Leitsatz (amtlich)
Behält sich ein Unterhaltsberechtigter bei der Übereignung seines Mietwohngrundstückes an seinen Sohn ein lebenslängliches Wohnrecht an der von ihm bereits innegehabten Wohnung vor, ohne daß dies als beschränkte persönliche Dienstbarkeit ausgestaltet worden ist, so ist der Nutzungswert der Wohnung dem Sohn zuzurechnen.
Normenkette
EStG § 21 Abs. 2, 12 Nr. 2
Tatbestand
Es ist streitig, ob dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) der Mietwert der seinem Vater unentgeltlich überlassenen Wohnung zuzurechnen ist.
Der Kläger erwarb durch notariellen Schenkungsvertrag vom 6. Juni 1967 von seinem Vater ein Mietwohngrundstück, an dem sich dieser ein lebenslängliches Wohnrecht für sich und seine Haushälterin an fünf Räumen im ersten Obergeschoß des Hauses vorbehielt. Eine dingliche Sicherung des Wohnrechts ist nicht erfolgt. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) rechnete den Nutzungswert der Wohnung unter Hinweis auf §§ 21 Abs. 2 und 12 Nr. 2 EStG dem Kläger zu.
Die Sprungklage, bei der es auch noch um andere nunmehr nicht mehr strittige Fragen ging, hatte in diesem Punkt Erfolg. Das FG ist der Ansicht: Da der Vater des Klägers im notariellen Schenkungsvertrag sich das Wohnrecht vorbehalten habe, sollte die Schenkung wirtschaftlich das Wohnrecht nicht umfassen. Die Überlassung der Wohnung stelle daher keine freiwillige Zuwendung dar, so daß der Nutzungswert unter Ablehnung des § 12 Nr. 2 EStG gemäß § 21 Abs. 2 EStG dem Vater des Klägers zuzurechnen sei. Soweit in den Urteilen des BFH vom 6. Juli 1966 VI 148/65 und VI 135/65 (BFHE 86, 676 und 650, BStBl III 1966, 622 und 650) zum Ausdruck komme, daß nur bei Einräumung eines dinglichen Wohnrechts der Nutzungswert dem Veräußerer und nicht dem Käufer gemäß § 21 Abs. 2 EStG zuzurechnen sei, folge es dieser Rechtsprechung nicht, da bei einem obligatorischen Wohnrecht die Rechtslage steuerrechtlich nicht anders beurteilt werden könne (Hinweis auf Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 10. Aufl., § 21, Anm. 16).
Mit seiner vom erkennenden Senat durch Beschluß vom 13. April 1973 VIII B 74/72 wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision macht das FA geltend, das FG verkenne die unterschiedliche Rechtslage bei einem obligatorischen und einem dinglichen Wohnrecht. Aus den vom FG erwähnten Entscheidungen des BFH sei zu entnehmen, daß die steuerrechtliche Beurteilung bei Nießbrauchs- und Wohnrechtsvereinbarungen ausschließlich an die bürgerlich-rechtliche Gestaltung anknüpfe und Einkünfte nur dann mit steuerlicher Wirkung verlagert werden könnten, wenn vorher die Einkunftsquelle formgerecht wirksam übertragen worden sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Der erkennende Senat hat nach Zulassung der Revision in dieser Sache durch Urteil vom 20. November 1973 VIII R 256/72 (BFHE 110, 561, BStBl II 1974, 163) zu der Frage Stellung genommen, von wem der Nutzungswert einer Wohnung, die im eigenen Haus unterhaltsberechtigten Personen auf Grund eines schuldrechtlichen Wohnrechts unentgeltlich überlassen wird, zu versteuern ist. Er hat sich dabei trotz schwerwiegender Bedenken der bisherigen Rechtsprechung angeschlossen, wonach dem § 12 Nr. 2 EStG gegenüber dem § 21 Abs. 2 EStG der Vorrang gebührt, so daß der Nutzungswert der einem Unterhaltsberechtigten überlassenen Wohnung vom Überlassenden zu versteuern ist. Maßgebend für die Entscheidung des erkennenden Senats war einmal die Ansicht, daß die Aufgabe des BFH als oberstes Bundesgericht auch darin bestehe, eine einheitliche Rechtsprechung