Leitsatz (amtlich)
Erstes Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes i. d. F. v. 21. Dezember 1954, des Körperschaftsteuergesetzes i. d. F. v. 21. Dezember 1954 und des Gesetzes zur Erhebung einer Abgabe „Notopfer Berlin” v. 2. Juli 1955.
1. Hat ein Steuerpflichtiger mit Familienwohnsitz an einem anderen Ort einen Arbeitsort, den er, wenn auch planmäßig, wöchentlich zweimal kurzfristig aufsucht, so hatte er an diesem Ort keinen Wohnsitz, wenn er während des Aufenthaltes an diesem Ort sich in der Wohnung seines Bruders aufhält, ohne dort ein ihm ständig zur Verfügung stehendes eigenes Zimmer benutzen zu können.
2. Die Vorschrift des § 1 Abs. 3 StErlG 1955 ist nicht verfassungswidrig.
Normenkette
StAnpG § 13; StErlG 1955 § 1 Abs. 1, § 3
Tatbestand
Streitig ist, ob der Revisionskläger (Steuerpflichtiger) aufgrund des Ersten Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes i. d. F. vom 21. Dezember 1954, des Körperschaftsteuergesetzes i. d. F. vom 21. Dezember 1954 und des Gesetzes zur Erhebung einer Abgabe „Notopfer Berlin” vom 4. Juli 1955, BGBl I 1955, 384, – StErlG 1955 –, eine Ermäßigung der Einkommensteuer auf seine Westberliner Einkünfte beanspruchen kann.
Der Steuerpflichtige hat seit 1952 Berlin-West, X-Straße gewohnt und in der Anlage zu seiner Einkommensteuererklärung 1956 auf dem Vordruck „Anlage Berliner Steuerpräferenz” erklärt, er habe während des gesamten Kalenderjahres seinen Wohnsitz in Berlin-West gehabt. Als weiteren Wohnsitz hatte er eine Stadt im Bundesgebiet (A) angegeben. Dort wohnten seine Ehefrau und eine am 17. März 1947 geborene Tochter. Einen Wohnsitz in Berlin-West hatten diese Angehörigen des Steuerpflichtigen im Jahre 1956 nicht. Im Laufe des Rechtsmittelverfahrens änderte der Steuerpflichtige sein Vorbringen dahingehend, daß er im Jahre 1956 seinen Wohnsitz nicht mehr in Berlin-West, X-Straße, sondern bei seinem Bruder K. in Berlin-West, Y-Straße, gehabt habe. Er habe im Jahre 1956 regelmäßig an zwei Tagen in der Woche aus geschäftlichen Gründen nach Berlin-West fahren müssen und habe dort stets bei seinem Bruder, Y-Straße, gewohnt. In Berlin sei sein Arbeitsort gewesen, weil er in seiner Eigenschaft als Mitgesellschafter einer OHG eine Ruine in Berlin unter seiner Aufsicht habe abreißen und verwerten lassen. Er habe in der Wohnung seines Bruders zwar kein besonderes Zimmer zur Verfügung gehabt; er sei aber als naher Familienangehöriger in die Familie seines Bruders aufgenommen worden, so daß kein Zweifel daran bestehen könne, daß er die Wohnung Y-Straße innegehabt und mitbenutzt habe. Für seinen Wohnbedarf in Berlin-West sei nicht mehr erforderlich gewesen, die Wohnung X-Straße, die er vermietet habe, zu benutzen.
