Verfahrensgang
LG Coburg (Urteil vom 20.12.2019; Aktenzeichen 108 Js 9615/17 1 KLs) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Coburg vom 20. Dezember 2019 wird
- das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen C Teil 2 II. 1. a) bis h), 2. a) bis l) und 4. der Urteilsgründe verurteilt worden ist; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten;
- hinsichtlich des Schuldspruchs klargestellt, dass der Angeklagte aufgrund der Urteile des Landgerichts Coburg vom 17. Juli 2018 und 20. Dezember 2019 der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen sowie der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr, Sachbeschädigung in zwei tateinheitlichen Fällen und mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte schuldig ist;
- das vorgenannte Urteil vom 20. Dezember 2019 im Einziehungsausspruch dahin geändert, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 138.774,16 EUR angeordnet wird.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte trägt die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 17. Juli 2018 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 27 Fällen, davon in 26 Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 146 Fällen und wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Sachbeschädigung in zwei tateinheitlichen Fällen, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu der Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und den Vorwegvollzug von zwei Jahren und neun Monaten der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel bestimmt. Des Weiteren hatte es eine Maßregel nach den §§ 69, 69a StGB verhängt sowie eine Einziehungsanordnung und eine Adhäsionsentscheidung getroffen.
Rz. 2
Der Senat hob dieses Urteil im Schuld- und Strafausspruch – mit Ausnahme von vier Fällen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und den zugehörigen Einzelstrafen – sowie im Ausspruch über den Vorwegvollzug, die Maßregel nach den §§ 69, 69a StGB und die Einziehungsanordnung auf und verwies die Sache insoweit an das Landgericht zurück.
Rz. 3
Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in (weiteren) 27 tatmehrheitlichen Fällen jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in einem Fall zusätzlich in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, mit Sachbeschädigung in zwei tateinheitlichen Fällen und mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte schuldig gesprochen, auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten erkannt und einen Vorwegvollzug von zwei Jahren und drei Monaten der Gesamtstrafe vor der rechtskräftigen Maßregel nach § 64 StGB angeordnet. Ferner hat es dem Angeklagten die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland entzogen und eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von einem Jahr und sechs Monaten festgesetzt. Schließlich hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 243.528 EUR, die erweiterte Einziehung von Taterträgen in Höhe von 115.447 EUR sowie die Einziehung von 0,99 Bitcoins und von vier elektronischen Geräten angeordnet.
Rz. 4
Die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten führt zu einer Teileinstellung des Verfahrens und zu einer Änderung der Einziehungsentscheidung. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 5
1. Der Senat stellt das Verfahren, soweit der Angeklagte in den Fällen C Teil 2 II. 1. a) bis h), 2. a) bis l) und 4. der Urteilsgründe verurteilt worden ist, auf Antrag des Generalbundesanwalts aus prozessökonomischen Gründen ein, weil eine Entscheidung über die vom Landgericht im angefochtenen Urteil insoweit vorgenommene konkurrenzrechtliche Bewertung der Taten des Angeklagten nicht getroffen werden kann, ohne von entgegenstehender Rechtsprechung anderer Strafsenate des Bundesgerichtshofs abzuweichen. Die Durchführung eines Anfrage- und Vorlageverfahrens nach § 132 Abs. 2 und 3 GVG im vorliegenden im zweiten Rechtsgang befindlichen Verfahren hält der Senat angesichts der bereits seit mehr als drei Jahren andauernden Untersuchungshaft des Angeklagten für nicht sachgerecht.
Rz. 6
a) Die Rechtsfrage, ob mehrere Taten der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durch eine einheitliche, in ihren Ausführungshandlungen jeweils teilidentische Tat des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Tat verbunden werden, wird von den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs bislang unterschiedlich beantwortet. Während der 1. und 2. Strafsenat sowie der erkennende Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung eine Tateinheit durch Klammerwirkung angenommen haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Oktober 1996 – 1 StR 548/96, NStZ 1997, 136; vom 5. Dezember 2017 – 1 StR 380/17 Rn. 4; Urteil vom 18. Juli 1984 – 2 StR 322/84, BGHSt 33, 4, 6 f.; Beschluss vom 5. November 1993 – 2 StR 534/93, NStZ 1994, 135; offen gelassen in Urteil vom 22. August 2012 – 2 StR 530/11, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Konkurrenzen 13; zweifelnd in Beschluss vom 24. Oktober 2013 – 2 ARs 319/13, NStZ-RR 2014, 81, 82; Beschlüsse vom 22. Mai 2014 – 4 StR 223/13 Rn. 9 ff.; vom 6. Dezember 2017 – 4 StR 395/17 Rn. 3), hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs eine Verklammerung mehrerer Einfuhrtaten von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durch ein einheitliches jeweils teilidentisches Delikt des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG verneint (vgl. Beschlüsse vom 15. Februar 2011 – 3 StR 3/11; vom 6. Februar 2014 – 3 ARs 7/13, NStZ-RR 2014, 146). Angesichts dieser Divergenz kann der Senat die konkurrenzrechtliche Bewertung der Strafkammer im angefochtenen Urteil, die auf der Ablehnung einer Klammerwirkung beruht, weder bestätigen noch beanstanden, ohne sich mit der Rechtsprechung eines anderen Strafsenats des Bundesgerichtshofs in Widerspruch zu setzen.
