Leitsatz (amtlich)
Beruht eine Rentenleistung auf einer echten Unterhaltsverpflichtung und fehlt ein ausdrücklicher Verzicht auf deren Abänderbarkeit, ist im Wege der Vertragsauslegung festzustellen, ob eine Leibrente oder eine dauernde Last gegeben ist. Der aus § 323 ZPO zu entnehmende allgemeine Rechtsgedanke, daß die Leistungen den veränderten Verhältnissen und Umständen angepaßt werden können, führt in der Regel zur Annahme einer dauernden Last.
Normenkette
EStG § 22 Nr. 1
Tatbestand
Streitig ist für den Veranlagungszeitraum 1965, ob und inwieweit die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) die von ihrem im Ausland lebenden Ehemann erbrachten Unterhaltsleistungen als wiederkehrende Bezüge nach § 22 Nr. 1 EStG der Einkommensteuer zu unterwerfen hat.
Die Klägerin lebt von ihrem Ehemann getrennt und seit September 1964 im Inland. Der Ehemann hatte sich in einem Schreiben vom 13. Juli 1963 verpflichtet, an die Klägerin eine "Leibrente" in feststehenden monatlichen Raten zu zahlen, die im Falle einer Übersiedlung der Klägerin nach Deutschland entsprechend den dortigen höheren Lebenshaltungskosten geändert werden sollten. Diese Anpassung erfolgte mit monatlich 900 DM ab August 1965. Bis dahin zahlte der Ehemann umgerechnet monatlich 681,50 DM. Mit Schreiben vom 31. August 1967 teilte der Ehemann mit, daß er "immer die gleichen Beträge als Rente schicke und auch in Zukunft schicken werde".
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) zog die Unterhaltsleistungen nach Abzug des Werbungskostenpauschbetrages in vollem Umfang zur Einkommensteuer heran. Den hiergegen eingelegten Einspruch, mit dem die Klägerin gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG eine Besteuerung nach den für Leibrenten geltenden Grundsätzen erreichen wollte, wies das FA zurück. Die mit dem gleichen Begehren erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Das FG führte im wesentlichen aus:
Nach § 22 Nr. 1 Satz 2 EStG seien wiederkehrende Bezüge dem Empfänger zuzurechnen, wenn der Geber - wie im Streitfall - nicht unbeschränkt steuerpflichtig sei. Eine Besteuerung nach § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG komme nicht in Betracht. Die Unterhaltsleistungen seien nicht auf einem Rentenstammrecht begründet, weil auf die Abänderungsmöglichkeit des § 323 ZPO nicht verzichtet worden sei.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin fehlerhafte Anwendung des § 22 Nr. 1 EStG.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Die Unterhaltsbezüge der Klägerin, die sie regelmäßig von ihrem nach § 1 EStG nicht unbeschränkt steuerpflichtigen Ehemann erhält, sind als wiederkehrende Bezüge nach § 22 Nr. 1 EStG in vollem Umfang der Einkommensteuer zu unterwerfen. § 22 Nr. 1 Satz 2 EStG ist hier nicht anwendbar. Wie der Senat in seiner Entscheidung vom 27. September 1973 VIII R 71/69 (BStBl II 1974, 101), ausgeführt hat, sind wiederkehrende Bezüge, die einer gesetzlich unterhaltsberechtigten Person von einem der Steuerpflicht im Inland nicht unterliegenden oder von einem beschränkt Steuerpflichtigen gewährt werden, dem Empfänger zuzurechnen.
Die Voraussetzungen des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG, der für Leibrenten eine Besteuerung mit dem Ertragsanteil vorsieht, sind nicht gegeben.
In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, daß der Begriff der Leibrente als Begriff mit festbestimmtem bürgerlich-rechtlichen Inhalt grundsätzlich nach bürgerlichem Recht zu bestimmen ist (Urteil vom 16. Juli 1965 VI 286/64 U, BFHE 83, 225, BStBl III 1965, 582, mit weiteren Nachweisen). Danach ist die Leibrente ein einheitlich nutzbares Recht (Rentenstammrecht), das dem Berechtigten für die Lebenszeit eines Menschen eingeräumt ist und dessen Erträge als fortlaufend wiederkehrende gleichmäßige Leistungen in Geld oder vertretbaren Sachen bestehen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 7. Dezember 1966 VI 298/65, BFHE 87, 610, BStBl III 1967, 245). Dem stimmt der erkennende Senat zu.
