Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuerbefreiung eines Hausgewerbetreibenden

 

Leitsatz (redaktionell)

Entscheidendes Merkmal dafür, ob ein Hausgewerbetreibender nur vorübergehend unmittelbar für den Absatzmarkt gearbeitet hat, ist die tatsächlich für diese Zwecke aufgewendete Arbeitszeit, nicht der in Rechnung gestellte Arbeitsaufwand; dabei sind von Hausgewerbetreibenden hergestellte Gegenstände, die der Auftraggeber in seinem Betrieb verwendet, um Waren für den Absatzmarkt herzustellen, zeitlich als unmittelbar für den Absatzmarkt gearbeitet anzusehen.

 

Normenkette

UStG 1951 § 4 Nr. 18; UStDB 1951 § 44; HAG § 2 Abs. 2

 

Tenor

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Finanzgericht Stuttgart zurückverwiesen.

Diesem werden die Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde und die Feststellung des Wertes des Streitgegenstands übertragen.

 

Gründe

Streitig ist für den Veranlagungszeitraum 1958, ob der Beschwerdeführer (Bf.), der als Mechanikermeister und Maschinenbauer in eigener Werkstätte durch Bohren, Drehen, Fräsen und Hobeln verschiedene Artikel aus Eisen mit unterschiedlichen Fertigungsgraden herstellt, Hausgewerbetreibender im Sinne des Heimarbeitsgesetzes (HAG) vom 14. März 1951 (Bundesgesetzblatt I S. 191) ist und demzufolge Steuerfreiheit nach § 4 Ziff. 18 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in Verbindung mit § 44 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB) beanspruchen kann.

Der Bf. gab in seiner Steuererklärung für 1958 einen Gesamtumsatz von 54.179 DM als steuerfrei gemäß § 4 Ziff. 18 UStG an. Das Finanzamt versagte die Steuerfreiheit, weil der Bf. wegen des erzielten Gewinns nicht als schutzbedürftig anzusehen sei.

Einspruch und Berufung hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht vertrat die Auffassung, es könne auf die Schutzbedürftigkeit nicht ankommen. Der Bf. sei aber nicht Hausgewerbetreibender im Sinne des HAG, weil er nicht bloß vorübergehend für den freien Absatzmarkt tätig gewesen sei, wie dies § 2 Abs. 2 Satz 2 HAG zulasse, sondern im wesentlichen Umfang. Im Jahre 1958 entfielen nämlich mindestens 18 v.H. des gesamten in Rechnung gestellten Arbeitsaufwands auf Arbeiten für Gegenstände, die die Auftraggeber des Bf. nicht weitergeliefert hätten Dies ergebe folgende Gegenüberstellung, die auf Ermittlungen eines vom Finanzgericht eingesetzten Prüfers unter Berücksichtigung der Einwendungen des Bf. beruhe:

1.

Gesamter Rechnungsausgang

55.348 DM

abzüglich der hierin enthaltenen Beträge für Rohstoffverbrauch, Bezogene Teile, Hilfs- und Betriebsstoffe, Fremdarbeitslöhne

12.478 DM

gesamter in Rechnung gestellter Arbeitsaufwand

42.870 DM.

2.

Anteiliger Rechnungsausgang für Arbeiten für Gegenstände, die die Auftraggeber nicht weiterlieferten

9.940 DM

abzüglich der hierin enthaltenen Beträge für Rohstoffverbrauch usw. (wie oben)

1.905 DM

anteiliger in Rechnung gestellter Arbeitsaufwand für Arbeiten für Gegenstände, die die Auftraggeber nicht weiterlieferten

