Leitsatz (amtlich)
1. Der Senat hält an der im Urteil II 216/60 U vom 25. Januar 1961 (BStBl 1961 III S. 145, Slg. Bd. 72 S. 395) vertretenen Auffassung für die bis zum Ablauf des Jahres 1965 gegebene Rechtslage fest.
2. Aus der Tatsache, daß die AO gegen Entscheidungen eines Finanzgerichts in einem ihr nicht bekannten Verfahren ein Rechtsmittel nicht vorsieht, kann nicht gefolgert werden, daß ein solches nicht gegeben sei.
Normenkette
AO § 251
Tatbestand
I.
Die Bgin. legte im Oktober 1964 gegen einen Bescheid des Zollamts über Abschöpfung und Umsatzausgleichsteuer im Hinblick auf die vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz dem Bundesverfassungsgericht im Vorlagebeschluß vom 14. November 1963 III 77/63 unterbreiteten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Gesetz zu den Verträgen vom 25. März 1957 zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) vom 27. Juli 1957 (BGBl II S. 753), das Gesetz vom 26. Juli 1962 (BGBl I S. 455) zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 des Rates der EWG vom 4. April 1962 (Bundeszollblatt -- BZBl -- 1962 S. 618) und das Abschöpfungserhebungsgesetz vom 25. Juli 1962 (BGBl I S. 453) Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung. Das Zollamt lehnte die Aussetzung ab, die Oberfinanzdirektion wies die Beschwerde als unbegründet zurück. Das Finanzgericht hob diese Entscheidungen durch Urteil vom 17. Dezember 1964 auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Zollamt zurück. Gegen dieses Urteil legte die Oberfinanzdirektion Rb. ein, über die am heutigen Tage entschieden worden ist.
Am 8. Januar 1965 forderte das Hauptzollamt die Bgin. zur Entrichtung der festgesetzten Beträge binnen einer Woche auf und wies darauf hin, daß bei Nichtzahlung das Beitreibungsverfahren fortgesetzt werde. Durch Schreiben vom 12. Januar 1965 legte die Bgin. "Beschwerde" ein und schlug eine Regelung vor, wonach die Verwaltung von Beitreibungsmaßnahmen bis zur Entscheidung über die Rb. Abstand nehmen sollte. Die Oberfinanzdirektion teilte durch Schreiben vom 2. Februar 1965 der Bgin. mit, daß sie auf den Vorschlag nicht eingehen könne und das Zollamt über den Aussetzungsantrag erst nach Bestätigung des Urteils des Finanzgerichts durch den Bundesfinanzhof entscheiden könne. Gleichzeitig bat sie um Entrichtung der Abgabenbeiträge bis 10. Februar 1965 und stellte für den Fall der Nichtzahlung die Zwangsvollstrekkung in Aussicht.
Mit Schriftsatz vom 6. Februar 1965 beantragte die Bgin. beim Bundesfinanzhof, durch einstweilige Anordnung der Oberfinanzdirektion und den ihr nachgeordneten Dienststellen eine Vollziehung des Abschöpfungsbescheids vor der Entscheidung über die Rb. zu untersagen. Der Antrag wurde durch Beschluß des erkennenden Senats vom 9. Februar 1965 als unzulässig verworfen.
Mit Schriftsatz vom 9. Februar 1965 an das Finanzgericht erklärte die Bgin., sie lege gegen den Bescheid der Oberfinanzdirektion vom 2. Februar 1965 Berufung ein und beantrage, die Bescheide des Hauptzollamts und der Oberfinanzdirektion vom 8. Januar und 2. Februar 1965 aufzuheben und im Wege der einstweiligen Anordnung der Oberfinanzdirektion und ihren nachgeordneten Dienststellen die Vollziehung des Abschöpfungsbescheids zu verbieten.
Das Finanzgericht behandelte diesen Schriftsatz als Antrag auf Gewährung von Vollstreckungsschutz und ordnete durch Beschluß vom 17. Februar 1965 unter Berufung auf Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) an, daß bis zur Entscheidung über die Rb. gegen das Urteil vom 17. Dezember 1964 der Abschöpfungsbescheid nicht zu vollziehen sei.
