Leitsatz (amtlich)
1. Das Halten eines sogenannten Absetzkippers, der von einem gewerblichen Müllabfuhrunternehmer zur Abfuhr von Müll in auswechselbaren Behältern verwendet wird, ist nicht gemäß § 2 Nr. 3 a KraftStG von der Kraftfahrzeugsteuer befreit.
2. Hat bei der Kraftfahrzeugsteuer das FA einen schriftlichen Freistellungsbescheid erteilt und stellt es nachträglich fest, daß dieser fehlerhaft ist, so hat es die Steuer neu festzusetzen, und zwar mit Wirkung nur für die Zukunft, es sei denn, daß die Voraussetzungen einer Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 AO vorliegen.
Normenkette
FGO § 100 Abs. 2 S. 1; KraftStG 1972 § 2 Nr. 3a; KraftStDV 1961 § 12 Abs. 2 S. 1; AO § 210 Abs. 3, § 222 Abs. 1 Nrn. 1, 3, § 229; BewG 1965 § 22 Abs. 3; GG Art. 12 Abs. 1 S. 2, Art. 3 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger, ein Müllabfuhrunternehmer, verwendet zur Abfuhr von Müll drei für ihn zugelassene Lastkraftwagen:
1. ..., höchstzul. Ges.-Gew. 11 100 kg, zugelassen 25. November 1964,
2. ..., höchstzul. Ges.-Gew. 11 100 kg; zugelassen 1. November 1965,
3. ..., höchstzul. Ges.-Gew. 16 600 kg; zugelassen 26. März 1973.
Jedes der Fahrzeuge besteht aus einem Daimler-Benz-Fahrgestell, auf dem ein sogenannter "Meiller-Absetzkipper" montiert ist. Nach einer Beschreibung des Absetzkippers durch den Hersteller, die der Kläger dem FA vorgelegt hat, ist für das Arbeitsprinzip des Absetzkippers kennzeichnend die "Trennbarkeit von Fahrzeug und Transportgefäß". Sie ermöglicht es, eine bestimmte Anzahl von Transportgefäßen ständig zwischen Belade- und Entladestelle verkehren zu lassen: "Während das Fahrzeug mit einem Behälter unterwegs ist, können andere beladen werden." Infolgedessen ist die Verwendung des Fahrzeugs auch dann wirtschaftlich, "wenn die Eigenart der Beladung eine größere Standzeit der Transportgefäße am Gewinnungsort erforderlich macht".
Bei der jeweiligen Steueranmeldung machte der Kläger geltend, das Halten des Fahrzeugs sei gemäß § 2 Nr. 3 a KraftStG von der Kraftfahrzeugsteuer befreit, da er das Fahrzeug ausschließlich zur Müllabfuhr verwende.
Das FA folgte zunächst dieser Ansicht und erteilte für die Fahrzeuge zu 1. und 2. eine sogenannte "Freibescheinigung ... vorbehaltlich jederzeitigen Widerrufs". Am 6. April 1973 erging eine Verfügung der OFD. Darin wurden die Finanzämter angewiesen, die früher irrtümlich ausgesprochene Steuerbefreiung für Fahrzeuge mit abnehmbaren Müllbehältern mit sofortiger Wirkung zu widerrufen. Daraufhin setzte das FA durch Bescheide vom 19. Juli 1973 die Kraftfahrzeugsteuer für die Fahrzeuge 1. und 2. ab 6. April 1973 auf je 849,40 DM (bei halbjährlicher Entrichtung) und für das Fahrzeug 3. ab Zulassung auf 1 754,80 DM (bei halbjährlicher Entrichtung) fest. Die Einsprüche wies es zurück.
