Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuerbefreiung eines Hausgewerbetreibenden

 

Leitsatz (redaktionell)

Wann liegt bei Hausgewerbetreibenden nur ein vorübergehendes Arbeiten unmittelbar für den Absatzmarkt vor?

 

Normenkette

UStG 1951 § 4 Nr. 18; UStDB 1951 § 44; HAG § 2 Abs. 2

 

Tenor

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Finanzgericht Stuttgart zurückverwiesen.

Diesem werden die Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde und die Feststellung des Wertes des Streitgegenstands übertragen.

 

Gründe

Streitig ist für den Veranlagungszeitraum 1959, ob der Beschwerdeführer (Bf.), der als Kürschnermeister sowohl in Lohnarbeit als auch unmittelbar für den freien Absatzmarkt tätig war, Hausgewerbetreibender im Sinne des Heimarbeitsgesetzes (HAG) vom 14. März 1951 (Bundesgesetzblatt – BGBl – 1951 I S. 191) ist und demzufolge Steuerfreiheit nach § 4 Ziff. 18 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in Verbindung mit § 44 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB) beanspruchen kann.

Der Bf. gab in seiner Steuererklärung 1959 und in der Berufungsbegründung folgende Umsätze an:

Lohnarbeiten für drei Unternehmer, mit denen er in festem Geschäftsverkehr stand:

33.263

DM

Lohnarbeiten für sechs Unternehmer, mit denen er nicht in festem Geschäftsverkehr stand:

4.732

DM

Arbeiten für den freien Absatzmarkt einschließlich 408 DM Eigenverbrauch

9.198

DM

47.193

DM

Hilfsumsätze

4.250

DM

Gesamtumsatz

51.443

DM.

Die Umsätze aus Lohnarbeiten für die drei Unternehmer, mit denen der Bf. in festem Geschäftsverkehr stand (33.263 DM), sah er als steuerfrei gemäß § 4 Ziff. 18 UStG an.

Das Finanzamt versagte die Steuerfreiheit, weil der Bf. nicht nur vorübergehend für den Absatzmarkt tätig gewesen und damit nicht mehr als Hausgewerbetreibender im Sinne des § 2 Abs. 2 HAG in Verbindung mit § 44 UStDB anzusehen sei; außerdem sei der Bf. wegen des erzielten Gewinnes nicht schutzbedürftig.

Einspruch und Berufung hatten keinen Erfolge.

Das Finanzgericht vertrat in Anlehnung an das Urteil des Senats V 54/56 U vom 13. September 1956 (Bundessteuerblatt – BStBl – 1956 III S. 328, Slg. Bd. 63 S. 344) die Auffassung, der Bf. habe nicht nur vorübergehend, sondern regelmäßig für den freien Absatzmarkt gearbeitet, weil er nach der Berechnung des Finanzgerichts rund 29 v.H. des Gesamtumsatzes (ohne Hilfsumsätze) auf dem freien Markt erzielt habe. Daß der Bf. in den Monaten April bis Juli 1959 keine Umsätze auf dem freien Absatzmarkt getätigt habe, ändere nichts an der regelmäßigen Tätigkeit für den freien Markt. Im übrigen habe er auch in den Vorjahren regelmäßig für den freien Markt unmittelbar gearbeitet.

Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) wendet sich der Bf. gegen die Auslegung des Begriffs „vorübergehend” durch die Vorinstanzen. Er macht unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens und durch Vorlage von Schreiben des Zentral verband es des Kürschnerhandwerks und der Handwerkskammer … erneut geltend, daß sowohl das Verhältnis der Umsätze für den freien Markt zum Gesamtumsatz als auch die Zusammenballung der Umsätze für den freien Markt im letzten Kalendervierteljahr 1959 für eine nur vorübergehende Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 2 HAG sprächen. Im übrigen weist der Bf. darauf hin, daß der Gesamtumsatz im Kalenderjahr 1959 nicht 51.443 DM, sondern nur 47.193 DM, und der Umsatz für den freien Absatzmarkt einschließlich der Lohnarbeiten für die sechs Unternehmer, mit denen er nicht in festem Geschäftsverkehr stand, nur 9.680 DM betragen habe und nicht 13.930 DM, weil die Hilfsumsätze (4.250 DM) irrtümlich doppelt erfaßt worden seien.