Die Oberfinanzdirektion begründet ihre Rb. gegen den Beschluß des Finanzgerichts wie folgt:
Der Erlaß einstweiliger Anordnungen sei im finanzgerichtlichen Verfahren nicht zulässig. Weder in der AO noch in Art. 19 Abs. 4 GG finde sich eine Rechtsgrundlage für solche Anordnungen. Die Aussetzung der Vollziehung von Steuerbescheiden sei durch § 251 AO abschließend geregelt. Danach könne ein Rechtsmittel eine aufschiebende Wirkung nur durch eine besondere Ermessensentscheidung der den Abgabenbescheid erlassenden Behörde erhalten. Die Gerichte hätten nur zu prüfen, ob die Verwaltungsbehörden die Grenzen des Ermessens eingehalten hätten. Das Gesetz habe die Finanzgerichte zur Aussetzung der Vollziehung nicht ermächtigt. Sie seien dementsprechend auch nicht zum Erlaß einstweiliger Anordnungen auf Einstellung der Beitreibung berechtigt und könnten auch nicht in einem selbständigen Rechtsschutzverfahren die Aussetzung der Vollziehung von Steuerbescheiden anordnen. Ein Bedürfnis für ein solches Verfahren bestehe nicht. Dem Steuerpflichtigen werde gegenüber Ermessensentscheidungen der Verwaltung dadurch ausreichender Rechtsschutz gewährt, daß er nach §§ 228, 237 AO gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung die Gerichte anrufen könne. Ein weitergehender Rechtsschutz werde auch durch Art. 19 Abs. 4 GG nicht eingeräumt. Der vom Finanzgericht angenommene Anspruch, daß die Verwaltung während des Schwebens eines solchen Rechtsstreits über die Aussetzung keine Vollziehungsmaßnahmen ergreifen dürfe, bestehe nicht. Durch § 251 AO habe der Gesetzgeber verhindern wollen, daß sich der Steuerpflichtige durch die Einlegung eines Rechtsmittels einen Zahlungsaufschub verschaffen könne. Wolle man der Ansicht des Finanzgerichts folgen, ließe sich das, was § 251 AO gerade verhindern wolle, durch die Einlegung eines Rechtsmittels gegen die Ablehnung einer Aussetzung der Vollziehung erreichen. Im übrigen könne auch nach Beitreibung eine die Aussetzung der Vollziehung ablehnende Verfügung im Rechtsmittelverfahren nachgeprüft werden und müsse bei Aufhebung des Abgabenbescheids der gezahlte Betrag einschließlich Zinsverlust erstattet werden. Der angefochtene Beschluß laufe schließlich auf eine Änderung des in gleicher Sache ergangenen Urteils des Finanzgerichts hinaus. Nach § 94 Abs. 4 AO könnten aber Berufungsurteile der Finanzgerichte nicht zurückgenommen und nicht geändert werden.
Die Bgin. könne sich nicht auf das Urteil des Bundesfinanzhofs II 216/60 U vom 25. Januar 1961 (BStBl 1961 III S. 145, Slg. Bd. 72 S. 395) stützen. Nach dieser Entscheidung des Bundesfinanzhofs könne nur in besonders liegenden Ausnahmefällen die an sich den Verwaltungsbehörden zustehende Befugnis zur Aussetzung der Vollziehung nach § 251 AO auch durch die Finanzgerichte ausgeübt werden. Diese Befugnis werde aber den Finanzgerichten nur im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nach § 237 AO zugestanden, nicht aber in einem vorläufigen, abgekürzten, in der AO nicht vorgesehenen Verfahren. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens aber habe das Finanzgericht einen solchen Ausnahmefall nicht angenommen und von seiner etwaigen Befugnis zur selbständigen Aussetzung der Vollziehung keinen Gebrauch gemacht. Die Regelung der Aussetzung der Vollziehung von Abgabenbescheiden in der AO entspreche im wesentlichen der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Es bestehe daher kein Raum und auch kein Anlaß für eine analoge Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO für das Verfahren der Steuergerichte.
