Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Kannte der Steuerpflichtige bei Abgabe der Erklärung zur einheitlichen Gewinnfeststellung eine Tatsache, die zur Feststellung eines niedrigeren Gewinns geführt hätte, nicht und wird diese Tatsache dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt erst durch die Betriebsprüfung bekannt, so liegen die Voraussetzungen für eine niedrigere Veranlagung im Sinn des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO vor, wenn das Finanzamt bei Kenntnis der Tatsache schon in der ursprünglichen Feststellung den Gewinn niedriger hätte ansetzen müssen.
Normenkette
AO § 222 Abs. 1 Nr. 2
Tatbestand
Streitig ist bei der Berichtigung der einheitlichen Gewinnfeststellung 1954 der KG nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO, ob neben unstreitigen, eine höhere Veranlagung rechtfertigenden Tatsachen durch die Betriebsprüfung auch eine niedrigere Veranlagung rechtfertigende Tatsache (ß 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO) mit der Folge bekannt wurde, daß der Berichtigungsbescheid zur Feststellung eines niedrigeren Gewinns führen durfte, als er in dem berichtigten Bescheid festgestellt war.
Die KG teilte dem Finanzamt bei der Abgabe ihrer Erklärung zur einheitlichen Feststellung des Gewinns 1954 mit, daß sie von den ihr nach den §§ 3 und 4 des Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur Förderung der Ausfuhr (AusfFördG) vom 18. September 1953 (BGBl 1953 I S. 1378) zustehenden steuerlichen Vergünstigungen Gebrauch gemacht habe und daß die im Wirtschaftsjahr 1954 / 55 für begünstigte Lieferungen und Leistungen vereinnahmten Entgelte 92.767,42 DM betrügen. Sie berechnete dementsprechend die steuerfreie Rücklage (ß 3 AusfFördG) auf 1.539,30 DM und den vom Gewinn absetzbaren Betrag (ß 4 AusfFördG) auf 3.417,60 DM.
Das Finanzamt stellte den Gewinn 1954 der Erklärung entsprechend fest. Die Feststellung wurde rechtskräftig. Nach Durchführung einer Betriebsprüfung im Jahr 1958, die unstreitig zur Feststellung neuer, einen höheren Gewinn rechtfertigenden Tatsachen führte, berichtigte das Finanzamt die einheitliche Gewinnfeststellung 1954 nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO und entsprach dabei nicht dem Verlangen der KG, den Gewinn auf Grund der Vergünstigung des AusfFördG um einen weiteren Betrag von 16.322 DM herabzusetzen, weil § 234 AO einer Herabsetzung des Gewinns unter den ursprünglich festgestellten Betrag entgegenstehe. Die KG hielt § 234 AO nicht für anwendbar, weil die Betriebsprüfung auch zur Feststellung einer einen niedrigeren Gewinn rechtfertigenden Tatsache geführt habe. Denn es sei unstreitig durch die Betriebsprüfung festgestellt worden, daß die KG in ihrer Gewinnerklärung 1954 sowohl die steuerfreie Rücklage als auch den vom Gewinn absetzbaren Betrag irrtümlich um 16.322 DM zu gering berechnet habe, weil die ebenfalls begünstigten Erlöse aus unmittelbaren Ausfuhren nicht berücksichtigt worden seien. Das Finanzamt war der Auffassung, daß die Vergünstigungen des AusfFördG von einem Antrag abhängig seien und die KG von ihrem Recht, Vergünstigungen in bestimmter Höhe zu beantragen, in ihrer ursprünglichen Erklärung zur Gewinnfeststellung 1954 in einem bestimmten Umfang Gebrauch gemacht habe. Nach Wiederaufrollung der einheitlichen Gewinnfeststellung dürfe die KG zwar ihren Irrtum berichtigen und nunmehr höhere Vergünstigungen geltend machen. Da die änderung der einmal beantragten Vergünstigung aber einer nachträglichen Antragstellung gleichkomme und in einer solchen Nachholung eines Antrags keine neue Tatsache im Sinn des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO zu sehen sei, würde die Auswirkung der erweiterten Antragstellung durch § 234 AO begrenzt.
Der Einspruch der KG blieb erfolglos. Ihre Berufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt. Nach § 20 Abs. 3 der Verordnung zur Durchführung des Ausfuhrförderungsgesetzes vom 31. Dezember 1954, BGBl 1955 I S. 7, werde die Entscheidung über die Höhe der Rücklage und des vom Gewinn absetzbaren Betrages bei der einheitlichen Gewinnfeststellung von dem Vertretungsberechtigten mit Wirkung für alle Beteiligten getroffen. Aus dieser Vorschrift ergebe sich, daß der Gesetzgeber von einer förmlichen Antragstellung abgesehen habe. Die von der KG abgegebene Erklärung über die Höhe der in Anspruch genommenen steuerlichen Vergünstigungen könne vernünftigerweise nur so aufgefaßt werden, daß sie von den ihr zustehenden steuerlichen Vergünstigungen in dem höchstmöglichen, gesetzlich zugelassenen Umfang Gebrauch machen wolle. Durch die Betriebsprüfung sei also eine neue Tatsache zugunsten der KG, nämlich das Vorhandensein weiterer berücksichtigungsfähiger Ausfuhrerlöse bekannt geworden, die schon damals zu einer niedrigeren Veranlagung geführt hätte, wenn sie dem Finanzamt bei der einheitlichen Gewinnfeststellung bekannt gewesen wäre. § 234 AO sei deshalb nicht anwendbar und der einheitliche Gewinn sei dem Antrag der KG entsprechend auf 137.625 DM zu ermäßigen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist nicht begründet.
