Leitsatz (amtlich)
Versorgungsanrechte, deren Wert tatsächlich in gleicher oder nahezu gleicher Weise steigt wie der Wert von Anrechten in der gesetzlichen Rentenversicherung oder in der Beamtenversorgung, sind auch dann als volldynamisch anzusehen, wenn sie mittels Deckungskapitals finanziert werden.
Normenkette
BGB § 1587a Abs. 2 Nr. 4c, Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2). wird der Beschluss des 3. Familiensenats des OLG Hamburg v. 2.1.2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der weiteren Beschwerde, an das OLG zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 2.736 EUR (= 5.351,16 DM)
Gründe
I.
Die am 1.9.1989 geschlossene Ehe der Parteien wurde auf den dem Ehemann (Antragsgegner) am 14.5.1999 zugestellten Antrag der Ehefrau (Antragstellerin) durch Verbundurteil des AG - FamG - v. 13.7.2000 (insoweit rechtskräftig seit 9.10.2000) geschieden und der Versorgungsausgleich geregelt.
Während der Ehezeit (1.9.1989 bis 30.4.1999; § 1587 Abs. 2 BGB) erwarb die am 17.9.1958 geborene Ehefrau Rentenanwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Verfahrensbeteiligte zu 1)., BfA) i.H.v. 360,32 DM monatlich und bezogen auf den 30.4.1999. Der am 13.5.1956 geborene Ehemann ist seit dem 1.4.1990 Mitglied im Versorgungswerk der Architektenkammer Baden-Württemberg (Beteiligte zu 2)., VwAK). Er hat dort bis zum Ende der Ehezeit Versorgungsanrechte erworben, deren Deckungskapital 76.318 DM beträgt. Das VwAK gewährt seinen Mitgliedern Rente wegen Berufsunfähigkeit sowie mit Vollendung des 65. Lebensjahres ein Altersruhegeld, dessen Jahresbetrag in Prozentsätzen der bis zum Eintritt des Versicherungsfalles geleisteten Beiträge berechnet wird. Der Berechnung liegt ein Jahreszinsfuß von 4 % zu Grunde. Leistungserhöhungen werden lediglich auf Grund von Zinsüberschüssen gewährt. Nach Mitteilung des VwAK beläuft sich die vom Ehemann in der Ehe erworbene erhöhte Rentenanwartschaft auf monatlich 1.252,18 DM.
Das AG hat den Versorgungsausgleich dahin geregelt, dass es zu Lasten der beim VwAK bestehenden Anrechte des Ehemannes für die Ehefrau Rentenanwartschaften bei der BfA i.H.v. 445,93 DM, bezogen auf den 30.4.1999, begründet hat. Dabei hat es die Anrechte des Ehemannes beim VwAK als volldynamisch angesehen und mit ihrem Nominalbetrag in die Ausgleichsbilanz eingestellt (1.252,18 DM - 360,32 DM = 891,86 DM: 2 = 445,93 DM). Die hiergegen gerichteten Beschwerden des Ehemannes und des VwAK hat das OLG zurückgewiesen. Mit der zugelassenen weiteren Beschwerde macht das VwAK geltend, dass die bei ihm begründeten Anrechte des Antragsgegners nicht volldynamisch und deshalb in den angefochtenen Entscheidungen zu hoch bewertet worden seien.
II.
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.
1. Das OLG ist bei der Ermittlung der in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechte des Ehemannes beim VwAK von § 1587a Abs. 2 Nr. 4 lit. c BGB ausgegangen. Das ist frei von Rechtsirrtum (vgl. BGH, Beschl. v. 4.10.1990 - XII ZB 115/88, MDR 1991, 534 = FamRZ 1991, 310 [311]) und wird von der weiteren Beschwerde auch nicht angegriffen.