zu entwickeln und nicht ohne Not von einer gefestigten Rechtsprechung abzugehen und zum anderen die geplante Neuregelung dieses Fragenkreises im neugefaßten EStG in § 56 Abs. 2 (vgl. Bundesratsdrucksache 700/73), der diese Auffassung nunmehr gesetzlich absichert. In diesem Urteil hat der erkennende Senat auch ausgeführt, daß für die steuerrechtliche Beurteilung ein obligatorisches Wohnrecht einem dinglichen nicht gleichgestellt werden könne. Die Rechtsprechung des BFH hat bisher den Nutzungswert einer einem Unterhaltsberechtigten überlassenen Wohnung nur dann dem Nutzenden zugerechnet, wenn das Wohnrecht auf eine dingliche Berechtigung gründete. Aus diesem Grunde hat der erkennende Senat auch den Nutzungswert der Wohnung dem überlassenden Unterhaltsverpflichteten zugerechnet, wenn das dingliche Recht nicht formgerecht bestellt wurde und daher unwirksam war (Urteil vom 15. Januar 1974 VIII R 115/69, BFHE 111, 472, BStBl II 1974, 351). Die Vorentscheidung übersieht hierbei, daß bei der unentgeltlichen Überlassung einer Wohnung an eine unterhaltsberechtigte Person auf Grund eines dinglichen Rechts der Nutzungswert nur deshalb dem Nutzenden zugerechnet wird, weil er hierdurch eine Einkunftsquelle übertragen bekommen hat. Das ist eben bei obligatorischen Rechten nicht der Fall. Zutreffend hat deshalb der BFH in seinem Urteil VI 148/65 auch ausgesprochen, daß die fiktiven Einkünfte nach § 21 Abs. 2 EStG derjenige zu versteuern habe, der die Wohnung kraft eigenen (dinglichen) Rechts nutzt. Solange der Vater des Klägers selbst Eigentümer war, war ihm der Nutzungswert der Wohnung nach § 21 Abs. 2 EStG zuzurechnen. Mit der Übereignung des Mietwohngrundstücks auf seinen Sohn verlor er die eigene Einkunftsquelle, so daß für ihn § 21 Abs. 2 1. Alternative EStG nicht mehr in Betracht kommt. Die Anwendung der 2. Alternative scheitert an dem Vorrang des § 12 Nr. 2 EStG. Hieraus folgt, daß der Nutzungswert der dem Vater des Klägers unentgeltlich überlassenen Wohnung dem Kläger zuzurechnen ist.
Der Nutzungswert der Wohnung ist auch entgegen der Ansicht des FG dem Vater des Klägers nicht deshalb zuzurechnen, weil er sich "das Wohnrecht vorbehalten habe". Der BFH hat zwar in seinem Urteil vom 8. August 1969 VI R 299/67 (BFHE 96, 473, BStBl II 1969, 683) in einem Fall, daß sich der Vater bei der Übereignung eines Grundstücks den Nießbrauch vorbehalten hatte, ausgesprochen, daß der Sohn dem Vater das Nießbrauchsrecht, da er es bisher nicht besessen, auch nicht übertragen habe, dieser habe es sich vielmehr bei dem Eigentumsübergang vorbehalten. Die Vorinstanz verkennt hierbei, daß an den Kläger das Eigentum übertragen worden ist, ohne daß dieses durch irgendwelche vorbehaltenen dinglichen Rechte belastet war. Der Kläger ist im vorliegenden Fall Eigentümer des Grundstücks geworden, ohne daß sich der bisherige Eigentümer einen Ausschnitt aus dem Eigentum zurückbehalten hat (vgl. insoweit Urteil des BFH vom 12. September 1969 VI R 333/67, BFHE 96, 523, BStBl II 1969, 706). Folglich ist davon auszugehen, daß der Kläger als Eigentümer des Mietwohngrundstückes seinem Vater die Wohnung unentgeltlich überläßt.
Die vorstehenden Ausführungen gelten auch, soweit auch der Haushälterin des Vaters des Klägers die Wohnung überlassen wird. Dieser gegenüber ist der Sohn zwar nicht zum Unterhalt verpflichtet. Es handelt sich aber bei der Wohnungsüberlassung um eine freiwillige Leistung, so daß insoweit ebenfalls der § 12 Nr. 2 EStG anzuwenden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 70899 |
BStBl II 1974, 457 |
BFHE 1974, 139 |