Die Bgin. macht folgendes geltend:
Die Rb. sei unzulässig, weil der Beschluß vom 17. Februar 1965 nicht selbständig anfechtbar sei. Er ordne nur mit deklaratorischer Kraft das an, was bereits dem Urteil vom 17. Dezember 1964 innewohne, nämlich die vorläufige Vollstreckbarkeit. Sie sei Wesensbestandteil jeden Urteils. Alle Verfahrensordnungen enthielten Bestimmungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit. § 167 Abs. 2 VwGO ordne allerdings an, daß Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden könnten. Ein weitergehendes Bedürfnis bestehe hier auch nicht, da § 80 VwGO hinreichend Möglichkeiten schaffe, Nachteile für den Kläger zu vermeiden. Ein Beschluß nach § 80 Abs. 5 VwGO sei aber nach Abs. 6 a. a. O. unanfechtbar. Auch die AO regele die vorläufige Vollstreckbarkeit, allerdings einseitig und zum Nachteil des Steuerpflichtigen. Sie regele nicht die Auswirkungen eines der Berufung gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung stattgebenden Urteils. Sie enthalte auch keine dem § 80 Abs. 5 VwGO entsprechende Bestimmung. Es dürfte sich aber von selbst verstehen, daß die Verwaltung den streitigen Leistungsbescheid nicht mehr vollziehen dürfe, wenn er durch ein, wenn auch nicht rechtskräftiges Urteil eines Finanzgerichts aufgehoben sei. Lehne die Verwaltung die Aussetzung der Vollziehung ab, handle sie ermessensfehlerhaft. Beschränke sich das Finanzgericht auf die Aufhebung des Bescheides, ohne selbst die Aussetzung der Vollziehung anzuordnen, enthalte dieser richterliche Spruch gleichwohl das Verbot, den Leistungsbescheid vor einer erneuten Überprüfung und Bescheidung des Aussetzungsantrags zu vollziehen. Beachte das die Verwaltung nicht, könne das Finanzgericht nicht gehindert sein, dem siegreichen Rechtsmittelführer Vollstreckungsschutz zu gewähren. Dies geschehe dann in der Form, daß die Verwaltung auf die Bedeutung und die Konsequenz des Urteils hingewiesen werde, und zwar durch einen Beschluß, der mit rein deklaratorischer Wirkung das im Urteil ohnehin enthaltene Vollzugsverbot nochmals ausdrücklich ausspreche. Der Beschluß vom 17. Februar 1965 enthalte gegenüber dem Urteil vom 17. Dezember 1964 keine zusätzliche Beschwer. Insbesondere handle es sich nicht um eine einstweilige Anordnung. Er enthalte auch nicht eine nach § 92 Abs. 2 AO unzulässige Änderung, sondern lediglich eine Klarstellung des Urteilstenors. Er sei deshalb nicht selbständig anfechtbar. Das ergebe sich auch aus § 285 AO. Danach könnten nur Urteile des Finanzgerichts mit der Rb. angefochten werden, nicht aber Beschlüsse. Das Finanzgericht habe die Rb. auch nicht zugelassen. Eine Zulassung durch den Bundesfinanzhof aber sei nicht möglich.
Die Zulässigkeit der Rb. ergebe sich auch nicht aus § 237 AO. Diese Bestimmung setze nämlich voraus, daß eine Berufungsentscheidung des Finanzgerichts vorliege, der eine Beschwerdeentscheidung der zuständigen Verwaltungsbehörde vorausgegangen sei. Die AO habe für die Zulässigkeit der Rb. das Enumerationsprinzip gewählt. Im übrigen sei es ein allgemeiner Grundsatz des Verfahrensrechts, daß richterliche Entscheidungen über die Gewährung von Vollstreckungsschutz nicht anfechtbar seien. Auch § 80 Abs. 6 VwGO sei ein Ausdruck dieses Grundsatzes.