2. Nach Auffassung des OLG ist der vom Versorgungsträger mitgeteilte Nominalbetrag der vom Ehemann in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechte nicht nach § 1587a Abs. 3 BGB umzurechnen, da diese Anrechte sowohl im Anwartschaftsstadium als auch im Leistungsstadium volldynamisch seien. Dies ergebe sich aus dem gebotenen Vergleich mit der Wertsteigerung der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung. Während diese Versorgungen in der Zeit von 1990 bis 1999 eine Erhöhung von durchschnittlich 2,33 % (gesetzliche Rentenversicherung) bzw. 2,62 % (Beamtenversorgung) aufwiesen, sei der Wert der Anwartschaften und Renten beim Versorgungswerk der Architektenkammer Baden-Württemberg in diesem Zeitraum um durchschnittlich 2,23 % gestiegen. Für die Annahme der Volldynamik genüge, dass die zu beurteilende Versorgung mit nur einer der beiden Vergleichsversorgungen - hier: Mit der gesetzlichen Rentenversicherung - vergleichbar sei; geringe Abweichungen nach unten - hier: Um (2,33 - 2,23 =) 0,1 % - seien dabei unbeachtlich. Der Umstand, dass der Ehemann nach der Satzung des VwAK keinen Rechtsanspruch auf eine entsprechende Wertsteigerung habe, stehe der Annahme der Volldynamik nicht entgegen. Maßgebend sei vielmehr die tatsächliche Übung über einen längeren Zeitraum; allerdings müsse eine ähnliche Entwicklung auch für die Zukunft zu erwarten sein. Beide Voraussetzungen lägen hier vor: Das VwAK habe über zehn Jahre Zinsüberschüsse aus den entrichteten Beiträgen erwirtschaftet und - durch Erhöhung von Anwartschaften und Renten - an die Mitglieder weitergegeben. Es spreche nichts dafür, dass hiervon in Zukunft abgewichen werde. Der Umstand, dass die Anrechte beim VwAK nach dem Anwartschaftsdeckungsverfahren finanziert würden, hindere nach Wortlaut und Sinn des § 1587a Abs. 3 BGB die Annahme einer Volldynamik ebenfalls nicht; für die Vergleichbarmachung von Anrechten im Rahmen des Versorgungsausgleichs zähle nicht die Art ihrer Finanzierung, sondern nur das Ergebnis.
Diese Ausführungen sind im Grundsatz nicht zu beanstanden.
Richtig ist, dass die beim VwAK begründeten Anrechte nicht rein statisch sind. Dies entspricht einer früheren Einschätzung des Senats (BGH, Beschl. v. 4.10.1990 - XII ZB 115/88, MDR 1991, 534 = FamRZ 1991, 310 [311]; vgl. auch die Bezugnahme im BGH, Beschl. v. 25.3.1992 - XII ZB 88/89, MDR 1992, 971 = FamRZ 1992, 1051 [1053 f.] betr. BVV), die durch die Feststellungen des OLG bestätigt wird. Danach hat das VwAK in der Vergangenheit Zinsüberschüsse erwirtschaftet, die zu Erhöhungen der Anwartschaften und Renten verwandt worden sind. Wie der Senat bereits dargelegt hat, steht der Berücksichtigung solcher Wertsteigerungen weder entgegen, dass sie aus Überschusserträgen finanziert werden (BGH, Beschl. v. 9.10.1996 - XII ZB 188/94, MDR 1997, 262 = FamRZ 1997, 166 [168]; v. 10.7.2002 - XII ZB 122/99, BGHReport 2002, 1082 = FamRZ 2002, 1554 [1555]), noch dass den Mitgliedern des Versorgungswerks auf die so finanzierten Verbesserungen ihrer Versorgung kein Rechtsanspruch zusteht (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 25.9.1996 - XII ZB 227/94, MDR 1997, 166 = FamRZ 1997, 164 [166]; Beschl. v. 9.10.1996 - XII ZB 188/94, MDR 1997, 262 = FamRZ 1997, 166 [167 f.]).
