Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 15. November 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, von welcher ein Monat als verbüßt gilt. Hiergegen richtet sich die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Rz. 2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Rz. 3
Der Angeklagte suchte am 16. Juni 1997 gegen 2.30 Uhr den Kontakthof eines Bordells in Hamm auf und sprach die dort als Prostituierte tätige Zeugin H.-P. an. Er erkundigte sich bei ihr, was der Geschlechtsverkehr koste, wenn sie dabei „Strapse” trage. Auf die Erwiderung der Zeugin, dass der Preis 100 DM betrage, setzte der Angeklagte seinen Gang an den Fenstern des Kontakthofes zunächst fort, kehrte kurze Zeit später aber zu der Zeugin zurück und gab auf deren Frage, ob er jetzt zu ihr in das Zimmer kommen wolle, sein Einverständnis zu verstehen. Die Zeugin ließ den Angeklagten daraufhin in das Gebäude ein und begab sich mit ihm in ihr Zimmer. Dort fragte der Angeklagte, was man denn machen könne, wenn er mehr als 100 DM bezahle, ließ sich dann aber auf eine von der Zeugin vorgeschlagene Variante nicht ein. Schließlich forderte die Zeugin den Angeklagten auf, zunächst die vereinbarten 100 DM zu bezahlen.
Rz. 4
Der Angeklagte, der als Drosselungswerkzeug einen schwarzen Strumpf und als Fesselungsmittel zwei bereits miteinander verbundene Kabelbinder mit sich führte, war nicht bereit, der Zeugin das Geld zu geben. Er war zu diesem Zeitpunkt vielmehr entschlossen, die Zeugin mit Gewalt – unter Drosselung – zu überwältigen und anschließend zu fesseln, um dann mit ihr nach seinem Belieben zu verfahren. Er hatte vor, sie zu zwingen, entweder den ausgehandelten Geschlechtsverkehr ohne Entgelt oder die Wegnahme ihrer Einnahmen oder nacheinander beides zu dulden. Letztlich ging es ihm darum, durch Gewalt gegen das Opfer eine vermögenswerte Leistung – den sexuellen Dienst einer Prostituierten – und/oder Vermögensgegenstände des Opfers an sich zu bringen, worauf er, wie er wusste, keinen Anspruch hatte.
Rz. 5
Der Angeklagte zog nunmehr den Strumpf aus der Tasche, stieß die Zeugin auf die Schlafcouch, warf sich auf sie und begann sie zu würgen, um sie durch Drosselung mit dem Strumpf am Schreien zu hindern und sie zur Verwirklichung seiner weiter gehenden Absichten entscheidend zu schwächen. Da es dem Angeklagten auf Grund der Gegenwehr der Zeugin, die große Angst um Leib und Leben hatte und sich deshalb nach Leibeskräften wehrte, nicht gelang, den Strumpf um ihren Hals festzuziehen, setzte er seinen Entschluss weiter in die Tat um, indem er das Opfer mit bloßen Händen würgte. Als eine weitere in dem Bordell tätige Prostituierte, die durch die Schreie des Opfers auf das Geschehen aufmerksam geworden war, gemeinsam mit der Wirtschafterin des Bordells in das Zimmer des Opfers eilte und den Angeklagten anschrie, er solle aufhören und die Frau loslassen, sah sich der Angeklagte nicht mehr in der Lage, die geplante Tat zu Ende zu führen. Er ließ von dem unter ihm auf der Couch liegenden Opfer ab und ergriff die Flucht.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 6
Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils hat keinen Bestand. Die Begründung des Landgerichts für die eindeutige Verurteilung wegen eines Versuchs der schweren räuberischen Erpressung nach § 253 Abs. 1, §§ 255, 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil bei einem von der Schwurgerichtskammer für möglich gehaltenen Handlungsziel des Angeklagten – der Erzwingung des Geschlechtsverkehrs ohne Entgelt – die Tat nicht auf die Erlangung eines Vermögenswertes zum Nachteil des Tatopfers gerichtet war.
Rz. 7
1. a) Das Landgericht ist bei seiner rechtlichen Bewertung der verschiedenen in subjektiver Hinsicht alternativ angenommenen Sachverhaltsvarianten davon ausgegangen, dass es dem Angeklagten unabhängig davon, ob er den unentgeltlichen Geschlechtsverkehr oder die Preisgabe der Einnahmen des Opfers oder beides habe erzwingen wollen, um die Erlangung ungerechtfertigter Vermögensvorteile gegangen sei, auf die er keinen Anspruch gehabt habe. Dies gelte – nach Auffassung der Schwurgerichtskammer – auch dann, wenn sich sein Vorhaben darin erschöpfte, das Tatopfer zur unentgeltlichen Gewährung des Geschlechtsverkehrs zu zwingen, weil sexuelle Dienstleistungen einer Prostituierten, die grundsätzlich nur gegen Entgelt erbracht werden, nach inzwischen gewandelter Einstellung der Rechtsgemeinschaft als vermögenswerte Leistung anzusehen seien.
