Leitsatz (amtlich)
Wegen Steuerforderungen, die zur Zeit der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Steuerpflichtigen bereits begründet waren (§ 3 Abs. 1 KO), findet während der Dauer des Konkursverfahrens keine Zwangsvollstreckung statt. Einem Antrag des Steuerpflichtigen, die Vollziehung eines vor Konkurseröffnung ergangenen Steuerbescheids auszusetzen, fehlt daher das Rechtsschutzbedürfnis.
Normenkette
AO § 242 Abs. 2; FGO § 69 Abs. 2; KO §§ 12, 14
Tatbestand
Nach Ansicht des Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) schuldet der Kläger und Revisionskläger (Kläger) für das Streitjahr 1968 folgende Steuerbeträge: Einkommensteuer 625 829 DM, Kirchensteuer 62 582 DM und Ergänzungsabgabe 18 774 DM.
Über das Vermögen des Klägers wurde mit Beschluß vom 9. April 1970 das Konkursverfahren eröffnet. Das FA meldete darauf die bezeichneten Steuerforderungen zur Konkurstabelle an und erließ, nachdem die Forderungen im Prüfungstermin vom 22. Februar 1972 vom Konkursverwalter bestritten worden waren, am 16. Mai 1972 einen an den Konkursverwalter gerichteten Steuerfeststellungsbescheid (§ 226 a AO). Gegen diesen Bescheid legte der Konkursverwalter Einspruch ein, über den bisher noch nicht entschieden wurde.
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 28. Dezember 1971, die Vollziehung des "ESt-Bescheids 1968" auszusetzen. Diesen Antrag lehnte das FA ab.
Die gegen die Ablehnung des Antrags erhobene Beschwerde hatte keinen Erfolg. Auch die Klage wurde abgewiesen.
Das FG führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, die Klage sei unzulässig, weil für die vom Kläger beantragte Aussetzung der Vollziehung kein Rechtsschutzbedürfnis bestehe. Die für das Jahr 1968 festgestellten Steuerforderungen hätten während des Konkursverfahrens ohnehin nicht vollzogen werden können. Der Steuergläubiger könne seine Forderungen gemäß § 12 der Konkursordnung (KO) nur nach den Vorschriften der Konkursordnung verfolgen. Hiernach seien Einzelvollstreckungen weder in das Konkursvermögen noch in das konkursfreie Vermögen des Gemeinschuldners zulässig. Vor Vollziehungsmaßnahmen des FA sei der Kläger darüber hinaus auch noch dadurch geschützt, daß die Feststellung streitig gebliebener Forderungen nur durch das Gericht erfolgen könne. Solange eine Steuerforderung nicht auf diese Weise festgestellt sei, könne auch keine Zahlung aus der Masse erfolgen (§ 168 Nr. 1 KO). Nicht festgestellte Forderungen seien von der Verteilung ausgeschlossen (§ 152 KO). Seine Revision begründet der Kläger im wesentlichen wie folgt: Die Ausführungen des FG über das Rechtsschutzbedürfnis träfen auf seinen Fall nicht zu. Im Normalfall würden zwar die Rechte des Gemeinschuldners durch die Konkursordnung gewahrt. In seinem Fall seien jedoch "die Sicherungen der Konkursordnung durchgebrannt". Das FA habe die Konkurseröffnung erschlichen. Das Konkursverfahren sei daher nichtig.
Der Kläger beantragt, festzustellen, daß er ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage beim FG habe. Er beantragt ferner, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision kann keinen Erfolg haben.
1. Der vom Kläger mit Schreiben vom 28. Dezember 1971 gestellte Antrag, die "Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 1968" auszusetzen, ist in der mündlichen Verhandlung vor dem FG dahin ergänzt worden, daß "die Vollziehung der zu den Abgaben des Jahres 1968 ergangenen Bescheide" ausgesetzt werden sollte. Diesen Antrag hat das FG zutreffend auf alle den Kläger betreffenden einschlägigen Bescheide des Jahres 1968 (Vorauszahlungsbescheide, Feststellungsbescheid) bezogen.
