Leitsatz (amtlich)
1. Ein Hochschullehrer des Rechts, der in einem Verfassungsrechtsstreit als Prozeßbevollmächtigter vor dem Bundesverfassungsgericht auftritt, übt damit eine der eines Rechtsanwalts ähnliche Berufstätigkeit im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aus.
2. Erstattet dieser außerdem Rechtsgutachten, so sind die Einkünfte hieraus nicht als Nebeneinkünfte im Sinne von § 34 Abs. 4 EStG steuerbegünstigt.
Normenkette
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1, § 34 Abs. 4
Tatbestand
Streitig ist, ob Einkünfte des Revisionsbeklagten (Steuerpflichtigen) aus selbständiger Arbeit gemäß § 34 Abs. 4 EStG einem ermäßigten Steuersatz unterliegen.
Der Steuerpflichtige ist ordentlicher Professor der Rechte. Im Kalenderjahr 1967 erklärte er u. a. neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Einkünfte aus selbständiger Arbeit, und zwar aus freiberuflicher Tätigkeit (für Vertretung der Städte X und Y in einem Prozeß vor dem BVerfG und für die Tätigkeit als Mitglied einer Sachverständigenkommission) und aus wissenschaftlicher Tätigkeit (Honorare aus wissenschaftlich-schriftstellerischer Tätigkeit, Vortragshonorare, Prüfungsgebühren und Honorare für Rechtsgutachten). In seiner Einkommensteuererklärung 1967 beantragte der Steuerpflichtige die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gemäß § 34 Abs. 4 letzter Satz EStG für die Einkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit in Höhe der Hälfte seiner Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und aus freiberuflicher Tätigkeit. Der Revisionskläger (FA) lehnte auch in der Einspruchsentscheidung die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ab, weil nach seiner Ansicht die Einkünfte des Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger Arbeit und die Einkünfte aus der Berufstätigkeit nicht die übrigen Einkünfte überwögen (§ 34 Abs. 4 Nr. 1 EStG). Das FG hingegen billigte dem Steuerpflichtigen den ermäßigten Steuersatz gemäß § 34 Abs. 4 EStG zu. Seine Entscheidung begründete es im wesentlichen wie folgt:
Bei der Prüfung der Frage, ob die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bzw. aus einer Berufstätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG die übrigen Einkünfte überwögen, sei davon auszugehen, daß der Steuerpflichtige nach den in der mündlichen Verhandlung getroffenen Feststellungen mit der Prozeßvertretung vor dem BVerfG eine Berufstätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, und zwar die eines Anwalts oder zumindest eine dieser ähnliche Tätigkeit, ausgeübt habe. Wenn der Steuerpflichtige auch nicht selbst als Rechtsanwalt zugelassen gewesen sei, so habe er doch als Lehrer des Rechts an einer deutschen Hochschule gemäß § 22 BVerfGG als Prozeßbevollmächtigter vor dem BVerfG anstelle eines Rechtsanwalts auftreten können. Wie sich aus Rubrum und Gründen des vom Steuerpflichtigen vorgelegten Urteils des BVerfG ergebe, habe er die Städte X und Y in einem Verfassungsrechtsstreit als Bevollmächtigter vertreten. In dieser Eigenschaft habe er Klage vor dem BVerfG erhoben, sei in der mündlichen Verhandlung aufgetreten, habe plädiert und Anträge gestellt. Diese Tätigkeit unterscheide sich in nichts von der praktischen Berufsarbeit eines Rechtsanwalts. Dem stehe auch nicht entgegen, daß der Steuerpflichtige im Streitjahr nur die Städte X und Y vor dem BVerfG vertreten habe. Eine anwaltliche Tätigkeit sei nicht abhängig von einer bestimmten Anzahl von übernommenen Mandaten; es genüge vielmehr, wenn die Tätigkeit auch nur vorübergehend ausgeführt werde, d. h. wenn sie planmäßig nur einmalig oder wenige Male, jedoch mit der Absicht ausgeübt werde, sie bei sich bietender