Leitsatz (amtlich)
Geht die vom Kläger unmittelbar dem FG übersandte Prozeßvollmacht erst nach Verkündung des die Klage abweisenden Urteils ein, entfaltet die Vollmacht keine genehmigende Wirkung für die Klageerhebung.
Orientierungssatz
1. Die Bevollmächtigung zur Prozeßvertretung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung (vgl. BFH-Urteil vom 17.7.1984 VIII R 20/82). Ist schriftliche Vollmachterteilung und Vorlage der Vollmachtsurkunde bei dem Gericht vorgeschrieben, wird die Vollmacht erst mit dem Eingang beim Gericht wirksam (Literatur).
2. Geht die gemäß § 62 Abs. 3 S. 2 FGO nachzureichende Prozeßvollmacht erst nach Verkündung des die Klage abweisenden Urteils beim FG ein, so kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden, da mit der Vorlage der Vollmacht nach Verkündung des Urteils keine gesetzliche Frist versäumt worden ist.
Normenkette
FGO § 62 Abs. 3 S. 2, § 56 Abs. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine im Juni 1976 entstandene GmbH. Gesellschafter waren zunächst die Eheleute G und K H. K H übertrug ihre Anteile mit Wirkung ab Januar 1977 auf G H. Dieser veräußerte seine Anteile im November 1979 an den jetzigen Gesellschafter W.
Nach der für das Streitjahr 1976 maßgebenden Fassung des Gesellschaftsvertrages war G H alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der GmbH. Mit Beschluß vom 7.Februar 1980 wurde er als Geschäftsführer abberufen. Neue Geschäftsführerin wurde Frau W.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) sah nach einer Außenprüfung im Jahre 1980 Gehaltszahlungen an G H in Höhe von 23 114 DM als verdeckte Gewinnausschüttungen an und erließ dementsprechend geänderte Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermeßbescheide.
Nachdem das FA die Einsprüche zurückgewiesen hatte, hat die GmbH Klage erhoben. Rechtsanwalt M ist unter Vorlage einer von G H unterschriebenen Prozeßvollmacht vom 20.Dezember 1980 für die Klägerin als Prozeßbevollmächtigter aufgetreten. Mit Verfügung des Berichterstatters des Finanzgerichts (FG) vom 8.Mai 1984, zugestellt am 10.Mai 1984, forderte das FG den Prozeßbevollmächtigten auf, bis zum 28.Mai 1984 eine von dem "jetzigen" Geschäftsführer der Klägerin unterschriebene Prozeßvollmacht vorzulegen. Ferner verlegte das FG einem Antrag des Prozeßbevollmächtigten folgend den Termin zur mündlichen Verhandlung vom 23.Mai 1984 auf den 5.Juni 1984.
In der mündlichen Verhandlung erschien für die Beteiligten niemand. Das FG verkündete das angefochtene Urteil, mit dem es die Klage wegen Fehlens der Prozeßvollmacht als unzulässig ansah und abwies. Die Kosten legte es dem als Prozeßbevollmächtigten aufgetretenen Rechtsanwalt auf.
Die von der Geschäftsführerin der Klägerin an das FG gesandte Prozeßvollmacht ging am 6.Juni 1984 dort ein.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 62 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das angefochtene Urteil weiche von den Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11.Januar 1980 VI R 11/79 (BFHE 129, 305, BStBl II 1980, 229) und vom 28.September 1967 V R 62,107/67, V B 23,36/67 (BFHE 90, 280, BStBl II 1968, 63) ab. Sie macht sinngemäß geltend, da keine Frist mit ausschließender Wirkung gesetzt worden sei, sei die auf dem Fehlen der Vollmacht beruhende Unzulässigkeit der Klage durch den Eingang der Vollmacht geheilt worden. Hilfsweise und vorsorglich beantragt die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen verspäteter Vollmachtsvorlage. Die Vollmacht sei ohne ihr Verschulden nach der Verkündung des angefochtenen Urteils eingegangen; denn die Vollmacht sei am 2.Juni 1984 abgesandt worden und hätte bei gewöhnlichem Postlauf am 5.Juni 1984 dem Gericht vorliegen müssen. Im übrigen wendet sich die Klägerin weiterhin gegen die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung und beantragt,
den geänderten Körperschaftsteuerbescheid und den geänderten
Gewerbesteuermeßbescheid jeweils für 1976 in der Fassung der
Einspruchsentscheidung vom 9.Juni 1981 aufzuheben und die Veranlagung
entsprechend den ursprünglichen Bescheiden durchzuführen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie war durch Urteil zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 FGO).
