Leitsatz (amtlich)
1. Wird Grunderwerbsteuer nacherhoben, weil der Steuerpflichtige ein erworbenes Grundstück nicht innerhalb von fünf Jahren zu dem begünstigten Zweck verwendet hat, so ist die Einziehung dieser Steuer nicht unbillig, wenn der Steuerpflichtige im Zeitpunkt des Erwerbs vorhersehen konnte, daß er infolge Nichterschließung durch die Gemeinde das Grundstück nicht fristgerecht zu dem begünstigten Zweck werde verwenden können.
2. Der Wert des Streitgegenstandes umfaßt bei einem Antrag auf Erlaß von Grunderwerbsteuer aus Billigkeitsgründen auch den gemäß Artikel 4 Abs. 3 des Bayer. GrESWG 1958 auf die Steuer erhobenen Zuschlag.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 1, § 140 Abs. 3; AO § 131; Bayer. GrESWG 1958 Art. 1 Nr. 1 Buchst. a, Art. 4 Abs. 1, 3; Bayer. GrEBBauG vom 26. Oktober 1962 Art. 2; Bayer. GrEBBauG vom 26. Oktober 1962 Art. 3; BBauG § 14 Abs. 1, §§ 15, 51 Abs. 1, § 123
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein Ingenieur, und seine Ehefrau hatten im August 1961 drei zusammenhängende, unbebaute, in dem sogenannten ....... gebiet in F. gelegene Grundstücke gekauft. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA), hatte für diese Erwerbsvorgänge gem. Art. 4 Abs. 1 und 3 des Bayerischen Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 12. November 1958 - GrESWG - (Gesetz- und Verordnungsblatt S. 330 - GVBl, 330 -) insgesamt 977,20 DM Grunderwerbsteuer und 97,70 DM Zuschlag nacherhoben, weil der Kläger die Grundstücke nicht - wie er versichert hatte - mit einem Eigenheim bebaut hatte. Die Bescheide sind bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 17. März 1969 beantragte der Kläger unter Hinweis auf die Entschließung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 9. November 1962 - S 4506 - 5/49 - 38691 - (Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen 1962 S. 1838), ihn von der Grunderwerbsteuer aus Billigkeitsgründen freizustellen. Das FA lehnte den Antrag ab; die OFD wies die Beschwerde durch Entscheidung vom 25. September 1969 als unbegründet zurück. Die erworbenen Grundstücke seien nicht - wie die erwähnte Entschließung voraussetze - "im Erwerbszeitpunkt baureif (bebauungsfähig) oder als Bauland qualifiziert" gewesen, weil die Stadt F. zu diesem Zeitpunkt noch nicht beschlossen gehabt habe, für das betreffende Gebiet einen Bebauungsplan zu erstellen. Auch sei - wie die Entschließung weiter voraussetze - die planmäßige Bebauung der Grundstücke innerhalb der Fünfjahresfrist nicht durch Umstände behindert worden, die erst nach dem Erwerbszeitpunkt eingetreten seien. Der Kläger habe von vornherein damit rechnen müssen, daß die Errichtung des Wohngebäudes längere Zeit in Anspruch nehmen könne, denn die Bebauung unerschlossener Grundstücke sei erfahrungsgemäß nicht ohne weiteres möglich.
