Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Stadtgemeinde Berlin (West) ist berechtigt, in denjenigen Gebietsteilen, die auf Grund einer Vereinbarung der Besatzungsmächte vom Jahre 1945 aus der sowjetischen Besatzungszone herausgenommen und in den britischen Sektor von Berlin einbezogen worden sind, die Grundsteuer zu erheben.
Normenkette
GrStG § 1
Tatbestand
Streitig ist, ob die Stadtgemeinde Berlin nach dem Stande vom 1. Januar 1953 berechtigt ist, vom Grundstück des Beschwerdeführers (Bf.) die Grundsteuer zu erheben.
Das Grundstück (ein Einfamilienhaus) liegt im Gebiet der Gemeinde Groß-Glienicke (Landkreis Osthavelland, ehemaliger Regierungsbezirk Potsdam). örtlich zuständig für die Feststellung des Einheitswerts und die Festsetzung des Grundsteuermeßbetrages war früher das Finanzamt Nauen bei Berlin (Belegenheitsfinanzamt). Der festgestellte Einheitswert betrug 11.000 RM, der festgesetzte Grundsteuermeßbetrag 88 RM (8 v. T. aus 11.000 RM). Mit Bescheid vom 12. Mai 1953 nahm jedoch das Finanzamt Spandau von Berlin seine örtliche Zuständigkeit in Anspruch und stellte für das Grundstück des Bf. zum 1. Januar 1953 durch Wertfortschreibung einen Einheitswert von 11.000 DM fest. Die Festsetzung des Grundsteuermeßbetrags ergab 55 DM (5 v. T. aus 11.000 DM) und die Festsetzung der Grundsteuer 165 DM (300 v. H. von 55 DM). Das Finanzamt Spandau begründete seine örtliche Zuständigkeit damit, daß die Steuerhoheit vom Finanzamt Nauen auf das Finanzamt Spandau übergegangen sei. Demgegenüber brachte der Bf. vor, daß er sich nicht gegen den Einheitswert als solchen und auch nicht gegen den festgestellten Grundsteuermeßbetrag wende. Er wende sich vielmehr dagegen, daß das Finanzamt Spandau überhaupt eine Bewertung des Grundstücks vorgenommen habe. Ihm (dem Bf.) sei kein Gesetz bekannt, aus dem sich ergebe, daß die Steuerhoheit für einen Teil von Groß-Glienicke (englisches Interessengebiet) hinsichtlich der Grundsteuer vom Finanzamt Nauen auf das Finanzamt Spandau übergegangen sei.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg. In der Berufung wurde erneut geltend gemacht, daß änderungen in den Gemeindegrenzen nur durch ein formgültig zustande gekommenes und ordnungsmäßig bekanntgemachtes Gesetz rechtswirksam würden. Die Grenzen der Landgemeinde Groß-Glienicke hätten nur durch Kontrollratgesetz geändert werden können. Das sei nicht geschehen. An diesem Rechtszustand habe sich auch dadurch nichts geändert, daß der östliche Teil von Groß-Glienicke Ende 1945 von der russischen Armee geräumt und den britischen Streitkräften übergeben worden sei. Nicht umsonst werde das hier in Betracht kommende Gebiet zum Unterschied zum "Britischen Sektor" von Berlin als "Britisches Interessengebiet" bezeichnet. Im übrigen sei der Befehl der britischen Militärregierung vom 11. November 1948, auf den sich die Einspruchsentscheidung stütze, durch die alliierte Anordnung vom 11. März 1952 aufgehoben worden.
Die Berufung hatte keinen Erfolg. Die Entscheidung der Vorinstanz beruht vor allem auf folgenden Erwägungen: Anläßlich der Verteilung der in und um Berlin gelegenen Flugplätze an die einzelnen Besatzungsmächte (z. B. Staaken an die russische Besatzungsmacht, Gatow an die britische Militärregierung) seien die an die Flugplätze angrenzenden Gebiete durch eine entsprechende Grenzziehung neu verteilt worden. Teile der 1920 von der Stadt Berlin übernommenen Gemeinde Staaken (genannt Weststaaken) seien der sowjetischen Besatzungsmacht unterstellt worden. Zum Austausch dafür sei der in der Nähe des Flugplatzes Gatow gelegene östliche Teil der Gemeinde Groß-Glienicke sowie der ebenfalls bis dahin nicht zu Berlin gehörende Ortsteil Weinmeisterhöhe an den "Britischen Sektor" von Berlin gefallen. Den Beschluß über den Gebietsaustausch habe der Kontrollrat am 30. August 1945 gefaßt.
