Leitsatz (amtlich)

Soweit der leibliche Vater eines nichtehelichen Kindes zu dessen Unterhalt nur durch Alimentationszahlungen beiträgt, verstößt es nicht gegen Verfassungsrecht, daß er nach der bis zum 31. Dezember 1974 gültigen Fassung des § 32 Abs. 2 Nr. 3 EStG einen Kinderfreibetrag nicht erhalten kann.

 

Normenkette

EStG 1969 § 32 Abs. 2; GG Art. 3 Abs. 1; ErbStG § 10 Abs. 1 StKl I Nr. 2 Buchst. D

 

Tatbestand

Der verheiratete Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat eine minderjährige eheliche Tochter sowie eine ebenfalls minderjährige nichteheliche Tochter, die bei ihrer leiblichen Mutter lebt. Bei Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs 1970 gewährte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) entgegen dem Antrag des Klägers nur einen Kinderfreibetrag für das eheliche Kind. Die Unterhaltsaufwendungen des Klägers für seine nichteheliche Tochter in Höhe von 1 440 DM wurden mit einem Freibetrag von 1 200 DM gemäß § 33 a Abs. 1 EStG als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Das FG führt in seiner in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1974 S. 63 veröffentlichten Entscheidung u. a. aus: Der Bescheid des FA entspreche dem geltenden Einkommensteuerrecht. Eine Auslegung des § 32 Abs. 2 Nr. 3 e EStG in dem Sinn, daß dem Kläger auch für das uneheliche Kind ein Kinderfreibetrag zuzubilligen sei, sei nicht möglich, da die Vorschrift insoweit eindeutig, also nicht auslegungsfähig sei. Die Vorschrift stehe mit dem GG in Einklang. Der Kläger könne sich nicht auf Art. 6 Abs. 5 GG berufen, weil diese Bestimmung die nichtehelichen Kinder, nicht jedoch deren Erzeuger schützen wolle. Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liege nicht vor.

Mit der von dem FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision beantragt der Kläger, den Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1970 aufzuheben und einen zusätzlichen Lohnsteuererstattungsbetrag von 136 DM festzusetzen. Er trägt vor:

Das FG verkenne, daß bei Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem Grundgesetz eine verfassungskonforme Auslegung gegen den Wortlaut des einfachen Gesetzes möglich und geboten sei. Eine verfassungskonforme, ergänzende Auslegung des § 32 Abs. 2 Nr. 3 e EStG gebiete es, dem leiblichen Vater ebenso wie der leiblichen Mutter einen Kinderfreibetrag für das nichteheliche Kind zu gewähren, wie auch bei geschiedenen Eltern hinsichtlich der ehelichen Kinder verfahren werde. Die bisherige Gesetzesauslegung trage weder dem familiären Band zwischen Vater und nichtehelichem Kind einkommensteuerlich Rechnung, noch werde der Vater mit Rücksicht auf seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem nichtehelichen Kind steuerlich geschont. Damit werde mittelbar der Unterhaltsanspruch des nichtehelichen Kindes beeinträchtigt, weil nur das Nettoeinkommen des Vaters der Unterhaltsleistung dienen könne. Das FG nehme irrtümlich an, daß mit Inkrafttreten des Nichtehelichengesetzes am 1. Juli 1970 für den Gesetzgeber eine weitere Frist zur Regelung der Einkommensteuerlichen Folgen des in erster Linie zivilrechtlichen Gesetzes zu laufen begonnen habe. Der Verfassungsbefehl des Art. 6 Abs. 5 GG erfasse einheitlich sämtliche Rechtsgebiete und fordere von dem Gesetzgeber, auf steuerlichem Gebiet in gleicher Weise und innerhalb der gleichen Frist tätig zu werden wie im zivilrechtlichen Bereich.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Nach § 32 Abs. 2 Nr. 3 e EStG (in der bis zum 31. Dezember 1974 gültigen Fassung) stehen der Kinderfreibetrag und die davon abhängigen weiteren Steuervergünstigungen nur der leiblichen Mutter, jedoch nicht dem leiblichen Vater eines nichtehelichen Kindes zu. Der Senat hat mit Urteil vom 8. November 1972 VI R 115/71 (BFHE 108, 92, BStBl II 1973, 223) dargelegt, daß diese Regelung auch verfassungsrechtlich unbedenklich sei, weil das geltende Einkommensteuerrecht nicht in jeder Hinsicht eine Benachteiligung des nichtehelichen Kindes bedeute. Die alleinstehende Mutter erhalte außer dem Kinderfreibetrag den Sonderfreibetrag nach § 32 Abs. 3 Nr. 1 b EStG; daneben könne der Vater seine Unterhaltszahlungen nach § 33 a Abs. 1 EStG geltend machen. Ob nach Inkrafttreten des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19. August 1969 (BGBl I, 1243) eine Reform der Kinderfreibetragsregelung durchzuführen sei, müsse dem Gesetzgeber überlassen bleiben. An diesen Grundsätzen hält der Senat fest.

