Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer. Unterhaltsleistungen an Verwandte in der DDR als außergewöhnliche Belastung
Leitsatz (amtlich)
1. Bei Unterhaltsleistungen an Bewohner der DDR ist die Bedürftigkeit der Empfänger in der Regel zu unterstellen. An der sittlichen Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung besteht kein Zweifel, wenn der Steuerpflichtige Verwandte in der DDR oder in Berlin (Ost) unterstützt, zu denen er in persönlichen Beziehungen steht.
2. Die steuerliche Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen ist in § 33 a Abs. 1 EStG typisierend und abschließend geregelt. Der Unterhaltsbegriff des § 33 a Abs. 1 EStG ist aber enger als der in §§ 1601 f. BGB. Er betrifft nur typische Unterhaltsaufwendungen, nämlich Zuwendungen zur Bestreitung des Lebensbedarfs, besonders zur Ernährung, Kleidung und Wohnung, nicht jedoch außergewöhnliche Kosten, wie z.B. Krankheitskosten, Beerdigungskosten, Reisekosten, die unter § 33 EStG fallen.
Normenkette
EStG §§ 33, 33a Abs. 1; BGB § 1601
Tatbestand
In seinen Einkommensteuererklärungen für 1975 und 1976 machte der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) geltend, er habe seinen Eltern in der DDR Unterhalt gewährt; hierfür beantrage er die Anerkennung von außergewöhnlichen Belastungen in Höhe von … DM bzw. … DM. Die Eltern des Klägers hatten Renteneinkünfte, der Vater in Höhe von … Mark monatlich, die Mutter in Höhe von … Mark monatlich und ab Dezember 1976 von … Mark zuzüglich … Mark Witwenrente seit dem Tod Vaters im Mai 1976. Die Eltern hatten in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) weder Einkünfte noch Vermögen; über Einkünfte und Vermögen der Eltern in der DDR ist nichts bekannt. Zum Nachweis der geltend gemachten Unterhaltsleistungen legte der Kläger dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt – FA–) schriftliche Bestätigungen der Empfänger (für 1976: der Mutter) des Inhalts vor, daß diese monatlich je … DM erhalten hätten. Das FA ließ die Unterhaltsbeträge nicht zum Abzug zu, weil es der Auffassung war, daß die vorgelegten Bescheinigungen als Nachweis nicht ausreichten.
Mit der Klage machte der Kläger Unterhaltsaufwendungen in Höhe von … DM (1975) und … DM (1976) geltend. Ferner begehrte er erstmals bei der Einkommensteuerveranlagung für 1974, die aus anderen Gründen mit dem Einspruch angefochten worden war, die Berücksichtigung von Unterhaltsaufwendungen in Höhe von … DM. Er trug vor, ab 1975 regelmäßig seine Eltern besucht und ihnen Geld, Kleidungsstücke, Lebensmittel und Medikamente mitgebracht zu haben. Im Jahr 1974 habe er aus politischen Gründen noch nicht in die DDR einreisen dürfen; damals seien die vorerwähnten Gegenstände den Eltern von Freunden überbracht worden.
Das Klagebegehren, das für 1974 in Höhe eines Betrages von 360 DM vom FA anerkannt worden war, wurde insoweit vom Finanzgericht (FG) durch (Teil-)Anerkenntnisurteil beschieden. Die Klage hatte aber auch im übrigen Erfolg. Das FG führte im wesentlichen aus, es entspreche der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, in Fällen der vorliegenden Art mit Rücksicht auf die einschlägigen Verwaltungsanweisungen die Bedürftigkeit der unterstützten Personen zu unterstellen. Die Aufwendungen seien auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Nach dem Ergebnis der vor dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme bestünden keine begründeten Zweifel an der Darstellung des Klägers, daß er seinen Eltern in den Streitjahren Unterhalt durch Geldzahlungen sowie Sachleistungen im Gesamtwert der für die einzelnen Streitjahre geltend gemachten Beträge gewährt habe. Die als Zeugin vernommene Mutter des Klägers, die jetzt nicht mehr in der DDR lebe, habe glaubhaft bekundet, daß der Kläger seinen Eltern im Jahre 1974 durch Freunde regelmäßig Bargeld in Beträgen zwischen 50 DM und 200 DM sowie Lebens- und Genußmittel habe überbringen lassen. In der Folgezeit habe dann der Kläger selbst seine Eltern regelmäßig besucht, im Jahre 1975 sogar zum Teil vier- bis fünfmal pro Monat. Bei diesen Besuchen habe er seinen Eltern nicht nur jeweils 50 DM bis 100 DM in bar übergeben (also monatlich zwischen 300 DM und 500 DM), sondern außerdem jeweils Kleidung (Schuhe, Mäntel, Kleider und auch einen Anzug für den Vater), Lebensmittel (vor allem Obst, Kaffee, Konserven, Schokolade und Kakao) sowie Medikamente. Unter diesen Umständen sei es unerheblich, daß der Kläger die geltend gemachten Aufwendungen nicht mehr durch Einzelbelege habe nachweisen können. Der Senat sei nämlich davon überzeugt, daß die Unterhaltsleistungen den behaupteten Gesamtumfang gehabt hätten. Dabei habe das Gericht auch berücksichtigt, daß der Kläger offensichtlich einen engen Kontakt zu seinen Eltern unterhalten habe. Es sei deshalb nicht unwahrscheinlich, daß er bei seinen guten Einkommensverhältnissen die Unterhaltsleistungen für seine Eltern in der geltend gemachten Höhe abgezweigt habe. Für die Überzeugung des Gerichts hätten schließlich auch die von der Zeugin genannten Gründe eine Rolle gespielt, daß nämlich die mitgebrachten Lebensmittel und Kleidungsstücke in der DDR schwer oder überhaupt nicht zu erhalten gewesen und die Medikamente für die Behandlung des … leidens der Mutter und des … leidens des Vaters benötigt worden seien. Im Jahre 1976 hätten die Eltern eine große Wohnung von Handwerkern nach Feierabend renovieren lassen und dafür mit Westgeld zahlen müssen; ferner habe der Kläger die gesamten Kosten für die Beerdigung des Vaters getragen.
