Verfahrensgang
LG Landau (Pfalz) (Urteil vom 18.09.2020; Aktenzeichen 7165 Js 8407/19 3 KLs) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landau (Pfalz) vom 18. September 2020 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
- soweit der Angeklagte im Fall II.1. der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
- im Gesamtstrafenausspruch,
- im Maßregelausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nachstellung in Tateinheit mit Nötigung, Beleidigung, Sachbeschädigung und Körperverletzung in zwei, versuchter Nötigung in zwei, Bedrohung in zwei und Verstoß gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen sowie wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperre für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Verurteilung im Fall II.1. der Urteilsgründe hat keinen Bestand. Der Schuldspruch wegen Nachstellung (§ 238 Abs. 1 StGB) wird von den Feststellungen nicht getragen.
Rz. 3
a) Danach suchte der Angeklagte seit mehreren Jahren die Nähe der Nebenklägerin, begab sich zu ihrer Wohnung und verfolgte sie, obwohl sie keinen Kontakt zu ihm wünschte. Im Einzelnen hat das Landgericht folgende Handlungen des Angeklagten festgestellt:
Rz. 4
Am 15. Juni 2019 parkte er sein Fahrzeug neben dem der Nebenklägerin, verfolgte und beobachtete sie unbemerkt. Anschließend fuhr er mit seinem Fahrzeug an ihr vorbei (Fall II.1.b)). Fünf Tage später beschmutzte er den Pkw der Zeugin W., einer Freundin der Nebenklägerin, und schrieb ihr Kurznachrichten, in denen er sie u.a. aufforderte, sich von der Nebenklägerin fernzuhalten (Fall II.1.c)). Am Folgetag fuhr er mit seinem Fahrzeug hinter der Nebenklägerin her (Fall II. 1.d)). Am 5. August 2019 lauerte der Angeklagte der Nebenklägerin entgegen einer ihm im Juni 2019 zugestellten einstweiligen Verfügung nach dem Gewaltschutzgesetz auf, versetzte ihr einen Faustschlag in das Gesicht und stieß sie zu Boden, wodurch die Nebenklägerin verletzt wurde (Fall II.1.f)). Am darauffolgenden Tag rief er die Zeugin W. an und äußerte, dass sie „die Nächste wäre”, wenn sie sich nicht von der Nebenklägerin fernhielte (Fall II.1.g)). Im Zeitraum zwischen November 2018 und Januar 2020 beging der Angeklagte zudem mehrere Straftaten zum Nachteil der Zeugin H., die ebenfalls mit der Nebenklägerin bekannt ist. Unter anderem drohte er ihr am 31. Juli 2019, nachdem die Zeugin ihm gesagt hatte, dass sie keinen Kontakt zu ihm wünsche, an, ihr den Schädel einzuschlagen (Fall II.1.e)). Am 4. Januar 2020 versetzte er ihr bei einem Zusammentreffen auf der Straße einen schmerzhaften Stoß gegen den Oberkörper (Fall II.1.k)).
Rz. 5
b) Der Tatbestand des § 238 Abs. 1 StGB erfordert ein unbefugtes Nachstellen durch beharrliche unmittelbare oder mittelbare Annäherungshandlungen an das Opfer oder näher bestimmte Drohungen im Sinne des § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB. Die Tathandlung muss zudem geeignet sein, die Lebensgestaltung des Tatopfers schwerwiegend zu beeinträchtigen. Beides ist durch die Feststellungen nicht hinreichend belegt.
Rz. 6
aa) (1) Dem Tatbestandsmerkmal der Beharrlichkeit wohnen objektive Momente der Zeit sowie subjektive und normative Elemente der Uneinsichtigkeit und Rechtsfeindlichkeit inne; es ist nicht bereits bei bloßer Wiederholung erfüllt. Erforderlich ist vielmehr, dass der Täter aus Missachtung des entgegenstehenden Willens oder aus Gleichgültigkeit gegenüber den Wünschen des Opfers mit der Absicht handelt, sich auch in Zukunft immer wieder entsprechend zu verhalten. Dem Merkmal ist immanent, dass der Täter uneinsichtig auf seinem Standpunkt besteht und zäh an seinem Entschluss festhält, obwohl ihm die entgegenstehenden Interessen des Opfers bekannt sind. Die erforderliche ablehnende Haltung und gesteigerte Gleichgültigkeit gegenüber dem gesetzlichen Verbot manifestieren sich darin, dass der Täter den vom Opfer ausdrücklich oder schlüssig geäußerten entgegenstehenden Willen bewusst übergeht. Dabei ergibt sich die Beharrlichkeit aus einer Gesamtwürdigung der verschiedenen Handlungen, bei der insbesondere der zeitliche Abstand zwischen den Angriffen und deren innerer Zusammenhang von Bedeutung sind (zum Ganzen: BGH, Beschlüsse vom 31. August 2016 – 4 StR 197/16, NStZ 2016, 724, 725; vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189, 194 f. mwN).