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht.

Nach § 4 Ziff. 18 UStG in Verbindung mit § 44 UStDB sind Hausgewerbetreibende im Sinne des HAG insoweit steuerfrei, als sie Umsätze an Unternehmer bewirken, mit denen sie in festem Geschäftsverkehr stehen. Gemäß § 2 Abs. 2 HAG, der den Begriff „Hausgewerbetreibender” umschreibt, darf das Gewerbe nicht mit mehr als zwei fremden Hilfskräften ausgeübt werden. Arbeitet der Hausgewerbetreibende vorübergehend unmittelbar für den Absatzmarkt, so wird hierdurch seine Eigenschaft als Hausgewerbetreibender nicht beeinträchtigt (§ 2 Abs. 2 Satz 2 HAG).

Die Feststellungen des Finanzgerichts reichen nicht aus, um über den Streitfall abschließend zu entscheiden.

Unklar ist zunächst, mit wieviel fremden Hilfskräften der Bf. im Jahre 1959 seine Tätigkeit ausgeübt hat. Wer fremde Hilfskraft im Sinne des HAG ist, ergibt sich aus § 2 Abs. 6 unter Berücksichtigung von Abs. 5 HAG (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V 96/56 S vom 4. Oktober 1956, BStBl 1956 III S. 343, Slg. Bd. 63 S. 383). Der Bf. gab in seiner Umsatzsteuererklärung für das Kalenderjahr 1959 als Beschäftigte einen Gesellen, zwei Lehrlinge und zwei Arbeiter an. Anderseits erklärte er in einer Anlage zur Bilanz auf den 31. Dezember 1959, er habe 1959 neben zwei Familienangehörigen und zwei Lehrlingen zwei fremde Kräfte beschäftigt. Es steht somit nicht zweifelsfrei fest, ob der Bf. nur zwei oder mehr als zwei fremde Hilfskräfte im Jahre 1959 beschäftigt hatte, insbesondere, ob die Familienangehörigen Mitglieder der häuslichen Gemeinschaft des Bf. waren oder nicht, was von erheblicher Bedeutung ist. Insoweit wird auf die Ausführungen in dem oben angeführten Grundsatzurteil verwiesen.

Aber auch die Gegenüber Stellung der Umsätze für den freien Absatzmarkt und der für Lohnauftraggeber reicht für sich allein nicht aus, um über die Frage der „vorübergehenden” unmittelbaren Tätigkeit für den Absatzmarkt zu entscheiden.

Der Senat hat sich in dem vom Finanzgericht angeführten Urteil V 54/56 U vom 13. September 1956 (a.a.O.) und in dem Urteil V 318/58 vom 30. September 1960 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 1961 S. 262) mit dem Begriff „vorübergehend” befaßt und für dessen Auslegung das zeitliche Moment in den Vordergrund gestellt und dabei die Umsatzzahlen ergänzend herangezogen. Dar Senat ist nach wie vor der Auffassung, daß „vorübergehend” auf einen zeitlichen Vergleich hindeutet und daß eine am Umsatzvergleich der beiden Tätigkeiten orientierte Betrachtungsweise in vielen Fällen im Ergebnis doch zu einem Vergleich der für beide Tätigkeiten aufgewendeten Arbeitszeit führt. Dies kann aber für die vorliegende Streitsache nicht ohne weiteres angenommen werden.

Geht man von den tatsächlichen Verhältnissen des Jahres 1959 aus, so hat der Bf. in den Monaten Januar, Februar, März und August wie dem geringen Umsatz von 709 DM zu entnehmen ist, fast keine, und in den Monaten April, Mai, Juni und Juli überhaupt keine Arbeitszeit für den freien Absatzmarkt verwendet. Ob in den Monaten September bis Dezember ein die Eigenschaft als Hausgewerbetreibender ausschließendes, nicht nur vorübergehendes Arbeiten unmittelbar für den Absatzmarkt vorgelegen hat, erscheint zweifelhaft und bedarf einer weiteren Sachaufklärung.