2. Für den Antrag des Klägers auf Aussetzung der Vollziehung fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.
Bei der Einkommensteuer des Jahres 1968 handelt es sich - ebenso wie bei der Kirchensteuer und der Ergänzungsabgabe des Jahres 1968 - um Steueransprüche, die zur Zeit der Konkurseröffnung bereits "begründet" waren (§ 3 Abs. 1 KO), da der diese Ansprüche begründende Tatbestand bereits vor Konkurseröffnung vollständig gegeben war (vgl. hierzu Jaeger, Konkursordnung, 1958, § 3 Anm. 15 a und c). Eine - wie immer geartete - "Vollziehung" wegen dieser Ansprüche, insbesondere eine Zwangsvollstreckung, findet während der Dauer des Konkursverfahrens weder in das zur Konkursmasse gehörige noch in das sonstige Vermögen des Gemeinschuldners statt (§ 14 KO). Die Durchsetzung derartiger Ansprüche ist vielmehr nur nach Maßgabe der Vorschriften der Konkursordnung möglich (§ 12 KO). Die bereits vor der Konkurseröffnung "begründeten" Steuerforderungen gewähren also lediglich ein Recht zur Teilnahme am Konkursverfahren. Der Ausdruck "begründet" bedeutet hier nicht, daß die sachliche Begründetheit des Anspruchs schon zu Beginn des Konkursverfahrens feststehen müsse. Vielmehr wird im Konkursverfahren geprüft, ob der Anspruch besteht (§§ 138 ff. KO). Selbst ein Gläubiger, der den Konkursantrag stellt, muß seine Forderung nur glaubhaft machen (§ 105 KO).
Die Steuerforderungen müssen wie andere Konkursforderungen zur Konkurstabelle angemeldet (§§ 138 ff. KO) und - falls sie im Prüfungstermin vom Konkursverwalter oder von anderen Gläubigern bestritten werden - außerhalb des Konkursverfahrens festgestellt werden (§ 146 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 5 KO). Das geschieht in der Form, daß das Bestehen der Steuerforderungen und der Zeitpunkt ihrer Fälligkeit durch schriftlichen Bescheid und - falls der Konkursverwalter Einspruch einlegt - in einem finanzgerichtlichen Verfahren festgestellt wird (§§ 226a, 229 Nr. 12 AO; BFH-Urteil vom 27. Juli 1972 V R 62/71, BFHE 106, 419).
Wenn aber die Befriedigung der Steuergläubiger nur innerhalb des Konkurses und nur mittels des für den Konkurs vorgeschriebenen Verfahrens möglich ist (vgl. § 3 KO), dann kann ein vor Konkurseröffnung erlassener Bescheid nicht mehr "vollzogen" werden. Eine nach § 242 Abs. 2 AO (bzw. § 69 FGO) getroffene Anordnung, die Vollziehung eines solchen Bescheides auszusetzen, kann dann keinen Sinn haben. Das ergibt sich auch aus dem Wortlaut und dem Zweck der §§ 242 AO und 69 FGO. Diese Vorschriften gehen davon aus, daß Abgabebescheide grundsätzlich - d. h. auch dann, wenn ein Rechtsbehelf eingelegt ist - vollziehbar bleiben (vgl. § 242 Abs. 1 Satz 1 AO und § 69 Abs. 1 Satz 1 FGO). Zur Abwehr von Vollziehungsmaßnahmen innerhalb eines Konkursverfahrens gelten diese Vorschriften indessen nicht, da Abgabebescheide im Konkurs ohnehin ihre Vollziehbarkeit verlieren und die gegen den Gemeinschuldner gerichteten Abgabeforderungen zu ihrer Geltendmachung der konkursmäßigen Feststellung bedürfen. Dementsprechend würde auch eine Anordnung, die vom FA nach § 226a AO getroffene Feststellung in ihrer Vollziehung auszusetzen, jeder Sinn fehlen (vgl. BFH-Beschluß vom 29. September 1970 II B 22/70, BFHE 100, 140, BStBl II 1970, 830). Für einen hierauf gerichteten Antrag besteht - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - kein Rechtsschutzbedürfnis (zum Rechtsschutzbedürfnis als Voraussetzung für jedes Verfahrensbegehren vgl. Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, 10. Aufl., S. 442 f.; vgl. ferner BFH-Beschluß vom 9. Juni 1972 III B 47/71, BFHE 106, 114, BStBl II 1972, 710).
3. Die geschilderten Rechtsfolgen der Konkurseröffnung können mit der Behauptung des Klägers, das FA habe die Konkurseröffnung erschlichen, nicht aus der Welt geschafft werden. Selbst wenn diese Behauptung richtig wäre, hätte das nicht zur Folge, daß das Konkursverfahren nichtig wäre. Das Fehlen von Konkursvoraussetzungen und Mängel des Konkurseröffnungsverfahrens sind mit der sofortigen Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluß geltend zu machen. Mit der Rechtskraft dieses Beschlusses heilen die Mängel; allenfalls kommt - nach Ansicht einzelner Gerichte - eine Einstellung des Konkursverfahrens durch das Konkursgericht in Betracht (Jaeger, Konkursordnung, 8. Auflage, §§ 202, 203, Einl.).
Fundstellen
Haufe-Index 71229 |
BStBl II 1975, 208 |
BFHE 1975, 164 |