Leitsatz (amtlich)
Grundsteuerbefreit nach § 4 Nr. 3 Buchst. c GrStG sind auch die künstlich angelegten fließenden Gewässer.
Normenkette
GrStG 1973 § 4 Nr. 3 Buchst. c
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt ein Elektrizitätswerk. Sie ist Eigentümerin des A-Kanals, eines strömenden, künstlich angelegten Wasserlaufs, der der Stromerzeugung dient.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) setzte durch berichtigten Bescheid vom 25. September 1975 den Grundsteuermeßbetrag (Hauptveranlagung auf den 1. Januar 1974) hinsichtlich des in seinem Bereich liegenden Grundvermögens der Klägerin fest. Im Einspruchsverfahren begehrte die Klägerin, die der Stromerzeugung dienenden Kanalflächen als fließende Gewässer i. S. des § 4 Nr. 3 Buchst. c des Grundsteuergesetzes (GrStG) von der Grundsteuer zu befreien. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 4 Nr. 3 Buchst. c GrStG. Nach seiner Ansicht ergibt sich aus der Gesamtheit der Befreiungsvorschriften der §§ 3, 4 GrStG, daß nur solcher Grundbesitz grundsteuerbefreit sei, der nicht gewerblich genutzt werde. Dementsprechend seien Kanäle mit fließendem Wasser, die für Zwecke eines Industriewerks angelegt worden sind, nicht nach § 4 Nr. 3 Buchst. c GrStG grundsteuerbefreit. Diese Auslegung entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers, wie er bereits im Wortlaut des § 4 Nr. 9 Buchst. c GrStG 1951 zum Ausdruck gekommen sei. Der in dieser Vorschrift enthaltene Klammerzusatz "Ströme, Flüsse, Bäche" sei zwar in das GrStG 1973 nicht übernommen worden. Damit sei aber keine sachliche Änderung der Rechtslage und keine Erweiterung der Befreiungsvorschriften verbunden gewesen. Der Klammerzusatz sei vielmehr aus Gründen der Gesetzestechnik gestrichen worden, weil lediglich Legaldefinitionen in Klammern stehen sollten, es sich aber bei dem Klammerzusatz in § 4 Nr. 9 Buchst. c GrStG 1951 nicht um eine solche Definition gehandelt habe. Das FA verweist insoweit auf die Gesetzesbegründung (BT-Drucks Vl/3718).
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie macht insbesondere geltend, daß nach dem Wortlaut des § 4 Nr. 3 Buchst. c GrStG ihr die Befreiung zustehe. Die Entstehungsgeschichte rechtfertige nicht eine vom Wortlaut abweichende Auslegung. Sie weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, daß die öffentlichen Interessen ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen am Bestehen des Kanals mittlerweile überwiegen würden (Trockenlegung des Sumpfgebiets B, Vorfluter für die Abwässer der dort liegenden Gemeinden). Deshalb sei die Revision auch dann unbegründet, wenn man der Ansicht des FA folge, wonach die Befreiungsvorschriften des GrStG nur Grundbesitz erfaßten, der nicht gewerblich genutzt werde.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Nach § 4 Nr. 3 Buchst. c GrStG sind von der Grundsteuer befreit die fließenden Gewässer und die ihren Abfluß regelnden Sammelbecken, soweit sie nicht unter den Buchst. a) derselben Vorschrift fallen. Nach Auffassung des erkennenden Senats sind unter dem Begriff "fließende Gewässer" auch solche zu verstehen, deren Bett künstlich geschaffen worden ist.
a) § 4 Nr. 3 Buchst. c GrStG befreit seinem Wortlaut nach die "fließenden Gewässer" von der Grundsteuer ohne dabei zwischen natürlichen und künstlichen Gewässern zu unterscheiden. Der Wortsinn des Begriffs umfaßt beide Arten. Diese Auslegung entspricht nicht nur dem allgemeinen Sprachgebrauch, sondern auch dem Verständnis des Begriffs, wie er in den neueren Wassergesetzen seinen Niederschlag gefunden hat. So sind beispielsweise unter dem Begriff "fließende Gewässer" nach § 1 Abs. 3 des Berliner Wassergesetzes vom 23. Februar 1960 -- zuletzt geändert durch das Berliner Naturschutzgesetz vom 30. Januar 1979 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin -- GVBI Bln -- 1979, 183) -- Gewässer zu verstehen, "die in natürlichen oder künstlichen Betten ständig oder zeitweilig ... fließen". In ähnlicher Weise erläutert das Hessische Wassergesetz vom 12. Mai 1981 (GVBI HE I 1981, 153) den streitigen Begriff. Nach § 2 Abs. 1 dieses Gesetzes sind fließende Gewässer natürliche Gewässer, wenn sie in natürlichen Betten fließen, künstliche Gewässer dagegen, wenn sie in künstlichen Betten fließen (vgl. ferner auch § 2 Abs. 2 des Wassergesetzes für Baden-Württemberg, Gesetzblatt für Baden-Württemberg -- GBl BW -- 1979, 545 sowie § 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts -- Wasserhaushaltsgesetz --, BGBl I 1976, 3341). Bei dieser Sachlage tritt das Preußische Wassergesetz, das von einer anderen Terminologie ausgeht, bei der Auslegung des Begriffs fließendes Gewässer" an Bedeutung zurück.
