Leitsatz (amtlich)
1. Durch das AOÄG vom 15. September 1965 (BGBl I, 1356) sind die Verjährungsbestimmungen in der AO abschließend geregelt. Für eine entsprechende Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze des bürgerlichen Rechts (§§ 211, 212 BGB) bleibt nach dieser Neuregelung kein Raum.
2. Die durch die in einem Steuerbescheid enthaltene schriftliche Zahlungsaufforderung bewirkte Unterbrechung der Verjährung bleibt auch dann bestehen, wenn der Bescheid später aufgehoben oder gegenstandslos wird.
2. Die durch die Einlegung eines Rechtsbehelfs eingetretene Ablaufhemmung nach § 146 a Abs. 1 AO wird nicht dadurch rückwirkend beseitigt, daß die Abgabenfestsetzung aufgrund des Rechtsbehelfs durch gerichtliche Entscheidung oder durch Entschließung der Behörde selbst aufgehoben wird.
Normenkette
AO n.F. § 146 a Abs. 1, § 147 Abs. 1
Tatbestand
Bei einer Betriebsprüfung war festgestellt worden, daß die von der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) in den Jahren 1961 bis 1965 eingeführten Ersatzteile für elektronische Rechenanlagen unrichtig tarifiert und zu einer niedrigeren Festsetzung der Eingangsabgaben geführt hatten. Daraufhin erließ das ZA, eine Dienststelle des Beklagten und Revisionsbeklagten (HZA), am 27. Dezember 1966 einen Nachforderungsbescheid gegen die Klägerin über 4 230,30 DM.
Auf den gegen den Bescheid gerichteten Einspruch teilte das ZA der Klägerin mit Verfügung vom 26. September 1968 mit, daß es den Steuerbescheid vom 27. Dezember 1966 zurücknehme und durch einen neuen Abgabenbescheid ersetze. Mit diesem Abgabenbescheid wurden insgesamt 17 456,60 DM Eingangsabgaben festgesetzt, die sich zusammensetzten aus einem geschätzten Betrag von 13 226,30 DM für Ersatzteile, deren einwandfreie nachträgliche Tarifierung nicht mehr möglich war, und aus dem Betrag von 4 230,30 DM, der mit dem zurückgenommenen Bescheid vom 27. Dezember 1966 angefordert worden war.
Die Klägerin legte auch gegen diesen Bescheid Einspruch ein. Im Einspruchsverfahren ermäßigte das HZA den nachzuzahlenden Betrag von 17 456,60 DM wieder auf den ursprünglichen Betrag von 4 230,30 DM, weil die darüber hinausgehenden Abgabenansprüche inzwischen verjährt waren. Die Forderung von 4 230,30 DM, deren Zahlung erstmalig mit Bescheid vom 27. Dezember 1966 verlangt worden war, hielt hingegen das HZA nicht für verjährt. Mit der gegen diese Entscheidung gerichteten Klage machte die Klägerin geltend, auch dieser Abgabenanspruch sei verjährt. Das HZA habe den Steuerbescheid vom 27. Dezember 1966 mit Verfügung vom 26. September 1968 nicht nur geändert, sondern aufgehoben und durch einen völlig neuen Bescheid ersetzt. Mit der Rücknahme des Bescheids vom 27. Dezember 1966 seien alle rechtlichen Wirkungen dieses Bescheides entfallen.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG führte aus, es könne dahingestellt bleiben, ob der Bescheid vom 27. Dezember 1966 geändert oder aufgehoben worden sei. Denn auch im letzteren Falle habe die Rücknahme des Bescheids die durch den Erlaß dieses Bescheids eingetretene Unterbrechung der Verjährung nicht beseitigen können. Zwar gelte im bürgerlichen Recht die durch Klageerhebung eingetretene Unterbrechung der Verjährung (§ 209 Abs. 1 BGB) als nicht erfolgt, wenn die Klage zurückgenommen werde (vgl. § 212 Abs. 1 BGB). Diese Regelung habe aber nur für den Zivilprozeß Bedeutung. Für das Gebiet des Abgabenrechts hingegen bleibe die durch den Erlaß eines Verwaltungsaktes eingetretene Unterbrechung der Verjährung bestehen, auch wenn der Verwaltungsakt später aufgehoben oder zurückgenommen werde. Dadurch sei die entsprechende Anwendung des § 212 BGB auf das Steuerrecht ausgeschlossen. Das ergebe sich aus der besonderen Regelung, die die Verjährungsunterbrechung in der AO gefunden habe. Wende man aber doch § 212 Abs. 1 BGB analog an, so müsse man auch § 212 Abs. 2 BGB entsprechend anwenden, also dem Erlaß eines (neuen) Steuerbescheids die Wirkung beilegen, daß die Rücknahme des früheren Bescheids und damit der Wegfall der Unterbrechungswirkung als nicht erfolgt anzusehen wären.