Das FG wies die Klage durch Urteil vom 2. März 1972 ab. Zwar sei die Voraussetzung, daß das einzelne Grundstück im Erwerbszeitpunkt als Bauland qualifiziert sein müsse, zu bejahen. Denn der Stadtrat der Stadt F. habe durch Beschluß vom 15. Juni 1961 das Stadtbauamt beauftragt, für das ...... gebiet einen großzügigen Bebauungsplan auszuarbeiten. Dadurch habe sich der Stadtrat hinreichend gebunden, alsbald auch formell einen Bebauungsplan zu beschließen. Aber die beantragte Billigkeitsmaßnehme scheitere daran, daß die planmäßige Bebauung der Grundstücke innerhalb der Fünfjahresfrist nicht durch Umstände behindert worden sei, die der Erwerber nicht zu vertreten habe und die er im Zeitpunkt des Erwerbs nicht habe kennen können. Der Kläger habe vielmehr im Zeitpunkt des Erwerbs die aufgetretenen Schwierigkeiten bei der Erteilung der Baugenehmigung vorhersehen können. Ihm sei bekanntgewesen, daß die Grundstücke nicht an die öffentliche Wasserversorgung und an den Abwasserkanal angeschlossen und ein öffentlicher Zufahrtsweg noch nicht ausgebaut gewesen sei. Er habe nicht damit rechnen können, daß ihm alsbald - wie bei einem baureifen Grundstück - eine Baugenehmigung erteilt werden würde. Die lange Dauer des Baugenehmigungsverfahrens sei die Folge der beim Erwerb fehlenden Erschließung der Grundstücke gewesen; sie habe nicht etwa auf erst nach dem Erwerb eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Änderungen beruht. Im übrigen habe der Kläger die Baugenehmigung erst zu einem Zeitpunkt beantragt, an dem auch bei schneller Erteilung der Baugenehmigung mit der bezugsfertigen Errichtung eines Gebäudes innerhalb der Fünfjahresfrist nicht mehr habe gerechnet werden können.
Mit der Revision rügt der Kläger, daß das FG nicht alle für die Ermessensausübung maßgebenden Umstände berücksichtigt habe, insbesondere nicht die "Bestätigung" der Stadt F. vom 26. September 1966, worin diese ihm erklärt habe, "daß die Verzögerung bei der Bebauung der Grundstücke auf Gründe zurückzuführen" sei, "die der Käufer nicht zu vertreten" habe. Ferner habe er - entgegen der vom FG gebilligten Ansicht des FA und der OFD - im Zeitpunkt des Erwerbs der Grundstücke die Schwierigkeiten bei der Erteilung der Baugenehmigung nicht vorhersehen können. Vielmehr habe er davon ausgehen können, daß die Stadt das Gebiet, in dem die Grundstücke liegen, in absehbarer Zeit erschließen werde, denn sie habe am 15. Juni 1961 beschlossen, für dieses Gebiet einen Bebauungsplan aufzustellen. Da sie das Gebiet trotzdem nicht erschlossen habe, habe sie treuwidrig und rechtswidrig gehandelt. Es entspreche dem Willen des Gesetzgebers, in einem solchen Falle keine Grunderwerbsteuer zu erheben. Dies sei daraus zu erkennen, daß der Gesetzgeber "in Art. 4 Abs. 3 GrESWG einen Ausnahmekatalog für Vorgänge geschaffen" habe, "in denen die Nacherhebung der Steuer unterbleibt", und daß er durch Gesetz vom 13. März 1972 die in Art. 4 GrESWG erwähnte Frist von ursprünglich fünf Jahren in eine Zehnjahresfrist umgewandelt habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig.
Dem Kläger steht gem. § 115 Abs. 1 FGO gegen das Urteil des FG die Revision zu, da der Wert des Streitgegenstandes 1 000 DM übersteigt. Entgegen der Auffassung des FA sind die nach Art. 4 Abs. 3 GrESWG erhobenen Zuschläge als zusätzlicher Teil der nachzuerhebenden Steuer zum Streitgegenstand zu rechnen.
Die Revision ist nicht begründet.