Rz. 7
(2) Eine diesem Maßstab entsprechende Begründung für die angenommene Beharrlichkeit kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Das Landgericht hat in Bezug auf die Nebenklägerin nur drei Handlungen des Angeklagten innerhalb eines relativ eng umgrenzten Zeitraums festgestellt, von denen lediglich eine, nämlich die Tat vom 5. August 2019, für sich genommen über eine allenfalls geringfügige Belästigung hinausging. Soweit das Landgericht darüber hinaus zugrunde gelegt hat, dass der Angeklagte der Nebenklägerin „seit mehreren Jahren” nachstelle, indem er „beharrlich” ihre Nähe suchte, „sich zu ihrer Wohnung begab und sie verfolgte”, fehlt es an konkreten Feststellungen und Belegen. Dasselbe gilt für die innere Tatseite. Nachvollziehbare Darlegungen zu der Motivation der Tathandlungen zum Nachteil der Nebenklägerin fehlen ebenso wie Feststellungen zu einem etwaigen Willen des Angeklagten, sein – tatsächlich am 5. August 2019 beendetes – Handeln in Bezug auf die Nebenklägerin fortzusetzen. Hinsichtlich der festgestellten Handlungen zum Nachteil der Zeuginnen W. und H. lassen die Urteilsgründe im Unklaren, ob und unter welchen Gesichtspunkten die Strafkammer diese tateinheitlich mit der Nachstellung ausgeurteilten Taten als Teil der Nachstellung zum Nachteil der Nebenklägerin bewertet hat. Auf diesen Handlungen beruhende Auswirkungen auf die Nebenklägerin sind weder festgestellt noch belegt.
Rz. 8
bb) Die Urteilsfeststellungen tragen – vor diesem Hintergrund – auch nicht die Annahme, dass das vom Landgericht als Nachstellung gewertete Verhalten des Angeklagten geeignet war, die Lebensgestaltung der Nebenklägerin erheblich zu beeinträchtigen. Feststellungen zu derartigen Tatfolgen hat das Landgericht nicht getroffen. Soweit im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wird, dass die Nebenklägerin bekundet hat, aus Angst vor dem Angeklagten zweimal umgezogen zu sein, ihre Telefonnummer gewechselt und sich in ihrem Freizeitverhalten stark eingeschränkt zu haben, ist nicht festgestellt und nachvollziehbar belegt, ob und inwieweit dies Folgen gerade der verfahrensgegenständlichen Taten zwischen Juni und August 2019 waren und nicht nur Folge eines im Einzelnen nicht festgestellten und deshalb für den Senat nicht nachvollziehbaren früheren Verhaltens des Angeklagten.
Rz. 9
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Nachstellung hat die Aufhebung der – auch in Bezug auf die Taten zum Nachteil der Zeuginnen W. und H. – tateinheitlich abgeurteilten Straftatbestände sowie der von der Strafkammer verhängten Gesamtstrafe zur Folge. Dasselbe gilt für die Entscheidung über die Maßregeln nach § 69, § 69a StGB, die das Landgericht auch auf Teilakte der Nachstellung im Fall II.1. gestützt hat.
Rz. 10
3. Auch die angeordnete Unterbringung des Angeklagten gemäß § 63 StGB hat keinen Bestand. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II.1. der Urteilsgründe lässt die Verurteilung wegen der Anlasstat entfallen und entzieht der Maßregel die Grundlage. Im Übrigen sind deren Voraussetzungen auch sonst nicht belegt.
Rz. 11
a) Bereits die Annahme der erheblich verminderten Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB beruht auf Erörterungsmängeln.
Rz. 12
aa) Das Vorliegen des vom Landgericht angenommenen Eingangsmerkmals einer schweren anderen seelischen Störung des § 20 StGB aufgrund einer Persönlichkeitsstörung ist nicht belegt.
Rz. 13
Für die Frage, ob eine nicht pathologisch begründete Persönlichkeitsstörung in ihrem Gewicht einer krankhaften seelischen Störung gleichkommt, sind der Ausprägungsgrad der Störung und ihr Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters von Bedeutung. Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist daher maßgebend, ob es auch im Alltag außerhalb des Deliktes zu erheblichen Einschränkungen des sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (vgl. zum Ganzen BGH, Urteile vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52 und vom 1. Juli 2015 – 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319 f.; Beschlüsse vom 12. Oktober 2017 – 5 StR 364/17, juris Rn. 9; vom 23. Februar 2016 – 3 StR 547/15; vom 4. Dezember 2007 – 5 StR 398/07, NStZ-RR 2008, 104).