Die Klage hatte nur zum Teil Erfolg. Das FG war - ebenso wie das FA - der Ansicht, daß das Halten der bezeichneten Fahrzeuge nicht gemäß § 2 Nr. 3 a KraftStG von der Steuer befreit sei, da der einzelne Behälter nicht jeweils mit dem Fahrzeug fest verbunden sei, sondern von ihm "jederzeit und leicht gelöst werden" könne, was für den Absetzkipper gerade kennzeichnend sei; außerdem eigne sich der Absetzkipper nicht nur zur Abfuhr von Müll, sondern ebenso gut zur Abfuhr von in der Industrie anfallenden Abfallprodukten wie Schrott, Chemikalien usw. Das FG hielt es jedoch für rechtswidrig, die Steuer bei den Fahrzeugen 1. und 2. mit Wirkung für die Vergangenheit festzusetzen. Es änderte dementsprechend die Steuerbescheide für diese beiden Fahrzeuge, indem es als Beginn des Entrichtungszeitraumes den Tag des Steuerbescheides (19. Juli 1973) anstatt den Tag der OFD-Verfügung (6. April 1973) zugrunde legte. Die Klage hinsichtlich des Fahrzeugs 3., bei dem der Steuerfestsetzung keine "Freibescheinigung" vorausgegangen war, wies es ab.
Mit der Revision rügt der Kläger hinsichtlich der Fahrzeuge 1. und 2., daß das FG eine Änderung der bestandskräftigen Freistellungsbescheide für zulässig erachtet habe. Eine solche Änderung sei jedoch auch für die Zukunft unzulässig, weil mit Rücksicht auf die geringe Lebensdauer eines Kraftfahrzeugs hierfür kein Bedürfnis bestehe. Der Kläger rügt ferner die unrichtige Anwendung des § 2 Nr. 3 a KraftStG. Das FG habe den Begriff "festverbundene Einrichtungen" fehlerhaft ausgelegt. Die Mulde sei eine mit dem Fahrzeug festverbundene Einrichtung, sie werde nur "gelegentlich zum Zwecke des besseren und bequemeren Be- und Entladens ... vorübergehend vom Fahrzeug gelöst". Die auf dem Fahrgestell befindlichen Hebevorrichtungen seien mit dem Fahrzeug fest verbunden und machten das Fahrzeug nur für die Müllabfuhr verwendbar. Schließlich rügt der Kläger einen "Mangel in der Beweiserhebung". Das FG habe ausgeführt, die Mulden könnten auch zu anderen Zwecken als zur Müllabfuhr verwendet werden. Das sei unrichtig. Es bestehe ein "bereits äußerlich erkennbarer Unterschied zwischen den zu einem Müllfahrzeug gehörenden Mulden und solchen, die für andere Zwecke üblicherweise benutzt werden" könnten. Der Vorsitzende des Senats hat den Kläger auf die gesetzlichen Vorschriften über Form und Frist einer Verfahrensrüge hingewiesen. Daraufhin hat der Kläger ergänzend vorgetragen, er rüge die Verletzung der §§ 81 und 82 FGO. Das FG habe es fehlerhaft unterlassen, Beweis darüber zu erheben, "ob und inwieweit die von dem Kläger benutzten Mulden von der Normalausstattung eines Absetzkippers abweichen". Soweit er diese Begründung nicht fristgerecht gegeben haben sollte, beantrage er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er sei "wegen Herzinfarkts und Herzblock nur beschränkt arbeitsfähig" und habe deshalb "übersehen, rechtzeitig eine Fristverlängerung für die Revisionsbegründung zu beantragen".
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil und die drei Kraftfahrzeugsteuerbescheide vom 19. Juli 1973 ersatzlos aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
1. Die Rüge des behaupteten Verfahrensmangels greift nicht durch. Insoweit braucht die Entscheidung nicht begründet zu werden (Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975, BGBl I, 1861, BStBl I, 932).
2. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß das Halten der Absetzkipper der Kraftfahrzeugsteuer unterliegt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 2, § 11 Abs. 1 Nr. 5 KraftStG) und hat ohne Rechtsirrtum die Voraussetzungen der Befreiungsvorschrift des § 2 Nr. 3 a Satz 3 KraftStG nicht für gegeben erachtet. Nach dieser Vorschrift ist von der Steuer u. a. befreit, das Halten von Fahrzeugen, die zur Müllabfuhr verwendet werden, vorausgesetzt, "daß sie nach ihrer Bauart und ihren besonderen, mit ihnen fest verbundenen Einrichtungen nur für die" Müllabfuhr "geeignet und bestimmt sind". Diese Voraussetzung erfüllen die vom Kläger gehaltenen Absetzkipper schon deshalb nicht, weil die Behälter (Mulden) nicht mit dem Fahrzeug fest verbunden, sondern auswechselbar sind. Es kann infolgedessen dahingestellt bleiben, ob die Absetzkipper "nur" für die Müllabfuhr geeignet sind. Im gleichen Sinne hat der erkennende Senat bereits früher entschieden, daß das Halten eines sogenannten Abgleitkippers, der von einem privaten Müllabfuhrunternehmer zur Abfuhr von Gewerbe- und Industriemüll in absetzbaren Müllbehältern verwendet wird, nicht gemäß § 2 Nr. 3 a KraftStG von der Kraftfahrzeugsteuer befreit ist (Urteil des BFH vom 23. Oktober 1974 II R 134/73, BFHE 113, 484, BStBl II 1975, 96). Diese Auslegung der Befreiungsvorschrift verstößt nicht gegen das Grundgesetz. Die Regelung, daß bei gewerblichen Müllabfuhrunternehmern nur das Halten der in § 2 Nr. 3 a Satz 3 KraftStG bezeichneten Müllspezialfahrzeuge von der Kraftfahrzeugsteuer befreit ist, ist eine Regelung der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG), die verfassungsrechtlich zulässig ist, da der Gesetzgeber mit der Beschränkung der Steuerbefreiung wichtige Belange der Allgemeinheit verfolgte. Er handelte zur "Vermeidung von Mißbräuchen und im Interesse der Hygiene" (Bundestagsdrucksache IV/1690 S. 1 f.). Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist nicht dadurch verletzt, daß in § 2 Nr. 3 a KraftStG Bund, Länder, Gemeinden, Gemeindeverbände und Zweckverbände anders behandelt werden als gewerbliche Müllabfuhrunternehmer. Denn der Gesetzgeber konnte bei den Trägern der öffentlichen Verwaltung einen mißbräuchlichen Einsatz von Müllfahrzeugen zu Gütertransportzwecken generell ausschließen. Aus diesem Grunde kann auch dahingestellt bleiben, ob die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geäußerte Befürchtung zutrifft, die Müllabfuhr werde sich für den Bürger verteuern, wenn sie von einem gewerblichen Müllabfuhrunternehmer (der die ihn belastende Kraftfahrzeugsteuer auf den Bürger abwälze) anstatt von einem Träger der öffentlichen Verwaltung (der nicht mit Kraftfahrzeugsteuer belastet sei) besorgt werde.
3. Richtig ist die Ansicht des FG, daß es sich bei den zu den Fahrzeugen 1. und 2. ergangenen "Freibescheinigungen" jeweils um eine Entscheidung des FA über die vom Kläger gemäß § 13 Abs. 1 KraftStDV geltend gemachte Steuervergünstigung handelt, die als Freistellungsbescheid zu beurteilen ist, weil durch sie der Kläger davon unterrichtet wurde, daß das FA auf Grund des geprüften Sachverhalts das Halten des bezeichneten Fahrzeugs als steuerfrei erachte und infolgedessen keine Kraftfahrzeugsteuer von ihm fordern werde. Die beiden Freistellungsbescheide durfte das FA nicht mit Wirkung für die Vergangenheit zum Nachteil des Klägers ändern, weil die Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 AO nicht gegeben waren. Durch den Widerrufsvorbehalt, den das FA den Freistellungsbescheiden beigefügt hatte, konnte es die durch Gesetz eingeschränkten Möglichkeiten einer rückwirkenden Fehlerbeseitigung nicht erweitern.
