Leitsatz (amtlich)
1. Im zeitlichen Geltungsbereich des Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues im Kohlenbergbau vom 23. Oktober 1951 ist bei Ausfuhrlieferungen der Teil des Rechnungsbetrages, der auf die Bergarbeiterwohnungsbauabgabe entfällt, in die Bemessungsgrundlage der Vergütungen als Teil des Entgelts nach § 10 UStDB einzubeziehen und demgemäß nach § 16 UStG vergütungsfähig.
2. Zur Frage der ergänzenden Auslegung von Gesetzen.
Normenkette
UStG §§ 5, 16; UStDB 1951 §§ 10, 73, 78; Gesetz zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues im Kohlenbergbau vom 23. Oktober 1951 (BGBl I S. 865) § 1
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin (Bfin.) vertreibt Steinkohlen und Koks eines Steinkohlenreviers. Streitig ist die Bemessungsgrundlage der Ausfuhr- und Ausfuhrhändlervergütung nach § 16 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) bei der Ausfuhr von Steinkohle und Koks in Länder der Montanunion. In dem der Bemessung der Vergütung zugrunde gelegten Rechnungsbetrage für den streitigen Vergütungszeitraum Januar 1952 war auch die auf Grund des Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues im Kohlenbergbau vom 23. Oktober 1951 (Bundesgesetzblatt -- BGBl -- I S. 865) zu erhebende Bergarbeiterwohnungsbauabg be in Höhe von 2 DM je t ausgeführter Steinkohle enthalten.
Nach Ansicht der Vorinstanzen ist der Teil des Rechnungsbetrages, der auf diese Abgabe entfällt, nicht vergütungsfähig, weil nach § 1 Abs. 5 des genannten Gesetzes der Zuschlag zum Warenpreise kein der Umsatzsteuer unterliegender Teil des Entgeltes i. S. des § 5 UStG sei.
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde (Rb.) führt zur Aufhebung der Vorentscheidung. Sie stützt sich wesentlich auf folgende Überlegung: Der Gesetzgeber spreche im § 1 Abs. 5 a. a. O. lediglich vom "Zuschlag" und nicht von der "Kohlenabgabe". Er unterscheide mit aller Deutlichkeit zwischen der Abgabe, der jede abgesetzte Tonne Kohle, auch die ausgeführte Kohle, unterliege und dem Zuschlag, der nur der Zuschlag i. S. des § 1 Abs. 4 a. a. O. sein könne, also der Zuschlag für die im Inland abgesetzte Kohle. § 1 Abs. 4 des Gesetzes bestimme nicht nur etwas über die Art der Rechnungserteilung für Inlandsumsätze, wie das Finanzgericht meine, so daß es im übrigen hinsichtlich der Frage, ob die Abgabe zum umsatzsteuerlichen Entgelt gehöre, nicht darauf ankomme, ob sie in der Form eines Zuschlags eingehoben werde oder nicht. Das Gesetz regele vielmehr die Inrechnungstellung der Abgabe überhaupt einzig und allein für die im Inland abgesetzte Kohle. Da § 1 Abs. 5 nur vom Zuschlag spreche, könne es sich aus zwingenden gesetzestechnischen Gründen nur um den Zuschlag nach § 1 Abs. 4 handeln. Daraus ergebe sich aber, daß auch nur der Zuschlag zum gesetzlich zulässigen Preise der im Inland abgesetzten Kohle kein der Umsatzsteuer unterliegender Teil des vereinnahmten Entgeltes nach § 5 UStG sei.
Entscheidungsgründe
Gegenüber diesem Vorbringen hatte sich der Senat zunächst mit der auch von der Rb. in den Vordergrund gestellten Frage auseinanderzusetzen, ob gegenüber dem Wortlaut des § 1 Abs. 5 a. a. O. eine Auslegungsfähigkeit dieser Vorschrift überhaupt in Betracht kommt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. Urteile II z 43/50 S vom 16. November 1950, Slg. Bd. 55 S. 4, Bundessteuerblatt -- BStBl -- 1950 III S. 3; IV 206/52 U vom 16. April 1953, Slg. Bd. 57 S. 427, BStBl 1953 III S. 166; IV 325/54 U vom 3. November 1955, Slg. Bd. 61 S. 495, BStBl 1955 III S. 390) ist die Auslegungsfähigkeit von Gesetzesbestimmungen auch gegenüber einem an sich klaren Wortlaut unter bestimmten Voraussetzungen bejaht worden. An dieser Rechtsprechung hält der erkennende Senat fest; er hat auch in dem Urteil V 41/53 S vom 17. September 1953 (Slg. Bd. 58 S. 41, BStBl 1953 III S. 307) erst nach eingehender Prüfung von Sinn und Zweck des Gesetzes und unter besonderer Würdigung der Entstehungsgeschichte der dort streitigen Vorschrift die Auslegungsfähigkeit aberkannt (vgl. zur Bedeutung der Entstehungsgeschichte auch Leibholz im Geleitwort S. VI Abs. 1 zu v. Mangoldt, Kommentar zum Bonner Grundgesetz). Der Senat sieht sich im Streitfall um so mehr zu einer entsprechenden Prüfung veranlaßt, als dem Gesetz in seiner ersten Fassung Mängel anhaften, die eine nur vom Wortlaut her oder aus der Systematik und Gesetzestechnik abgeleitete Auslegung bedenklich erscheinen lassen (vgl. Meilicke in Festschrift für Ottmar Bühler, Kohlenabgabe 1954 S. 99/100--Treder, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1953 S. 308). Hinzu kommt, daß in der Begründung des Gesetzes (vgl. Bundestags-Drucksache Nr. 2388 der Ersten Wahlperiode 1949) ausgeführt ist, die Zulassung des Preisaufschlages beziehe sich zur Zeit nur auf die im Inland abgesetzte Kohle, da die Preisfestsetzung für die Exportkohle gegenwärtig noch der deutschen Entscheidung entzogen sei. Diese Begründung stellt für die Auffassung der Vorinstanz, daß § 1 Abs. 4 a. a. O. nur etwas über die Art der Rechnungserteilung für Inlandsumsätze besage, eine Stütze dar, wie überhaupt die Annahme nahe liegen könnte, daß der Gesetzgeber im Jahre 1951 die Entwicklung der Lage auf dem Kohlenmarkt noch gar nicht habe übersehen können, und einen Tatbestand, der erst dadurch praktisch wurde, daß im Jahre 1953 auch für Ausfuhrlieferungen von Kohle die Abgabe in Rechnung gestellt werden durfte (vgl. Entscheidung Nr. 9/53 der Hohen Behörde vom 6. März 1953, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 13. März 1953 Nr. 4 S. 67) noch gar nicht berücksichtigt habe. Könnte darüber hinaus aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes festgestellt werden, daß ein vernünftiger Grund für eine unterschiedliche Behandlung von Inlandsumsätzen und Ausfuhrlieferungen seinerzeit nicht bestanden hat, so sähe sich der Senat sehr wohl in der Lage, zu einer vom Wortlaut abweichenden Entscheidung zu kommen.
