Leitsatz (amtlich)
1. Ein Grundstück befindet sich im Zustand der Bebauung, wenn und solange der Verfügungsberechtigte die Absicht hat das Grundstück weiter zu bebauen, und er diese Absicht kontinuierlich verwirklicht.
2. Der Zustand der Bebauung besteht (jedenfalls) dann nicht mehr fort, wenn auf einem Grundstück ein zwar ausbaufähiges aber gleichwohl selbständig sinnvoll nutzbares Gebäude rd. 19 Jahre vor dem Erwerbsvorgang errichtet wurde, und das Gebäude seither eine wesentliche Erweiterung nicht mehr erfahren hat.
Normenkette
GrESWG Schleswig-Holstein § 1 Abs. 1 Nr. 2; GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Durch Vertrag vom ... kauften die Kläger je zur ideellen Hälfte ein Grundstück in K, das 290 qm groß und mit einem zwei-geschossigen mit Flachdach versehenen Haus bebaut war. Das Haus, das sich von den überwiegend viergeschossigen mit Schrägdächern gedeckten Nachbarhäusern optisch abhebt, war 1950 errichtet worden. In seinem Erdgeschoß befanden sich zwei vermietete Ladengeschäfte, im Obergeschoß, das ausschließlich zu Wohnzwecken genutzt wird, drei Wohnräume, eine Küche und ein Bad. Vom Obergeschoß führt eine an dem Flachdach endende Treppe nach oben.
Das FA (Beklagter) hat aufgrund des Erwerbsvorgangs Grunderwerbsteuer festgesetzt.
Nach erfolglosen Einsprüchen der Kläger hat das FG die Steuerbescheide aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Grundstückserwerb sei gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Befreiung von der Grunderwerbsteuer bei Maßnahmen des sozialen Wohnungsbaus und bei Maßnahmen aus dem Bereich des Bundesbaugesetzes vom 28. Juni 1962 (GVBl 1962, 265, BStBl II 1962, 163) - GrESWG - von der Besteuerung ausgenommen, denn die Kläger hätten zur Errichtung steuerbegünstigter Wohnungen ein Grundstück im Zustand der Bebauung erworben.
Mit der Revision beantragt das FA, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen. Gerügt wird die unzutreffende Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrESWG.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.
Der Grundstückserwerb unterliegt der Grunderwerbsteuer gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Er ist nicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrESWG von der Grunderwerbsteuer befreit. Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift ist u. a. , daß sich das Gebäude im Zustand der Bebauung befindet. Hieran fehlt es nach den vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen.
Im Zustand der Bebauung befindet sich ein Grundstück, wenn und solange der Verfügungsberechtigte die Absicht hat, das Grundstück weiter zu bebauen und er diese Absicht kontinuierlich verwirklicht. Ob dies der Fall ist, kann nicht nur aufgrund der Erklärungen des Betroffenen, sondern muß unter Berücksichtigung aller erkennbaren Umstände beurteilt werden. Dabei kommt der sich aus den Baugenehmigungsanträgen ergebenden Bauplanung und dem dadurch erkennbar werdenden Ziel eine nicht unerhebliche Bedeutung zu. Das Zurückbleiben des geschaffenen Bauwerks hinter den aus den Plänen ersichtlichen Vorstellungen des Bauherrn läßt indes allein nicht den zwingenden Schluß zu, daß der ursprüngliche Bauwille noch so lange fortbestehe, bis das Planziel erreicht ist. Denn der Bauherr kann, sei es aus finanziellen, aus persönlichen oder sonstigen Gründen gezwungen worden sein, seine ursprünglich weitergehenden Bauvorstellungen aufzugeben und sich - vorerst - mit einem kleineren Gebäude zu begnügen. In diesen Fällen hat sich das, was sich nach der ursprünglichen Planung nur als Anfang der Baumaßnahme und als Teil des zu schaffenden Objekts darstellte, durch Willensänderung des Bauherrn zum -vorläufigen - Endzustand entwickelt, sofern die Planung - der geänderten Absicht des Bauherrn entsprechend - für längere Zeit nicht weiter verfolgt wird. Das Grundstück befindet sich dann - wenn auch möglicherweise nur für eine zunächst noch unbestimmte Zeitspanne - nicht mehr im Zustand der Bebauung (obgleich der Bau nach der ursprünglichen Vorstellung des Bauherrn noch nicht fertig ist und, worauf das FG zutreffend hingewiesen hat, durch bloßen Zeitablauf von selbst auch nicht fertig werden wird). Durch die Einstellung der Baumaßnahmen für einen längeren Zeitraum endet der Zustand der Bebauung, unabhängig davon, ob das Gebäude fertig ist oder nicht, es sei denn, die bisherigen Baumaßnahmen hätten noch nicht zu einem bezugsfertigen Gebäude geführt.
Eine allgemein gültige Aussage darüber, aus welcher Zeitdauer des Stillstandes der Bauarbeiten das Ende des "Zustands der Bebauung" gefolgert werden kann, ist schwer möglich. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalles. Es wird u. a. zu berücksichtigen sein, ob das Bauvorhaben einen gewissen äußerlich erkennbaren Abschluß gefunden hat und ob der Verfügungsberechtigte den weiteren Ausbau nicht mehr nachhaltig betreibt. Einer Erörterung der zahlreichen denkbaren Möglichkeiten im einzelnen bedarf es zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht. Denn jedenfalls dann, wenn auf einem Grundstück ein zwar ausbaufähiges, aber selbständig nutzbares Gebäude vor rd. 19 Jahren errichtet wurde, und das Gebäude seither eine wesentliche Erweiterung nicht mehr erfahren hat, befindet sich das Grundstück nicht mehr im Zustand der Bebauung.
Mit Urteil vom 9. Mai 1967 II 68/63 (BFHE 88, 567, BStBl III 1967, 493) hat der Senat erkannt, daß nach den Umständen des Falles ein Grundstück auch dann noch als Grundstück im Zustand der Bebauung angesehen werden kann, wenn das Gebäude trotz der Gesamtplanung nur abschnittsweise errichtet werden kann und wenn der Bauabschnitt ein bautechnisches Provisorium darstellt. Diese Entscheidung ist zu § 1 Nr. 4 des Nordrhein-Westfälischen Landesgesetzes ergangen, dessen Wortlaut von § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrESWG Schleswig-Holstein abweicht. Den im Urteil II 68/63 angestellten Erwägungen kann aber ungeachtet der Verschiedenheit der beiden Gesetzesvorschriften schon deshalb im vorliegenden Fall keine Bedeutung zukommen, weil jenem Verfahren ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen hat. Insbesondere war die Zeitspanne zwischen der Fertigstellung des letzten Gebäudeabschnitts und dem Erwerbsvorgang erheblich kürzer als im vorliegenden Fall.
Fundstellen
Haufe-Index 71727 |
BStBl II 1976, 163 |
BFHE 1976, 285 |