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) wird darauf gestützt, daß das Verfahren an wesentlichen Mängeln leide und die angefochtene Entscheidung auf Nichtanwendung und unrichtiger Anwendung des bestehenden Rechts beruhe. Das zum tragenden Inhalt der Entscheidung gemachte Schreiben der britischen Militärregierung vom 20. März 1950 sowie die übrigen in der Entscheidung wiedergegebenen Schriftstücke vom 28. Februar 1953 und vom 6. Februar 1954 seien ihm (dem Bf.) nicht so rechtzeitig zugänglich gemacht worden, daß es möglich sei, diese Schreiben nach Zweck und Inhalt zu prüfen und zu ihnen schriftsätzlich Stellung zu nehmen. Von den angezogenen Schriftstücken habe er erstmals in der Schlußverhandlung vor dem Verwaltungsgericht erfahren. Dort seien sie auszugsweise verlesen worden. Damit sei der Fundamentalsatz jeder Prozeßführung auf richterliches Gehör verletzt. In sachlicher Hinsicht sei die angefochtene Entscheidung unzutreffend, weil die Vorinstanz den oben bezeichneten Schriftstücken eine unzutreffende Auslegung und Bedeutung beigemessen habe.
Entscheidungsgründe
Die Rb. kann keinen Erfolg haben.
Der Senat hat zunächst geprüft, ob er zur Entscheidung zuständig ist. Im vorliegenden Fall könnte zweifelhaft sein, ob über die Streitfrage im Einheitswertverfahren, im Steuermeßbetragsverfahren oder im Verfahren über die Festsetzung und Erhebung der Grundsteuer zu entscheiden ist. Da nach dem Urteil III 178/55 U vom 31. Januar 1958 (Bundessteuerblatt 1958 III S. 184) das Rechtsbeschwerdeverfahren an den Bundesfinanzhof auch insoweit gegeben ist, als die Grundsteuer (wie z. B. in Berlin) von den Finanzämtern festgesetzt und erhoben wird, ist die Zuständigkeit des Senats auf jeden Fall gegeben.
Der Einwand des Bf., daß das Verfahren an wesentlichen Mängeln leide, ist nicht begründet. Es stand dem Bf. frei, Vertagung der mündlichen Verhandlung zu betragen, wenn er die Tragweite der auszugsweise vorgelesenen Schreiben nicht sofort übersehen konnte. Abgesehen davon kann der Senat nicht anerkennen, daß die betreffenden Schreiben für die Streitfrage überhaupt von entscheidender Bedeutung sind.
Aus dem Schreiben vom 20. März 1950 ergibt sich lediglich, daß der Kontrollrat am 30. August 1945 eine neue Grenze zwischen der russischen Besatzungszone und dem "Britischen Sektor" von Berlin anläßlich des Gebietsaustausches festgelegt hat. Unter den Beteiligten besteht jedoch gar keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß besatzungsrechtlich der hier in Betracht kommende (östliche) Gebietsteil der Gemeinde Groß-Glienicke aus der russischen Besatzungszone herausgenommen und in den britischen Sektor von Berlin eingegliedert worden ist. Die Eingliederung ist - wie sich aus den Akten ergibt - Ende 1945 durchgeführt worden, indem dieser Gebietsteil von der russischen Besatzungsarmee geräumt und den britischen Streitkräften übergeben worden ist.
Im Streitfall kann dahingestellt bleiben, ob die Veränderung der Zonengrenze eine änderung der Gemeindegrenzen nach sich gezogen hat. Jedenfalls ist der Gebietsteil, in dem das Grundstück des Bf. liegt, wegen Veränderung der Zonengrenze tatsächlich in die Verwaltung von Berlin (West) einbezogen worden. In einem solchen Fall erfordert nach herrschender Rechtsauffassung (vgl. hierzu v. Schmoller, Maier und Tobler, Handbuch des Besatzungsrechts, § 24a S. 9 ff.) das öffentliche Interesse sowie das Interesse der Bewohner des aufgenommenen Gebietsteils, das für das aufnehmende Land geltende Recht auf den betreffenden Gebietsteil zu erstrecken. Demgemäß ist auch die Stadtgemeinde Berlin (West) berechtigt, vom Grundstück des Bf. die Grundsteuer zu erheben (ß 1 des Grundsteuergesetzes). Der Einwand des Bf., daß die West-Berliner Behörden den Bewohnern des streitigen Gebietsteils die den Bewohnern von West-Berlin zustehenden Rechte (z. B. das Wahlrecht) zunächst überhaupt nicht und später nur zögernd gewährt hätten, greift im Streitfalle nicht durch. Es ist nicht zu verkennen, daß es sich im Streitfall um einen außergewöhnlichen, aus der Besetzung sich ergebenden Tatbestand handelt, der offenbar von einigen behördlichen Stellen zunächst nicht ganz zutreffend beurteilt worden ist. Das kann aber auf die hier zu treffende Entscheidung keinen Einfluß haben. Im übrigen wird die festgestellte Rechtslage durch die spätere Entwicklung der Verhältnisse bestätigt. Wie aus einer dem Senat in Abschrift vorliegenden Mitteilung des Rats des Kreises Potsdam zu ersehen ist, ist inzwischen auch die Gemeinde Groß-Glienicke angewiesen worden, für "diejenigen Grundstücke, die sich in dem Teil der Gemeinde befinden, der zur Zeit britisches Interessengebiet ist keine Grundsteuer mehr zu erheben".
Fundstellen
Haufe-Index 409068 |
BStBl III 1958, 243 |
BFHE 1958, 632 |
BFHE 66, 632 |