Mit der gegen diese Entscheidung eingelegten Revision rügt die Klägerin die Verletzung der Verjährungsbestimmungen der Reichsabgabenordnung. Sie führt aus, ein Verstoß gegen § 147 AO n. F. sei darin zu sehen, daß das Gericht dem Bescheid vom 27. Dezember 1966 verjährungsunterbrechende Wirkung beigelegt habe, obwohl er mit Verfügung vom 26. September 1968 zurückgenommen worden sei. Die Unterbrechung der Verjährung müsse als nicht geschehen gelten, wenn der Steuerbescheid zurückgenommen werde. Welche Wirkung die Rücknahme eines Steuerbescheids auf die Unterbrechung der Verjährung habe, sei in der Reichsabgabenordnung nicht geregelt. Zur Ausfüllung dieser Lücke sei § 212 Abs. 1 BGB heranzuziehen. Die Heranziehung einzelner Verjährungsvorschriften des bürgerlichen Rechts sei von der Rechtsprechung bejaht worden. Hingegen komme entgegen der Auffassung des FG eine Anwendung des § 212 Abs. 2 BGB schon deswegen nicht in Betracht, weil das HZA die Möglichkeit habe, einen Änderungsbescheid gemäß § 94 Abs. 1 Nr. 1 AO zu erlassen, also nicht den Weg der Zurücknahme einer Verfügung und der Ersetzung durch einen neuen Bescheid gehen müsse. Das FG habe auch den § 146 a AO n. F. rechtsfehlerhaft angewendet, indem es davon ausgegangen sei, daß der Ablauf der Verjährung infolge Anfechtung des Steuerbescheids vom 27. Dezember 1966 gehemmt gewesen sei. § 146 a AO n. F. betreffe den Fall, daß eine Abgabenfestsetzung unanfechtbar werde. Ein solcher Sachverhalt sei aber im vorliegenden Falle nicht gegeben. Vielmehr sei die Abgabenfestsetzung durch Rücknahme des Steuerbescheids aufgehoben worden. Damit entfalle die Grundlage für eine Ablaufhemmung nach § 146 a AO n. F. Die Verjährung sei daher mit Ablauf des Jahres 1966 eingetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
Die Frage, ob die Verjährung für die in den Jahren 1961 bis 1965 entstandenen Abgabenansprüche durch den am 27. Dezember 1966 erlassenen Steuerbescheid unterbrochen worden ist, hat das FG zu Recht nach den seit dem 1. Januar 1966 geltenden Verjährungsbestimmungen entschieden; denn nach Art. 5 Abs. 3 des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965 - AOÄG - (BGBl I, 1356) gelten die neuen Bestimmungen über die Unterbrechung und Hemmung der Verjährung (§§ 146, 146 a, 147 AO n. F.) seit Inkrafttreten des Gesetzes, d. h. seit dem 1. Januar 1966, auch für Abgabenansprüche, die früher entstanden sind.
Die in den Jahren 1961 bis 1965 entstandenen Abgabenansprüche waren im vorliegenden Fall im Zeitpunkt des Erlasses des Nachforderungsbescheids vom 27. Dezember 1966 noch nicht verjährt. In diesem Bescheid heißt es, daß die Verjährung durch eine Betriebsprüfung im Jahre 1961 und durch weitere Maßnahmen zur Feststellung der Ansprüche unterbrochen worden sei. Diesen Ausführungen ist die Klägerin nicht entgegengetreten. Das FG ist deshalb zutreffend davon ausgegangen, daß die Verjährungsfrist für die streitigen Abgabenforderungen bis zum 31. Dezember 1966 lief.