Die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf unrichtiger Anwendung des § 131 AO. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift können "im Einzelfall" Steuern erlassen werden, wenn ihre Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Auch wenn - wie hier - "für bestimmte Gruppen von gleichgelagerten Fällen" eine Verwaltungsrichtlinie aufgestellt worden ist (hier: Ministerialentschließung vom 9. November 1962), kann die Steuer nur dann erlassen werden, wenn ihre Einziehung "nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre" (§ 131 Abs. 2, Abs. 1 AO; vgl. Urteil des BFH vom 9. Juli 1970 IV R 34/69, BFHE 99, 448, 460, BStBl II 1970, 696, 701). Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sachund Rechtslage ist hier nicht - wie der Kläger meint - der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG, sondern der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, also der 25. September 1969. Das FG hat die Entscheidung des FA, daß nach Lage des Falles die Einziehung der Steuer nicht unbillig sei, zutreffend als Ermessensentscheidung behandelt (vgl. Beschluß vom 19. Oktober 1971 des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603) und Ermessensfehler nicht für gegeben erachtet. In der erwähnten Entschließung vom 9. Nobember 1962 gibt das Bayerische Staatsministerium der Finanzen eine Richtlinie für die Ausübung des Ermessens in jenen Fällen, in denen "die Nachversteuerung ... zu Härten" führt, weil "die Fünfjahresfrist aus Gründen, die der Erwerber nicht zu vertreten hat, nicht eingehalten werden konnte, insbesondere infolge behördlicher Sperrmaßnahmen, die nach dem Erwerbszeitpunkt verhängt wurden". In Fällen dieser Art erklärte sich der Minister "damit einverstanden, daß im Billigkeitswege von einer Nacherhebung der Grunderwerbsteuer bei Überschreitung der Fünfjahresfrist des Art. 4 GrESWG abgesehen wird, wenn bestimmte, näher bezeichnete Voraussetzungen vorliegen". Diese Richtlinie hält sich im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung (§ 131 Abs. 2 AO, § 2 StAnpG). Daß es den Wertungen des Gesetzgebers entspricht, in Fällen dieser Art - trotz Verwirklichung des steuerschuldbegründenden Tatbestandes (Art. 4 GrESWG) - keine Grunderwerbsteuer zu erheben, hat das Staatsministerium der Finanzen zutreffend aus der in Art. 2 des Gesetzes über die grunderwerbsteuerliche Behandlung von Erwerbsvorgängen aus dem Bereich des Bundesbaugesetzes vom 26. Oktober 1962 - GrEBBauG - (GVBl, 280) getroffenen Regelung geschlossen, wonach - falls in die Fünfjahresfrist bestimmte, die Bebauung hindernde Sperrmaßnahmen fallen - mit Wegfall dieser Hinderungsgründe die Frist erneut zu laufen beginnt.
Entgegen der Ansicht des Klägers sind FA und OFD bei ihrer Ermessensausübung von dieser Richtlinie nicht abgewichen, insbesondere nicht von deren Abs. 3 Nr. 2. Danach muß "die planmäßige Bebauung des Grundstücks innerhalb der Fünfjahresfrist ... durch Umstände, die der Erwerber nicht zu vertreten hat und die er im Zeitpunkt des Erwerbs nicht kennen konnte, insbesondere wegen späterer gesetzlicher Beschränkungen oder behördlicher Maßnahmen, behindert worden sein". Diese Voraussetzung hat das FG zutreffend und in Übereinstimmung mit dem FA und der OFD nicht für gegeben erachtet. Dem Kläger war im Zeitpunkt des Erwerbs der Grundstücke bekannt, daß das Gebiet, in dem die Grundstücke lagen, noch nicht erschlossen war und die Stadt einen Bebauungsplan für dieses Gebiet noch nicht beschlossen hatte (§§ 8-12 des Bundesbaugesetzes). Es kann dahingestellt bleiben, ob - wie die Stadt in ihrer "Bestätigung" meint - "die Verzögerung bei der Bebauung der Grundstücke auf Gründe zurückzuführen" ist, die der Kläger nicht zu vertreten hat. Allein vom Kläger zu vertreten war es, wenn er an den Auftrag des Stadtrats an das Stadtbauamt, einen Bebauungsplan für das ....... gebiet auszuarbeiten, also an eine innerdienstliche Maßnahme, die Hoffnung knüpfte, der Bebauungsplan werde so rechtzeitig beschlossen werden, daß er (der Kläger) den begünstigten Zweck innerhalb der Fünfjahresfrist werde verwirklichen können, diese Hoffnung sich aber nicht erfüllte.
Der Hinweis des Klägers auf die Fälle, in denen gemäß dem neugefaßten, ab 1. Juli 1969 geltenden Art. 4 Abs. 3 GrESWG Grunderwerbsteuer nicht nacherhoben wird, kann zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung führen, weil ein solcher Fall hier nicht gegeben ist. Gleiches gilt von seinem Hinweis auf die Umwandlung der Fünfjahres- in eine Zehnjahresfrist, weil diese Regelung erst am 1. September 1971 in Kraft getreten ist, also erst nach dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebenden Zeitpunkt (25. September 1969).
Fundstellen
Haufe-Index 70616 |
BStBl II 1973, 862 |
BFHE 1974, 298 |