Rz. 14
Das Landgericht hat dies zwar im rechtlichen Ausgangspunkt nicht verkannt. Seine Ausführungen zur Begründung eines danach ausreichenden Schweregrades der bei dem Angeklagten bestehenden Persönlichkeitsstörung sind indes nicht tragfähig. Aus den Urteilsfeststellungen zur Person des Angeklagten ergeben sich weder zu seinem bisherigen Beziehungsleben noch zu seiner Erwerbsbiografie Umstände, die die Wertung der Strafkammer, wonach sich „ausgeprägte Abweichungen” auch außerhalb dessen deliktischen Verhaltens, in seinem sonstigen Leben, zeigten, nachvollziehbar erscheinen ließen. Danach führte der strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getretene Angeklagte, dessen Persönlichkeitsstörung nach den Ausführungen des Landgerichts bereits seit seiner Jugend besteht, mehrere Paarbeziehungen, deren längste drei Jahre andauerte und über den Zeitraum von 1,5 Jahren mit der Führung eines gemeinsamen Haushalts verbunden war. Nach seinem Schulabschluss absolvierte er erfolgreich eine Berufsausbildung und fand anschließend eine Arbeitsstelle. Auch nach einem freiwilligen Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber und mehreren betriebsbedingten Arbeitsplatzverlusten fand er stets eine neue Beschäftigung und ging auch im verfahrensgegenständlichen Zeitraum einer Arbeitstätigkeit nach. Eine schwerwiegende Beeinträchtigung der sozialen Anpassungsfähigkeit lässt dies ebenso wenig erkennen wie die nicht näher ausgeführte Feststellung, dass der Angeklagte „keine Freundschaften” habe.
Rz. 15
bb) Auch die tatbezogene Ausprägung der Störung im Sinne einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB ist nicht belegt. Bei der diagnostizierten „narzisstischen Persönlichkeitsstörung” handelt es sich um ein eher unspezifisches Störungsbild (vgl. Dannhorn, NStZ 2018, 704, 705). Eine solche Störung erreicht den Grad einer schuldmindernden schweren anderen seelischen Störung regelmäßig erst dann, wenn der Täter aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. April 2018 – 2 StR 71/18, NStZ-RR 2018, 237; vom 11. Februar 2015 – 4 StR 498/14, NStZ-RR 2015, 137; vom 23. Oktober 2007 – 4 StR 358/07, NStZ-RR 2008, 70, 71; Beschluss vom 25. Februar 2003 – 4 StR 30/03, NStZ-RR 2003, 165, 166; Beschluss vom 6. Februar 1997 – 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385, 388). Auch insoweit leidet das Urteil an durchgreifenden Erörterungsmängeln. Soweit das Landgericht dem Sachverständigen darin gefolgt ist, dass bei den Taten am 31. Juli 2019, 5. August 2019 und 4. Januar 2020 (Fälle II.1.e), f) und k)) „die veränderte affektive Ansprechbarkeit des Angeklagten eine starke Einengung seines Denkens auf erlittene Kränkungen, auf sein Recht, Aussprachen zu erzwingen, und auf eine erforderliche rasche Kompensation seines Selbstwertdefizits sowie deutlich reduzierte Verhaltensspielräume bewirkt” habe, lassen die Urteilsgründe eine Auseinandersetzung mit dem Umstand vermissen, dass der nach den Feststellungen bereits langjährig an der Persönlichkeitsstörung leidende Angeklagte allein im August 2019 sowie im Januar 2020 mit Straftaten, u.a. Körperverletzungsdelikten in Erscheinung getreten ist und zudem – wie das Landgericht ebenfalls festgestellt hat – noch nach dem Herbst 2017, mithin relativ kurze Zeit vor den hier gegenständlichen Taten, in der Lage war, von anderen von ihm belästigten Personen abzulassen, nachdem diese auf seine Beleidigungen und Bedrohungen nicht mehr reagiert hatten.
Rz. 16
b) Aus demselben Grund genügt schließlich auch die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts nicht den Anforderungen. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306; vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13; vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15; vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15). Im Rahmen dieser Würdigung ist als ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straffälligkeit anzusehen, dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat (vgl. etwa BGH, Urteile vom 10. Dezember 2014 – 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72, 73; vom 8. Oktober 2015 – 4 StR 86/15; Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306, 307 jeweils mwN). Das Landgericht hat zwar nicht verkannt, dass der Angeklagte in der Vergangenheit nicht mit Gewaltdelikten in Erscheinung getreten ist. Warum dieser Umstand der Erwartung, der Angeklagte werde nicht nur sein „Stalkingverhalten” fortsetzen, sondern in dessen Rahmen auch als erheblich zu bewertende Gewalt- und Aggressionsdelikte begehen, nicht durchgreifend entgegensteht, hat es aber nicht nachvollziehbar dargelegt.
Rz. 17
4. Die Sache bedarf deshalb im Umfang der Aufhebung der neuen Verhandlung und Entscheidung. Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird bei Prüfung der Aussetzung der Strafe und gegebenenfalls einer Maßregel nach § 63 StGB auch zu berücksichtigen haben, dass die Weisung erteilt werden kann, sich einer Therapie zu unterziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383, 3385 mwN).
Unterschriften
Sost-Scheible, Bender, Bartel, Lutz, Maatsch
Fundstellen
Haufe-Index 14431572 |
NStZ-RR 2021, 138 |
NStZ-RR 2021, 196 |
StV 2021, 489 |
RPsych 2021, 253 |