Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Verfahrensgang
AGH Berlin (Beschluss vom 09.05.2001) |
Tenor
Der Antrag des Antragstellers, ihm wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluß des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs in Berlin vom 9. Mai 2001 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wird zurückgewiesen.
Die sofortige Beschwerde wird als unzulässig verworfen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 51.129,19 EUR (100.000 DM) festgesetzt.
Tatbestand
I.
Durch Verfügung vom 12. April 1999 hat die damals noch zuständige Präsidentin des Kammergerichts die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO) widerrufen. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Widerrufsbescheid hat der Anwaltsgerichtshof mit Beschluß vom 9. Mai 2001 zurückgewiesen, der dem Antragsteller am 8. Juni 2001 unter der Adresse Berlin, W. Straße durch Niederlegung zugestellt worden ist.
Mit Schriftsatz vom 23. Juli 2001, der am 2. August 2001 beim Anwaltsgerichtshof eingegangen ist, hat der Antragsteller sofortige Beschwerde eingelegt und zugleich (vorsorglich) die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist beantragt.
Entscheidungsgründe
II.
1. Der Antragsteller hat die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde versäumt. Die Frist von zwei Wochen, binnen der die sofortige Beschwerde schriftlich einzulegen war (§ 42 Abs. 4 Satz 1 BRAO), war am 8. Juni 2001 aufgrund wirksamer Ersatzzustellung nach § 182 ZPO in Gang gesetzt worden, mithin am 2. August 2001 längst abgelaufen.
Die angefochtene – nicht verkündete – Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs war dem Antragsteller nach § 40 Abs. 4 BRAO in Verbindung mit § 16 Abs. 2 Satz 1 FGG nach den für die Zustellung von Amts wegen geltenden Vorschriften der Zivilprozeßordnung – und zwar in der noch bis zum 30. Juni 2002 geltenden Fassung – bekannt zu machen. Danach ist die Zustellung des zu übergebenden Schriftstücks durch Niederlegung bei der Postanstalt, wie sie der zuständige Postbedienstete vorliegend vorgenommen hat, grundsätzlich möglich (§ 182 ZPO). Das Vorbringen des Antragstellers in der Beschwerdeschrift reicht nicht aus, Zweifel an der Wirksamkeit dieser Zustellung aufkommen zu lassen.
a) Der Antragsteller macht geltend, bei der Anschrift W. Straße handele es sich ausschließlich um seinen Kanzleisitz und somit um ein Geschäftslokal im Sinne des § 183 ZPO, so daß eine Ersatzzustellung nach § 182 ZPO unstatthaft sei.
Zwar trifft es zu, daß eine wirksame Zustellung durch Niederlegung bei der Postanstalt einen vorherigen vergeblichen Zustellungsversuch in der Wohnung des Zustellungsempfängers voraussetzt; ein lediglich im Geschäftslokal des Empfängers vorgenommener Zustellungsversuch genügt nicht (BGH, Urteil vom 5. November 1975 – VIII ZR 73/75 – NJW 1976, 149). Der Antragsteller hat aber nicht hinreichend dargelegt, daß er im Zeitpunkt der Zustellung nicht in der W. Straße gewohnt hat.
Die Zustellungsurkunde enthält den Vermerk des Postbediensteten, daß er unter der angegebenen Adresse versucht habe, die Ausfertigung des Beschlusses des Anwaltsgerichtshofs in der Wohnung des Empfängers zuzustellen. Zwar erstreckt sich die Beweiskraft der Zustellungsurkunde gemäß §§ 415, 418 i.V.m. § 195 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht darauf, daß die Tatbestandsvoraussetzungen der Wohnung vorliegen, sie begründet jedoch ein beweiskräftiges Indiz dafür, daß der Zustellungsempfänger unter der Zustellungsanschrift wohnt. Diese Indizwirkung kann nur dadurch entkräftet werden, daß objektive Umstände oder der Vortrag des Zustellungsempfängers hinreichende Zweifel an der Annahme begründen, die Zustellungsadresse sei seine Wohnung. Diesbezügliches Vorbringen ist nur beachtlich, wenn der Empfänger plausibel und schlüssig darstellt, wo er seinen konkreten Lebensmittelpunkt zum Zeitpunkt des Zustellungsversuchs hatte (vgl. Senatsbeschluß vom 17. Februar 1992 – AnwZ (B) 53/91 – NJW 1992, 1963; BVerfG, NJW 1992, 224, 226). Schon daran fehlt es. Der Antragsteller verliert kein Wort dazu, unter welcher (anderen) Adresse er am 8. Juni 2001 gewohnt hat.
