Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorliegen von Steuerhinterziehung
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die Annahme steuerbaren Rauchtabaks ist entscheidend, ob der nach Hitzeeinwirkung entstehende Rauch durch Einziehen in den Mundraum bzw. Inhalation genossen werden kann; nicht die Qualität des Tabaks oder seine lebensmittelrechtliche Zulassung, sondern seine Rauchbarkeit ist für die Steuerbarkeit maßgeblich.
2. Zum Vorsatz der Steuerhinterziehung gehört, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will bzw. dessen Verkürzung billigend in Kauf nimmt; bedingter Vorsatz genügt. Nimmt der Steuerpflichtige irrtümlich an, dass ein Steueranspruch nicht entstanden ist, liegt ein den Vorsatz ausschließender Tatumstandsirrtum vor.
3. Waren die Tabakwaren bereits vor dem Erwerb durch den Angeklagten steuerbar und handelte er mit zumindest bedingtem Vorsatz, so ist statt Steuerhinterziehung der Tatbestand der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei einschlägig.
Normenkette
TabStG § 1 Abs. 2 Nr. 3, § 23; AO § 370 Abs. 1 Nrn. 2-3, § 374 Abs. 1-2
Verfahrensgang
LG Würzburg (Urteil vom 27.09.2019; Aktenzeichen 420 Js 281/18 5 KLs) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 27. September 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in sieben Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 15 EUR verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 53.152 EUR angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
I.
Rz. 2
Nach den Feststellungen des Landgerichts erwarb der Angeklagte im Zeitraum vom 22. März 2018 bis zum 7. Mai 2018 in sieben Fällen sogenannte „Hand-Strips” oder „Strips” aus Italien oder Polen, um diese Tabak enthaltenden Produkte mit Gewinn weiter zu verkaufen. Insbesondere konnten diese Tabakprodukte in „Shisha-Bars” als Wasserpfeifentabak verwendet werden, und zwar, indem die Strips in den Tonkopf der Wasserpfeifen gegeben wurden. Bei den Hand-Strips wurden die Mittelrippen der getrockneten Tabakblätter entfernt, bei den Strips die getrockneten Tabakblätter geschnitten und in Tabakstreifen zerlegt. Um die Tabakblätter feucht zu halten, müssen sie mit Glycerin vermischt werden. In den Shisha-Bars wurden derart zerkleinerten Tabakblättern Trockenfrüchte oder ätherische Öle als Geschmacksträger beigefügt.
Rz. 3
Am 20. März 2018 schrieb der Angeklagte, der Glycerin erworben hatte, um den Tabak feucht zu halten (UA S. 15 dritter Absatz), per E-Mail der Zollverwaltung, ihm sei unklar, welcher Tabak als Rauchtabak im Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 6. April 2017 – C-638/15 – gemeint sei.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 4
1. Das Urteil hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Weder das Bestehen einer tabaksteuerlichen Erklärungspflicht noch der Tatvorsatz des Angeklagten sind tragfähig begründet.
Rz. 5
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts bleibt offen, ob den Angeklagten eine tabaksteuerliche Erklärungspflicht traf.
Rz. 6
aa) Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 TabStG gehört zu den steuerbaren Tabakwaren auch Rauchtabak, der geschnitten oder anders zerkleinert ist und sich ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignet.
Rz. 7
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 StR 19/16 Rn. 5 und 7 und dazu Ebner, jurisPR-Steuer R 26/2019 Anm. 4 unter C. IV. 2.) ist für die Annahme steuerbaren Rauchtabaks entscheidend, ob der nach Hitzeeinwirkung entstehende Rauch durch Einziehen in den Mundraum bzw. Inhalation genossen werden kann; nicht die Qualität des Tabaks oder seine lebensmittelrechtliche Zulassung, sondern seine Rauchbarkeit ist für die Steuerbarkeit maßgeblich (vgl. auch FG Hamburg, Urteil vom 7. Oktober 2008 – 4 K 124/08 Rn. 20 ff.; Nichtannahmebeschluss des Bundesfinanzhofs vom 30. April 2009 – VII B 243/08).
