Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluß des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. April 2001 aufgehoben.
Der Beklagten wird wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Zwickau vom 7. September 2000 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.
Beschwerdewert: 11.500 DM.
Gründe
I. Das Landgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 7. September 2000 verurteilt, an die Klägerin 11.500 DM Zug um Zug gegen Übergabe eines Kraftfahrzeugs zuzüglich Zinsen und Nebenkosten zu zahlen. Gegen das ihr am 18. Januar 2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am Montag, dem 19. Februar 2001, Berufung eingelegt. Mit Schreiben vom 21. Februar 2001 hat der Vorsitzende des Berufungsgerichts sie unter anderem auf folgendes hingewiesen:
„Der Senat ist bestrebt, gerichtliche Verfahren mit der gebotenen Beschleunigung zu behandeln und den Verhandlungstermin in der Regel spätestens sechs Wochen nach Eingang der Berufungsbegründungsschrift durchzuführen. Dies bedingt, daß Fristverlängerungen nur in den gesetzlich gebotenen Fällen gewährt werden und nicht ohne weiteres zu erwarten sind. Erschwernisse bei Korrespondenzanwälten werden in aller Regel als unerheblich erachtet, da die Prozeßführung durch den beim Oberlandesgericht Dresden zugelassenen Prozeßbevollmächtigten zu erfolgen hat. Weiterhin geht der Senat davon aus, daß der relevante Sachverhalt in der ersten Instanz vorgetragen wird und deshalb weitere Informationsbeschaffungen eine Verlängerung von Fristen grundsätzlich nicht rechtfertigen. Auch der pauschale Hinweis auf „Arbeitsüberlastung” ist nicht ausreichend. Hier sind die Gründe darzulegen, etwa welche anderen Fristsachen vorrangig zu bearbeiten sind.”
Am 19. März 2001, per Telefax bei Gericht um 12.58 Uhr eingegangen, hat der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um vier Wochen beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, er habe den Rechtsstreit in erster Instanz nur als sogenanntes Korrespondenzmandat geführt; zur Vorbereitung der Berufungsbegründung sei eine nochmalige Besprechung der gesamten Angelegenheit erforderlich, die aufgrund wechselseitiger Terminsüberschneidungen bisher noch nicht habe durchgeführt werden können.
Der Vorsitzende des Berufungsgerichts lehnte mit Verfügung vom 21. März 2001 unter Hinweis auf sein Schreiben vom 21. Februar 2001 eine Verlängerung ab. Am 22. März 2001 hat der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten die Berufung begründet, am 26. März 2001 hat er nochmals um Fristverlängerung bis 23. März 2001 gebeten und am 27. März 2001 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Das Oberlandesgericht hat durch Beschluß vom 19. April 2001 den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und gleichzeitig die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu erteilen gewesen, da die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem der Beklagten zuzurechnenden Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten beruhe. Im vorliegenden Fall habe der Berufungsklägervertreter nicht auf die Bewilligung der beantragten Verlängerung vertrauen können. Nach der ständigen Praxis des erkennenden Senats genüge der allgemeine Hinweis auf weitere Informationsbeschaffungen für eine Verlängerung von Fristen grundsätzlich nicht. Im Interesse des Verfahrensgegners rechtfertige eine pauschale, nicht überprüfbare Behauptung oder eine Nachlässigkeit bei der Informationsbeschaffung keine Verfahrensverzögerung. Die Fristverlängerung würde ins nicht überprüfbare Belieben des Berufungsklägers gestellt. Der Senat könne verschärfte Anforderungen an Fristverlängerungsanträge stellen, wenn es dem Berufungsführer ermöglicht werde, sich darauf einzustellen. Aus der Verfügung des Vorsitzenden vom 21. Februar 2001 ergebe sich, daß der pauschale Hinweis auf weitere Informationsbeschaffung nicht als ausreichend angesehen werde. Mit einer Fristverlängerung wäre daher nur zu rechnen gewesen, wenn vorgetragen worden wäre, welche Informationen aufgrund welcher konkreten Umstände ausnahmsweise noch hätten beschafft werden können.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Beklagten.
II. Das form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die Berufungsbegründungsfrist ist allerdings versäumt worden. Denn die Berufungsbegründung ist erst am 22. März 2001 und damit nach Ablauf der am 19. März 2001 endenden Rechtsmittelbegründungsfrist bei dem Berufungsgericht eingegangen.
2. Der Beklagten ist jedoch auf ihren rechtzeitig gestellten Antrag (§ 234 ZPO) gegen die Versäumung der Begründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Die Wiedereinsetzung setzt gemäß § 233 ZPO voraus, daß die Partei ohne eigenes oder ihr zurechenbares Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) verhindert war, die versäumte Frist einzuhalten. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruht entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht auf einem vorwerfbaren Verschulden des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten.
Der Rechtsmittelführer muß allerdings grundsätzlich mit dem Risiko rechnen, daß der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist versagt. Der Rechtsanwalt kann jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig erwarten, daß einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn einer der Gründe des § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO vorgetragen wird. Mit einer hiervon abweichenden Verfahrenspraxis braucht der rechtsuchende Bürger nicht zu rechnen; sie widerspricht rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung (BGH, Beschluß vom 24. Oktober 1996 – VII ZB 25/96, NJW 1997, 400 unter II 1).
Die Begründung des Oberlandesgerichts, der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten habe wegen der restriktiven Senatspraxis, auf die der Senatsvorsitzende mit Schreiben vom 21. Februar 2001 hingewiesen habe, nicht mit einem Erfolg seines Verlängerungsantrages rechnen dürfen und das gereiche ihm zum Verschulden, widerspricht rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verfahrensgestaltung. Welche Erwartungen der rechtsuchende Bürger insoweit hegen darf, richtet sich grundsätzlich nach der Rechtslage, also danach, wie das Gericht bei zutreffender Anwendung der maßgeblichen Normen verfahren müßte. Dabei ist eine bekannte Entscheidungspraxis des angerufenen Spruchkörpers zwar in die Vorausschau einzubeziehen, jedoch nur insoweit, als sie den rechtlichen Anforderungen genügt; denn auf eine rechtswidrige Spruchpraxis braucht sich der Staatsbürger nicht einzustellen (BVerfG, Beschluß vom 28. Februar 1989 – 1 BvR 649/88, NJW 1989, 1147 unter III 2).
Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten hat den Antrag damit begründet, daß mit seiner Mandantschaft eine Besprechung wegen Terminsschwierigkeiten nicht stattfinden konnte. Hierin liegt ein erheblicher Grund im Sinne des § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO. Eine Praxis, die generell einen derart anerkannten Verlängerungsgrund für nicht ausreichend hält, bewegt sich nicht mehr im Rahmen der zulässigen Ermessensausübung des Vorsitzenden. Auf sie braucht sich der Anwalt nicht einzustellen (BGH, Beschluß vom 24. Oktober 1996 aaO). Die Auffassung des Berufungsgerichts, ein Rechtsanwalt müsse im einzelnen darlegen, welche Informationen er noch von seinem Mandanten erhalten und mit ihm besprechen wolle, ist im übrigen auch mit der Stellung und der Funktion eines Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege nicht vereinbar.
3. Mit der Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird die Verwerfung der Berufung durch den angefochtenen Beschluß gegenstandslos.
Wegen der Kosten der Wiedereinsetzung wird auf § 238 Abs. 4 ZPO verwiesen.
Unterschriften
Dr. Deppert, Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Dr. Leimert, Wiechers
Fundstellen
Haufe-Index 634806 |
NJW 2001, 3552 |
SGb 2002, 167 |
VersR 2002, 1576 |