Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Das Urteil des Bundesfinanzhofs III 159/52 U vom 19. September 1952 (BStBl 1952 III S. 283, Slg. Bd. 56 S. 736) über die Streitwertbemessung bei Rechtsmitteln gegen den Grundsteuermeßbetrag ist auch auf die Streitwertbemessung in den Fällen der Grundsteuervergünstigung nach den Wohnungsbaugesetzen anzuwenden. Dementsprechend ist der Streitwert bei Rechtsmitteln gegen die Festsetzung des Grundsteuermeßbetrages in den Fällen der Grundsteuervergünstigung nach den Wohnungsbaugesetzen auf das Vierfache der auf den streitigen Meßbetrag entfallenden Jahresgrundsteuer zu bemessen.
Normenkette
AO §§ 320, 255; FGO § 140
Tatbestand
Streitig ist, welcher Grundsteuermeßbetrag nach § 92 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II. WoBauG) für den zehnjährigen Vergünstigungszeitraum maßgebend ist.
Das Grundstück, auf dem eine steuerbegünstigte Wohnung im Sinne der §§ 82 und 92 Abs. 2 Buchst. b des II. WoBauG errichtet worden ist, war Teil einer größeren wirtschaftlichen Einheit, die als unbebautes Grundstück bewertet war. Für die neu gebildete wirtschaftliche Einheit des Baugrundstückes ist der Einheitswert auf den 1. Januar 1960 im Wege der Nachfeststellung durch Bescheid vom 13. Januar 1961 auf 23.100 DM festgestellt worden. Der Grundsteuermeßbetrag wurde auf 5 v. T. von 23.100 DM = 115,50 DM festgesetzt. Der Bescheid über die Feststellung des Einheitswertes und die Festsetzung des Grundsteuermeßbetrages wurde unanfechtbar.
Die auf dem Grundstück errichtete Wohnung, die gemäß § 82 des II. WoBauG als steuerbegünstigt anerkannt worden ist, ist am 10. März 1960 bezugsfertig geworden. Der Einheitswert für das mit einem Einfamilienhause bebaute Grundstück ist auf den 1. Januar 1961 fortgeschrieben worden. Für das Gebäude ist die Grundsteuervergünstigung nach § 92 Abs. 1 des II. WoBauG gewährt worden. Als Grundsteuermeßbetrag für den Grund und Boden wurde der durch die Nachveranlagung auf 115,50 DM festgesetzte Betrag beibehalten.
Mit dem Einspruch beantragten die Bf., es sei bei dem Steuermeßbetrag zu belassen, der vor der Bezugsfertigkeit des Einfamilienhauses für die gesamte frühere wirtschaftliche Einheit des unbebauten Grundstückes festgesetzt worden ist und anteilmäßig auf das abgetrennte Baugrundstück entfällt; nur dieser anteilige Steuermeßbetrag sei für die Erstarrung maßgebend. Nach der Bezugsfertigkeit sei es nicht mehr möglich, den maßgebenden Steuermeßbetrag auf einen früheren Stichtag neu festzusetzen. Einspruch und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht führte im wesentlichen aus, § 92 Abs. 1 des II. WoBauG beinhalte keine Außerkraftsetzung des § 225 a AO und des GrStG für die Zeit vor der Bezugsfertigkeit der begünstigten Wohnungen. Deshalb blieben änderungen des Steuermeßbetrages für die Zeit vor der Bezugsfertigkeit mit der Wirkung zulässig, daß dieser geänderte Steuermeßbetrag für die Erstarrung maßgebend sei. Diese Rechtsauffassung entspreche auch Abschn. 15 Abs. 3 der auf Grund des Gutachtens des Bundesfinanzhofs III D 1/57 S vom 4. Juli 1958 (BStBl 1958 III S. 362, Slg. Bd. 67 S. 229) neu gefaßten Verwaltungsanordnung über die Anerkennung steuerbegünstigter Wohnungen nach dem II. WoBauG sowie über die Grundsteuervergünstigung nach dem I. und II. WoBauG des Bundes vom 25. August 1961 (Beilage zum Bundesanzeiger 1961 Nr. 166, BStBl 1961 I S. 665).
Mit der Rb. beantragen die Bf. unter Wiederholung ihres früheren Vorbringens, es sei bei dem vor der Bezugsfertigkeit des Einfamilienhauses anteiligen Steuermeßbetrage zu belassen.