Das FA lehnte die Gewährung der Steuerpräferenz ab. Auch die Berufung (Klage) des Steuerpflichtigen hiergegen blieb ohne Erfolg. Die Vorinstanz gelangte zu dem Ergebnis, der Steuerpflichtige habe im Jahre 1956 keinen Wohnsitz in Berlin-West gehabt. Nach § 13 StAnpG habe jemand einen Wohnsitz im Sinn der Steuergesetze dort, wo er eine Wohnung innehabe unter Umständen, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen werde. Nach dem Urteil des BFH IV 129/58 S vom 29. Oktober 1959 (BFH 70, 162, BStBl III 1960, 61) habe ein Ehemann grundsätzlich seinen Wohnsitz dort, wo seine Familie wohne. Seit 1955 aber wohne die Familie des Steuerpflichtigen in A, während er selbst seine Berliner Wohnung durch Überlassung an die Familie P. in Form der Untervermietung aufgegeben habe. Daher habe er auch selbst seinen Wohnsitz seit dieser Zeit in A. Wenn der Steuerpflichtige nunmehr, nach Feststellung des Umstandes, daß er die Wohnung in Berlin-West, X-Straße, im Jahre 1956 nicht mehr innegehabt habe, den Standpunkt vertrete, er habe 1956 eine andere Wohnung in Berlin, nämlich die seines Bruders mit innegehabt, so könne ihm die Vorinstanz darin nicht folgen. Der Steuerpflichtige sei nicht Inhaber dieser Wohnung gewesen. Er habe auch nach seiner eigenen Erklärung in dieser Wohnung kein eigenes Zimmer gehabt. Eine Wohnung habe man nicht überall dort, wo man aus verwandtschaftlichen Gründen jederzeit auf Unterkunft rechnen könne. Die aus verwandtschaftlichen Gründen erteilte Zusage einer jederzeitigen Aufnahme und Beherbergung begründe keine Inhaberschaft des Aufgenommenen an der Wohnung des aufnehmenden Verwandten. Dies müsse jedenfalls gelten, wenn der Aufgenommene anderswo eine eigene Wohnung habe. Im Fall des Urteils IV B 9/38 vom 10. Februar 1939, (RStBl 1939, 371), habe es der RFH, zur Begründung des Wohnsitzes nicht einmal genügen lassen, daß einem über 30 Jahre alten ledigen Sohn, der an einem anderen Ort wohnte und seinen Beruf ausübte, im Hause seiner Mutter ein Zimmer zur freien Verfügung stand, welches er regelmäßig am Wochenende benutzte. Da dem Steuerpflichtigen in der Wohnung seines Bruders nicht einmal ein Raum zu seiner freien und ausschließlichen Verfügung gestanden habe, könne von dem Innehaben einer Wohnung durch ihn im Haus Y-Straße in Berlin keine Rede sein. Aus diesem Grunde erübrige sich auch die Anhörung der Zeugen, die der Steuerpflichtige für die Richtigkeit seiner Angaben über die Häufigkeit und Regelmäßigkeit seiner Aufenthalte in Berlin benannt habe. Auf die Frage, ob das StErlG insofern mit dem GG vereinbar sei, als es bei mehrfachem Wohnsitz eines Steuerpflichtigen die Steuerermäßigung daran knüpfe, daß die mit diesen zusammen zu veranlagenden Angehörigen ihren ausschließlichen Wohnsitz in Berlin haben, bedürfe es hiernach keiner Antwort mehr. Auch auf § 1 Abs. 3 StErlG könne sich der Steuerpflichtige nicht stützen, da die dort aufgestellte Bedingung, wonach mindestens 25 Arbeitnehmer in den in Berlin gelegenen Betriebstätten beschäftigt sein müßten, nicht erfüllt sei.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des Steuerpflichtigen, mit der er beantragt, das Verfahren auszusetzen, die Entscheidung des BVerfG über die Vereinbarkeit des § 1 Abs. 1 StErlG 1955 mit dem GG einzuholen, hilfsweise: das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG über die Vereinbarkeit des § 1 Abs. 3 StErlG 1955 mit dem GG einzuholen, ist nicht begründet.
Vorinstanz:
Zwar schließt nicht schon die Tatsache, daß der Steuerpflichtige einen Familienwohnsitz in A hatte, die Möglichkeit eines weiteren Wohnsitzes in Berlin-West aus, vgl. Urteil des erkennenden Senats IV 129/58 S. Voraussetzung für einen solchen weiteren Wohnsitz ist aber, daß der Steuerpflichtige in Berlin-West eine Wohnung innehatte. Daran fehlt es, wenn ein Steuerpflichtiger, insbesondere ohne Anspruch auf ein besonderes Zimmer in der Wohnung eines Dritten, auch eines Verwandten, sich dort lediglich zu Übernachtungszwecken aufhält, weil er an dem Ort eine Arbeitsstätte hat, die er, wenn auch planmäßig, so doch nur zweimal wöchentlich kurzfristig besucht. Wenn ein Steuerpflichtiger, der bereits einen festen Familienwohnsitz hat, an einem anderen Ort lediglich mit Rücksicht darauf, daß er dort einen Arbeitsort hat, an dem er nicht ständig anwesend bleibt, einen weiteren Wohnsitz begründen will, dann müssen an dessen Vorliegen strenge Anforderungen gestellt werden. Es kann auch hier eine verhältnismäßig primitive Bleibe genügen. Auch liegt die Beibehaltung eines einmal in der Wohnung der Eltern begründeten Wohnsitzes besonders nahe, wenn der Sohn diese Wohnung zum Zwecke auswärtiger Arbeitsleistung nur äußerlich verläßt, ohne hierdurch aber tatsächlich einen anderen Wohnsitz zu begründen und mit der Absicht, bei jeder sich bietenden Gelegenheit wieder in die Wohnung seiner Eltern zurückzukehren. Dieser im Urteil des BFH VI A 963/36 vom 10. Februar 1937 RStBl 1937, 381 behandelte Fall liegt anders als der des Steuerpflichtigen. Denn im Streitfall hatte der Steuerpflichtige bisher keine Bleibe in der Wohnung seines Bruders in Berlin-West. Seine Besuche bei diesem aber hatten keinen anderen Charakter, als wenn ein Steuerpflichtiger, der ständig an einem anderen Ort als dem seines Wohnsitzes zu tun hat, dort stets ein Hotel aufsucht, um sich während der Ausführung seiner Arbeitsleistung dort aufzuhalten. Es kann keine Rede davon sein, daß der Steuerpflichtige hiermit einen Wohnsitz an diesem Ort begründen würde. Denn jedenfalls in der Regel macht der Steuerpflichtige hierdurch weder objektiv das Hotelzimmer zum zweiten Mittelpunkt seines privaten und sonstigen Lebens noch hat er die Absicht hierzu. Die Besuche des Steuerpflichtigen bei seinem Bruder können nicht anders beurteilt werden. Es fehlt an einer hinreichend intensiven Verknüpfung des Lebens des Steuerpflichtigen, wenn auch nur vorübergehend, mit Berlin-West.
