, auf die sich die mehrjährige Tätigkeit erstreckt, nicht entziehen. Weil § 34 Abs. 3 EStG nicht zu einer Ermäßigung der bei laufender Zahlung anfallenden Steuer führt, sondern lediglich die erhöhte Steuerbelastung mildert, die sich durch die Zusammenballung infolge der Tarifprogression ergeben würde, vertritt der Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. z. B. Urteil VI 32/56 U, Urteil VI R 66/67) die Auffassung, daß § 34 Abs. 3 EStG bei der Entlohnung von Arbeitnehmern für eine mehrjährige Tätigkeit nicht einengend auszulegen ist.
Es ist nicht zu beanstanden, daß die Vorinstanz im Streitfall das Vorliegen von wirtschaftlich vernünftigen Gründen für die Zahlung des Ruhegehalts in einer Summe bejaht hat. Läßt sich ein ausscheidender Arbeitnehmer sein Ruhegehalt vertragsgemäß statt in Form von laufenden Bezügen in einem Einmalbetrag ausbezahlen, um sich gegen die Risiken einer Minderung seines Versorgungsanspruchs durch einen etwaigen frühzeitigen Tod oder durch die Geldentwertung zu schützen, so können wirtschaftlich vernünftige Gründe des Arbeitnehmers für die Kapitalisierung des Ruhegehalts angenommen werden.
Zu Unrecht hat die Vorinstanz eine Verteilung der Abfindungssumme auf die Veranlagungszeiträume 1969 bis 1971 abgelehnt. Nach § 34 Abs. 3 Satz 2 EStG können zusammengeballt zugeflossene Einkünfte auf die Jahre verteilt werden, in deren Verlauf sie erzielt wurden. Diese Vorschrift dient dem Zweck, die zusammengeballt zugeflossenen Einkünfte auf die Jahre zu verteilen, zu denen sie wirtschaftlich gehören. Soweit zusammengeballt zugeflossene Einkünfte wirtschaftlich Jahren zuzurechnen sind, die dem Jahre des Zufließens folgen, können diese Einünfte auch auf künftige Veranlagungszeiträume verteilt worden. Dem stehen die Worte "erzielt wurden" in § 34 Abs. 3 Satz 2 EStG - wie der Senat in dem Urteil VI R 66/67 für den Fall der Vorauszahlung von Arbeitslohn eingehend begründet hat - nicht entgegen. Nach Auffassung des Senats ist eine Kapitalabfindung, mit der der Anspruch eines in den Ruhestand tretenden Arbeitnehmers auf laufende Ruhegehaltsbezüge abgegolten wird, wie eine Vorauszahlung von Arbeitslohn auf die der Auszahlung der Abfindungssumme folgenden Kalenderjahre zu verteilen. Dem steht nicht entgegen, daß ein Ruhegehalt regelmäßig zusätzliches Entgelt für eine vom Arbeitnehmer in der Vergangenheit erbrachte Leistung und somit in der Vergangenheit erwirtschaftet ist. Für die Verteilung von zusammengeballt zugeflossenen Ruhegehaltsbezügen nach § 34 Abs. 3 EStG ist nach Auffassung des Senats entscheidend, daß ein in den Ruhestand tretender Arbeitnehmer aus der Versorgungszusage seines Arbeitgebers erst in der Zukunft Einkünfte erzielt. Denn es entspricht dem Wesen des Ruhegehalts, daß es - obwohl im aktiven Stand vom Arbeitnehmer erdient - nicht vor Eintritt des Versorgungsfalles beansprucht werden kann. Eine Kapitalabfindung, die nach dem Eintritt des Versorgungsfalles den Anspruch eines Arbeitnehmers auf die laufenden Ruhegehaltsbezüge abgilt, betrifft demnach Einkünfte, die wirtschaftlich zu den auf die Abfindung folgenden Jahren gehören. Eine solche Abfindung gilt mithin Einkünfte ab, die erst in den künftigen Jahren i. S. von § 34 Abs. 3 Satz 2 EStG erzielt werden. Deshalb ist im Streitfall eine Verteilung der Abfindung auf die Jahre 1969 bis 1971 sachlich gerechtfertigt und führt im Hinblick auf die in diesen Jahren voraussichtlich niedrigeren Einkünfte des Klägers zu einem vernünftigen Ergebnis. Der Senat verkennt nicht, daß eine Verteilung der Abfindungssumme auf zukünftige Jahre in der Praxis zu gewissen Schwierigkeiten führen kann. Praktische Schwierigkeiten allein stehen indes, wie der Senat bereits im Urteil VI R 66/67 ausgeführt hat, einer Verteilung zusammengeballt zugeflossener Einkünfte auf zukünftige Jahre nicht entgegen. Im Streitfall werden die Veranlagungen für die Jahre 1970 und 1971 voraussichtlich vorliegen, so daß eine Berechnungsschwierigkeit für die hier durchzuführende Steuerfestsetzung nicht gegeben sein dürfte. Abgesehen davon hat der Senat in der Entscheidung VI R 66/67 dargelegt, wie solche Berechnungsschwierigkeiten in der Praxis bewältigt werden können.
Das FG hat den Freibetrag des § 19 Abs. 3 EStG zu Recht nur für das Streitjahr 1969 berücksichtigt. Wie der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. z. B. Urteil vom 6. November 1959 VI 9/58 U, BFHE 70, 126, BStBl III 1960, 47; zuletzt urteil vom 5. Oktober 1973 VI R 313/70, BFHE 111, 142, BStBl II 1974, 197) entschieden hat, ist § 34 Abs. 3 EStG eine Tarifvorschrift, nicht eine Einkünfte- oder Einkommensermittlungsvorschrift. Nur zum Zweck der Errechnung eines gemilderten Progressionssatzes werde die Einkünfte rein rechnerisch den Verteilungsjahren zugeordnet, ohne daß dabei die gesetzlichen Vorschriften über die Ermittlung der steuerpflichtigen Einkünfte der einzelnen Verteilungsjahre geändert würden. So bleibt insbesondere die Regelung des § 11 EStG unberührt, wonach Einnahmen im Jahre des Zuflusses bezogen sind. Hieraus folgte aber, daß die zusammengeballt gezahlten Entlohnungseinkünfte trotz ihrer Verteilung auf andere Veranlagungszeiträume Einkünfte des Zuflußjahres bleiben. Demzufolge ist bei einer Abfindung von Versorgungsansprüchen in einem Betrag nur der im Jahre des Zuflusses in Betracht kommende Versorgungsfreibetrag des § 19 Abs. 3 EStG zu berücksichtigen. Da dem Kläger die gesamte Abfindungssumme im Streitjahr 1969 zugeflossen ist, war der Freibetrag des § 19 Abs. 3 EStG nur für den Veranlagungszeitraum 1969 zu gewähren.
Die Vorentscheidung, die hinsichtlich der Verteilung der Abfindungssumme auf einer anderen Rechtsauffassung beruht, war aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif, weil wegen der Steuerberechnung durch die Verteilung auf die Jahre 1969 bis 1971 noch weitere Feststellungen getroffen werden müssen. Der Rechtsstreit wird daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 71015 |
BStBl II 1974, 680 |
BFHE 1975, 40 |