Die Rb. sei zumindest unbegründet. Die Verwaltung habe nicht das Urteil des Finanzgerichts anfechten und gleichzeitig versuchen dürfen, den Aussetzungsantrag, über den noch nicht rechtskräftig entschieden gewesen sei, de facto durch eine Beitreibung gegenstandslos zu machen. Diesem ohne Zweifel ermessensfehlerhaften Verhalten habe das Finanzgericht entgegentreten müssen und dürfen. Auch im Verfahren vor den Finanzgerichten sei bei richtiger verfassungskonformer Auslegung der AO der Erlaß vorläufiger richterlicher Maßnahmen mit dem Ziel einer einstweiligen Aussetzung der Vollziehung bereits nach geltendem Recht zulässig. Der Bundesfinanzhof habe die AO bereits in anderer Hinsicht verfassungskonform erweiternd ausgelegt (Rechtsbehelfe nach Art. 19 Abs. 4 GG, Untätigkeitsklage, Anfechtbarkeit von Streitwertfestsetzungen). So habe er auch in dem Urteil vom 25. Januar 1961 eine Aussetzung durch das Finanzgericht für möglich erklärt. Um so unverständlicher sei es, daß der VII. Senat in seinem Beschluß vom 9. Februar 1965 ausgesprochen habe, daß die AO den Erlaß einstweiliger richterlicher Maßnahmen nicht ausdrücklich vorsehe. Er hätte gegebenenfalls die Entscheidung des Großen Senats einholen müssen. Der Senat habe auch nicht geprüft, ob nicht bereits der Entwurf der FGO eine Richtschnur abgeben könne. Rechtsirrig sei die Ansicht des Senats, daß auch die Verwaltungsgerichte die Vollziehung von öffentlichen Abgabenbescheiden nicht aussetzen dürften. Nach § 80 Abs. 5 VwGO könne das Gericht schon vor Erhebung der Anfechtungsklage die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels ganz oder teilweise anordnen. Ob man von einstweiligen Anordnungen sprechen wolle, sei Formulierungsfrage. Jedenfalls müßten gleichartige Maßnahmen auch im Finanzrechtsweg möglich und zulässig sein. Das Finanzgericht sei auch nicht über das gebotene Maß hinausgegangen, denn es habe die Vollziehung nur bis zur Entscheidung durch den Bundesfinanzhof ausgesetzt.
Entscheidungsgründe
II.
Der Rb. war der Erfolg nicht zu versagen.
1. Die Frage der Zulässigkeit eines Rechtsmittels gegen den angefochtenen Beschluß kann nicht ohne vorherige Prüfung des Wesens und der Zulässigkeit des Beschlusses selbst entschieden werden.
2. Nach Rubrum und Tenor des angefochtenen Beschlusses hat das Finanzgericht in einem "selbständigen Rechtsschutzverfahren" -- unter Berufung auf Art. 19 Abs. 4 GG -- angeordnet, daß der angefochtene Abschöpfungsbescheid nicht zu vollziehen sei. Wie der erkennende Senat in seinem Beschluß VII B 23/65 vom 9. Februar 1965 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1965 S. 287 Nr. 238) entschieden hat, kennt die AO eine solche -- einstweilige -- Anordnung nicht.
Nach der für den Streitfall noch geltenden Rechtslage wird nach § 251 AO durch Einlegung eines Rechtsmittels die Wirksamkeit des angefochtenen Bescheids nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Steuer nicht aufgehalten. Die Behörde, die den Bescheid erlassen hat, kann jedoch die Vollziehung aussetzen, geeignetenfalls gegen Sicherheitsleistung. Diese Aussetzung der Vollziehung ist aber nicht ausschließlich der den Bescheid erlassenden Verwaltungsbehörde überlassen, sondern unterliegt nach § 237 AO der Beschwerde, die zunächst zur übergeordneten Verwaltungsbehörde führt, gegen deren Entscheidung nach Abs. 2 a. a. O. Berufung und Rb. gegeben sind, so daß also in der Frage der Vollziehung eines angefochtenen Bescheids der Finanzverwaltungsbehörden der Rechtsweg zu den Steuergerichten eröffnet ist. Da es sich bei der Entscheidung der Verwaltungsbehörde über die Aussetzung der Vollziehung um eine Ermessensentscheidung handelt, haben die Steuergerichte zu prüfen, ob die Entscheidung nicht ermessensfehlerhaft ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs II 37/53 U vom 10. Februar 1954, BStBl 1954 III S. 116, Slg. Bd. 58 S. 538, Steuerrechtsprechung in Karteiform -- StRK --, Reichsabgabenordnung, § 251, Rechtsspruch 1, das in zahlreichen späteren Entscheidungen bestätigt worden ist). Ein solches Rechtsmittelverfahren war hinsichtlich der Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung des Abschöpfungsbescheids vom 5. Oktober 1964 im Gange. Die Vorinstanz hatte nämlich bereits durch Urteil vom 17. Dezember 1964 die eine Aussetzung der Vollziehung ablehnende Verfügung des Zollamts und die diese Ablehnung bestätigende Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Zollamt zurückverwiesen. Gegen dieses Urteil hatte die Oberfinanzdirektion Rb. eingelegt.
