Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Scheidet ein Gesellschafter mit einem negativen Kapitalkonto aus einer überschuldeten OHG aus und sagt der Mitgesellschafter, der den Betrieb unter übernahme der Aktiven und Passiven des Betriebes allein fortführt, dem ausscheidenden Gesellschafter zu, ihn von den bestehenden Gesellschaftsschulden den Gläubigern gegenüber freizustellen, führt diese Zusage nicht zur Gewinnverwirklichung für den ausscheidenden Gesellschafter, wenn bei der Vermögenslage des übernehmers die Freistellung wirtschaftlich ohne Bedeutung ist und der Ausscheidende nach wie vor mit der Inanspruchnahme durch die Gesellschaftsgläubiger zu rechnen hat.
Normenkette
EStG §§ 10d, 16/1/2, § 15/2
Tatbestand
Der Bf. ist bis Mitte November 1955 Gesellschafter einer OHG gewesen, die in den Jahren 1952 bis 1955 Verluste erlitten hatte. Die Verluste des Bf. betrugen insgesamt 173.242,30 DM.
Als der Bf. im Einvernehmen mit dem Mitgesellschafter ausschied, wurde in der auf den Ausscheidungszeitpunkt aufgestellten Bilanz der Gesellschaft für ihn ein negatives Kapitalkonto von 199.034,12 DM ausgewiesen. Nach dem Auseinandersetzungsvertrag vom 15. November 1955 führte der andere Gesellschafter den Betrieb unter übernahme aller Aktiven und Passiven allein weiter. Er verzichtete dem Bf. gegenüber auf den Ausgleich des negativen Kapitalkontos und verpflichtete sich auch, den Bf. von der Haftung für die Schulden der Gesellschaft freizustellen und die Gläubiger zu befriedigen. Der Bf. wurde trotzdem in einigen Fällen von den Gläubigern in Anspruch genommen. Die Gläubiger verzichteten in den Jahren 1959 und 1960 ihm gegenüber auf einen erheblichen Teil ihrer Forderungen.
In seiner Einkommensteuererklärung 1956 machte der Bf. die Verluste der Jahre 1952 bis 1955 von 170.984 DM als Sonderausgaben geltend. Das Finanzamt erkannte den Verlustabzug nicht an, weil die Verluste des Bf. durch den Verzicht des Mitgesellschafters auf Ausgleich des negativen Kapitalkontos ausgeglichen seien.
Der Einspruch und die Berufung blieben erfolglos. Wie das Finanzamt hält auch das Finanzgericht den beantragten Verlustabzug für nicht möglich. Verzichte ein den Betrieb fortführender Gesellschafter auf den Ausgleich des negativen Kapitalkontos seines ausscheidenden Mitgesellschafters, so erziele der Mitgesellschafter einen Veräußerungsgewinn, der die Verluste der Vorjahre ausgleiche. Bei der im Steuerrecht herrschenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise seien zwar auch die Haftungsschulden des ausscheidenden Gesellschafters in Betracht zu ziehen, wenn es darum gehe, ob ein Verlustabzug zulässig sei. Verzichteten aber auch die Gläubiger der Gesellschaft dem ausgeschiedenen Gesellschafter gegenüber auf die Haftung, so müßten diese Schulden unberücksichtigt bleiben. Für den Verlustabzug sei letzten Endes maßgebend, ob der Steuerpflichtige die Verluste der Vorjahre wirtschaftlich getragen habe. Habe er sie nicht getragen, so sei dies in jedem Jahr zu berücksichtigen, gleichviel, in welchem Jahr die Gläubiger die Verluste übernommen hätten.
Mit der Rb. rügt der Bf. mangelnde Sachaufklärung sowie unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Er macht geltend: Das Finanzgericht habe den Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt, weil es nicht auch die neben den bezahlten Schulden entstandenen Unkosten festgestellt habe. Das Finanzgericht habe im übrigen den Verlustabzug überhaupt nicht versagen dürfen. Bei der Gewinnermittlung nach § 5 EStG sei die Scheidung zwischen dem Einkommens- und Vermögensbereich ein Verstoß gegen den Wortlaut des Gesetzes, weil der Gewinn - und also auch das Einkommen- durch einen Vermögensvergleich ermittelt werde. Betriebliche Vermögenseinbußen eines Kaufmanns gehörten nicht nur dem "Vermögensbereich" an, sondern zugleich dem Einkommensbereich. Da der das Unternehmen fortführende Mitgesellschafter wirtschaftlich nicht in der Lage gewesen sei, den Verzicht auf den Ausgleich des negativen Kapitalkontos zu verwirklichen und ihn von den Ansprüchen der Gesellschaftsgläubiger freizustellen, sei sein Vermögen durch das Ausscheiden und den Verzicht des Mitgesellschafters nicht um 199.034 DM höher geworden, wie auch umgekehrt das Vermögen des Mitgesellschafters nicht um 199.034 DM geringer geworden sei. Ein Gewinn entstehe durch den Ausgleichsverzicht nur, soweit sich das Vermögen nach der Auseinandersetzung erhöhe. Das Finanzgericht verkenne zwar nicht, daß er nach dem Ausscheiden noch jahrelang mit der Gefahr zu rechnen gehabt habe, für die früheren Gesellschaftsschulden in Anspruch genommen zu werden. Es ziehe aber daraus nicht die richtigen Folgerungen. Ein Gewinn sei für ihn allenfalls erst durch den Verzicht der Gläubiger in den Jahren 1959 und 1960 entstanden, der aber ein Sanierungsgewinn dieser Jahre sei und vielleicht dazu führe, daß die zu dieser Zeit noch abzugsfähigen Verluste konsumiert würden. Hier gehe es jedoch um das Jahr 1956. Für dieses Jahr könne nicht bereits berücksichtigt werden, was später "letzten Endes" geschehen sei.