Zutreffend hat das FG es für rechtmäßig erachtet, daß das FA die beiden (aus den dargelegten Gründen fehlerhaften) Freistellungsbescheide zu den Fahrzeugen 1. und 2. geändert und für die Zukunft, d. h. ab dem 19. Juli 1973, Kraftfahrzeugsteuer festgesetzt hat. Die Befugnis hierzu läßt sich zwar nicht auf eine Norm des geschriebenen, wohl aber auf eine des ungeschriebenen, durch Ausfüllung einer Gesetzeslücke gefundenen Rechts stützen (Art. 20 Abs. 3 letzter Satzteil GG). Eine Lücke, d. h. eine planwidrige Unvollständigkeit, enthält das Gesetz insofern, als es nicht regelt, ob das FA von sich aus und ohne Zustimmung des Steuerpflichtigen einen Fehler, dessen Beseitigung die Festsetzung einer höheren Kraftfahrzeugsteuer rechtfertigen würde, mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen hat. Auf diese Frage wäre eine Antwort des Normgebers zu erwarten gewesen, weil der Kraftfahrzeugsteuerbescheid - im Gegensatz zu anderen Bescheiden (z. B. zum Umsatzsteuer- oder zum Grunderwerbsteuerbescheid) - automatisch in die Zukunft wirkt, infolgedessen bei ihm ein Fehler in der Steuerfestsetzung über die gesamte Dauer der Steuerpflicht fortwirkt, im allgemeinen also solange, bis der Eigentümer das Fahrzeug endgültig außer Betrieb setzt (§ 5 KraftStG). Es ist nicht anzunehmen, daß der Normgeber bei einem Bescheid solcher Art eine Fehlerbeseitigung nur unter den engen Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO zulassen und die Beständigkeit des einmal erlassenen Bescheids höher bewerten wollte als die materielle Richtigkeit der Besteuerung. Gegen eine solche Annahme spricht, daß nach § 12 Abs. 2 Satz 1 KraftStDV das FA "die Steuer, auch wenn die ... Steuerfestsetzung unanfechtbar geworden ist, neu festzusetzen" hat, "wenn die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung (§ 2 des Gesetzes) ... wegfallen". Einen ähnlichen Rechtsgedanken enthält § 22 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes 1965, wonach der Einheitswert einer wirtschaftlichen Einheit "auch zur Beseitigung eines Fehlers der letzten Feststellung" neu festgestellt wird (Wertfortschreibung zur Fehlerbeseitigung). Die Lücke ist dahin zu schließen, daß das FA die Steuer auch dann mit Wirkung für die Zukunft neu festzusetzen hat, wenn es nachträglich feststellt, daß der von ihm erteilte Freistellungsbescheid fehlerhaft ist.
Die im vorliegenden Falle gebotene Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer konnte das FG selbst vornehmen, weil - wie § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO voraussetzt - der angefochtene Kraftfahrzeugsteuerbescheid zu den Verwaltungsakten der in § 229 AO bezeichneten Art gehört und das Gericht einen anderen Betrag festgestellt hat. Um "einen anderen Betrag" i. S. des § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO handelt es sich auch dann, wenn - wie im vorliegenden Falle - sich zwar nicht die Höhe des festzusetzenden Kraftfahrzeugsteuerbetrages (§ 10 Abs. 1 Nr. 2, § 11 Abs. 1 Nr. 5 KraftStG), aber der Beginn des Entrichtungszeitraums geändert hat, für den der Steuerbetrag festzusetzen war (§ 12 Abs. 1 Satz 2 KraftStDV, § 13 KraftStG).
Fundstellen
Haufe-Index 71823 |
BStBl II 1976, 390 |
BFHE 1976, 246 |