Es ist daher zu prüfen, ob es über diesen Verfahrensweg hinaus gerichtliche Maßnahmen hinsichtlich der Aussetzung der Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheids gibt. Bereits im Urteil II 216/60 U vom 25. Januar 1961 (BStBl 1961 III S. 145, Slg. Bd. 72 S. 395) hat der II. Senat des Bundesfinanzhofs ausgesprochen, er würde der Meinung, die Finanzgerichte seien auf Grund der §§ 251 Satz 2, 244 Satz 1 AO selbständig von sich aus zur Aussetzung der Vollziehung von Steuerbescheiden befugt, nicht beitreten können (in gleichem Sinne das Urteil II 66/61 vom 17. Mai 1961, StRK, Reichsabgabenordnung, § 251, Rechtsspruch 20). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an.
3. Das Urteil vom 25. Januar 1961 verneint auch eine etwaige analoge Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO vom 21. Januar 1960 (BGBl 1960 I S. 17) sowie die Möglichkeit einer Anwendung des im Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Finanzgerichtsbarkeit -- damals -- enthaltenen noch nicht geltenden § 67 Abs. 3 (später § 65, jetzt § 69). Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann u. a. bei der Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs, d. h. im Ergebnis die Aussetzung der Vollziehung des Abgabenbescheids ganz oder teilweise anordnen, und zwar ist ein diesbezüglicher Antrag schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. § 80 VwGO kennt demnach zwei Möglichkeiten, den grundsätzlich nicht vorhandenen Suspensiveffekt der Anfechtung von Anforderungen öffentlicher Abgaben herbeizuführen. Die Widerspruchsbehörde kann nach § 80 Abs. 4 die Vollziehung aussetzen, statt dessen kann es aber auch das Gericht der Hauptsache tun, indem es dem Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung beilegt, und zwar bereits vor Erhebung der Anfechtungsklage.
Die AO sieht dagegen nur eine Aussetzung der Vollziehung durch die den Bescheid erlassende Behörde vor, gegen deren Ermessensentscheidung der Weg der Beschwerde an die übergeordnete Verwaltungsbehörde gegeben ist, gegen deren Entscheidung der Weg an die Steuergerichte führt; diese prüfen die Entscheidung der Verwaltung darauf, ob sie frei von Ermessensfehlern ist. Mag demnach auch zum Teil der Inhalt der Entscheidung als auch das Verfahren nach der AO von der Regelung der VwGO abweichen, so handelt es sich doch -- wie der mehrfach erwähnte Beschluß des Senats vom 9. Februar 1965 schon zum Ausdruck gebracht hat -- bei Aussetzung der Vollziehung oder Anordnung aufschiebender Wirkung nach der VwGO und der Aussetzung der Vollziehung nach der AO mit anschließendem Rechtsmittelverfahren um einander entsprechende Rechtsinstitute. Da demnach die AO als das für den Finanzrechtsweg speziellere Gesetz jedenfalls einen Rechtsschutz in Gestalt eines Weges an die Steuergerichte gibt, scheidet auch nach Auffassung des Senats eine analoge Anwendung des § 80 Abs. 5 VwGO aus.
Ebenso teilt der Senat die Auffassung des Urteils vom 25. Januar 1961 insofern, als er auch die Anwendung einer im Entwurf der FGO befindlichen, also noch nicht geltenden Vorschrift nicht für zulässig hält. Daran ändert auch nichts, daß das Gesetz inzwischen bereits beschlossen und verkündet ist (BGBl 1965 I S. 1477).
4. Es fragt sich schließlich, ob über die Möglichkeit, im Wege der Nachprüfung von Verwaltungsentscheidungen auf ihre Freiheit von Ermessensfehlern hinaus sich unmittelbar aus dem GG eine Befugnis für die Finanzgerichte entnehmen läßt, auch durch besondere Anordnungen den Verwaltungsbehörden die Vollziehung von Steuerbescheiden zu untersagen.