Der Vorsteher des Finanzamts hat Anschlußbeschwerde erhoben, mit der er sich gegen den vom Finanzgericht festgestellten Streitwert von 800 DM wendet. Er beantragte, den Streitwert auf das Zehnfache der auf den streitigen Meßbetrag entfallenden Jahresgrundsteuer unter Berücksichtigung von Zwischenzinsen zu bemessen und ihn auf 1.540 DM festzustellen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. und die Anschlußbeschwerde werden als unzulässig verworfen.
Das Finanzgericht hat die Rb. wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache nicht zugelassen. Deshalb ist die Zulässigkeit der Rb. davon abhängig, ob § 6 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über den Bundesfinanzhof vom 29. Juni 1950 (BGBl 1950 S. 257) in Verbindung mit § 286 Abs. 1 AO bisheriger Fassung oder § 286 Abs. 1 AO in der Fassung des Art. 17 Nr. 14 des Steueränderungsgesetzes 1961 vom 13. Juli 1961 (BGBl 1961 I S. 981) anzuwenden ist, d. h. ob die Rechtsbeschwerdesumme mehr als 200 DM oder mehr als 1.000 DM beträgt.
Nach Art. 18 des Steueränderungsgesetzes 1961 (a. a. O.) ist die Vorschrift des Art. 17 Nr. 14 erstmals auf Fälle anzuwenden, in denen der Rechtsstreit nach dem letzten Tage des auf die Verkündung des Gesetzes folgenden Kalendermonates beim Gericht anhängig wird. Da das Steueränderungsgesetz im BGBl vom 20. Juli 1961 verkündet worden ist, ist die Vorschrift des § 286 Abs. 1 AO über die Erhöhung der Streitwertgrenze für Rbn. erstmals auf Fälle anzuwenden, bei denen der Rechtsstreit nach dem 31. August 1961 bei Gericht anhängig wird. Der Bf. hat die Berufung am 21. September 1961 beim Finanzamt angebracht, das sie mit Schreiben vom 27. Oktober 1961 dem Finanzgericht vorgelegt hat. Der Rechtsstreit ist somit nach dem 31. August 1961 bei Gericht anhängig geworden. Die Rechtsbeschwerdegrenze beträgt sonach 1.000 DM. Ausgangspunkt für die Bemessung des Streitwertes ist § 320 Abs. 4 AO. Hiernach gilt für die Entscheidung darüber, wie hoch der Wert des Streitgegenstandes festzustellen ist, freies Ermessen. Um bei diesen Ermessensentscheidungen eine möglichst gleiche Handhabung zu gewährleisten, haben der Reichsfinanzhof und der Bundesfinanzhof Grundsätze erarbeitet, die beachtet werden müssen, wenn sich die Ermessensentscheidung noch in den Grenzen halten soll, die das Gesetz dem Ermessen zieht (§ 2 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -). Für die Grundsteuer hat der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung III 159/52 U vom 19. September 1952 (BStBl 1952 III S. 283, Slg. Bd. 56 S. 736) die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs über die Streitwertbemessung bei Rechtsmitteln gegen die Vermögensteuerveranlagung sinngemäß angewendet und bestimmt, daß der Streitwert auf das Vierfache der auf den streitigen Meßbetrag entfallenden Jahresgrundsteuer zu bemessen sei. Der Bundesfinanzhof ging hierbei davon aus, daß der regelmäßige Hauptveranlagungszeitraum bei der Grundsteuer die doppelte Zeit des Hauptveranlagungszeitraumes der Vermögensteuer umfasse, aber infolge der Koppelung der Grundsteuer mit der Einheitsbewertung des Grundbesitzes ebenfalls einen kürzeren oder längeren Zeitraum umfassen könne. Der erkennende Senat sieht keine Veranlassung bei den Streitfällen über die Grundsteuervergünstigung nach dem WoBauG deshalb eine Ausnahme zu machen, weil der Vergünstigungszeitraum 10 Jahre beträgt. Auch in Streitfällen über andere Grundsteuerfragen ist es möglich, daß die Entscheidung über viele Jahre Bedeutung hat. Im übrigen ist es nicht so, daß die Grundsteuervergünstigung in allen Fällen einen Zeitraum von 10 Jahren umfaßt. Fallen die Voraussetzungen für die Grundsteuervergünstigung vor Ablauf des Zeitraumes von 10 Jahren ganz oder teilweise weg, so entfällt auch insoweit die Vergünstigung. Dieser Fall ist gegeben, wenn bei öffentlich geförderten Wohnungen der