8.035 DM.

Betrage aber der anteilige Arbeitsaufwand 18, 7 v.H. des gesamten Arbeitsaufwands, so könne von einer steuerlich unschädlichen, bloß „vorübergehenden” Tätigkeit für den Absatzmarkt nicht mehr gesprochen werden. Insoweit schließe sich das Finanzgericht den entsprechenden Ausführungen des Bundesfinanzhofs in dem Urteil IV 100/60 U vom 4. Oktober 1962 (Bundessteuerblatt – BStBl – 1963 III S. 66, Slg. Bd. 76 S. 185) an. Hiernach dürfe ein Hausgewerbetreibender nicht wesentlich mehr als 10 v.H. des von ihm im Hausgewerbe erzielten Gesamtarbeitsaufwands auf Ware oder Leistungen unmittelbar für den Absatzmarkt verwendet haben. Schon aus diesem Grunde sei der Bf. nicht Hausgewerbetreibender im Sinne des HAG, Es könne deshalb offen bleiben, inwieweit der Bf. bei der hohen Zahl seiner Auftraggeber (33) die weitere Voraussetzung des § 44 UStDB erfüllt habe, wonach nur die Hausgewerbetreibenden begünstigt sind, die überwiegend mit bestimmten Unternehmern in festem Geschäftsverkehr stehen.

Die Rechtsbeschwerde (Ab.), die der Bf. nicht begründet hat, führt zur. Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzbericht.

Nach § 4 Ziff. 18 UStG in Verbindung mit § 44 UStDB sind die Umsätze der Hausgewerbetreibenden im Sinne des HAG insoweit steuerfrei, als sie Umsätze an Unternehmer bewirken, mit denen sie in festem Geschäftsverkehr stehen. Wer Hausgewerbetreibender ist, ist in § 2 Abs. 2 HAG festgelegt. Arbeitet der Hausgewerbetreibende vorübergehend unmittelbar für den Absatzmarkt, so wird hierdurch seine Eigenschaft als Hausgewerbetreibender nicht beeinträchtigt (§ 2 Abs. 2 Satz 2 HAG).

Die Feststellungen des Finanzgerichts reichen nicht aus, um über den Streitfall abschließend zu entscheiden.

Der Senat hat sich in dem vom Finanzgericht angeführten Urteil V 54/56 U vom 13. September 1956 (BStBl 1956 III S. 328, Slg. Bd. 63 S. 344) und in dem Urteil V 318/58 vom 30. September 1960 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1961 S. 262) mit dem Begriff „vorübergehend” befaßt und für dessen Auslegung das zeitliche Moment in den Vordergrund gerückt und dabei die Umsatzzahlen ergänzend herangezogen. Der Senat ist nach wie vor der Auffassung, daß „vorübergehend” auf einen zeitlichen Vergleich, hindeutet und daß eine am Umsatzvergleich der beiden Tätigkeiten orientierte Betrachtungsweise in vielen Fällen im Ergebnis ebenfalls zu einem Vergleich der für beide Tätigkeiten aufgewendeten. Zeit führt. Der Senat stimmt ferner dem Urteil des IV. Senats IV 100/60 U vom 4. Oktober 1962 (a.a.O.) zu, das in der Gewerbesteuersache eines Hausgewerbetreibenden ergangen ist, sich aber ganz allgemein mit dem Begriff „vorübergehend” befaßt, wonach in Fällen, in denen bei der Herstellung der Ware in Lohnarbeit und bei der Anfertigung entsprechender Ware für den Absatzmarkt die gleiche Arbeitszeit für die. Stücke erforderlich ist, die Stückzahlen der hergestellten Waren einen geeigneten Aufteilungsmaßstab abgeben können.

Im Streitfalle beabsichtigte das Finanzgericht seiner Entscheidung die Auffassung zugrunde zu liegen, wie sie in dem Urteil. IV 100/60 U vom 4. Oktober 1962 (a.a.O.) vertreten wird. Das Finanzgericht hat zwar bei der Gegenüberstellung der beiden Tätigkeiten zutreffend den Materialeinsatz außer Ansatz gelassen, hat aber nicht die Arbeitszeit, die auf die Erledigung der Lohnaufträge einerseits und der „freien” Arbeiten anderseits entfällt, verglichen, sondern den „Arbeitsaufwand” der beiden Tätigkeiten, wie er in Rechnung gestellt worden ist. Eine derartige Gegenüberstellung führt aber, gleichgültig, ob nach Rechnungsausgangsbeträgen oder nach Erlösen oder umsatzmäßig orientiert, im Streitfalle zu keinem zutreffenden Vergleich der für beide Tätigkeitsbereiche aufgewendeten Arbeitszeit.

