Verfahrensgang
LG Dessau (Urteil vom 15.08.2003) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau vom 15. August 2003, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben
- soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen, sowie
- im Gesamtstrafenausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten des Diebstahls in 37 Fällen und des versuchten Diebstahls in zwei Fällen für schuldig befunden und ihn unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch und zu den Strafaussprüchen in den Fällen II. A 1 bis 33 der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Das Urteil kann jedoch keinen Bestand haben, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) anzuordnen. Die dem zugrundeliegenden Erwägungen des Landgerichts halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen kam der Angeklagte erstmals im Alter von 12 oder 13 Jahren mit Drogen in Berührung. Nachdem er mit Haschisch begonnen hatte, konsumierte er spätestens ab 1999 auch, und zwar zunächst gelegentlich, Kokain sowie Heroin. Soweit ihm durch Straftaten Geld zur Verfügung stand, nutzte er dies aus, um in größerem Umfang Drogen, insbesondere Kokain, zu konsumieren. Zudem verleitete er auch seine Ehefrau, die frühere Mitangeklagte in dieser Sache, zum Konsum von Heroin, bis sich schließlich bei ihr ein regelmäßiger Konsum entwickelte. Ein gegen Ende des Jahres 2000 von dem Angeklagten und seiner Ehefrau unternommener Versuch, bei seiner Schwägerin in Wiesbaden ein „neues Leben” anzufangen, scheiterte bereits nach wenigen Tagen, weil der Angeklagte nicht drogenfrei leben wollte. Soweit der Angeklagte neben Kokain auch Heroin konsumierte, geschah dies, weil der Konsum von Kokain für ihn zu teuer war. Im Zeitraum der hier abgeurteilten Diebstähle aus Kraftfahrzeugen von September bis November 2001 „bestand seine tägliche Ration in 3 – 4 g Kokain bzw. 1 – 2 g, maximal 3 – 4 g Heroin”. Bei seiner Inhaftierung am 19. November 2001 hatte der Angeklagte, in seinem Schuh versteckt, einen Vorrat an Kokain und Heroin für seinen Eigenverbrauch sowie Haschisch zum Verkauf bei sich. Mit dem Geld, das der Angeklagte und seine Ehefrau durch den Absatz der bei den abgeurteilten Straftaten entwendeten Gegenstände erlangten, finanzierten sie ihren Drogenkonsum und bestritten ihren Lebensunterhalt. Je mehr Geld dem Angeklagten für Drogen zur Verfügung stand, desto mehr konsumierte er auch.
Angesichts dieser Feststellungen zum Konsumverhalten des Angeklagten drängt sich auf, daß bei dem Angeklagten im Sinne von § 64 Abs. 1 StGB ein Hang besteht, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Von einem Hang ist auszugehen, wenn eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung besteht, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht dem Grad physischer Abhängigkeit erreicht haben muß (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 1, 5, 6 m.w.N.). Daß in diesem Sinne bei dem Angeklagten ein Hang besteht, hat auch die von dem Landgericht gehörte psychiatrische Sachverständige bestätigt. Zwar setzt die Anordnung der Unterbringung nach § 64 StGB (u.a.) voraus, daß der Hang sicher („positiv”) festgestellt ist, so daß für eine Unterbringung hiernach kein Raum ist, wenn ein Hang als Grundlage der Taten nicht auszuschließen ist (BGH, Beschlüsse vom 6. November 2002 – 1 StR 382/02 – und vom 26. Februar 2003 – 1 StR 7/03). Soweit das Landgericht seinen Zweifel am Vorliegen eines Hanges des Angeklagten zum übermäßigen Drogenkonsum auch damit begründet, auffälligstes Merkmal dieses Hangs sei ein Entzugssyndrom, zu irgendwelchen Entzugserscheinungen in der Haft sei es aber nicht gekommen, hat das Landgericht zum einen verkannt, daß eine durch Entzugserscheinungen indizierte körperliche Abhängigkeit ebensowenig wie eine zumindest verminderte Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 2; BGH NStZ-RR 2001, 12) Voraussetzung für die Bejahung eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ist. Zum anderen ist die Annahme, Entzugserscheinungen seien bei dem Angeklagten auch während der Haft nicht aufgetreten, nicht ohne weiteres vereinbar mit der Feststellung, der Angeklagte habe in der Haft – wenn auch nur minimal – an Schweißausbrüchen und leichten Gelenkschmerzen gelitten und habe Erfahrungen mit Entzugserscheinungen auch auf einer Reise nach Wiesbaden einige Wochen vor seiner Inhaftierung gemacht.
Zudem hat das Landgericht auch zu Unrecht den für die Anordnung nach § 64 StGB weiter vorausgesetzten symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang im Sinne dieser Vorschrift und den hier abgeurteilten Straftaten verneint. Soweit das Landgericht – insoweit in Übereinstimmung mit der Auffassung der gehörten Sachverständigen – meint, „die Straftaten des Angeklagten (seien) nicht Folge seiner Drogensucht, sondern die Drogensucht (sei) Folge seiner Straftaten, (…) der Angeklagte begehe Straftaten unabhängig vom Drogengebrauch, der Drogengebrauch sei lediglich Teil seines Lebensstils”, geht es von einem zu engen, und deshalb rechtsfehlerhaften Verständnis des Begriffs des symptomatischen Zusammenhangs aus. Denn ein solcher Zusammenhang ist nach ständiger Rechtsprechung auch dann zu bejahen, wenn der Hang zum übermäßigen Genuß von Rauschmitteln neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, daß der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch in Zukunft zu besorgen ist. Dieser Zusammenhang kann daher grundsätzlich nicht allein deshalb verneint werden, weil außer dem Rauschmittelmißbrauch noch weitere Persönlichkeitsmängel – beim Angeklagten dessen dissoziale Persönlichkeitsstruktur – eine Disposition für die Begehung von Straftaten begründen (BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 1, 2; BGH, Beschluß vom 16. Juli 2002 – 4 StR 179/02). Im übrigen drängt sich ein solcher Zusammenhang auf, wenn – wie hier – die Tatbegehung der Finanzierung des Drogenkonsums dient.
Über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ist deshalb umfassend neu zu befinden. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt unter den hier gegebenen Umständen auch zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Denn der Senat kann nicht mit Sicherheit ausschließen, daß die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wäre, wenn zugleich auch die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden wäre (vgl. BGHSt 28, 327, 330; BGHR StGB § 64 Ablehnung 6, 7; BGH, Beschluß vom 5. Oktober 2000 – 4 StR 377/00). Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob der Gesamtstrafenausspruch auch deshalb aufzuheben wäre, weil ausweislich der schriftlichen Urteilsbegründung die Festsetzung von Einzelstrafen für die Fälle II. B 1 bis 6 der Urteilsgründe unterblieben ist (vgl. BGHR StPO § 354 Abs. 1 Strafausspruch 10 und § 358 Abs. 2 Satz 1 Einzelstrafe, fehlende 1, 2). Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, dies nachzuholen.
Da das Verfahren sich nur noch gegen den erwachsenen Angeklagten richtet, verweist der Senat die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück (BGHSt 35, 267 f.).
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Kuckein, Solin-Stojanović, Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 2560425 |
NStZ 2004, 681 |