b) Eine der Auffassung des FA entsprechende, den Wortsinn einschränkende Auslegung des Begriffs "fließendes Gewässer" läßt sich im Streitfall nicht überzeugend begründen. Zwar ist eine einschränkende Auslegung nicht schlechthin ausgeschlossen. Sie ist jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) insbesondere in Fällen, in denen sie für den Steuerpflichtigen nachteilig ist, nur dann gerechtfertigt, wenn die wortgetreue Auslegung zu einem so sinnwidrigen Ergebnis führen würde, daß der Gesetzgeber dies nicht gewollt haben könnte bzw. ein verständiger Steuerpflichtiger das Gesetz so nicht hätte auffassen können (vgl. insbesondere Urteile vom 7. Oktober 1976 VIII R 76/72, BFHE 120, 142, BStBl II 1977, 133; vom 16. Februar 1977 I R 244/74, BFHE 122, 130, 134, BStBl II 1977, 561 mit weiteren Nachweisen). An diesen Voraussetzungen fehlt es aber im Streitfall. Die Auslegung, daß auch künstliche Gewässer grundsteuerbefreit sind, führt nicht zu einem sinnwidrigen, der wirtschaftlichen Vernunft widersprechenden Ergebnis. Künstlichen Gewässern kann eine gleichartige Funktion zukommen wie natürlichen Gewässern. Dies zeigt der Streitfall. Es ist gerichtsbekannt, daß in den A-Kanal Abwässer geleitet werden und der Kanal gleichzeitig auch als Vorfluter dient. Zumindest insoweit nützt der Kanal auch der Allgemeinheit.
Das FA macht zwar demgegenüber geltend, aus der Gesamtheit der Vorschriften der §§ 3 und 4 GrStG ergebe sich, daß eine gewerbliche Nutzung stets die Grundsteuerfreiheit ausschließe. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß § 3 GrStG eine subjektive Steuerbefreiung zum Gegenstand hat, indem er den Grundbesitz bestimmter Rechtsträger von der Grundsteuer befreit. Das FA kann seine Auffassung aber auch nicht mit Erfolg auf § 4 GrStG stützen. Diese Vorschrift läßt nicht den zwingenden Schluß zu, daß der Gesetzgeber Grundbesitz, der auch privatwirtschaftlichen Interessen dient, in jedem Fall von der Grundsteuerbefreiung hat ausschließen wollen. So sind z. B. nach § 4 Nr. 3 Buchst. b GrStG auch bestimmte Flächen von Verkehrsflughäfen und Verkehrslandeplätzen von der Grundsteuer befreit. Derartige Einrichtungen werden aber im allgemeinen gewerblich betrieben.
Das FA macht ferner zu Unrecht geltend, daß gemäß § 4 Nr. 9 Buchst. c GrStG 1951 nur natürliche fließende Gewässer, nicht aber auch künstliche fließende Gewässer von der Grundsteuer befreit gewesen seien und der Wegfall des Klammerzusatzes keine sachliche Änderung der bisherigen Rechtslage zur Folge gehabt habe. Selbst wenn man der Auffassung des FA zur Auslegung von § 4 Nr. 9 Buchst. c GrStG 1951 folgt, könnte die Revision keinen Erfolg haben. Gerade der Wegfall des Klammerzusatzes, auf den das FA im wesentlichen seine Rechtsauffassung zum alten GrStG stützt, hätte den Gesetzgeber veranlassen müssen, auf andere Weise normativ klarzustellen, daß künstliche fließende Gewässer von der Grundsteuerbefreiung ausgenommen sind. So hätte es beispielsweise nahegelegen, anstelle des Klammerzusatzes vor die Worte "fließenden Gewässer" das Wort "natürlichen" einzufügen. Von dieser Möglichkeit hat der Gesetzgeber jedoch keinen Gebrauch gemacht. Bei dieser Sachlage ist für eine einschränkende Auslegung des Begriffs "fließende Gewässer" zu Lasten des Steuerpflichtigen nach den Grundsätzen der o. a. BFH-Rechtsprechung kein Raum.
Entgegen der Auffassung des FA ist nicht entscheidungserheblich, was der Gesetzgeber gewollt hat. Seine Zielvorstellungen allein bilden keine tragfähige Grundlage für die Ermittlung des Inhalts eines Rechtssatzes durch den Richter (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. November 1978, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 427.3, § 252 LAG Nr. 10). Zu Recht weist das FG in diesem Zusammenhang darauf hin, daß maßgeblich das ist, was der Gesetzgeber tatsächlich mit dem gewählten Wortlaut angeordnet hat. Denn entscheidend ist nur der durch den Wortlaut zum Ausdruck gekommene objektivierte Wille des Gesetzgebers und nicht die verborgen gebliebene subjektive Absicht.
Fundstellen
Haufe-Index 74474 |
BStBl II 1983, 57 |
BFHE 1983, 424 |