Der Bundesfinanzhof ist in dem Urteil IV 100/60 U vom 4. Oktober 1962 (BStBl. 1963 III S. 66, Slg. Bd. 76 S. 185), das in der Gewerbesteuersache eines Hausgewerbetreibenden ergangen ist, sich aber ganz allgemein, also nicht nur für die Gewerbesteuer, mit der Frage beschäftigt, unter welchen Voraussetzungen ein nur vorübergehendes Arbeiten unmittelbar für den Absatzmarkt vorliegt, zu des Ergebnis gekommen, daß, falls bei der Herstellung der Ware in Lohnarbeit und bei der Anfertigung entsprechender Ware für den Absatzmarkt, die gleiche Arbeitszeit für die Stücke erforderlich ist, die Stückzahlen der hergestellten Waren einen geeigneten Aufteilungsmaßstab abgeben können. Der Senat hält diesen Aufteilungsmaßstab in seinen Grundzügen auch für den vorliegenden Fall für anwendbar.

Der Bf. hat in den Monaten September bis Dezember 1959 in Lohnarbeit 88 Mäntel sowie 40 Paletots, Jacken und Stolen hergestellt, während er in dieser Zeit für den freien Absatzmarkt nur 5 Mäntel anfertigte. Stellt man lediglich die Zahlen der angefertigten Mäntel und damit die aufgewendeten Arbeitszeiteinheiten gegenüber, so kann man aus diesem Verhältnis auf eine nur vorübergehende Tätigkeit für den Absatzmarkt schließen.

Der Bf. hat aber in den Monaten September bis Dezember 1959 (neben geringfügigen Arbeiten in den Monaten Januar bis März und August) auch Reparaturen und Umarbeitungen für rund 3.000 DM durchgeführt. Es wird daher zu prüfen sein, welche Arbeitszeit der Bf. hierfür aufgewendet hat. Beträgt die Arbeitszeit für die fünf Mäntel und die Reparaturen einschließlich Umarbeitungen nicht mehr als rund 10 v.H. der gesamten Arbeitszeit, so spricht dies für eine bloß vorübergehende, nur gelegentliche Tätigkeit für den Absatzmarkt.

Das Finanzgericht wird den Vergleich der für beide Tätigkeiten (Arbeiten im Lohnauftrag einerseits und Arbeiten für den freien Markt anderseits) aufgewendeten Arbeitszeit auch noch darauf ausdehnen müssen, daß es die Umsätze des ganzen Jahres 1959 nach der Art der Tätigkeit (Lohnarbeiten, Eigenherstellung, Reparaturen) und die Entgelte nach ihrer Zusammensetzung (Materialanteil samt Aufschlag und Lohnanteil samt Aufschlag) prüft, um so nach dem Gesamtbild der Tätigkeit des Bf. zu entscheiden, ob er im Jahre 1959 lediglich vorübergehend unmittelbar für den Absatzmarkt gearbeitet hat. Dabei wird das Finanzgericht von den in der Rechtsbeschwerdebegründung erstmals angeführten berichtigten Umsatzzahlen auszugehen haben, wenn diese sich als zutreffend erweisen.

Im übrigen ist bei den sog. echten Hausgewerbetreibenden die Schutzbedürftigkeit nicht zu prüfen, sondern ohne weiteres zu bejahen. Insoweit wird auf das Urteil des Senats V 17/62 U vom 23. Juli 1964, das zur Veröffentlichung im BStBl vorgesehen ist, verwiesen.

Die Übertragung der Entscheidung über die Kosten der Entscheidung und die Feststellung des Wertes des Streitgegenstands beruhen auf §§ 318 Abs. 2 und 320 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1481602

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