Verfahrensgang
LG Kassel (Urteil vom 28.11.2019; Aktenzeichen 2660 Js 40814/17 1 KLs) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 28. November 2019, soweit es ihn betrifft,
- im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen II. 2 bis II. 6 der Urteilsgründe sowie
- im Gesamtstrafenausspruch
aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den 27-jährigen Angeklagten wegen Erpressung, räuberischer Erpressung in vier Fällen und schwerer räuberischer Erpressung unter Einbeziehung einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete und auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs in den Fällen II. 2 bis II. 6 der Urteilsgründe, weil das Landgericht die Voraussetzungen des Strafmilderungsgrundes der Aufklärungshilfe nach § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB nicht geprüft hat, obwohl nach den Urteilsgründen dazu Anlass bestand.
Rz. 3
a) Die Strafkammer hat die Verurteilung des nicht revidierenden Mitangeklagten E. wegen mittäterschaftlicher schwerer räuberischer Erpressung im Fall II. 6 der Urteilsgründe maßgeblich auf die geständige Einlassung des Angeklagten gestützt und ausgeführt, der Angeklagte habe bereits im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung angegeben, die Tat gemeinsam mit E. und einer weiteren Person begangen zu haben. In der Strafzumessung hat die Strafkammer zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er die Taten – abgesehen von dem Beisichführen des Messers im Fall II. 6 der Urteilsgründe – schon gegenüber dem Vernehmungsbeamten im Ermittlungsverfahren ohne zu zögern eingeräumt habe.
Rz. 4
b) Damit liegt ein sachlich-rechtlicher Erörterungsmangel vor, weil nach den Urteilsgründen die Voraussetzungen des § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB, § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. k StPO im Fall II. 6 der Urteilsgründe naheliegender Weise erfüllt sein können, ohne dass die Strafkammer diese Norm geprüft und gegebenenfalls erwogen hat, ob sie von der in ihrem pflichtgemäßen Ermessen stehenden Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung Gebrauch macht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. November 2019 – 5 StR 525/19, juris Rn. 4; vom 4. Dezember 2018 – 1 StR 519/18, juris Rn. 6; vom 16. November 2017 – 3 StR 460/17, juris Rn. 15 ff. mwN).
Rz. 5
2. Der Rechtsfehler erfasst – unabhängig davon, ob sich die geständige Einlassung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren auch insoweit als Aufklärungshilfe im Sinne des § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB, § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. k StPO darstellt – ebenfalls die Strafaussprüche in den Fällen II. 2 bis II. 5 der Urteilsgründe.
Rz. 6
a) Die Aufdeckung einer Katalogtat nach § 46b Abs. 1 StGB, § 100a Abs. 2 StPO hat zur Folge, dass die fakultative Strafmilderung des § 46b Abs. 2 StGB sämtliche abgeurteilten Anlasstaten erfasst, die mit der Katalogtat in Zusammenhang stehen. Dieses Zusammenhangerfordernis ist eng auszulegen, setzt jedoch nicht voraus, dass die Taten Teil derselben prozessualen Tat sind. Ein Zusammenhang wird angenommen, wenn die eigene und die offenbarte Tat Teil eines kriminellen Gesamtgeschehens sind. Erforderlich ist ein innerer oder inhaltlicher Bezug zwischen den beiden Taten (vgl. BT-Drucks. 17/9695, S. 8 f.; BGH, Beschluss vom 3. März 2015 – 3 StR 595/14, juris Rn. 9, StV 2015, 560, 561; zu § 31 BtMG BGH, Urteil vom 20. März 2014 – 3 StR 429/13, juris Rn. 8 ff., StV 2014, 619, 620). Ein rein zeitliches und örtliches Zusammentreffen der Taten reicht ebenso wenig, wie die bloße Identität der Tatbeteiligten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Oktober 2015 – 5 StR 436/15, juris Rn. 4; vom 15. Juli 2015 – 5 StR 209/15, juris Rn. 5). Je nach konkreter Fallgestaltung, insbesondere bei enger zeitlicher Abfolge und Beteiligung derselben Täter, kann jedoch der erforderliche Zusammenhang angenommen werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Juni 2015 – 4 StR 105/15, juris Rn. 3, vom 3. März 2015 – 3 StR 595/14, aaO; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1049 ff.).
Rz. 7
b) Hieran gemessen liegt ein solcher Zusammenhang zwischen der offenbarten Tat II. 6 und den Taten II. 2 bis II. 5 der Urteilsgründe zumindest nahe. Die räuberischen Erpressungstaten in den Fällen II. 2 bis II. 6 der Urteilsgründe stehen in engem zeitlichen Zusammenhang. Sie sind alle von dem Angeklagten und seinem Mittäter E. begangen, richten sich jeweils gegen das gleiche Tatopfer und sind von einer einheitlichen Motivation der Tatbeteiligten getragen. Angesichts der kontinuierlichen Bedrohungslage weisen sie zudem eine innere Verbindung auf.
Rz. 8
c) Die Strafe im Fall II. 1 der Urteilsgründe bleibt von dem Rechtsfehler unberührt. Ungeachtet des nicht erkennbaren Zusammenhangs ist der Angeklagte insoweit nicht wegen einer Straftat verurteilt, die mit einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe bedroht ist (§ 46b Abs. 1 Satz 1 StGB).
Rz. 9
3. Der Erörterungsmangel führt zur Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen II. 2 bis II. 6 der Urteilsgründe. Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich der Erörterungsmangel bei der Bemessung der verhängten Einzelstrafen zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat (§ 337 Abs. 1 StPO); dies entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage.
Rz. 10
4. Die zugehörigen Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese nicht zu den bisherigen in Widerspruch stehen. Er wird Gelegenheit haben – genauer als bisher – die Gesamtstrafenlage mit dem Urteil des Amtsgerichts Heiligenstadt vom 10. September 2018 darzustellen. Die in einem früheren (rechtskräftigen) Urteil verhängte Strafe darf nach § 55 Abs. 1 StGB nur einbezogen werden, wenn sie zum Zeitpunkt des tatrichterlichen Sachurteils noch nicht vollstreckt, verjährt oder – im Falle einer Bewährungsstrafe – formell erlassen ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2019 – 4 StR 283/18, juris Rn. 9 mwN).
Unterschriften
Franke, Krehl, Meyberg, Grube, Schmidt
Fundstellen
Haufe-Index 14041490 |
NStZ-RR 2020, 304 |
StV 2021, 34 |
HRRS 2020, 381 |