Leitsatz (amtlich)
Ein Gesellschaftsteuerbescheid, in dem das FA mehrere für gesellschaftsteuerpflichtig erachtete Rechtsvorgänge unaufgegliedert zusammengefaßt und für sie eine Steuer festgesetzt hat, ist in der Regel inhaltlich nicht hinreichend bestimmt und aus diesem Grunde rechtswidrig.
Normenkette
AO 1977 §§ 38, 119 Abs. 1, § 157 Abs. 1 S. 2; AO § 210 Abs. 1, § 211 Abs. 1 S. 1; StAnpG § 3 Abs. 1; FGO § 100 Abs. 1 S. 1; KVStG 1972 § 2 Abs. 1 Nr. 1; KVStG 1959 § 2 Abs. 1 Nr. 1; KVStDV 1960 §§ 4-5
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist persönlich haftende Gesellschafterin einer Kommanditgesellschaft (fortan KG) in Berlin, die am ... 1966 in das Handelsregister eingetragen worden ist. In der Folgezeit traten weitere Kommanditisten in die KG ein und leisteten Einlagen. Den Erwerb der Anteile an der KG durch die Kommanditisten beurteilte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) als gesellschaftsteuerpflichtigen Erwerb von Gesellschaftsrechten an einer inländischen Kapitalgesellschaft durch den ersten Erwerber. Es setzte hierfür die Gesellschaftsteuer durch Bescheid vom 20. Februar 1969 auf 109 562,50 DM, durch Einspruchsentscheidung vom 17. November 1970 auf 99 187,50 DM fest. In der Einspruchsentscheidung ging es davon aus, daß das Kommanditkapital am 23. Oktober 1968 nicht in Höhe von 4 382 500 DM, sondern - wie die Klägerin behauptet hatte - in Höhe von nur 3 967 500 DM "übernommen und geleistet worden" sei.
Die Klägerin hat Klage erhoben und gleichzeitig beantragt, die Vollziehung des angefochtenen Bescheids auszusetzen. Das Finanzgericht (FG) hat den Antrag abgelehnt. Auf die Beschwerde hat der Bundesfinanzhof (BFH) den Beschluß des FG aufgehoben und die Vollziehung des Steuerbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung ausgesetzt. An dessen Rechtmäßigkeit bestünden ernstliche Zweifel, weil das FA in dem Bescheid die Gesellschaftsteuer für mehrere steuerbare Vorgänge aus einem zusammengefaßten Betrag berechnet habe, anstatt jeden einzelnen Vorgang für sich zu beurteilen und die Steuer für die einzelnen Vorgänge getrennt zu berechnen und (unter Umständen in einem zusammengefaßten Bescheid) anzufordern.
Das FG hat daraufhin durch Urteil die Klage abgewiesen mit der Begründung, die im Aussetzungsverfahren aufgetauchten Bedenken des BFH stellten sich bei näherer Prüfung des Falles als nicht stichhaltig heraus. Zwar habe das FA lediglich das einbezahlte Kommanditkapital per 23. Oktober 1968 errechnet und versteuert und nicht die einzelnen Einzahlungen der Kommanditisten. Aber dieses Verfahren werde aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung geübt, da es bei den gerade in Berlin besonders zahlreichen GmbH & Co. KG mit ihren vielen Kommanditisten einen nicht vertretbaren Aufwand verursachen würde, wenn das FA jede einzelne Einzahlung durch einen Kommanditisten ermitteln und gesondert zur Steuer heranziehen würde. Dieses Verfahren bewirke keine Unklarheiten und Unsicherheiten tatsächlicher oder rechtlicher Art und sei daher nicht zu beanstanden. Im übrigen habe der BFH die in seinem Aussetzungsbeschluß angedeuteten Zweifel in späteren Entscheidungen nicht mehr aufgegriffen, obwohl es sich dort um Fälle gehandelt habe, in denen zahlreiche, namentlich nicht genannte Kommanditisten beigetreten gewesen seien.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben, ferner unzureichende Erforschung des Sachverhalts.