Rz. 8
bb) Der hier erworbene und weiter veräußerte Tabak sollte nicht gegärt werden (Fermentation; vgl. auch FG München, Beschluss vom 20. Januar 2020 – 14 V 1567/19 S. 9 – nicht veröffentlicht). Indes wird in der genannten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 6. April 2017 entsprechend der Vorlagefrage durch das Oberste Verwaltungsgericht der Tschechischen Republik als Voraussetzung für die Steuerbarkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. c ii und Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/64/EU des Rates vom 21. Juli 2011 über die Struktur und die Sätze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren (ABl. 2011, L 176, S. 24) genannt, dass die Tabakblätter einen ersten Trocknungsprozess durchlaufen haben und anschließend kontrolliert feucht gehalten wurden.
Rz. 9
cc) Das Landgericht hat bereits nicht ausgeschlossen, dass es sich bei der „Restfeuchtigkeit von ca. 20 %” um restliche natürliche Feuchtigkeit der Tabakblätter handelte. Nicht festgestellt ist, wie hoch der Anteil an Feuchthaltemitteln in den vom Hauptzollamt Bielefeld aufgrund dreier Testkäufe erworbenen Strips war (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 StR 19/16 Rn. 7). Deshalb kann – auch eingedenk einer möglichen anderen Konsumweise von „Shisha-Tabak” – nicht abschließend beurteilt werden, ob die bearbeiteten Tabakblätter kontrolliert feucht gehalten wurden und es sich deshalb um „Rauchtabak” im Sinne dieser Bestimmungen handelte (EuGH, Urteil vom 6. April 2017 – C-638/15 Rn. 35).
Rz. 10
b) Die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite des Angeklagten ist lückenhaft.
Rz. 11
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört zum Vorsatz der Steuerhinterziehung, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will bzw. dessen Verkürzung billigend in Kauf nimmt; bedingter Vorsatz genügt. Nimmt der Steuerpflichtige irrtümlich an, dass ein Steueranspruch nicht entstanden ist, liegt nach dieser Rechtsprechung ein Tatumstandsirrtum vor, der den Vorsatz ausschließt (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB; BGH, Urteile vom 24. Juli 2018 – 1 StR 331/17 Rn. 14; vom 10. Januar 2019 – 1 StR 347/18 Rn. 20 ff., BGHR AO § 370 Abs. 1 Vorsatz 8; vom 8. September 2011 – 1 StR 38/11 Rn. 21 ff., BGHR StGB § 16 Abs. 1 Umstand 5 und vom 10. Juli 2019 – 1 StR 265/18 Rn. 30).
Rz. 12
bb) An dieser Vorgabe gemessen ist die Beweiswürdigung lückenhaft. Denn es fehlt an der Wiedergabe der Antwort des Zollamts auf die Anfrage des Angeklagten vom 20. März 2018. So ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 6. April 2017 missverstand und deswegen den Anspruch des Staates auf Erhebung der Tabaksteuer verkannte.
Rz. 13
2. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Sollte das Landgericht nach Aufklärung des Zustands der „Strips” zur Überzeugung gelangen, dass er bereits vor Erwerb durch den Angeklagten steuerbar war und der Angeklagte mit zumindest bedingtem Vorsatz handelte, so ist statt Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 AO, § 23 TabakStG) der Tatbestand der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1 Variante 2, Abs. 2 AO) einschlägig (BGH, Urteil vom 11. Juli 2019 – 1 StR 634/18 Rn. 23, BGHSt 64, 152, 159; Beschlüsse vom 9. Juni 2011 – 1 StR 21/11 Rn. 4 f.; vom 28. Juni 2011 – 1 StR 37/11 Rn. 4 f. und vom 23. Mai 2019 – 1 StR 127/19 Rn. 4 f.).
Unterschriften
Raum, Bellay, Fischer, Bär, Leplow
Fundstellen
HFR 2021, 721 |
NStZ 2021, 301 |
NStZ 2021, 8 |
NStZ-RR 2020, 6 |
StRR 2020, 24 |
HRRS 2020, 389 |
ZWH 2021, 101 |
ZWH 2021, 103 |