Normenkette
EStG §§ 16, 24 Nr. 2
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG |
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die für die Streitjahre 1972 und 1974 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden.
Der Kläger (Ehemann) ist selbständig als Viehhändler tätig. Bis 1972 betrieb er auch eine gewerbliche Schweinemästerei auf eigenem Grundbesitz. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 1. März 1972 verkaufte der Kläger die als Betriebsvermögen bilanzierten Grundstücke und das tote Inventar der Schweinemästerei mit Wirkung vom 1. Juli 1972 an B. Als Kaufpreis war vereinbart, daß der Erwerber als Gegenleistung für das Inventar eine Verbindlichkeit des Veräußerers in Höhe von 15 000 DM übernimmt und als Gegenleistung für den Grundbesitz ab 1. Juli 1972 auf die Dauer von 25 Jahren eine monatliche "Leibrente" von 1 900 DM zahlt mit der Maßgabe, daß diese, wenn der Veräußerer während der Laufzeit versterben sollte, an die Ehefrau, und wenn auch diese während der Laufzeit versterben sollte, an die Erben des Veräußerers weiter zu zahlen ist. Die "Leibrente" ist in der Weise wertgesichert, daß sie entsprechend erhöht oder ermäßigt wird, wenn sich der Lebenshaltungsindex gegenüber dem Stand vom 1. Juli 1972 um mindestens 10 % erhöht oder ermäßigt. Der Erwerber bewilligte und beantragte "zugunsten des Verkäufers und seiner Ehefrau A ... als Gesamtberechtigte die Eintragung der vorstehend vereinbarten Leibrente zur Gesamthaft in den Grundbuchblättern der verkauften Grundstücke". Außerdem unterwarf sich der Erwerber der sofortigen Zwangsvollstreckung in sein gesamtes Vermögen mit der Maßgabe, daß die Unterwerfung gemäß § 800 der Zivilprozeßordnung (ZPO) auch als Belastung der erworbenen Grundstücke im Grundbuch einzutragen ist.
Die Grundstücke wurden aufgelassen und am 1. Juli 1972 übergeben; der Erwerber ist in das Grundbuch als Eigentümer eingetragen.
Im Zeitpunkt der Veräußerung waren der Kläger 56 und die Klägerin 53 Jahre alt.
Aus dem weitergeführten Viehhandel erwirtschaftete der Kläger in 1972 und 1973 Verluste und in 1974 und 1975 Gewinne.
In ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 1972 und 1974 gingen die Kläger davon aus, daß der Kläger einen Teilbetrieb i. S. von § 16 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) veräußert habe. Der hierbei aus dem Verkauf des Inventars erzielte Gewinn in Höhe von 7 242,50 DM sei sofort zu versteuern; für die "Leibrente" werde "die Besteuerung des Veräußerungsgewinns über die Laufzeit der Rente als nachträgliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 24 Ziff. 2 EStG" gewählt. Demgemäß seien in 1972 und ebenso in 1974 die mit 5,5 % ermittelten Zinsanteile der Rente unter Verrechnung mit Verlustvorträgen nach § 2 a EStG a. F. zu versteuern und die Tilgungsanteile vom Buchwert des veräußerten Grundbesitzes erfolgsneutral abzuziehen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) vertrat demgegenüber die Ansicht, der Kläger habe kein Wahlrecht zwischen einer sofortigen Besteuerung eines begünstigten Veräußerungsgewinns und einer laufenden Besteuerung nachträglicher Einkünfte aus Gewerbebetrieb, weil keine Leibrente, sondern Kaufpreisraten vereinbart seien. Der im Streitjahr 1972 zu versteuernde tarifbegünstigte Veräußerungsgewinn ergebe sich aus der Differenz zwischen dem mit 5,5 % abgezinsten Barwert der Kaufpreisraten und dem Buchwert des veräußerten Teilbetriebs; er belaufe sich auf 168 905 DM abzüglich der Verluste nach § 2 a EStG a. F. und damit auf 92 267 DM. Die in den Kaufpreisraten enthaltenen Zinsanteile (für 1972 7 322 DM, für 1974 17 471 DM) seien laufend als Einnahmen aus Kapitalvermögen zu versteuern. Auf dieser Grundlage erließ das FA Einkommensteuerbescheide für 1972 und 1974.
Mit der Sprungklage machten die Kläger geltend, der Kläger könne eine laufende Besteuerung als nachträgliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb wählen, weil der "Kaufpreisgedanke" zugunsten der Sicherstellung der Versorgung des Veräußerers und seiner Ehefrau in den Hintergrund rücke.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Zu Recht habe das FA den Tilgungsanteil der laufenden Bezüge kapitalisiert und gemäß § 16 EStG sofort der Besteuerung unterworfen. Der Kläger sei nicht berechtigt, eine jährliche Versteuerung der laufenden Rentenzahlungen zu wählen. Die Gegenleistung für die Übertragung des Grundstücks und des Inventars sei nach kaufmännischen Gesichtspunkten bemessen worden. Die Kläger hätten das FG nicht davon überzeugen können, daß die Ratenzahlungen in ihrem Versorgungsinteresse vereinbart worden seien; das FG sei der Ansicht, daß dem Erwerber der Kaufpreis gestundet worden sei.