Diesen Voraussetzungen genügt die im Streitfall gewährte Unterhaltsrente nicht. Zwar wäre die nach § 761 BGB erforderliche Schriftform gewahrt, weil ein schriftliches Versprechen auch in einem Brief erteilt werden kann (Urteil des RG vom 12. Dezember 1907 IV 221/07, RGZ 67, 204 [214]) und die stillschweigende, formlose Annahme durch den Empfänger zur Gültigkeit des Leibrentenvertrages ausreicht. Die Rechtsprechung des BFH (Urteile VI 286/64 U und vom 16. Juli 1965 VI 295/64 U, BFHE 83, 228, BStBl III 1965, 583) verlangt aber in den Fällen, in denen die Rentenverpflichtung auf einer echten Unterhaltsverpflichtung beruht, für die Annahme einer Leibrente in der Regel einen ausdrücklichen Verzicht auf die Abänderbarkeit der Rentenleistungen. Fehlt ein solcher ausdrücklicher Verzicht, so läßt sich nur im Wege der Vertragsauslegung feststellen, ob noch eine Leibrente oder ob eine dauernde Last gegeben ist. Diese Auffassung entspricht den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 25. Mai 1973 VI R 375/69 (BFHE 109, 446, BStBl II 1973, 680). Hierbei ist in der Regel davon auszugehen, daß die Merkmale einer Leibrente nur rein äußerlich und solange erfüllt sind, als nicht außerhalb des Rentenvertrages liegende Verhältnisse und Umstände die Rentenleistungen beeinflussen. Ändern sich aber diese Verhältnisse und Umstände, so gewährleistet bei Unterhaltszusagen der aus § 323 ZPO zu entnehmende allgemeine Rechtsgedanke, daß die zu erbringenden Unterhaltsleistungen entsprechend der Leistungsfähigkeit und des Unterhaltsbedürfnisses der Beteiligten als die bei der Vereinbarung der Leistungen maßgebenden Verhältnisse geändert werden können. Damit entfällt die Berechtigung für die Annahme, der Unterhaltsverpflichtete habe sich mit einer einheitlichen und gleichmäßig zu tilgenden Kapitalschuld belasten wollen, wie sie die Leibrentenleistung kennzeichnet (RG-Urteil IV 221/07).
Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die im Streitfall ein anderes Ergebnis rechtfertigten. Insbesondere kann aus der ausdrücklich vorgesehenen Anpassung der Rente an deutsche Verhältnisse im Falle der Rückkehr der Ehefrau nach Deutschland nicht geschlossen werden, daß dies die einzige Möglichkeit der Anpassung sein sollte. Es ist naheliegend, daß hier nur ein besonders wichtiger Punkt ausdrückilch geregelt werden sollte. Wenn deshalb die Vorinstanz zu der Auffassung gelangte, daß darüber hinaus eine weitere Anpassung an die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse der Beteiligten nicht ausgeschlossen sein sollte, so war diese Vertragswürdigung möglich. Ihre Berechtigung ergibt sich aus der Unterhaltspflicht des Ehemannes. Diese beruht auch bei einem im Ausland lebenden Ehegatten auf der nach bürgerlichem Recht zu beurteilenden Rechtslage (Art. 14 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch - EGBGB - vom 18. August 1896, RGBl S. 604). Danach ist der Ehemann verpflichtet, seiner getrennt lebenden Ehefrau Unterhalt in Form einer Geldrente zu gewähren, wenn die Unterhaltspflicht des Ehemannes nach der übereinstimmenden Ansicht beider Ehegatten der Billigkeit entspricht (§ 1361 Abs. 4 BGB). In diesem Falle können die Ehegatten zwar nach Art und Höhe Vereinbarungen über die Unterhaltspflicht treffen (Urteil des BGH vom 18. April 1962 IV ZR 242/61 in Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 1962 S. 360), bei wesentlichen Veränderungen des Umfangs des Lebensbedarfs und der Lebenshaltungskosten aber auch eine Erhöhung oder Herabsetzung der nach dem Gesetz geschuldeten Geldrente gemäß § 323 ZPO verlangen (Hermann Lange in Soergel-Siebert, Bürgerliches Gesetzbuch, 10. Aufl., 1971, § 1361 Bem. 20; Dietz in Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 10./11. Aufl., 1964, § 1360 Bem. 10 und § 1361 Bem. 4, 23, 24 mit weiteren Nachweisen). Entsprechend dieser gesetzlichen Regelung ist davon auszugehen, daß die Klägerin nicht auf ihr vom Gesetz eingeräumte Rechte verzichten, sondern ihren Unterhaltsanspruch nur teilweise auf eine ergänzende vertragliche Basis stellen wollte. Dann ist es unerheblich, ob der Unterhalt kraft Gesetzes oder auf Grund einer besonderen Vereinbarung geleistet wird (BFH-Ur-teil vom 6. November 1970 VI R 94/69, BFHE 100, 456, BStBl II 1971, 99). Diese tritt nicht an die Stelle der gesetzlichen Unterhaltspflicht, sondern neben sie. Der Senat braucht sich deshalb nicht mehr mit der - von der Klägerin in ihrer Revisionsbegründung abgelehnten - Ansicht der Vorinstanz auseinanderzusetzen, wonach eine Leibrente schon wegen der in der Vereinbarung ausdrücklich vorgesehenen Anpassung der im Ausland zu erbringenden Unterhaltsleistungen an die in Deutschland herrschenden Verhältnisse nicht vorliegt und gegen die in solchen Fällen vorausgesehener, einmaliger Änderungen der Vertragsgrundlage Bedenken bestehen könnten (BFH-Urteil vom 12. April 1967 I 129/64, BFHE 89, 412, BStBl III 1967, 668).
Fundstellen
Haufe-Index 70723 |
BStBl II 1974, 103 |
BFHE 1974, 37 |