Demgegenüber hat aber die Rb. überzeugend darauf hingewiesen, daß die angeführte Stelle der amtlichen Begründung zumindest mißverständlich sei. Denn eine deutsche Stelle, sei es der Gesetzgeber, die Bundesregierung oder eine deutsche Preisfestsetzungsbehörde, hätte niemals bestimmen können, daß die Abgabe wie beim Inlandsumsatz als Zuschlag zum Preise zu erheben sei; insbesondere hätte sie für Auslandsumsätze nicht wie in § 1 Abs. 4 für Inlandsumsätze, vorschreiben können, daß der Zuschlag bei der Berechnung von Handelsnutzen, Verdienstspannen und sonstigen Zuschlägen nicht berücksichtigt werden darf. Auch die erwähnte Annahme, der Gesetzgeber habe den hier streitigen Tatbestand nicht in seine Überlegungen einbezogen, wird widerlegt durch das Protokoll der 164. Sitzung des Bundestags vom 26. September 1949 S. 6661. Hier hat der für das Gesetz damals federführende Bundesminister für Wohnungsbau ausdrücklich erklärt, der Absatz 4 bestimme bloß die Erhebung der Abgabe im Inland; die Abgabe werde im Verkehr mit dem Ausland in den Preis eingerechnet, dagegen im Inlande durch einen Zuschlag zum Preis erhoben, der für den letzten Verbraucher die Last tragbar machen solle, weil dieser Preis bei allen Spannenberechnungen und bei der Umsatzsteuer wegfalle und in jeder Rechnung besonders ausgebracht werden müsse.
Hieraus geht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, daß man sich bei der Beratung des Gesetzes über die verschiedene Erhebungsform der Abgabe bei Inlandsund Auslandsumsätzen im klaren war, und daß der Zuschlag nur für den Inlandsumsatz als eine aus innerpolitischen Gründen verdeckte Preisanhebung zu werten ist, wobei, um eine weitere Verteuerung für den letzten Verbraucher zu vermeiden, der Zuschlag als Ausnahme von der Entgeltbestimmung des § 10 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB) 1951 nicht als ein der Umsatzsteuer unterliegender Teil des Entgelts i. S. des § 5 UStG gelten sollte. Es kann deshalb auch nicht gesagt werden, daß sich für die Einbeziehung der Abgabe in das Entgelt bei Ausfuhr lieferungen kein vernünftiger wirtschaftlicher Grund ergebe, da insoweit die dem § 1 Abs. 5 a. a. O. gegebene Begründung nicht durchgreift.
Die eingangs erwähnten Voraussetzungen für eine vom Wortlaut abweichende Auslegung liegen deshalb nicht vor, lassen sich jedenfalls nicht eindeutig genug feststellen. Bei dieser Sachlage kam es aber auf die Begründung zum Gesetz in der Neufassung vom 30. November 1954 (BGBl I S. 358) nicht an. In dieser Fassung (§ 1 Abs. 8) ist ausdrücklich bestimmt, daß die Kohlenabgabe kein der Umsatzsteuer unterliegender Teil des vereinnahmten Entgelts i. S. des § 5 UStG sei. Wenn hierzu in der Begründung (vgl. Bundestags-Drucksache Nr. 657 der Zweiten Wahlperiode 1953) gesagt ist, daß der Abs. 8, abgesehen von redaktionellen Änderungen, dem bisherigen Abs. 5 entspreche, so deckt sich diese Auffassung nicht mit der Rechtslage, da nach den obigen Erörterungen angenommen werden muß, daß das Gesetz in seiner ersten Fassung an der Bemessungsgrundlage bei Ausfuhrlieferungen, wie sie sich aus dem Umsatzsteuergesetz (§ 5) und §§ 10, 73, 78 UStDB ergibt, festhält.
Da die Vorentscheidungen diese Rechtslage verkannt haben, waren sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Umsatzsteuervergütung für Januar 1954 wird auf 780 648,43 DM festgesetzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 309 der Reichsabgabenordnung.
Fundstellen
BStBl III 1956, 98 |
BFHE 1956, 267 |