Mit der Revision beantragen die Kläger sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuerschuld für 1972 auf 0 DM und für 1974 auf 1 557 DM festzusetzen. Die Kläger rügen Verletzung materiellen Rechts und unzureichende Sachaufklärung.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; die Vorentscheidung ist aufzuheben und der Klage stattzugeben, da dem Kläger ein Wahlrecht zwischen einer tarifbegünstigten Besteuerung eines Veräußerungsgewinns im Zeitpunkt der Teilbetriebsveräußerung und einer nichtbegünstigten Besteuerung nachträglicher gewerblicher Einkünfte im Jahr des Zuflusses zusteht und er sich für die zweite Alternative dieses Wahlrechts entschieden hat.
1. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören auch Gewinne, die bei der Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs oder eines Teilbetriebs erzielt werden (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Veräußerungsgewinn ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten den nach § 4 Abs. 1 oder § 5 EStG ermittelten Wert des Betriebsvermögens übersteigt (§ 16 Abs. 2 EStG).
Der Gewinn aus der Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs oder eines Teilbetriebs ist im Zeitpunkt der Veräußerung (d. h. mit der Übertragung mindestens des wirtschaftlichen Eigentums an den veräußerten wesentlichen Betriebsgrundlagen auf den Erwerber) verwirklicht und in dem Veranlagungszeitraum zu versteuern, in den dieser Zeitpunkt fällt; unabhängig davon, ob der Veräußerungspreis sofort fällig oder ganz oder teilweise langfristig gestundet ist und wann der Veräußerungspreis dem Veräußerer tatsächlich zufließt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gelten diese Rechtsgrundsätze jedoch nicht ausnahmslos. Für bestimmte Fälle gesteht die Rechtsprechung dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht zu zwischen einer tarifbegünstigten Besteuerung eines Veräußerungsgewinns im Zeitpunkt der Betriebs- oder Teilbetriebsveräußerung nach Maßgabe der §§ 16, 34 EStG und einer nicht tarifbegünstigten Besteuerung nachträglicher Einkünfte aus Gewerbebetrieb im jeweiligen Jahr des Zuflusses des Veräußerungserlöses nach Maßgabe des § 24 Nr. 2 i. V. m. § 15 Abs. 1 EStG, wobei dieses Wahlrecht seine Rechtsgrundlage in einer teleologischen Reduktion des (zwingenden) Anwendungsbereichs der §§ 16, 34 EStG im Verhältnis zu § 24 Nr. 2 EStG (BFH-Urteil vom 30. Januar 1974 IV R 80/70, BFHE 111, 477, 481, BStBl II 1974, 452) und im "Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Besteuerung" (BFH-Urteil vom 29. Oktober 1974 VIII R 131/70, BFHE 114, 79, 82, BStBl II 1975, 173) findet.
Ein derartiges Wahlrecht ist nach der Rechtsprechung insbesondere gegeben, wenn der Veräußerungspreis besteht
a) in langfristigen wiederkehrenden Bezügen, die wagnisbehaftet sind, oder
b) in langfristig wiederkehrenden Bezügen, die hauptsächlich im Interesse des Veräußerers, um dessen Versorgung zu sichern, und nicht im Interesse des Erwerbers vereinbart wurden (vgl. insoweit grundlegend und zusammenfassend das Urteil des Senats vom 12. Juni 1968 IV 254/62, BFHE 92, 561, 563 bis 564, BStBl II 1968, 653).
Als langfristige wiederkehrende Bezüge, die wagnisbehaftet sind (und demgemäß ein Wahlrecht begründen), wertet die Rechtsprechung Umsatz- und Gewinnbeteiligungsrenten, Leibrenten und "Zeitrenten, d. h. für eine kalendermäßig fest bestimmte Zeit eingeräumte Renten, falls sie für einen ungewöhnlich langen, nicht mehr übersehbaren Zeitraum bedungen sind" (Urteil in BFHE 92, 561, 563, BStBl II 1968, 653).