Entscheidungsgründe
Die Rb. muß zur Aufhebung der Vorentscheidung führen.
In dem Urteil VI 343/61 S vom 13. März 1964 (BStBl 1964 III S. 359, Slg. Bd. 79 S. 351) hatte der Senat zu entscheiden, wie es sich auswirkt, wenn ein Kommanditist mit "negativem" Kapitalkonto ausscheidet und der die Gesellschaft fortführende Komplementär dem Kommanditisten gegenüber auf den Ausgleich des negativen Kapitalkontos verzichtet. Im Gegensatz zu dem Urteil VI 343/61 S (a. a. O.) geht es hier um den ausscheidenden Vollhafter (Komplementär) einer OHG, so daß die damals wegen der handelsrechtlich beschränkten Haftung des Kommanditisten geäußerten Zweifel im Streitfall nicht auftauchen.
Scheidet ein Gesellschafter aus einer OHG aus und übernimmt der andere Gesellschafter den Betrieb mit Aktiven und Passiven, so erzielt der ausscheidende Gesellschafter einen nach § 16 Abs. 1 EStG zu erfassenden Veräußerungsgewinn, soweit er mit einem Betrag über dem Buchwert des Kapitalkontos im Zeitpunkt des Ausscheidens abgefunden wird (Urteil des Bundesfinanzhofs I 133/61 vom 9. März 1962, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1962 S. 153). Ob das Kapitalkonto positiv oder negativ ist, spielt dabei grundsätzlich keine Rolle. Erhält der Ausscheidende, weil sich sein Anteil an den stillen Reserven mit dem Betrag seines negativen Kapitalkontos deckt, zwar nichts ausgezahlt, erhält er aber den Gegenwert für seinen Anteil an den stillen Reserven dadurch, daß der übernehmende Gesellschafter auf den Ausgleichsanspruch verzichtet und den Ausscheidenden von jeder Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern freistellt, so entspricht der Veräußerungsgewinn dem Betrag des negativen Kapitalkontos.
Nach diesen Grundsätzen hätte der Bf. auf Grund des Auseinandersetzungsvertrags vom 15. November 1955 bei seinem Ausscheiden an sich einen Veräußerungsgewinn in der Höhe des negativen Kapitalkontos erzielt, weil sein Mitgesellschafter insoweit auf seinen Ausgleichsanspruch verzichtete und ihn von der Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern freistellte. Die vorstehenden Grundsätze gelten jedoch nur, wenn keine Bedenken bestehen, daß der übernehmer seine Verpflichtung auch einhalten kann.
In der Regel werden die Beteiligten, wenn ein wirtschaftlich gefährdeter Betrieb übernommen wird, einen solchen übernahmevertrag nur schließen, wenn sie überzeugt sind, daß der heruntergewirtschaftete Betrieb wieder lebensfähig wird. Es kann aber auch so liegen, daß die Gesundung des Betriebs von vornherein zweifelhaft ist und dem Erwerber nur die Chance gegeben werden soll, die Sanierung des Betriebs zu versuchen und dann Alleininhaber zu sein. In solchen Fällen tritt, wenn der übernehmende den Ausscheidenden von den Betriebsschulden freistellt, für den Ausscheidenden noch keine Gewinnrealisierung ein. Ein Gewinn wird vielmehr nur realisiert, wenn der Entwicklung des Betriebs entsprechend der Ausscheidende von den Betriebsschulden tatsächlich freigestellt wird. Wie auch sonst bei der Bewertung von Forderungen ist in Fällen der vorliegenden Art im Einzelfall zu prüfen, mit welchem Wert der Anspruch des Ausscheidenden gegen den übernehmer auf die Befreiung von den Betriebsschulden zu bewerten ist. Dabei kann die Kenntnis der Verhältnisse zur Zeit der Veranlagung insofern von Bedeutung sein, als sie die Verhältnisse zur Zeit der Veräußerung oder des Veräußerungsjahres aufhellt. Es würde jedoch dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung widersprechen, die zur Zeit der Veräußerung bestehende Unsicherheit nur deswegen unbeachtet zu lassen, weil später der Ausscheidende wirklich von den Betriebsschulden freigestellt worden ist.
Im Streitfall hält der Senat es wegen der offenbar zur Zeit des Ausscheidens des Bf. wenig aussichtsreichen Lage des Unternehmens für zweifelhaft, ob die Beteiligten wirklich an eine Freistellung des Bf. in dem Sinne gedacht haben, daß die Gesellschaftsgläubiger den Bf. nicht mehr in Anspruch nehmen würden. Es ist nicht auszuschließen, daß der Bf. als Dozent nur formell ausscheiden und der übernehmende Gesellschafter nur nach außen als Inhaber erscheinen sollte. Unter diesen Umständen ist es zweifelhaft, ob nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung die Befreiung des Bf. von den Betriebsschulden und damit die Gewinnrealisierung bereits für die Jahre 1955 und 1956 anzunehmen ist und ob deshalb die Verluste des Bf. für das Streitjahr 1956 verbraucht sind.
Das angefochtene Urteil war danach wegen unzureichender Sachaufklärung aufzuheben und die nicht spruchreife Sache an das Finanzgericht zurückzuverweisen, das nach den vorstehenden Grundsätzen nochmals zu prüfen hat, ob der Bf. bei seinem Ausscheiden 1955 wirklich einen Gewinn erzielt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 411870 |
BStBl III 1966, 141 |
BFHE 1966, 388 |
BFHE 84, 388 |