Ein nur nach dem Arbeitsaufwand ausgerichteter Vergleich kann im Streitfalle schon deshalb nicht ohne weiteres angestellt werden, weil aus den Akten nicht ersichtlich ist, welche Arbeiten der Bf. im einzelnen für seine Lohnauftraggeber ausgeführt hat, insbesondere also nicht feststeht, ob für beide Tätigkeitsbereiche Arbeiten verschiedenster Art zu erbringen waren. Auch wird ein reiner Handelsumsatz (vgl. Ziff. 3 des Betriebsprüfungsberichts vom 18. März 1963), der erlösmäßig stark ins Gewicht fällt, keine Oder mindestens weniger Arbeitszeit erfordern als die Herstellung oder Bearbeitung von Waren. Anderseits werden Reparaturen grundsätzlich mehr Arbeitszeit beanspruchen aber geringere Erlöse bringen, als dies beispielsweise bei der maschinenmäßigen Herstellung neuer Gegenstände der Fall sein wird. Es steht auch nicht fest, ob der Bf. den jeweils in Rechnung gestellten Arbeitsaufwand auf der gleichen Basis errechnet oder unterschiedliche Kalkulationen zugrunde gelegt hat, je nachdem, ob es sich um Lohnarbeiten oder „freie” Arbeiten handelte.

Da die Vorinstanz bei ihrer Entscheidung nicht auf die Arbeitszeit abgestellt hat, ist die Vorentscheidung aufzuheben.

Das Finanzbericht wird im Rahmen der begonnenen und noch nicht abgeschlossenen Betriebsprüfung festzustellen haben, welche Arbeitszeit der Bf. im Jahre 1958 für die Tätigkeit unmittelbar für den Absatzmarkt aufgewendet hat. Der Senat hätte keine Bedenken, wenn das Finanzgericht hierbei wiederum von den Rechnungsausgangsbeträgen und dem „Arbeitsaufwand” ausgeht – vorausgesetzt, daß die Arbeiten beider Tätigkeitsbereiche und die Kalkulationen des Arbeitsaufwands grundsätzlich die gleichen sind–, darüber hinaus über such noch den auf den Rohstoffverbrauch usw. angesetzten Rohaufschlag in Abzug bringt.

Das Finanzbericht wird aber noch zu prüfen haben, ob der Bf. für seine Lohnauftraggeber nicht mir Waren, hergestellt hat, die für den Absatzmarkt bestimmt waren, sondern auch oder gar in erster Linie Waren, die ihrerseits erst der Herstellung von Waren für den Absatzmarkt dienten. Die auf diese Waren entfallende Arbeitszeit wäre aber dann in entsprechender Anwendung des Urteile des Bundesfinanzhofs V 148/58 U vom 3. März 1960 (BStBl 1960 III S. 183, Slg. Bd. 70 S. 490) dem Zeitaufwand für den freien Absatzmarkt zuzurechnen.

Die Vorinstanz wird ferner, sofern sie die Eigenschaft als Hausgewerbetreibender bejaht, zu prüfen haben, inwieweit der Bf. unter Berücksichtigung der Zahl seiner Auftraggeber die Voraussetzungen des § 44 UStDB erfüllt. Sie wird schließlich festzustellen haben, ob der vom Bf. erklärte Umsatz von 54.179 DM oder der vom Prüfer in seinem Zwischenbericht angegebene Umsatz von 60.297 DM zutrifft.

Wegen der Frage der Schutzbedürftigkeit wird auf das Urteil des Senats V 17/62 U vom 23. Juli 1964, das zur Veröffentlichung im BStBl vorgesehen ist, verwiesen.

Die Übertragung der Entscheidung über die Kosten der Rb. und die Feststellung des Wertes des Streitgegenstands beruht auf § 318 Abs. 2 und § 320 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1481223

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