Dazu hat das erwähnte Urteil vom 25. Januar 1961 ausgesprochen, daß Fälle denkbar wären, in denen der von Art. 19 Abs. 4 GG garantierte Rechtsschutz praktisch nicht gewährt würde, wenn man in diesen besonderen Ausnahmefällen ein selbständiges Aussetzungsrecht des Finanzgerichts, an das in der Hauptsache Berufung eingelegt worden ist, verneinen würde. Der erkennende Senat ist der Auffassung, daß es sich bei diesen besonderen Ausnahmefällen nur um solche handeln kann, in denen die unmittelbaren Folgen der Vollziehung auch durch eine spätere Erstattung im Falle des Obsiegens des Vollstrekkungsschuldners nicht rückgängig gemacht werden können, da andernfalls der für das Steuerrecht geltende Grundsatz des § 251 Satz 1 AO zu stark eingeschränkt würde.
5. Aus den vorstehenden Gründen kommt der Senat zu dem Ergebnis, daß -- abgesehen von den eben erwähnten Ausnahmefällen -- neben dem Rechtsmittelverfahren über die Aussetzung der Vollziehung nach §§ 251, 237 AO ein besonderes Rechtsschutzverfahren und der Erlaß besonderer Anordnungen in dessen Rahmen weder auf Grund der AO noch einer analogen Anwendung der VwGO noch auf Grund von Vorschriften der noch nicht geltenden FGO noch auf Grund des Art. 19 Abs. 4 GG als zulässig erachtet werden können. Er hält daher an der im Urteil vom 25. Januar 1961 vom II. Senat vertretenen Auffassung für die bis zum Ablauf des Jahres 1965 gegebene Rechtslage fest.
6. Im Streitfall handelt es sich weder um eine Aussetzung der Vollziehung durch das im Rechtsstreit um den Abgabenbescheid angerufene Gericht, noch liegen Tatsachen vor, die einen der möglichen Ausnahmefälle begründen könnten. Letzteres ergibt sich aus B I. 3. der Gründe des Urteils des Bundesfinanzhofs VII 79/65 S vom heutigen Tage (BStBl 1966 III S. 79).
Im übrigen kommt aber auch noch folgendes hinzu: Die Vorinstanz hatte in einem über die Aussetzung der Vollziehung schwebenden Rechtsstreit die ablehnende Entscheidung der Verwaltung aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Zollamt zurückverwiesen. Das Finanzgericht hatte mit der Aufhebung und Zurückverweisung zum Ausdruck gebracht, daß es in der Frage der Aussetzung der Vollziehung nicht nur eine einzige Lösung für die allein ermessensfehlerfreie ansah; andernfalls hätte es darauf erkennen müssen, daß die Vollziehung des Bescheids auszusetzen sei. Mit der Zurückweisung an das Zollamt kam jedoch zum Ausdruck, daß die Vorinstanz zwar die Entscheidungen der Verwaltung insofern für ermessensfehlerhaft hielt, als diese die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht hinreichend gewürdigt hätte, im übrigen aber die Frage der Aussetzung einer erneuten Ermessensentscheidung der Verwaltung überließ. Die Vorinstanz hat also, wie sie selbst in den Gründen ihres Beschlusses sagt, eine "die Verwaltung ohne weiteres bindende Maßnahme" nicht getroffen. Daraus kann aber nicht gefolgert werden, daß die Vorinstanz befugt sein müsse, durch besondere Anordnung das auszusprechen, was in ihrem auf Aufhebung und Zurückverweisung lautenden Urteil über die gleiche Frage nicht enthalten ist, nämlich die Entscheidung, daß die Vollziehung auszusetzen sei. Das würde auf eine nachträgliche Änderung des Urteils in derselben Sache hinauslaufen, für deren Zulässigkeit aus dem Gesetz keinerlei Anhaltspunkt zu entnehmen ist. Mit einem solchen Beschluß würde die Vorinstanz von ihrem Urteil insofern abweichen, als die Untersagung der Vollziehung im Widerspruch damit steht, daß die Verwaltung nach dem Urteil erneut über die Aussetzung der Vollziehung entscheiden soll.
Wenn die Bgin. vorträgt, daß die Verwaltung, ehe sie Vollstreckungsmaßnahmen androhte, entsprechend dem finanzgerichtlichen Urteil erneut über die Aussetzung der Vollziehung hätte entscheiden müssen, ist demgegenüber festzustellen, daß die Verwaltung mit einer solchen Befolgung des Urteils dieses anerkannt und sich damit in Widerspruch mit der von ihr gegen dieses Urteil eingelegten Rb. gesetzt hätte.