Der Beschluß des BVerfG vom 17. Oktober 1973 I BvL 20/72 (BVerfGE 36, 126, BStBl II 1974, 92) betrifft einen Sonderfall und berührt die dargelegten Grundsätze nicht. In dem von dem BVerfG entschiedenen Fall lebten die nichtehelichen Kinder des Klägers zusammen mit ihrer Mutter im Haushalt des Klägers. Da die Mutter über keine eigenen Einkünfte verfügte, kam der Kläger allein für die Kosten auf. Das BVerfG führte aus, die Zielsetzung des Kinderfreibetrags, den Unterhalt und die Pflege des Kindes zu erleichtern, könne bei diesem Sachverhalt nur durch die Gewährung eines Kinderfreibetrags an den Vater verwirklicht werden. Die Grundkonzeption der gesetzlichen Kinderfreibetragsregelung gehe dahin, daß die Betreuung eines Kindes jedenfalls bei einem der in Betracht kommenden Steuerpflichtigen zur Gewährung eines Kinderfreibetrags führen solle. Damit sei es nicht vereinbar, wenn diese Vergünstigung nur deswegen gänzlich entfalle und das Kind mittelbar benachteiligt werde, weil das Kind beim Vater nicht von einer Fremden, sondern von der eigenen Mutter betreut und diese dadurch an einer Erwerbstätigkeit gehindert werde. Es würde gegen Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 5 GG verstoßen, wenn der nichteheliche Vater in diesem Falle nicht in den Genuß des vollen Kinderfreibetrags und der damit zusammenhängenden weiteren Vergünstigungen für ein von ihm unterhaltenes Kind kommen würde. Entsprechende Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Der Kläger leistet nur Unterhaltszahlungen und lebt weder mit der leiblichen Mutter und dem nichtehelichen Kind in eheähnlicher Gemeinschaft noch übt er wie ein ehelicher Vater Obhut und Pflege des Kindes aus.

Es besteht kein Anlaß, die bis zum 31. Dezember 1974 gültige Kinderfreibetragsregelung über den von dem BVerfG entschiedenen Sonderfall hinaus im Wege der Rechtsprechung allgemein auf das Verhältnis zwischen dem nichtehelichen Kind und seinem leiblichen Vater auszudehnen. Mit Wirkung vom 1. Januar 1975 wird die Kinderfreibetragsregelung im wesentlichen durch eine Kindergeldregelung ersetzt und dabei auch für den nichtehelichen Vater unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit zum Bezug des Kindergeldes und zur Inanspruchnahme der noch verbliebenen Steuervergünstigungen eröffnet. Für die zurückliegenden Jahre ist eine Anpassung im Wege verfassungskonformer Auslegung mit Rücksicht auf Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 5 GG nicht geboten, weil das Einkommensteuerrecht Fällen der vorliegenden Art, in denen der Vater sich auf Unterhaltszahlungen beschränkt, in das Grundgesetz nicht verletzendem Maße gerecht wird. Art. 6 Abs. 5 GG gebietet, daß den unehelichen Kindern die gleichen Bedingungen zu schaffen sind wie den ehelichen Kindern. In Betracht kommt hier in erster Linie ein Vergleich mit der Stellung eines ehelichen Kindes, das im Rahmen einer intakten Ehe aufwächst. Dieser Vergleich ergibt, daß bei einem ehelichen Kind den Eltern zusammen nur ein Kinderfreibetrag gewährt wird, während bei einem nichtehelichen Kind die alleinstehende Mutter neben dem vollen Kinderfreibetrag einen Sonderfreibetrag von 1 200 DM nach § 32 Abs. 3 Nr. 1 b EStG erhält, und der Vater seine Unterhaltszahlungen bis zu einem Betrag von 1 200 DM nach § 33 a Abs. 1 EStG geltend machen kann. Somit werden insgesamt gesehen für das nichteheliche Kind höhere Steuervergünstigungen eingeräumt. Daß der Kinderfreibetrag nur der Mutter zusteht, rechtfertigt sich daraus, daß im Normalfall das Kind bei der Mutter lebt und von ihr versorgt wird. Soweit der Vater das Kind bei sich aufnimmt und unterhält, werden regelmäßig, sofern nicht auch die Mutter in seinem Haushalt lebt (vgl. hierzu die Entscheidung des BVerfG 1 BvL 20/72), die Voraussetzungen für ein Pflegekindschaftsverhältnis erfüllt sein, so daß in diesem Falle auch der Vater in den Genuß des Kinderfreibetrags kommen kann.

Im Vergleich zu den geschiedenen Eltern eines ehelichen Kindes ergibt sich für den nichtehelichen Vater allerdings ein geringer steuerlicher Nachteil, da diese, solange das Kind noch keine 18 Jahre alt ist, jeweils einen vollen Kinderfreibetrag in Anspruch nehmen können (vgl. Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 11. Aufl. 1974, Rdnr. 38 zu § 32 EStG). Dieser Nachteil besteht indessen nicht nur für den nichtehelichen Vater, sondern vor allem auch gegenüber den in intakter Ehe lebenden Eltern. Dieser Rechtszustand ist bereits von dem Finanzausschuß des 6. Deutschen Bundestags (BT) als unbefriedigend und regelungsbedürftig angesehen worden. Der Ausschuß hat es deshalb abgelehnt, die für geschiedene oder getrennt lebende Eltern maßgebliche Regelung auf nichteheliche Eltern auszudehnen, um nicht die Benachteiligung der in ehelicher Gemeinschaft lebenden Eltern noch zu vergrößern (vgl. BT-Drucksache VI/1477, Teil A, Steuerrecht der Nichtehelichen). Diesen berechtigten Bedenken hat der Gesetzgeber dann durch die am 1. Januar 1975 in Kraft getretene Neuregelung der Kinderentlastung Rechnung getragen. Die seither bestehende Regelung für nichteheliche Kinder muß, wie dargelegt, in erster Linie auf der Grundlage eines Vergleichs mit der Regelung für intakte Ehen beurteilt werden und ergibt insoweit keine Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit. Diese kann dann aber auch nicht daraus hergeleitet werden, daß die seitherige Regelung in sich Unausgewogenheiten enthielt und daß dabei die sich in Sonderfällen ergebenden Vorteile nicht alle auch bei den Vätern nichtehelicher Kinder zum Zuge kamen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71919

BStBl II 1976, 590

BFHE 1977, 48

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