Die Klägerin beantragt, den Gesellschaftsteuerbescheid vom 20. Februar 1969 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. November 1970 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Aus dem BFH-Urteil vom 23. April 1975 II R 71/71 (BFHE 116, 57, BStBl II 1975, 719) sei zu entnehmen, daß die "Zusammenziehung des Kommanditkapitals" die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids nicht beeinträchtige.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, der Einspruchsentscheidung und des Steuerbescheids. Das Urteil des FG muß aufgehoben werden, weil es auf einer Verletzung des Gebots hinreichender inhaltlicher Bestimmtheit eines Verwaltungsakts beruht. Dieses Gebot ist ausdrücklich normiert in § 119 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977); früher war es abzuleiten aus § 210 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO). Schriftlich zu erteilende Steuerbescheide, zu denen auch die Gesellschaftsteuerbescheide gehören (§ 6 Abs. 2 Satz 2 der Kapitalverkehrsteuer-Durchführungsverordnung i. d. F. vom 20. April 1960 - KVStDV 1960 -), "müssen die Höhe der Steuer enthalten" (§ 211 Abs. 1 Satz 1 AO, jetzt § 157 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). "Steuer" in diesem Sinne ist nicht eine unaufgegliederte Zusammenfassung mehrerer Steuerschulden, sondern ist die einzelne Steuerschuld (vgl. BFH-Urteil vom 7. November 1973 II 201/65, BFHE 111, 548, 549, BStBl II 1974, 386, betreffend einen Gesellschaftsteuerhaftungsbescheid, und Urteil vom 23. Februar 1977 I R 243/74, BFHE 121, 307, 309, BStBl II 1977, 366, betreffend einen Körperschaftsteuerhaftungsbescheid). Die Steuerschuld entsteht bei der Gesellschaftsteuer nicht etwa - wie z. B. bei der Umsatzsteuer (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1980) - mit Ablauf eines bestimmten Zeitraums für sämtliche innerhalb dieses Zeitraums verwirklichten Rechtsvorgänge der in § 2 des Kapitalverkehrsteuergesetzes i. d. F. vom 24. Juli 1959 (KVStG 1959) bezeichneten Art, sondern sobald "der Tatbestand" verwirklicht ist, an den das Gesetz die Steuer knüpft (§ 3 Abs. 1 des früheren Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -; jetzt § 38 AO 1977). Der im vorliegenden Falle maßgebende Tatbestand war in § 2 Nr. 1 KVStG 1959 umschrieben als "der Erwerb von Gesellschaftsrechten an einer inländischen Kapitalgesellschaft durch den ersten Erwerber". Jeder Ersterwerb in diesem Sinne bildet einen abgeschlossenen Steuerfall (BFH-Beschluß vom 5. Juli 1978 II B 50/77, BFHE 125, 312, BStBl II 1978, 542). Nach den Feststellungen des FG ist der bezeichnete Tatbestand mehrmals verwirklicht worden, nämlich dadurch, daß verschiedene Personen zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich hohe Gesellschaftsrechte als erste Erwerber erworben haben. Demzufolge sind Steuerschulden durch mehrere der Steuer unterliegende Vorgänge zu jeweils unterschiedlichen Zeitpunkten und in jeweils unterschiedlicher Höhe entstanden. Sie durften vom FA nicht unaufgegliedert zusammengefaßt werden, weil sonst nicht oder nur schwer zu beurteilen wäre, z. B. wann und in welcher Höhe der einzelne Steueranspruch entstanden ist, ob und gegebenenfalls wann er verjährt ist, ob und gegebenenfalls auf welchen Rechtsvorgang ein ermäßigter Steuersatz anzuwenden ist, welcher Erwerber in welchem Umfange für die Steuer haftet, ob und gegebenenfalls hinsichtlich welchen Rechtsvorgangs ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen und in welcher Höhe demzufolge die Vollziehung des angefochtenen Bescheids auszusetzen ist (im gleichen Sinne: Egly, Gesellschaftsteuer-Kommentar, 3. Aufl., 1974 S. 259). Es ist sonach nicht richtig, daß - wie das FG meint - das vom FA geübte Verfahren keine Unklarheiten tatsächlicher oder rechtlicher Art bewirke. Gegen die Auffassung des FG spricht auch die Tatsache, daß das FA seiner Steuerberechnung zunächst ein Kommanditkapital von 4 382 500 DM, dann von 3 967 500 DM zugrunde gelegt hat, nach den Feststellungen des FG aber "bis Ende 1968 ein Kommanditkapital von 4 032 500 DM eingezahlt worden" war.
Dem Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung, den das FG in diesem Zusammenhang hervorhebt, durfte das FA nur im Rahmen des Gesetzes Rechnung tragen, z. B. in der Weise, daß es die für gesellschaftsteuerpflichtig erachteten Rechtsvorgänge in einem Bescheid zusammenfaßte und etwa in einer Anlage zum Bescheid die einzelnen ihm anzumeldenden Besteuerungssachverhalte (§§ 4, 5 KVStDV 1960) sowie die jeweils auf sie entfallende Steuer ersichtlich machte (vgl. BFHE 125, 312, BStBl II 1978, 542). Ein darüber hinausgehender, die Wertungen des Gesetzes zurückdrängender oder gar mißachtender vermeintlich einfacherer Gesetzesvollzug durch die Finanzverwaltungsbehörden wäre unzulässig (vgl. BFH-Urteil vom 20. Mai 1969 II 25/61, BFHE 96, 129, BStBl II 1969, 550). Soweit der BFH in den vom FG angeführten unveröffentlichten Urteilen und dem vom FA angeführten Urteil (BFHE 116, 57, BStBl II 1975, 719) eine andere Rechtsauffassung vertreten haben sollte, hält der Senat an ihr nicht fest. Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise vom Prinzip der Einzelbesteuerung im Gesellschaftsteuerrecht abgewichen werden darf, braucht im vorliegenden Falle nicht entschieden zu werden.
Der Senat entscheidet in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der angefochtene Bescheid und die Einspruchsentscheidung sind aufzuheben, denn sie sind aus den dargelegten Gründen rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihrem Recht auf einen inhaltlich hinreichend bestimmten Verwaltungsakt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 73473 |
BStBl II 1980, 316 |
BFHE 1980, 74 |