Gelegenheit zu wiederholen. Der Steuerpflichtige habe glaubhaft dargelegt, daß er die Vertretung von Parteien vor dem BVerfG zwar nur ausnahmsweise übernehme, aber je nach den Umständen des an ihn herangetragenen Falles, insbesondere wenn dieser juristisch ergiebig sei, die Annahme weiterer Prozeßmandate nicht ablehne. Bisher sei er etwa fünf- bis sechsmal vor dem BVerfG als Prozeßbevollmächtigter aufgetreten. Da sich der Steuerpflichtige durch die Prozeßvertretung freiberuflich betätigt habe, überwögen die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zusammen mit denen aus dieser Berufstätigkeit die übrigen Einkünfte. Der Ansicht des FA, daß die Gutachtertätigkeit des Steuerpflichtigen dann jedoch zu seiner anwaltlichen Tätigkeit zu rechnen sei und insoweit eine abgrenzbare, begünstigungsfähige Sondertätigkeit im Sinne von § 34 Abs. 4 EStG nicht vorliege, könne nicht gefolgt werden. Die Grundsituation sei in beiden Fällen eine völlig andere. Während die Erstattung von Rechtsgutachten durch einen praktizierenden Rechtsanwalt, die auch eine wissenschaftliche Tätigkeit darstelle, als solche aber zu der praktischen Anwaltstätigkeit gehöre, habe der Steuerpflichtige die rechtswissenschaftlichen Gutachten als Hochschullehrer erstattet, nicht aber im Rahmen der hin und wieder ausgeübten anwaltlichen Betätigung.
Nicht zu den Einkünften aus freier Berufstätigkeit, sondern zu den Nebeneinkünften aus wissenschaftlicher Tätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 4 EStG gehörten jedoch der steuerpflichtige Teil der Entschädigung, die der Steuerpflichtige als Mitglied einer Sachverständigenkommission erhalten habe. Der Beitrag, den er in dieser Eigenschaft geleistet habe, stelle zwar eine selbständig ausgeübte wissenschaftliche Tätigkeit dar, könne jedoch nicht den in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG namentlich aufgeführten freien Berufstätigkeiten zugeordnet oder ihnen gleichgestellt werden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die hiergegen vom Vorsteher des FA eingelegte Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an die Vorinstanz.
Der Senat tritt dem FG darin bei, daß es für die Frage des Überwiegens der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bzw. aus einer Berufstätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG in der Prozeßvertretung des Steuerpflichtigen vor dem BVerfG zumindest eine der Berufstätigkeit eines Rechtsanwalts ähnliche Tätigkeit sah. Nach den den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz ist der Steuerpflichtige gemäß § 22 BVerfGG als Prozeßvertreter vor dem BVerfG aufgetreten, er hat in dieser Eigenschaft Klage für die Städte X und Y erhoben. Er ist in der mündlichen Verhandlung aufgetreten, hat plädiert und Anträge gestellt. Mit Recht geht die Vorinstanz davon aus, daß sich diese Tätigkeit von der praktischen Berufsarbeit eines Rechtsanwalts nicht wesentlich unterscheidet, auch wenn er als solcher nicht zugelassen gewesen ist. Damit aber hat der Steuerpflichtige eine im Katalog des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführte oder dieser zumindest gleichgestellte Tätigkeit ausgeübt. Die Einkünfte aus einer derartigen Tätigkeit sind gemäß § 18 Abs. 2 EStG auch dann steuerpflichtig, wenn es sich nur um eine vorübergehende Tätigkeit handelt. Vorübergehend im Sinne dieser Vorschrift ist eine Tätigkeit, wenn sie planmäßig nur einmalig oder wenige Male, jedoch mit der Absicht ausgeübt wird, sie bei sich bietender Gelegenheit zu wiederholen. Dies ist beim Steuerpflichtigen der Fall, da er nach den Feststellungen der Vorinstanz etwa fünf- bis sechsmal vor dem BVerfG als Prozeßvertreter aufgetreten ist.