1. Vor dem FG können sich die Beteiligten durch Bevollmächtigte vertreten lassen (§ 62 Abs.1 Satz 1 FGO). Läßt sich ein Beteiligter vertreten, ist die Vollmacht schriftlich zu erteilen (§ 62 Abs.3 Satz 1 FGO) und dem FG vorzulegen (vgl. § 62 Abs.3 Satz 2 FGO). Der von dem Bevollmächtigten erhobene Rechtsbehelf ist unzulässig, wenn die schriftliche Vollmacht nicht vorgelegt wird, weil es dann an einer Prozeßvoraussetzung fehlt.
Ist die Vollmacht nachzureichen (vgl. § 62 Abs.3 Satz 2 FGO), hat eine dafür vom FG --ggf. durch den gemäß § 79 FGO zuständigen Richter (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 62 Rz.18 sowie Art.3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit --VGFGEntlG--)-- gesetzte Frist keine ausschließende Wirkung (Urteil in BFHE 129, 305, BStBl II 1980, 229 unter 1.), sofern das FG dabei nicht gemäß Art.3 § 1 VGFGEntlG verfährt. Ist die Vollmacht vor dem Ergehen der den Rechtsbehelf als unzulässig verwerfenden Entscheidung des FG erteilt worden, soll das Vorliegen dieser Prozeßvoraussetzung auch noch mit der Revision geltend gemacht werden können (BFH-Urteil vom 4.Juli 1984 II R 188/82, BFHE 142, 3, BStBl II 1984, 831 unter Berufung auf den Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 17.April 1984 GmS-OGB 2/83, BGHZ 91, 111, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1984, 389, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1984, 2149). Wird dagegen eine Bevollmächtigung erst für die Zeit nach Erlaß der Entscheidung des FG nachgewiesen, kann der Mangel der Vollmacht nicht behoben werden. Eine solche Bevollmächtigung kann nur noch für die Zukunft wirken. Die darin enthaltene nachträgliche Genehmigung entfaltet keine Wirkung mehr für die Vergangenheit und führt nicht zur Zulässigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens (BFHE 142, 3, BStBl II 1984, 831).
2. Im Streitfall vermag die am 6.Juni 1984 --nach Verkündung des Prozeßurteils vom 5.Juni 1984-- bei dem FG eingegangene Vollmacht das Fehlen der Prozeßvoraussetzung nicht rückwirkend zu heilen.
Die Bevollmächtigung zur Prozeßvertretung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung (BFH-Urteil vom 17.Juli 1984 VIII R 20/82, BFHE 141, 463, BStBl II 1984, 802). Ist --wie durch § 62 Abs.3 Sätze 1 und 2 FGO (vgl. auch § 80 Abs.1 der Zivilprozeßordnung)-- schriftliche Vollmachterteilung und Vorlage der Vollmachtsurkunde bei dem Gericht vorgeschrieben, wird die Vollmacht erst mit dem Eingang bei dem Gericht wirksam (Gräber, a.a.O., § 62 Rz.16; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15.Aufl., § 62 FGO Anm.4; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 62 FGO Rz.8). Der Brief, mit dem die Geschäftsführerin der Klägerin die Vollmacht an das FG übersandt hat, ist dort erst am 6.Juni 1984 eingegangen, so daß die legitimierende Wirkung der Vollmacht erst zu diesem Zeitpunkt eingetreten ist. Da das angefochtene Prozeßurteil schon ergangen war, kam der Erteilung der Prozeßvollmacht nicht mehr die Wirkung einer rückwirkenden Genehmigung der Klageerhebung durch den im erstinstanzlichen Verfahren vollmachtlosen Vertreter zu.
Angesichts der Besonderheit des Streitfalles braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob eine andere Beurteilung geboten wäre, wenn die Prozeßvollmacht vor Erlaß des Prozeßurteils dem Bevollmächtigten übergeben und von diesem dann nach Ergehen des angefochtenen finanzgerichtlichen Urteils dem FG vorgelegt worden wäre.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung der Vollmachtsvorlage konnte der Klägerin nicht gewährt werden, da mit der Vorlage der Vollmacht nach Verkündung des angefochtenen Urteils weder eine gesetzliche Frist (vgl. § 56 Abs.1 FGO) versäumt worden ist noch ihr für die Vorlage eine richterliche Frist mit ausschließender Wirkung gemäß Art.3 § 1 VGFGEntlG vom 31.März 1978 (BGBl I, 446, BStBl I, 174) i.d.F. des Gesetzes vom 22.Dezember 1983 (BGBl I, 1515, BStBl I 1984, 47) gesetzt worden war, die sie hätte versäumen können.
Fundstellen
Haufe-Index 61888 |
BStBl II 1988, 280 |
BFHE 151, 1 |
BFHE 1988, 1 |
WPg 1988, 299-299 |