Es ist unstreitig, daß durch die Betriebsprüfung sowohl dem Finanzamt als auch der KG bekannt wurde, daß die KG bei Abgabe ihrer Erklärung zur einheitlichen Gewinnfeststellung 1954 bestimmte Ausfuhrerlöse zu ihren Ungunsten bei der Berechnung der Steuervergünstigungen nach §§ 3 und 4 AusfFördG außer Betracht ließ und daß die Berücksichtigung dieser Erlöse zu einem um 16.322 DM niedrigeren Gewinn geführt hätte. Die Feststellung des Finanzgerichts, daß die KG schon bei Abgabe ihrer Erklärung für 1954 die Steuervergünstigungen der §§ 3 und 4 AusfFördG in dem nach dem Gesetz zulässigen höchstmöglichen Umfang in Anspruch nehmen wollte, liegt auf tatsächlichem Gebiet und ist deshalb für den Senat bindend, wenn nicht ein Rechtsirrtum des Finanzgerichts bei dieser Feststellung oder ein Verstoß wider den klaren Inhalt der Akten vorliegt (ß 288 Ziff. 1, § 296 Abs. 1 AO). Das ist nicht der Fall.
Es kann zweifelhaft sein, unter welchen Voraussetzungen die Aufdeckung eines sich zu ungunsten des Steuerpflichtigen auswirkenden Irrtums des Steuerpflichtigen durch die Betriebsprüfung zur Feststellung einer neuen Tatsache im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO führt. Das ist jedenfalls im allgemeinen dann nicht der Fall, wenn der Steuerpflichtige alle Tatsachen kannte, sich nur in einem Rechtsirrtum über die Auswirkungen dieser Tatsachen befand und auch das Finanzamt bei Kenntnis aller Tatsachen die Veranlagung den Erklärungen des Steuerpflichtigen entsprechend vorgenommen hätte. Im vorliegenden Fall muß aber zugunsten der KG davon ausgegangen werden, daß sie sich bei Abgabe der Erklärung für 1954 nicht in einem Rechtsirrtum befand, sondern nicht wußte, daß weitere Ausfuhrerlöse vorhanden waren, und daß sich also ihr Irrtum nicht auf die Begünstigung der ihr bei Abgabe der Erklärung als Ausfuhrerlöse bekannten Entgelte bezog. Ihr Irrtum betraf also das Vorhandensein begünstigter Erlöse.
Die durch die Betriebsprüfung bekannt gewordene neue Tatsache, nämlich das Vorhandensein weiterer Ausfuhrerlöse, ist auch rechtserheblich. Hätte das Finanzamt bei der einheitlichen Gewinnfeststellung 1954 gewußt, daß weitere für die Berechnung der steuerfreien Rücklage und des vom Gewinn absetzbaren Betrages erhebliche Ausfuhrerlöse vorhanden waren, so hätte es auch diese Erlöse berücksichtigen müssen und die Vergünstigungen nicht auf die dann offenbar von der KG unzutreffend berechneten Beträge beschränken dürfen. Es liegt also eine neue Tatsache im Sinn des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO zugunsten der KG vor, die im Fall ihres Bekanntseins schon bei der einheitlichen Gewinnfeststellung zu einem niedrigeren Gewinn geführt hätte. § 234 AO ist deshalb nicht anwendbar.
Das Finanzamt beruft sich zu Unrecht auf das Urteil des Bundesfinanzhofs VI 161/59 vom 13. Mai 1960 (Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 222, Rechtsspruch 42). In dem dort entschiedenen Fall handelt es sich um die Frage, ob die unstreitig nur dem Finanzamt durch die Betriebsprüfung bekannt gewordene Tatsache, daß der Steuerpflichtige ein die Voraussetzungen der Abschreibung nach § 7 b EStG erfüllendes Wohnhaus fertiggestellt hatte, in dem Sinn neu und erheblich war, daß bei ihrem Bekanntsein zur Zeit der Vornahme der ersten Veranlagung die Abschreibung nach § 7 b EStG gewährt und deshalb die Veranlagung niedriger vorgenommen worden wäre. Diese Voraussetzung wurde verneint, weil der Steuerpflichtige bei seiner erstmaligen Veranlagung keinen Antrag nach § 7 b EStG gestellt hatte und damit das Bekanntsein der Tatsache, nämlich die Errichtung des Wohngebäudes, bei der Vornahme der ersten Veranlagung zu keiner niedrigeren Steuer geführt hätte. In dem hier zur Entscheidung stehenden Fall hatte dagegen die KG nach der für den Senat verbindlichen Feststellung des Finanzgerichts bei der Erklärung zur einheitlichen Gewinnfeststellung 1954 ihren Willen zum Ausdruck gebracht, die höchstmöglichen Vergünstigungen in Anspruch zu nehmen, und die neue Tatsache, nämlich das Vorhandensein weiterer berücksichtigungsfähiger Ausfuhrerlöse, hätte, wäre sie dem Finanzamt bei der ursprünglichen Gewinnfeststellung bekannt gewesen, zu einem niedrigeren Gewinn geführt.
Fundstellen
Haufe-Index 410601 |
BStBl III 1962, 524 |
BFHE 1963, 708 |
BFHE 75, 708 |