Die Frage, ob die vom OLG festgestellten Wertsteigerungen die Annahme rechtfertigen, dass der Wert der beim VwAK begründeten Anrechte in gleicher oder nahezu gleicher Weise steigt wie der Wert von Anrechten der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Beamtenversorgung (§ 1587a Abs. 3 BGB), lässt sich - worauf das OLG mit Recht hinweist - nicht schon deshalb verneinen, weil die beim VwAK begründeten Anrechte im Wege eines Kapitaldeckungsverfahrens finanziert werden. Richtig ist zwar, dass dem einer Versorgung zu Grunde liegenden Finanzierungssystem Indizwirkung für eine künftig zu erwartende Wertsteigerung der Anwartschaften zukommt. So wird namentlich die Finanzierung im Umlage- oder offenen Deckungsplanverfahren vielfach als ein Indiz für eine volle Anwartschaftsdynamik angesehen (vgl. etwa Johannsen/Henrich/Hahne, Eherecht, 4. Aufl., § 1587a Rz. 235; Wick, Versorgungsausgleich 2004, Rz. 178). Daraus lässt sich jedoch nicht herleiten, dass Versorgungen, die nach dem Kapitaldeckungsverfahren finanziert werden, zwingend als im Anwartschafts- oder im Leistungsstadium nicht volldynamisch einzustufen wären. Eine solche Folgerung widerspräche nicht nur der neueren Rechtsprechung des Senats, die im Einzelfall auch deckungskapitalfinanzierte Versorgungen als jedenfalls im Leistungsstadium volldynamisch beurteilt hat (BGH, Beschl. v. 25.9.1996 - XII ZB 226/94, MDR 1997, 265 = FamRZ 1997, 161; Beschl. v. 25.9.1996 - XII ZB 227/94, MDR 1997, 166 = FamRZ 1997, 164; grundsätzlich anders noch BGH, Beschl. v. 4.10.1990 - XII ZB 115/88, MDR 1991, 534 = FamRZ 1991, 310 [311 f.]; Beschl. v. 25.3.1992 - XII ZB 88/89, MDR 1992, 971 = FamRZ 1992, 1051 [1053 f.]). Sie wäre auch mit dem System des § 1587a Abs. 3 BGB nicht zu vereinbaren, der ersichtlich davon ausgeht, dass auch deckungskapitalfinanzierte Anwartschaften gleichen oder nahezu gleichen Wertsteigerungen unterliegen können wie die dort genannten Maßstabsversorgungen und deshalb nur dann dem Umwertungsmechanismus des § 1587a Abs. 3 Nr. 1 BGB unterliegen, wenn sie eine solche Wertsteigerung nicht aufweisen. Dies gilt umso mehr, als die etwa der BarwertVO zu Grunde liegende Annahme eines langfristigen Gleichklangs von Zins- und Einkommensdynamik nicht aufrechterhalten werden kann (vgl. Riedel, BetrAV 2004, 122 [125 f.]) und sich das Verhältnis der beiden Parameter seit 1977 zu Gunsten der Kapitalrendite verändert hat. Hinzu kommt, dass die Volldynamik der gesetzlich definierten Maßstabsversorgungen nicht mehr mit einer der Entwicklung der Erwerbseinkommen folgenden Wertsteigerung gleichgesetzt werden kann. Änderungen insb. des Rentenversicherungsrechts - zuletzt durch die Einführung eines Nachhaltigkeitsfaktors auf Grund des Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Nachhaltigkeitsgesetz) v. 21.7.2004 (BGBl. I, 1791) - haben zwischenzeitlich zu einer deutlichen Dämpfung der Rentendynamik sowie zu ihrer zumindest teilweisen Entkoppelung von der Entwicklung der Einkünfte der Aktiven geführt (vgl. Ruland in Sozialrechtshandbuch, 2003, Kap. C. 16 Rz. 208 ff.).
Für die Bewertung der für den Ehemann beim VwAK begründeten Anrechte ist vielmehr entscheidend, ob der Wert dieser Anrechte tatsächlich in gleicher oder nahezu gleicher Weise steigt wie der Wert von Anrechten in den Maßstabsversorgungen.