Die dieser Beurteilung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz sind nach § 118 Abs. 2 FGO für den Senat bindend. Es war auch nicht erforderlich, daß die Vorinstanz zu den tatsächlichen Vorgängen, wie sie der Steuerpflichtige selbst vortrug, weitere Beweise erhob. Denn die Vorinstanz ging von dem tatsächlichen Vorbringen des Steuerpflichtigen aus. Die Rüge des Steuerpflichtigen wegen mangelnder Sachaufklärung ist insoweit unberechtigt.
Da nach diesen Darlegungen der Steuerpflichtige in Berlin-West im streitigen Veranlagungszeitraum keinen Wohnsitz hatte, kommt jedenfalls nach § 1 Abs. 1 StErlG 1955 eine Steuerermäßigung für Berliner Einkünfte des Steuerpflichtigen nicht in Betracht.
Dem Steuerpflichtigen kann die Steuererleichterung auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 1 Abs. 3 StErlG gewährt werden. Denn, worauf die Vorinstanz zutreffend hinweist, der Steuerpflichtige erfüllt die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht. In seiner Berliner Betriebstätte sind nicht mindestens 25 Arbeitnehmer beschäftigt.
Die Vorschrift ist nicht verfassungswidrig. Es ist nicht erkennbar, worin ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG erblickt werden könnte. Es ist anerkannt, daß der Steuergesetzgeber durch Gewährung von Steuervergünstigungen wirtschaftspolitische Ziele verfolgen kann. Dann muß ihm auch gestattet sein, die Voraussetzungen für die Gewährung einer solchen Vergünstigung mindestens insoweit frei zu bestimmen, daß durch ihre Erfüllung die wirtschaftspolitische Zielsetzung erreicht wird. Auf die vom Steuerpflichtigen angeschnittene Frage, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Schaffung der Vergünstigung vom Gesetzgeber richtig eingeschätzt wurden, kommt es nicht an. Der Senat ist also nicht in der Lage, nachzuprüfen, ob die arbeitsmarktpolitische Lage in Berlin-West seinerzeit so beschaffen war, daß es dem Gesetzgeber zweckmäßig erscheinen konnte, durch Schaffung einer Vorschrift wie derjenigen des § 1 Abs. 3 StErlG Arbeitsplätze in Berlin-West zu schaffen und gleichzeitig eine möglichst große Anzahl von Arbeitnehmern an Berlin zu binden. Es ist auch nicht erkennbar, daß der Gesetzgeber mit der Forderung, es müßten mindestens 25 Arbeitnehmer in den Berliner Betriebstätten beschäftigt sein, sich nicht ausschließlich oder jedenfalls ganz überwiegend von der ihm vorschwebenden Zielsetzung habe leiten lassen. Der Gesetzgeber konnte auch davon ausgehen, daß die für die Gewährung der Steuererleichterung maßgebende persönliche Bindung des Steuerpflichtigen an Berlin-West sich, soweit er nicht selbst in Berlin-West wohnt, erst durch eine in Berlin-West belegene Betriebstätte (auch mehrere Betriebstätten) mit insgesamt einer größeren Anzahl von Mitarbeitern ergebe. Wenn der Gesetzgeber diese Mindestanzahl der Arbeitnehmer auf 25 festsetzte, so vermag der Senat dies aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht zu beanstanden.
Fundstellen
Haufe-Index 557374 |
BStBl II 1970, 109 |
BFHE 1970, 272 |