Der Senat vermag der Vorinstanz jedoch darin nicht zu folgen, daß sie die gutachtliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen nach § 34 Abs. 4 EStG als steuerbegünstigt anerkannte, obwohl sie den Steuerpflichtigen mit seiner Prozeßvertretung vor dem BVerfG als freiberuflich tätig ansah. Die Vorentscheidung steht insoweit in Widerspruch zu der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, der zuletzt im Urteil des BFH IV R 111/69 vom 8. Oktober 1970, BFH 100, 499, BStBl II 1971, 132, aussprach, daß in den Rahmen der Berufstätigkeit eines Anwalts die Beratung und Begutachtung auf allen Rechtsgebieten falle, daß auch ein Hochschullehrer, der nebenher eine freiberufliche Anwaltspraxis betreibe, für die Erstattung von Rechtsgutachten, die ihrem Wesensgehalt nach mit dem beruflichen Aufgabenkreis eines Anwalts in untrennbarem Zusammenhang stünden, nicht die Steuerbegünstigung des § 34 Abs. 4 EStG hierfür in Anspruch nehmen könne. Diese Rechtsprechung geht davon aus, daß eine Tätigkeit nur dann abgrenzbar ist, wenn sie sich von der hauptsächlichen freien Berufstätigkeit in einer Weise abhebt, die sie eindeutig nicht mehr als zu ihr gehörend erkennen läßt. Dabei ist die Abgrenzbarkeit in diesem Sinne nicht nur numerisch oder buchtechnisch, sondern substantiell zu verstehen. Gehört die gutachtliche Tätigkeit ihrem Wesen nach zum beruflichen Aufgabenkreis des Steuerpflichtigen, so können die Einkünfte aus der Gutachtenerstattung von den übrigen Berufseinkünften jedenfalls nicht mit der erstrebten Vergünstigungswirkung ausgeschieden werden. Wohl betraf diese Rechtsprechung bisher Fälle Rechtsgutachten erstattender, zugelassener Anwälte, bzw. von Hochschullehrern, die auch als Rechtsanwälte zugelassen waren. Der vorliegende Fall unterscheidet sich jedoch von den bisher entschiedenen nicht so grundlegend, als daß man die Abgrenzbarkeit der Nebeneinkünfte aus Gutachtertätigkeit von denen aus der Tätigkeit als Prozeßbevollmächtigter vor dem BVerfG bejahen könnte. Wohl ist der Steuerpflichtige als Prozeßbevollmächtigter vor dem BVerfG nicht als Anwalt, aber doch wie ein Anwalt aufgetreten, so daß kein Grund dafür ersichtlich ist, für den Steuerpflichtigen eine Ausnahme von der ständigen Rechtsprechung des BFH zu machen. Somit aber gehört die gutachtliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen wie bei einem Anwalt in den Rahmen seiner freiberuflichen Tätigkeit. Die Steuervergünstigung kann daher dem Steuerpflichtigen hierfür nicht zugebilligt werden, so daß die Vorentscheidung, die mit diesen Grundsätzen nicht in Einklang steht, aufgehoben werden muß.
Gleichwohl kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Es ist bisher ungeprüft geblieben, ob und inwieweit der Steuerpflichtige bei seiner wissenschaftlichen Tätigkeit Hochschuleinrichtungen unentgeltlich benutzt hat. Wäre dies der Fall, so müßten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit entsprechende Sachbezüge angesetzt werden, die dann in gleicher Höhe bei den tarifbegünstigten Einkünften aus selbständiger Arbeit als Betriebsausgaben abziehbar wären. Hierdurch könnten sich u. U. Änderungen im Verhältnis der steuerbegünstigten zu den nichtbegünstigten Einkünften ergeben (vgl. BFH-Entscheidung IV R 1/68 vom 13. November 1969, BFH 97, 306, BStBl II 1970, 117). Diese Prüfung wird das FG, an das die Sache zurückgeht, noch vorzunehmen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 69545 |
BStBl II 1971, 684 |
BFHE 1971, 367 |