Dazu bedarf es einer Prognose der weiteren Entwicklung der Anrechte. Dafür kann deren tatsächliche bisherige Entwicklung über einen angemessenen Vergleichszeitraum hin als Indiz herangezogen werden. Die Aussagekraft, die solchen in der Vergangenheit liegenden Abläufen für die Einschätzung der zukünftigen Anrechtsentwicklung zukommt, mag im Einzelfall durch das Finanzierungssystem, das dem zu beurteilenden Anrecht zu Grunde liegt, mit beeinflusst werden. So hat der Senat die Bewertung eines mittels Deckungskapitals finanzierten Anrechts als nicht volldynamisch gebilligt, weil nach einer durch Sachverständigengutachten gestützten tatrichterlichen Einschätzung die langfristige Anlage der Deckungsmittel zu einem relativ konstanten Zinsfuß führe (BGH, Beschl. v. 29.9.1993 - XII ZB 31/90, MDR 1994, 279 = FamRZ 1994, 23 [24]). Umgekehrt hat der Senat die Einstufung eines mittels Deckungskapitals finanzierten Anrechts als im Leistungsstadium volldynamisch nicht beanstandet, weil die wirtschaftliche Entwicklung des Versorgungsträgers nach tatrichterlicher Einschätzung die Annahme rechtfertigte, dass die Versorgung seiner Mitglieder auch künftig eine mit den volldynamischen Anrechten vergleichbare Steigerung erfahren werde (BGH, Beschl. v. 25.9.1996 - XII ZB 227/94, MDR 1997, 166 = FamRZ 1997, 164; Beschl. v. 9.10.1996 - XII ZB 188/94, MDR 1997, 262 = FamRZ 1997, 166 [168]). Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des OLG haben auch die beim VwAK begründeten Versorgungsanrechte eine solche Prognose gerechtfertigt. Die Rüge der weiteren Beschwerde, das OLG habe bei seiner Beurteilung seine Amtsermittlungspflicht (§ 12 FGG) verletzt, greift nicht durch; insb. ist nicht ersichtlich, welche weiteren, über die Erfassung der bisherigen Entwicklung hinausgehenden Feststellungen das OLG damals hätte treffen sollen, um sich über die voraussichtliche künftige Entwicklung der beim VwAK begründeten Versorgungsanrechte mit vertretbarem Aufwand zusätzliche Erkenntnisgrundlagen zu verschaffen.
3. Dennoch kann die angefochtene Entscheidung nicht bestehen bleiben. Das OLG hat sich für seine Beurteilung, die beim VwAK bestehenden Anrechte seien im Anwartschafts- wie im Leistungsstadium volldynamisch, auf eine Darstellung des Versorgungswerks über die Steigerung der Anwartschaften wie der laufenden Renten in der Zeit von 1990 bis 1999 gestützt. Diese Übersicht erscheint für eine aktuelle Beurteilung der Versorgungsentwicklung nicht mehr hinreichend aussagekräftig. Der Senat hält es deshalb für geboten, die Entwicklung der beim VwAK begründeten Versorgungen anhand zeitnaher Daten zu überprüfen. Hinsichtlich der Frage, welche Steigerungsraten einer Versorgung die Annahme rechtfertigen, dass der Wert dieser Versorgung in gleicher oder nahezu gleicher Weise steigt wie der Wert einer Versorgung der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Beamtenversorgung, verweist der Senat auf seinen Beschluss v. 7.7.2004 - XII ZB 277/03 (BGH v. 7.7.2004 - XII ZB 277/03, BGHReport 2004, 1422 = MDR 2004, 1240 = FamRZ 2004, 1174, zur Dynamik von Anrechten der VBL).
4. Der Senat vermag aus den genannten Gründen in der Sache nicht abschließend zu entscheiden. Die Sache war vielmehr an das OLG zurückzuverweisen, damit es die für eine aktuelle Ermittlung des Wertes der vom Ehemann beim VwAK erworbenen Anrechte erforderlichen Feststellungen trifft. Die Zurückverweisung gibt zugleich Gelegenheit, der durch § 36a der Satzung des VwAK (in der seit dem 1.12.2002 geltenden Fassung) eröffneten Möglichkeit einer Realteilung nachzugehen (vgl. OLG Stuttgart FamRZ 2004, 1794; zur Berücksichtigung einer durch Satzungsänderung nach dem Ende der Ehezeit erfolgten Einführung der Realteilung vgl. etwa BGH, Beschl. v. 12.5.1989 - IVb ZB 88/85, MDR 1989, 979 = FamRZ 1989, 951 [953]; Beschl. v. 22.10.1997 - XII ZB 81/95, FamRZ 1998, 421 [422]) und ferner die Höhe der von der Ehefrau bei der BfA erworbenen Anrechte anhand einer aktuellen Auskunft zu überprüfen.
Fundstellen
Haufe-Index 1311775 |
BGHR 2005, 568 |
EBE/BGH 2005, 2 |
FamRZ 2005, 430 |
NJW-RR 2005, 442 |
ZAP 2005, 497 |
MDR 2005, 633 |
FamRB 2005, 104 |
NJW-Spezial 2005, 108 |
FK 2005, 130 |