Die Aufwendungen des Klägers hätten in voller Höhe Unterhaltscharakter gehabt. Dies sei auch für die Geldzuwendungen anzunehmen, soweit sie für Reisen der Eltern in den Harz, nach Thüringen und an die Ostsee verwandt worden seien; denn diese Reisen seien aus gesundheitlichen Gründen unternommen worden.
Hiergegen richtet sich die Revision, mit der das FA rügt, daß das FG nicht zwischen außergewöhnlichen Belastungen gemäß § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und solchen gemäß § 33 a Abs. 1 EStG unterschieden habe. Ferner sei der Begriff der Unterhaltsleistungen zu weit ausgelegt worden. Zum einen habe das FG nicht berücksichtigt, daß ein Teil der Zuwendungen in Medikamenten bestanden und der Kläger sämtliche Beerdigungskosten für den Vater getragen habe. Diese Aufwendungen, deren Höhe das FG nicht festgestellt habe, fielen eindeutig unter § 33 EStG. Zum anderen sei zu rügen, daß das FG Teile der vom Kläger geltend gemachten Barzuwendungen, die der Renovierung der elterlichen Wohnung gedient hätten oder für Urlaubsreisen verwendet worden seien, als Unterhaltsleistungen angesetzt habe. Allenfalls die Reisekosten könnten –sollten sie wie eine Kur für die Wiederherstellung der Gesundheit notwendig gewesen sein– als Krankheitskosten gemäß § 33 EStG zu berücksichtigen sein.
Im übrigen stehe die Höhe der Aufwendungen nicht fest. Vielmehr habe der Kläger Summen geltend gemacht, die die jeweiligen Höchstbeträge des § 33 a Abs. 1 EStG ausschöpften. Über den Geldwert der Sachzuwendungen lägen überhaupt keine Angaben vor; auch die Zeugin habe hierzu nichts ausgesagt. Zusammenfassend sei deshalb festzustellen, daß die tatsächliche Höhe der Aufwendungen ungewiß sei, ein Teil der Aufwendungen (Renovierung, Reisen) gar nicht abziehbar, ein anderer Teil (Medikamente, Beerdigungskosten) nach § 33 EStG anzusetzen, jedoch steuerlich ohne Auswirkung sei, und der verbleibende Rest, der unter § 33 a Abs. 1 EStG falle, zahlenmäßig nicht festgestellt werden könne.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten. Er führt im wesentlichen aus, in den einschlägigen Verwaltungsanweisungen werde die Bedürftigkeit der Unterhaltsempfänger in der DDR und in Berlin (Ost) unterstellt, weil es nicht allgemein möglich sei, diese Umstände nachzuweisen oder glaubhaft zu machen. Nachzuweisen habe der Steuerpflichtige jedoch den Unterhaltscharakter der Zuwendungen. Barzuwendungen, die anläßlich einer Reise in die DDR gemacht würden, seien durch entsprechende Quittungen des Empfängers zu belegen. Solche Empfangsbestätigungen reichten in der Regel aus. Wegen der weiteren Einzelheiten der Stellungnahme des BMF wird auf das Urteil des Senats vom heutigen Tage in dem Revisionsverfahren VI R 275/80 (BFHE 138, 343, BStBl II 1983, 453) verwiesen, in dem eine inhaltsgleiche Stellungnahme des BMF vorlag.
Entscheidungsgründe
1. Das für 1974 ergangene (Teil-)Anerkenntnisurteil ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens. Da das FA für 1974 den geltend gemachten Freibetrag gemäß § 33 a Abs. 1 EStG in Höhe von 360 DM anerkannt hat, geht der Senat davon aus, daß es –entgegen dem weitergehenden Wortlaut des Revisionsantrags– insoweit die Vorentscheidung nicht angreifen will. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat deshalb hier nicht darüber zu befinden, ob Anerkenntnisurteile im finanzgerichtlichen Verfahren zulässig sind (zum Meinungsstand: Ziemer/Haarmann/Loose/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, II. Bd. Tz. 8610).
2. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil das FG die Abziehbarkeit der geltend gemachten Beträge gemäß § 33 a Abs. 1 EStG bejaht hat, ohne die Voraussetzungen dieser Vorschrift vollständig zu prüfen.
a) § 33 a Abs. 1 EStG setzt u.a. voraus, daß die Unterhaltsaufwendungen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwachsen sind. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen die Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 a Abs. 1 i.V.m. § 33 Abs. 2 EStG). Zwangsläufigkeit in diesem Sinne ist hier zu bejahen. Zwar ist die Unterhaltsgewährung grundsätzlich nur dann als notwendig anzusehen, wenn die Unterhaltsbedürftigkeit der Empfangsperson nachgewiesen ist. Wie der Senat jedoch in seinem Urteil VI R 275/80 begründet hat, erfordern die besonderen Verhältnisse in der DDR, insbesondere die sich für den Steuerpflichtigen in der Bundesrepublik daraus ergebenden Nachweisschwierigkeiten, in der Regel von der Bedürftigkeit der unterhaltenen Personen in der DDR auszugehen. Wegen der Einzelheiten wird auch insoweit auf das Urteil VI R 275/80 Bezug genommen. Aus den dortigen Ausführungen des Senats ergibt sich ferner, daß an der sittlichen Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung kein Zweifel besteht, wenn der Steuerpflichtige Verwandte in der DDR oder in Berlin (Ost), zu denen er in persönlichen Beziehungen steht, unterstützt. Der Senat kann deshalb offenlassen, ob im Hinblick darauf, daß die unterhaltenen Personen die Eltern des Klägers sind, auch eine rechtliche Verpflichtung bejaht werden müßte.
b) Zu Recht rügt das FA jedoch, daß das FG nicht ausreichend zwischen außergewöhnlichen Belastungen gemäß § 33 a EStG und solchen gemäß § 33 EStG unterschieden habe.
Durch das Gesetz zur Neuregelung von Steuern vom 16. Dezember 1974 (BGBl I, 373, BStBl I, 575) ist die steuerliche Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen an Personen, für die der Steuerpflichtige keinen Kinderfreibetrag erhält, aus dem Geltungsbereich des § 33 EStG herausgenommen und in § 33 a Abs. 1 EStG typisierend und abschließend geregelt worden (BFH-Urteile vom 2. Dezember 1960 VI 148/59 U, BFHE 72, 200, BStBl III 1961, 76, und vom 17. Mai 1963 VI 273/62 U, BFHE 77, 164, BStBl III 1963, 378). Der Unterhaltsbegriff des § 33 a Abs. 1 EStG ist aber enger als der in §§ 1601 f. des Bürgerlichen Gesetzbuches. Er betrifft nur typische Unterhaltsaufwendungen (BFH-Urteil vom 28. April 1978 VI R 145/75, BFHE 125, 167, BStBl II 1978, 456), nämlich Zuwendungen zur Bestreitung des Lebensbedarfs, besonders zur Ernährung, Kleidung und Wohnung, wobei der Unterhaltscharakter nicht dadurch beeinträchtigt wird, daß die Zuwendungen zur Befriedigung gehobener Ansprüche geeignet sind (Urteile in BFHE 125, 167, BStBl II 1978, 456, und vom 25. März 1966 VI 320/65, BFHE 86, 457, BStBl III 1966, 534 mit weiteren Nachweisen). Nicht erfaßt sind durch die Sonderregelung des § 33 a Abs. 1 EStG dagegen außergewöhnliche Kosten wie z.B. Krankheitskosten, die der Steuerpflichtige gegenüber einer ihm unterhaltsberechtigten Person übernommen hat (BFH-Urteil vom 19. Februar 1965 VI 306/64 U, BFHE 82, 102, BStBl III 1965, 284). Die Aufwendungen des Klägers für Medikamente, Reisen und die Renovierung der Wohnung der Eltern sowie die Kosten für die Beerdigung des Vaters zählen deshalb nicht zu den Unterhaltsaufwendungen i.S. des § 33 a Abs. 1 EStG.
Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil sie von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht. Die Sache ist nicht entscheidungsreif, so daß sie an das FG zurückzuverweisen ist (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO–). Zwar hat das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, daß die Höhe der vom Kläger für seine Eltern insgesamt erbrachten Aufwendungen den mit der Klage geltend gemachten Beträgen entspricht. Es wird nunmehr aber noch i.S. von § 33 a Abs. 1 EStG die vom Kläger getragenen typischen Unterhaltsaufwendungen von den übrigen vom FG festgestellten Aufwendungen in tatsächlicher Hinsicht abzugrenzen und betrags- bzw. wertmäßig festzustellen haben. Wegen der übrigen Aufwendungen wird es prüfen müssen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine Berücksichtigung gemäß § 33 EStG in Betracht kommen kann.
Fundstellen