Rz. 8
b) Dieser Ansicht des Landgerichts vermag der Senat nicht zu folgen. Dabei kann offen bleiben, ob und inwieweit das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten – Prostitutionsgesetz – vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3983) einen schon im Tatzeitraum eingetretenen Wandel in der gesellschaftlichen und rechtlichen Bewertung der Ausübung der Prostitution zum Ausdruck gebracht hat (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der Prostituierten, BT-Drucks. 14/5958, S. 4; einerseits BGH, Beschluss vom 7. Mai 2003 – 5 StR 536/02, StV 2003, 616; Urteil vom 13. Juli 2006 – I ZR 241/03, BGHZ 168, 314, 318 f.; andererseits Beschluss vom 18. Januar 2011 – 3 StR 467/10, NStZ 2011, 278; zum Streitstand Fischinger in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2011, Anh. zu § 138: § 1 ProstG Rn. 10 ff.). Denn auch die Regelungen des Prostitutionsgesetzes haben nichts daran geändert, dass jedwede bindende Verpflichtung zur Vornahme sexueller Handlungen mit dem in Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz der Menschenwürde unvereinbar ist und nicht rechtswirksam begründet werden kann (vgl. Fischinger aaO Rn. 15; MüKoBGB/Armbrüster, 6. Aufl., § 138 Rn. 57 und § 1 ProstG Rn. 7, 19). Von einer durch die Rechtsordnung nicht missbilligten Dienstleistung, die typischerweise gegen Entgelt erbracht wird und deshalb im Rahmen einer entgeltlichen Vertragsbeziehung als Vermögensbestandteil anzusehen ist (vgl. zu § 263 StGB BGH, Urteil vom 18. Januar 2001 – 4 StR 315/00, NStZ 2001, 258; Beschluss vom 28. April 1987 – 5 StR 566/86, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermögen 1; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 98, 102; vgl. auch BGH, Beschluss vom 2. Mai 2001 – 2 StR 128/01, NStZ 2001, 534), kann daher allenfalls bei freiwillig erbrachten sexuellen Handlungen einer Prostituierten die Rede sein. Nichts anderes ergibt sich aus der erst nach der Tat am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Regelung des § 1 Satz 1 ProstG. Danach erwirbt eine Prostituierte erst dann eine rechtswirksame Forderung, wenn die sexuelle Handlung gegen ein vorher vereinbartes Entgelt vorgenommen worden ist. Die Erpressung einer Prostituierten in der Form, dass ihr der Verzicht auf das vereinbarte Entgelt abgenötigt werden soll, kommt demgemäß nur in Betracht, wenn die abgesprochene sexuelle Handlung zuvor einvernehmlich erbracht worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 2011 – 3 StR 467/10 aaO). Dem gegen den Willen der Prostituierten erzwungenen Geschlechtsverkehr kommt hiergegen kein Vermögenswert im Sinne des § 253 Abs. 1 StGB zu (vgl. Zimmermann, NStZ 2012, 211, 213). Die Rechtsgutverletzung erschöpft sich in diesen Fällen vielmehr in einem Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung, deren Schutz vor Zwangseinwirkungen das geltende Strafrecht mit den Tatbeständen des § 177 StGB und § 240 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StGB umfassend gewährleistet.
Rz. 9
2. Die Verurteilung wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung auf alternativer Tatsachengrundlage erweist sich demnach als rechtsfehlerhaft. Da zu besorgen ist, dass sich die unzutreffende rechtliche Würdigung des Landgerichts bereits auf die Feststellung des Tatgeschehens ausgewirkt hat, hebt der Senat das Urteil insgesamt auf und verweist die Sache zur erneuten tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung zurück.
Rz. 10
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass der Tatrichter weder mit Blick auf den Zweifelssatz noch sonst gehalten ist, zu Gunsten des Angeklagten von Sachverhaltsvarianten auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 13. Dezember 2012 – 4 StR 33/12, wistra 2013, 195, 196; vom 21. Oktober 2008 – 1 StR 292/08, NStZ-RR 2009, 90, 91).
Unterschriften
Sost-Scheible, Roggenbuck, Mutzbauer, Bender, Quentin
Fundstellen
Haufe-Index 5190568 |
NStZ 2013, 6 |
NStZ 2013, 710 |
JA 2014, 230 |
RÜ 2013, 783 |
StRR 2013, 432 |
StV 2014, 417 |
LL 2014, 189 |