2. Im Streitfall hat das FG in erster Linie geprüft, ob die laufenden Bezüge im Versorgungsinteresse der Kläger vereinbart worden sind. Hiergegen richten sich die umfangreichen materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Angriffe der Revision. Der Senat kann auf sich beruhen lassen, ob diese Einwände durchgreifen, insbesondere, ob das FG zu Unrecht unterlassen hat, den Erwerber des Teilbetriebs als Zeugen zu der Frage zu vernehmen, welche Gründe für die Vereinbarung von laufenden Bezügen über einen Zeitraum von 25 Jahren primär bestimmend waren. Denn der Senat ist im Gegensatz zur Vorentscheidung der Auffassung, daß wagnisbehaftete wiederkehrende Bezüge mit partiellem Versorgungscharakter vorliegen und aus diesem Grunde ein Wahlrecht besteht.
Zutreffend hebt das FG allerdings hervor, daß das für Leibrenten typische Wagnis des vorzeitigen Wegfalls der Ansprüche und das dadurch bedingte Risiko, in der Form des kapitalisierten Rentenrechts mehr versteuern zu müssen, als tatsächlich gezahlt wird, im Streitfall nicht besteht, weil keine Leibrente, sondern eine vererbliche Zeitrente vereinbart ist. Wie bereits erwähnt, geht die BFH-Rechtsprechung aber davon aus, daß auch Zeitrenten als wagnisbehaftete wiederkehrende Bezüge zu werten sind, "falls sie für einen ungewöhnlich langen, nicht mehr übersehbaren Zeitraum bedungen sind". Dies trifft im Streitfalle zu. Eine Laufzeit der wiederkehrenden Bezüge über 25 Jahre liegt außerhalb der im Geschäftsleben üblichen Stundungszeiträume. Auch sind 25 Jahre eine Zeitspanne, die insofern als nicht mehr überschaubar bezeichnet werden muß, als nicht annähernd voraussehbar und berechenbar ist, wie sich die gesamtwirtschaftlichen Verhältnisse im allgemeinen und die Leistungsfähigkeit des Erwerbers im besonderen entwickeln werden.
Dem FG ist zwar zuzugeben, daß das mit wiederkehrenden Bezügen über einen Zeitraum von 25 Jahren naturgemäß verbundene Wagnis im Streitfall insofern reduziert ist, als der Erwerber "zugunsten des Verkäufers und seiner Ehefrau A ... als Gesamtberechtigte die Eintragung der ... vereinbarten Leibrente zur Gesamthaft in den Grundbüchern der verkauften Grundstücke" bewilligte und beantragte und sich insoweit mit Wirkung für den jeweiligen Grundstückseigentümer der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwarf. Diese "grundbuchliche" Absicherung der Kaufpreisforderung - unterstellt, daß tatsächlich eine Rentenschuld oder eine Reallast in das Grundbuch eingetragen worden ist - schließt aber das mit wiederkehrenden Bezügen auf einen Zeitraum von 25 Jahren naturgemäß verbundene Wagnis schon deshalb nicht gänzlich aus, weil die grundbuchliche Sicherung der "Leibrente" ausdrücklich nur zugunsten des Klägers und seiner Ehefrau A, nicht hingegen auch für den Fall des vorzeitigen Versterbens des Klägers und seiner Ehefrau zugunsten der Erben des Klägers bewilligt ist. Hinzu kommt, daß jedenfalls bei primär landwirtschaftlich genutzten Grundstücken, die nicht in unmittelbarer Großstadtnähe belegen sind, die Wertbeständigkeit für einen Zeitraum von 25 Jahren nicht als schlechthin gesichert angesehen werden kann.
Das danach verbleibende Wagnis rechtfertigt nach Auffassung des Senats jedenfalls dann die Zubilligung eines Wahlrechts zwischen einer Besteuerung eines Veräußerungsgewinns im Zeitpunkt der Veräußerung und nachträglicher gewerblicher Einkünfte im Zeitpunkt des Zuflusses, wenn die wiederkehrenden Bezüge, sofern schon nicht "hauptsächlich" im Interesse des Veräußerers, so doch mindestens auch mit dem Nebenzweck vereinbart sind, dem Veräußerer langfristig eine eventuelle zusätzliche Versorgung zu verschaffen, denn die für die Zubilligung des Wahlrechts bestimmenden Komponenten "Wagnis" und "Versorgung" sind in gewissem Umfange kompensierbar.
Im Streitfall ist nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, von denen der Senat unterstellt, daß sie für ihn bindend sind (s. oben), davon auszugehen, daß die Rente nicht hauptsächlich im Interesse der Kläger vereinbart worden ist. Im Vertrag vom 1. März 1972 kommt aber mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck, daß die Versorgung der Kläger ein Nebenzweck der bewilligten Zahlungsform war. Dafür spricht, wie die Revision zu Recht geltend macht, das Alter der Kläger, die Zahlung in monatlichen Beträgen und vor allem die Wertsicherung.
Die Steuerberechnung wird dem FA übertragen (Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit).
Fundstellen
Haufe-Index 75119 |
BStBl II 1984, 829 |
BFHE 1985, 525 |