Durch die in dem Bescheid vom 27. Dezember 1966 enthaltene schriftliche Zahlungsaufforderung ist gemäß § 147 Abs. 1 AO n. F. nochmals eine Unterbrechung der Verjährung herbeigeführt worden, so daß der Ablauf der Verjährungsfrist bis zum 31. Dezember 1967 hinausgeschoben wurde. Auf diese durch den Bescheid vom 27. Dezember 1966 bewirkte Unterbrechung der Verjährung hat entgegen der Auffassung der Klägerin die spätere, mit Verfügung vom 26. September 1968 erfolgte Rücknahme des Bescheides keinen Einfluß. Wie der BFH bereits in den Urteilen vom 12. November 1959 IV 46/59 U (BFHE 70, 75, BStBl III 1960, 29) und vom 28. April 1972 III R 62/71 (BFHE 106, 1, BStBl II 1972, 742) entschieden hat, wird die verjährungsunterbrechende Wirkung der in einem Steuerbescheid enthaltenen Zahlungsaufforderung nicht deshalb aufgehoben, weil der Bescheid später gegenstandslos oder unwirksam wird. Die Unterbrechung der Verjährung ist, auch wenn die Unterbrechungshandlung in dem Erlaß eines Verwaltungsaktes besteht, nicht abhängig vom Fortbestand dieses Verwaltungsaktes. Die Unterbrechung der Verjährung ist vielmehr von der Reichsabgabenordnung als ein tatsächlicher Vorgang geregelt. Sie wird bewirkt durch eine Handlung des FA, die den Willen zum Ausdruck bringt, die Steuerforderung geltend zu machen. Das trifft für den Steuerbescheid vom 27. Dezember 1966 zu, auch wenn dieser Bescheid später aufgehoben worden ist. Durch die am 2. Januar 1967 erfolgte Anfechtung dieses Bescheides wurde der Ablauf der Verjährung nunmehr gemäß § 146 a Abs. 1 AO n. F. gehemmt. Die Ablaufhemmung hatte zur Folge, daß die Verjährung für die streitigen Ansprüche nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach Abschluß des Rechtsbehelfsverfahrens eintreten konnte. Auch wenn man davon ausgeht, daß das durch den Einspruch vom 2. Januar 1967 ausgelöste Rechtsbehelfsverfahren mit der Rücknahme des angefochtenen Bescheides am 26. September 1968 abgeschlossen war, so bestand doch die durch die Anfechtung des Bescheides bewirkte Ablaufhemmung zu diesem Zeitpunkt noch fort, so daß das HZA nicht gehindert war, die Abgabenansprüche durch den gleichzeitig ergangenen erweiterten Abgabenbescheid erneut festzusetzen.
Zu Unrecht ist demgegenüber die Klägerin der Auffassung, daß die durch die Einlegung des Einspruchs vom 5. Januar 1967 bewirkte Ablaufhemmung hinfällig geworden sei, da die Behörde den angefochtenen Bescheid selbst zurückgenommen habe und die Abgabenfestsetzung somit nicht i. S. des § 146 a Abs. 1 AO n. F. unanfechtbar geworden sei. Die Bestimmung des § 146 a Abs. 1 AO n. F. bietet keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Rücknahme des angefochtenen Bescheides die verjährungshemmende Wirkung der Anfechtung aufheben könnte. Für einen Fortfall der Ablaufhemmung besteht auch schon deshalb keine Grundlage, weil die verjährungshemmende Wirkung nicht von dem Bescheid selbst, sondern von der Einlegung des Rechtsbehelfs ausgeht. Darüber hinaus würde auch die Annahme, daß durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides die verjährungshemmende Wirkung des Rechtsbehelfsverfahrens rückwirkend entfallen würde, dem Zweck der gesetzlichen Regelung des § 146 a Abs. 1 AO n. F. nicht entsprechen, der insbesondere sicherstellen soll, daß Rechtsbehelfsverfahren durchgeführt werden können, ohne durch den Eintritt der Verjährung sinnlos zu werden.
Dieser Zweck wird nur dann gewahrt, wenn die durch die Einlegung des Rechtsbehelfs bewirkte Ablaufhemmung von dem Ergebnis des Rechtsbehelfs unabhängig ist und insbesondere auch durch eine spätere, im Verlauf des Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelverfahrens erfolgte Änderung oder Aufhebung der Steuerfestsetzung nicht berührt wird. Die Bestimmung des § 146 a Abs. 1 AO n. F. muß deshalb ihrem Normzweck entsprechend so verstanden werden, daß die Verjährung bis zum Ablauf von sechs Monaten nach dem endgültigen Abschluß des Rechtsbehelfsverfahrens gehemmt bleibt, auch wenn die Abgabenfestsetzung im Verlaufe des Rechtsbehelfsverfahrens aufgehoben wird.