Rz. 7
b) Hinsichtlich der strittigen Rechtsfrage neigt der Senat dazu, seine bisherige Rechtsprechung aufzugeben und eine Verbindung von mehreren Einfuhrtaten von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durch eine jeweils teilidentische Tat des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Tat im Wege der Verklammerung zu verneinen. Die dahingehende Rechtsansicht kann sich zum einen darauf berufen, dass für die unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG angesichts der Mindeststrafe von zwei Jahren gegenüber einem Jahr in § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG auch bei gleichen Strafrahmenobergrenzen eine im Verhältnis zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schärfere Strafandrohung vorgesehen ist und sich daher das Verbrechen der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge grundsätzlich als das schwerer wiegende Delikt darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2014 – 3 ARs 7/13, aaO). Zum anderen eröffnet sie in der Anwendungspraxis dem Tatrichter die Möglichkeit, in Fällen des grenzüberschreitenden Rauschgifthandels bei der konkurrenzrechtlichen Beurteilung an die jeweiligen Einfuhrtaten anzuknüpfen. Die Einfuhrhandlungen als punktuelle, in zeitlicher und situativer Hinsicht eng begrenzte Geschehen werden in aller Regel einfacher aufzuklären sein als die Vorgänge um die Beschaffung und Lagerung der Betäubungsmittel, die für die Annahme von auf denselben Güterumsatz gerichteten Bewertungseinheiten von Bedeutung sind. Diesem Praktikabilitätsgesichtspunkt kommt nach Ansicht des Senats erhebliches Gewicht zu, weil nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Unrechts- und Schuldgehalt eines strafbaren Verhaltens durch dessen konkurrenzrechtliche Bewertung grundsätzlich nicht berührt wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 30. November 1995 – 5 StR 465/95, BGHSt 41, 368, 373; vom 17. Juni 2004 – 3 StR 344/03, BGHSt 49, 177, 184 mwN; Beschluss vom 19. November 2014 – 4 StR 284/14 Rn. 7 mwN; vgl. Rissing-van Saan in LK-StGB, 13. Aufl., § 52 Rn. 55 mwN).
Rz. 8
2. Die Teileinstellung des Verfahrens hat eine Änderung des Schuldspruchs und den Wegfall der für die eingestellten Taten verhängten Einzelstrafen zur Folge. Darüber hinaus entzieht sie der hinsichtlich dieser Taten angeordneten Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von insgesamt 104.066,53 EUR die Grundlage. Die Gesamtstrafe kann bestehen bleiben. Der Senat schließt angesichts der Einsatzstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten sowie den weiteren verbleibenden fünf Einzelfreiheitsstrafen von vier Jahren und sechs Monaten, vier Jahren, drei Jahren und neun Monaten, drei Jahren und drei Monaten sowie drei Jahren aus, dass die Strafkammer ohne die für die eingestellten Taten verhängten Einzelstrafen auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.
Rz. 9
3. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils in dem nach der Teileinstellung des Verfahrens verbleibenden Umfang führt zu einer weiteren Herabsetzung der angeordneten Einziehung des Wertes von Taterträgen um 687,31 EUR. Für die am 9. November 2017 vom Angeklagten nach Deutschland eingeführten und zur Versendung aufgegebenen 36 Paketsendungen mit Betäubungsmitteln (C Teil 2 II. 5. der Urteilsgründe) ergibt sich aus den festgestellten Betäubungsmittelmengen und Preisen eine vom Angeklagten vorab vereinnahmte Gegenleistung von insgesamt lediglich 14.776,46 EUR statt der von der Strafkammer angenommenen Gesamtsumme von 15.463,77 EUR. Da es sich bei der Bestimmung des Einziehungsbetrages um die Anwendung zwingenden Rechts handelt, kann der Senat die Änderung der Einziehungsanordnung nach § 354 Abs. 1 StPO selbst vornehmen.
Rz. 10
4. Der Angeklagte trägt die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels. Der geringfügige Teilerfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten teilweise von den durch sein Rechtsmittel veranlassten Kosten und Auslagen freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).
Unterschriften
Sost-Scheible, Bender, Quentin, Rommel, Lutz
Fundstellen
Haufe-Index 14290520 |
NStZ-RR 2021, 5 |
StV 2021, 446 |