Der Bgin. kann auch nicht darin gefolgt werden, daß es sich bei dem Beschluß der Vorinstanz um eine deklaratorische Bestätigung einer dem vorausgegangenen Urteil ohnedies zukommenden vorläufigen Vollstreckbarkeit gehandelt habe. Abgesehen von den Fällen, in denen ein gerichtliches Verfahrensrecht die vorläufige Vollstreckbarkeit von Urteilen allgemein anordnet oder aber sie auf besonderen Antrag in Form einer Vollstreckbarkeitserklärung zuläßt, sind Urteile nicht vorläufig vollstreckbar. Das für den Streitfall geltende Steuerprozeßrecht kennt weder die eine noch die andere Form einer vorläufigen Vollstreckbarkeit von finanzgerichtlichen Urteilen. Aber auch der von der Bgin. vorgetragene Gedanke, daß bei Aufhebung eines Leistungsgebots durch ein wenn auch nicht rechtskräftiges Urteil eine Vollziehung durch die Finanzbehörde nicht mehr zulässig sei, kann für den Streitfall nicht herangezogen werden, da der Leistungsbescheid zwar mit Rechtsmitteln angegriffen, aber nicht aufgehoben war.
Nach alledem war es im Streitfall unzulässig, in einem selbständigen Rechtsschutzverfahren den angefochtenen Beschluß zu erlassen.
7. Aus der Tatsache, daß die AO gegen Entscheidungen eines Finanzgerichts in einem ihr nicht bekannten Verfahren ein Rechtsmittel nicht vorsieht, kann nicht gefolgert werden, daß ein solches nicht zulässig sei. Insbesondere kann, da nach Auffassung des Senats eine entsprechende Anwendung des § 80 VwGO nicht in Betracht kommt, auch nicht § 80 Abs. 6 VwGO angewendet werden, der ein Rechtsmittel für den Fall ausschließt, daß dem Antrage nach Abs. 5 a. a. O. auf Beilegung aufschiebender Wirkung entsprochen worden ist. Der Betroffene muß sich vielmehr gegen eine in einem der gesetzlichen Grundlage ermangelnden Verfahren ergangene Entscheidung zur Wehr setzen können (vgl. dazu den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 22. Mai 1964 2 Ta BV 1/64, abgedruckt in "Der Betriebs-Berater" -- BB -- 1965 S. 866).
Es fragt sich nur, welches Rechtsmittel gegen den Beschluß des Finanzgerichts gegeben ist. Nach § 285 AO ist die Rb. gegen Berufungsurteile der Finanzgerichte gegeben, nach § 4 Nr. 1 des Gesetzes über den Bundesfinanzhof vom 29. Juni 1950 (BGBl S. 257) auch gegen Entscheidungen der Finanzgerichte im Beschwerdeverfahren. Beide Fälle liegen hier nicht vor. Auf der anderen Seite aber läßt sich daraus, daß in § 4 Nr. 2 a. a. O. nur einzelne Entscheidungen der Finanzgerichte und des Bundesmonopolamts mit der Beschwerde anfechtbar sind, während auch gegen Einspruchsbescheide der Oberfinanzdirektion nach § 236 AO die Rb. gegeben ist, entnehmen, daß die Beschwerde an den Bundesfinanzhof die Ausnahme darstellt. Im übrigen aber spricht der Umstand, daß in dem im Gesetz vorgesehenen Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung das Finanzgericht durch Berufungsurteil entscheidet und hiergegen die Rb. gegeben ist, nach Auffassung des Senats entscheidend dafür, daß auch gegen eine unzulässige Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung, die das Finanzgericht selbst als Ergänzung seines Urteils in dem Berufungsverfahren über die Aussetzung der Vollziehung angesehen hat, das gleiche Rechtsmittel zulässig sein muß.
8. Auf die danach als zulässig zu erachtende Rb. der Oberfinanzdirektion war aus den oben dargelegten Gründen der angefochtene Beschluß des Finanzgerichts aufzuheben und der Antrag der Bgin. auf Erlaß einer solchen Anordnung abzulehnen.
Fundstellen
Haufe-Index 411867 |
BStBl III 1966, 76 |
BFHE 1966, 210 |