Darüber hinaus wird die Indizwirkung der Zustellungsurkunde dadurch verstärkt, daß der Antragsteller im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof ein Attest über eine am 13. Februar 2001 erfolgte ambulante ärztliche Behandlung vorgelegt hat, in dem Name und Geburtsdatum des Antragstellers mit dem Zusatz „wohnhaft: W. Str., Berlin” aufgeführt ist. Des weiteren hat nach Mitteilung der Antragsgegnerin vom 9. Mai 2002 eine aktuelle Anfrage beim Landeseinwohnermeldeamt ergeben, daß der Antragsteller lediglich am Ort des Kanzleisitzes gemeldet ist.
b) Aufgrund dessen ist davon auszugehen, daß der Antragsteller unter der Zustellungsadresse wohnt oder jedenfalls zum Zeitpunkt des Zustellungsversuchs gewohnt hat. Daß diese Wohnung zugleich sein Kanzleisitz ist, steht der Wirksamkeit der Ersatzzustellung nach § 182 ZPO nicht entgegen (Zöller/Stöber, ZPO, 22. Aufl., § 182 Rn. 1; Musielak/Wolst, ZPO, 2. Aufl., § 182 Rn. 1; MünchKomm-ZPO/Wenzel, 2. Aufl., § 183 Rn. 1).
2. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist unbegründet.
Der Antragsteller hat angegeben, erst am 20. Juli 2001 von der Niederlegung des Schriftstücks Kenntnis erlangt zu haben, das am Tag zuvor von einem Bevollmächtigten auf dem Postamt abgeholt worden sei. Eine Benachrichtigung über die erfolgte Niederlegung habe er nicht erhalten. Dieses Vorbringen vermag eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu rechtfertigen.
a) Die Postzustellungsurkunde begründet nach §§ 415, 418 i.V.m. § 195 Abs. 2 Satz 3 ZPO den vollen Beweis dafür, daß der Postbedienstete, wie in der Urkunde vermerkt, die Benachrichtigung über die vorzunehmende Niederlegung in den Hausbriefkasten eingelegt hat. Daraus folgt zwar nicht, daß eine behauptete oder festzustellende Unkenntnis der Benachrichtigung zwangsläufig sorgfaltswidrig wäre; auch dürfen die Anforderungen an die Darlegung und Glaubhaftmachung einer nicht vorwerfbaren Unkenntnis nicht überspannt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2000 – X ZB 13/00 – NJW-RR 2001, 571 f und vom 15. Juni 1994 – IV ZB 6/94 – NJW 1994, 2898). Dies bedeutet aber keineswegs, daß insoweit jeder Sachvortrag entbehrlich wäre. Der Antragsteller hat sich nicht dazu geäußert, ob und durch welche Personen sein Briefkasten regelmäßig geleert wird, und welche Vorkehrungen er getroffen hat, daß eingegangene Brief- und sonstige Postsendungen sorgfältig gesichtet und ihm zeitnah vorgelegt werden. Derartiges Vorbringen ist dem Antragsteller um so mehr abzuverlangen, als er Rechtsanwalt ist und unter der angegebenen Postadresse (auch) seine Kanzlei betreibt.
b) Des weiteren hat der Antragsteller weder den (angeblichen) Postbevollmächtigten namhaft gemacht noch im einzelnen dargelegt, auf welchem Wege – wenn nicht durch Vorlage des am 8. Juni 2001 in den Briefkasten des Antragstellers eingelegten Benachrichtigungsscheins – dieser Bevollmächtigte in den Besitz des zuzustellenden Schriftstücks gelangt sein soll.
Dafür, daß zwischen dem Antragsteller und der Post vereinbart worden war, für ihn bestimmte Sendungen nicht abzuliefern, sondern zwecks Abholung durch ihn selbst oder seinen Postbevollmächtigten zu lagern, besteht kein Anhalt. Welche Umstände den Bevollmächtigten sonst dazu veranlaßt haben könnten, in Wahrnehmung seines Vertreteramtes das Postamt aufzusuchen und für den Antragsteller bestimmte Sendungen abzuholen – etwa weil aufgrund eines anderen Benachrichtigungsscheins eine weitere Postsendung abzuholen war –, bleibt unerfindlich.
Daß der Bevollmächtigte in eigenen Angelegenheiten oder im Interesse eines Dritten das Postamt aufgesucht hat und ihm bei dieser mehr oder wenigen zufälligen Gelegenheit (auch) das für den Antragsteller bestimmte und bei dem Postamt niedergelegte Schriftstück ausgehändigt worden ist, ist zwar nicht ausgeschlossen, aber so wenig wahrscheinlich, daß hiervon ohne – glaubhaft gemachte – Darlegung des Sachverhalts nicht ausgegangen werden kann.
3. Die demnach unzulässige Beschwerde kann der Senat ohne mündliche Verhandlung verwerfen (BGHZ 44, 25).
Unterschriften
Hirsch, Basdorf, Ganter, Schlick, Wüllrich, Hauger, Kappelhoff
Fundstellen