Die Auffassung der Klägerin, daß die Rücknahme des angefochtenen Bescheids die verjährungshemmende Wirkung des Rechtsbehelfs rückwirkend entfallen lasse, kann auch nicht auf eine entsprechende Anwendung des Rechtsgedankens des § 212 Abs. 1 BGB gestützt werden. Die §§ 211, 212 BGB regeln die Auswirkungen der Klageerhebung auf die Verjährung im bürgerlichen Recht. Während § 211 BGB bestimmt, daß die Erhebung der Klage die Verjährung für die Dauer der Rechtshängigkeit des Klageanspruchs unterbricht, bestimmt § 212 Abs. 1 BGB, daß die durch die Klageerhebung bewirkte Unterbrechung der Verjährung als nicht eingetreten gilt, wenn die Klage später zurückgenommen wird.
Da die Reichsabgabenordnung in der bis zum 31. Dezember 1965 geltenden Fassung keine Bestimmungen für die Wirkungen der Einlegung eines Rechtsbehelfs auf die Verjährung enthielt, hatte der BFH mit Urteil vom 31. Oktober 1957 Vz 72/55 U (BFHE 65, 576, BStBl III 1957, 454) auf die in den bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken zurückgegriffen und diese Bestimmungen im Rahmen der Reichsabgabenordnung für entsprechend anwendbar erklärt. Er ging dabei davon aus, daß der Erhebung der Klage (§ 209 BGB) im Besteuerungsverfahren der Erlaß eines Steuerbescheids und der Rücknahme der Klage (§ 212 Abs. 1 BGB) im Besteuerungsverfahren die Rücknahme des Steuerbescheids entspreche (vgl. das Urteil vom 30. Juli 1970 IV R 10/70, BFHE 100, 165, BStBl II 1970, 855).
Diese Rechtsprechung kann aber auf die zum 1. Januar 1966 in Kraft getretenen neugefaßten Verjährungsbestimmungen der Reichsabgabenordnung nicht übertragen werden. Der Gesetzgeber regelte die Verjährung, ihre Unterbrechung und ihre Hemmung für das Abgabenrecht eigenständig und zum Teil abweichend von den bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen. So wurde u. a. der Einlegung eines Rechtsbehelfs keine unterbrechende, sondern nur eine hemmende Wirkung beigelegt (§ 146 a AO). Wenn der Gesetzgeber aber mit § 146 a AO eine eigene, dem § 211 Abs. 1 BGB ähnliche Vorschrift über die Hemmung durch Einlegung eines Rechtsbehelfs einfügte, ohne gleichzeitig - wie in § 211 Abs. 2 und § 212 BGB - vorzusehen, daß die Hemmungswirkung beendigt oder rückwirkend beseitigt werden kann, so brachte er damit zum Ausdruck, daß er bei der ohnehin nicht unproblematischen Gleichstellung von Klageerhebung und Erlaß eines Steuerbescheids eine derartige Regelung nicht wollte.
Im übrigen könnte aber auch bei einer entsprechenden Anwendung des in § 212 Abs. 1 BGB zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens die Klage keinen Erfolg haben. Denn wenn man schon diesen Gedanken entsprechend anwenden wollte, so müßte man auch § 212 Abs. 2 BGB entsprechend anwenden. Danach müßte die Hemmungswirkung wieder aufleben, wenn der zurückgenommene Steuerbescheid innerhalb eines halben Jahres erneut erlassen wird. Da der mit dem Bescheid vom 27. Dezember 1966 geltend gemachte Steueranspruch gleichzeitig mit der Rücknahme dieses Bescheids am 26. September 1968 erneut festgesetzt worden ist, wäre somit die Verjährung für die streitigen Abgabenforderungen nicht eingetreten.
Die Klage, mit der sich die Klägerin ausschließlich auf eine Verjährung des Abgabenanspruchs berufen hat, ist deshalb vom FG zu Recht abgewiesen worden.
Fundstellen
BStBl II 1975, 460 |
BFHE 1975, 522 |