Bewilligungsbescheid oder bei steuerbegünstigten Wohnungen die Anerkennung als steuerbegünstigte Wohnungen widerrufen wird. Die Anerkennung ist zu widerrufen, wenn die Wohnung nicht oder nicht mehr den Vorschriften des § 82 des II. WoBauG über die zulässige Wohnfläche oder die zulässige Benutzung entspricht (§ 83 Abs. 5 des II. WoBauG). Als Gründe für einen vorzeitigen Wegfall der Grundsteuervergünstigung kommen beispielsweise in Betracht: Vergrößerung der Wohnfläche durch bauliche Maßnahmen derart, daß die zulässigen Wohnflächengrenzen überschritten werden; Vereinigung von zwei Wohnungen, die jede für sich den Wohnflächengrenzen entsprochen hat, zu einer einzigen Wohnung mit der Folge, daß durch die änderung die Gesamtwohnfläche der Wohnung über die zulässige Wohnflächengrenze hinausgeht; Erhöhung des ausschließlich gewerblich oder beruflich genutzten Teils um mehr als die Hälfte der Wohnfläche; Wegfall der Voraussetzungen für die Anerkennung als Familienheim, sofern gleichzeitig die für "andere Wohnungen" zulässige Wohnflächengrenze überschritten wird; Verzicht auf die Grundsteuervergünstigung. Hiernach steht in den Streitfällen über die Grundsteuervergünstigung ebenso wie bei den sonstigen strittigen Fragen zur Grundsteuer, zur Einheitsbewertung und zur Vermögensteuer nicht allgemein von vornherein fest, für welchen Zeitraum sich die Entscheidung auswirkt. Zudem handelt es sich bei den Streitwertfeststellungen in den angeführten Fällen um eine Pauschalregelung. Aus diesen Gründen ist es nicht angängig, bei Rechtsmitteln gegen die Festsetzung des Grundsteuermeßbetrages in den Fällen der Grundsteuervergünstigung nach den Wohnungsbaugesetzen den Streitwert nach dem zehnfachen Jahresbetrag der streitigen Grundsteuer zu berechnen. Er ist vielmehr auch in diesen Fällen auf das Vierfache der auf den streitigen Meßbetrag entfallenden Jahresgrundsteuer zu bemessen.
Der Hebesatz (§ 21 Abs. 1 GrStG) der für das Grundstück in Betracht kommenden Belegenheitsgemeinde (§ 1 Abs. 2 GrStG) beträgt 200 v. H. Auf den streitigen Unterschiedsbetrag zwischen dem festgesetzten und begehrten Steuermeßbetrag von 11,50 DM - 18,50 DM = 97 DM entfällt ein Jahresgrundsteuerbetrag von 2 mal 97 DM 194 DM. Der vierfache Jahresbetrag ergibt deshalb 4 mal 194 DM = 776 DM. Die Rb. mußte deshalb als unzulässig verworfen werden. Ein Eingehen auf die Sache ist deshalb nicht möglich.
Die Anschlußbeschwerde setzt voraus, daß eine zulässige Rb. eingelegt ist. Da die Rb. unzulässig ist, muß das gleiche von der Anschlußbeschwerde des Vorstehers des Finanzamts gelten (Urteil des Reichsfinanzhofs II A 4/22 vom 21. Februar 1922, Steuer und Wirtschaft 1922 Nr. 414; V e A 171/25 vom 30. Oktober 1925, Slg. Bd. 17 S. 305; VI A 222/29 vom 17. Oktober 1929, RStBl 1930 S. 39). Die Anschlußbeschwerde kann auch nicht selbst als Rb. behandelt werden, weil sie nach Ablauf der Rechtsbeschwerdefrist eingelegt worden ist.
Bei der Ermittlung des Streitwertes ist auch der Streitwert der Anschlußbeschwerde des Vorstehers des Finanzamts zu berücksichtigen, weil der Streitwert nur einheitlich festgestellt werden kann. Durch die Anschlußbeschwerde wird eine Erhöhung des Streitwertes von 800 DM auf 1.540 DM begehrt. Streitig ist sonach der Unterschied der Kosten für den Streitwert von 1.540 DM und 800 DM. Dieser beträgt rund 82 DM. Der gesamte Streitwert bemißt sich somit auf 776 DM + 82 DM = 858 DM.
Im übrigen sei darauf hingewiesen, daß in den Fällen, in denen von den Beteiligten der eine Rb., der andere Anschlußbeschwerde eingelegt hat, für die Frage, ob der Streitwert 200 DM bzw. 1.000 DM übersteigt, der Streitwert für jede der beiden Beschwerden getrennt zu berechnen ist (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 1064/31 vom 7. Oktober 1931, Slg. Bd. 29 S. 356).
Fundstellen
Haufe-Index 410485 |
BStBl III 1962, 358 |
BFHE 1963, 250 |
BFHE 75, 250 |