Soll-/Ist-Besteuerung: Wer einen Wechsel beantragen darf

Unter der Rubrik "Aus der Praxis – für die Praxis" greifen wir Kundenanfragen aus den Bereichen Jahresabschluss, Buchhaltung und Steuern auf, die ein Fachautor für uns beantwortet. Heute geht es um die Frage, wer beim Finanzamt einen Antrag auf den Wechsel von der Soll- zur Ist-Besteuerung stellen darf.

Frage: Wer kann die Ist-Besteuerung beim Finanzamt beantragen?

Unternehmer müssen bei der Umsatzsteuer zwischen Soll- und Ist-Besteuerung unterscheiden. Bei der Soll-Besteuerung werden die Umsätze nach vereinbarten Entgelten versteuert. Nachteil ist, dass der Unternehmer die Umsatzsteuer in der Regel vorfinanzieren muss, weil er die Umsatzsteuer für den Voranmeldungszeitraum an das Finanzamt abführen muss, indem er sie in Rechnung gestellt hat - also auch dann, wenn der Kunde noch nicht gezahlt hat.

Antwort: Gesamtumsatz, Befreiung von der Buchführungspflicht oder freiberufliche Tätigkeit als Voraussetzungen

Bei der Ist-Besteuerung muss der Unternehmer die Umsatzsteuer nicht vorfinanzieren, weil er die Umsatzsteuer erst ans Finanzamt zahlt, nachdem die Rechnung bezahlt wurde. Jedoch darf nicht jeder Unternehmer die Ist-Besteuerung in Anspruch nehmen.

Auf Antrag des Unternehmers gestattet das Finanzamt die Ist-Besteuerung nur,

  • wenn sein Gesamtumsatz im vorangegangenen Kalenderjahr nicht mehr als 600.000 EUR betragen hat (maßgebend für den Gesamtumsatz ist die Definition in § 19 Abs. 3 UStGoder
  • wenn er von der Verpflichtung, Bücher zu führen und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen regelmäßig Abschlüsse zu machen, nach § 148 AO befreit ist, oder
  • soweit er Umsätze aus einer Tätigkeit als Angehöriger eines freien Berufs (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 UStG) ausführt.

Zum Gesamtumsatz i. S. d. § 19 Abs. 3 UStG gehören auch: 

  • die Umsätze, für die der Unternehmer als Leistungsempfänger die Umsatzsteuer schuldet (§ 13b Abs. 5 UStG),
  • die private Verwendung eines Gegenstandes, der dem Unternehmen zugeordnet, aber nicht nach § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG steuerbar ist (= private Nutzung eines Gegenstands, der dem umsatzsteuerlichen Unternehmen zugeordnet und mangels Vorsteuerabzug nicht steuerbar ist),
  • die Umsätze, die nach § 4 Nr. 8 Buchst. i, Nr. 9 Buchst. b und Nummer 11 - 29 UStG steuerfrei sind (damit gehören die meisten umsatzsteuerfreien Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, nicht zum Gesamtumsatz),
  • die Umsätze, die nach § 4 Nr. 8 Buchst. a - h, Nr. 9 Buchst. a und Nr. 10 steuerfrei sind, wenn es sich um Hilfsumsätze handelt,
  • die Umsätze des letzten Abnehmers für Lieferungen an den letzten Abnehmer in einem innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäft (§ 25b Abs. 2 UStG).

Hilfsumsätze sind somit bei der Ermittlung des Gesamtumsatzes nicht einzubeziehen. Hilfsumsätze sind Umsätze, die nicht den eigentlichen Gegenstand des Unternehmens bilden, wie z. B. der Verkauf bzw. die Entnahme von Anlagevermögen. Bei der nicht-gewerblichen Vermietung von Ferienwohnungen gehört der Verkauf eines Objekts nicht zum Gesamtumsatz. Wesentlich ist, dass die meisten umsatzsteuerfreien Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, nicht zum Gesamtumsatz gehören. So gehören z. B. alle heilberuflichen Umsätze, die nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfrei sind, nicht zum Gesamtumsatz.

Berechtigte Unternehmer und Umsatzgrenze

Für Umsätze aus einer Tätigkeit als Angehöriger eines freien Berufs kann die Ist-Besteuerung beantragt werden, wobei es keine Rolle spielt, wie hoch die Umsätze sind. Führt der Angehörige eines freien Berufs darüber hinaus noch Umsätze aus, die nicht zu seiner freiberuflichen Tätigkeit gehören, kann er die Ist-Besteuerung für diesen Teilbereich nur beantragen, wenn der Gesamtumsatz (einschl. seiner freiberuflichen Umsätze) im vorangegangenen Kalenderjahr nicht mehr als 600.000 EUR betragen hat. Aber: Die Umsätze aus der Tätigkeit als Angehöriger eines freien Berufs gehören nicht immer zum Gesamtumsatz. Die Zuordnung hängt vielmehr davon ab, ob die Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 UStG erfüllt sind. Da die meisten umsatzsteuerfreien Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, nicht zum Gesamtumsatz gehören, werden sie nicht erfasst.

Praxis-Beispiel: Ist-Besteuerung bei freiberuflichen und gewerblichen Umsätzen

Ein selbstständiger Arzt erzielt Umsätze aus seiner heilberuflichen Tätigkeit i. H. v. 640.000 EUR. Daneben erhält er für Gutachten, die nicht umsatzsteuerfrei sind, Honorare i. H. v. 55.500 EUR. Die umsatzsteuerfreien Umsätze von 640.000 EUR gehören nicht zum Gesamtumsatz i. S. d. § 19 Abs. 3 UStG. Der Gesamtumsatz beträgt deshalb nur 55.500 EUR und übersteigt damit nicht den Grenzwert von 600.000 EUR. Der Arzt kann für die Honorare aus der Gutachtertätigkeit die Ist-Besteuerung beantragen.

Hinweis: Voraussichtliche Änderung des Grenzwerts ab 2024

Der zurzeit vorliegende Entwurf des Wachstumschancengesetzes sieht ab dem ab 1.1.2024 eine Erhöhung des Grenzwerts von 600.000 EUR auf 800.000 EUR vor.


Schlagworte zum Thema:  Besteuerung, Steuererklärung, Umsatzsteuer