Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen einer einstweiligen Einstellung der aus einem vorläufig vollstreckbaren Herausgabe- und Räumungsurteil betriebenen Zwangsvollstreckung in der Revisionsinstanz.
Normenkette
ZPO § 719 Abs. 2, § 712
Verfahrensgang
OLG Hamburg (Urteil vom 28.05.2014; Aktenzeichen 8 U 8/14) |
LG Hamburg (Entscheidung vom 09.01.2014; Aktenzeichen 316 O 193/13) |
Tenor
Der Antrag der Beklagten, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des 8. Zivilsenats des OLG Hamburg vom 28.5.2014 einstweilen einzustellen, wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin verlangt nach Kündigung die Räumung und Herausgabe von Gewerberäumen, die sie an die Beklagten zu 1) und zu 2) zum Betrieb eines Restaurants vermietet hatten und die diese an die Beklagte zu 3) (deren geschäftsführender Alleingesellschafter der Beklagte zu 1 ist) untervermietet haben. Das LG hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt; das OLG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat die Revision zugelassen und den Beklagten nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 240.000 EUR vorläufig abzuwenden, falls nicht die Klägerin zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leiste. Die Klägerin hat die Sicherheit geleistet und betreibt die Zwangsvollstreckung. Der Gerichtsvollzieher hat die Räumung für den 3.7.2014 angekündigt.
Rz. 2
Die Beklagten haben gegen das Urteil des OLG Revision eingelegt. Sie beantragen, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil einstweilen einzustellen. Zur Begründung führen sie unter Bezugnahme auf ein Schreiben ihres Steuerberaters aus, ihnen würde durch die Vollstreckung ein nicht zu ersetzender Nachteil entstehen. Könnten sie das Restaurant nicht weiter betreiben, dann könnten sie zwei weitere von der Beklagten zu 3) betriebene defizitäre Lokale nicht weiter aus den Gewinnen des Restaurants finanziell unterstützen und müssten auch diese beiden Lokale schließen.
II.
Rz. 3
Der Einstellungsantrag der Beklagten ist nicht begründet.
Rz. 4
1. Wird Revision gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil eingelegt, so ordnet das Revisionsgericht auf Antrag an, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht (§ 719 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kommt eine solche Einstellung nicht in Betracht, wenn der Schuldner es versäumt hat, im Berufungsrechtszug einen Vollstreckungsschutzantrag gem. § 712 ZPO zu stellen, obwohl ihm ein solcher Antrag möglich und zumutbar gewesen wäre. Ein im Berufungsrechtszug gem. §§ 719 Abs. 1 Satz 1, 707 ZPO gestellter Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gilt nur für diese Instanz und wirkt nicht über den Erlass des Berufungsurteils hinaus, so dass er nicht den erforderlichen Antrag nach § 712 ZPO ersetzen kann, der dahin geht, dass das Berufungsgericht auch gegenüber seiner Entscheidung Vollstreckungsschutz gewähren soll (Senatsbeschluss v. 31.7.2013 - XII ZR 114/13 - GuT 2013, 217 Rz. 5 m.w.N.).
Rz. 5
2. An dieser Voraussetzung für die Einstellung der Zwangsvollstreckung durch das Revisionsgericht fehlt es hier. Die Beklagten haben im Berufungsverfahren lediglich einen Antrag nach §§ 719, 707 ZPO, nicht aber einen solchen gem. § 712 ZPO gestellt.
Rz. 6
Dies war ihnen auch nicht aus besonderen Gründen unmöglich. Sie machen zwar insoweit geltend, ein Vollstreckungsschutzantrag sei ihnen im Berufungsverfahren nicht zumutbar gewesen, weil sie zur Begründung Geschäftsinterna hätten offenbaren und befürchten müssen, dass diese einer breiten Öffentlichkeit bekannt würden. Zudem seien sie - mit Blick auf Äußerungen des Berufungsgerichts berechtigt - davon ausgegangen, dass ihr Rechtsmittel in der Sache erfolgreich sein würde.
Rz. 7
Damit haben die Beklagten jedoch keine Umstände dargelegt, die das Erfordernis eines Antrags gem. § 712 ZPO für eine einstweilige Einstellung gem. § 719 Abs. 2 ZPO ausnahmsweise entfallen lassen würden. In der zur Glaubhaftmachung ihres Vortrags vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des Beklagten zu 2) wird aus Presse-Veröffentlichungen über Streitigkeiten mit den Vermietern der beiden anderen von der Beklagten zu 3) betriebenen Lokalen auf die Gefahr geschlossen, dass auch die Informationen aus dem vorliegenden Verfahren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden könnten. Woraus sich diese Gefahr ergeben soll, erschließt sich jedoch nicht, zumal eine personelle Verflechtung der Klägerin des vorliegenden Verfahrens mit den dortigen Vermietern oder auch der Verfahrensbevollmächtigten der jeweiligen Vermieter miteinander nicht behauptet ist. Ebenso wenig ist ersichtlich, inwiefern die Angaben zum im vorliegenden Verfahren gegenständlichen Restaurant Einfluss auf die - möglicherweise auch in der Presse ausgetragenen - Streitigkeiten betreffend die beiden anderen Lokale haben sollen. Nicht nachvollziehbar ist auch die in der eidesstattlichen Versicherung angeführte Besorgnis, es könnte zum Fernbleiben von Gästen in einem der drei Lokale führen, wenn bekannt würde, dass mit dem ertragreichen Betrieb des Restaurants die beiden anderen Lokale "bezuschusst" werden.
Rz. 8
Die Gründe, auf die der Einstellungsantrag gestützt wird, lagen bereits im Berufungsrechtszug vor. Wie der jetzt erfolgte Vortrag belegt, beruhte das dortige Unterbleiben der Antragstellung letztlich darauf, dass die Beklagten ihre dortigen Erfolgsaussichten unzutreffend eingeschätzt haben. Dies kann jedoch das Absehen von einem Vollstreckungsschutzantrag nach § 712 ZPO nicht rechtfertigen, weil es grundsätzlich in den Risikobereich der Partei fällt (Senatsbeschluss v. 10.4.2003 - XII ZR 280/01 - juris Rz. 6; BGH Beschlüsse v. 23.10.2007 - XI ZR 449/06, WuM 2008, 50; v. 29.7.2004 - III ZR 263/04, NJW-RR 2005, 147, 148; v. 26.9.1991 - I ZR 189/91, NJW-RR 1992, 189, 190). Das gilt selbst dann, wenn die Auffassung zu den Erfolgsaussichten auf eine vorläufige Einschätzung des Berufungsgerichts gestützt ist (BGH Beschl. v. 29.7.2004 - III ZR 263/04, NJW-RR 2005, 147, 148), was die Beklagten vorliegend nicht einmal behaupten. Denn sie führen lediglich aus, das Berufungsgericht habe in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht, "man könne sich vorstellen", einer den Beklagten ggf. günstigen Rechtsauffassung zu folgen.
Rz. 9
3. Im Übrigen ist ein nicht zu ersetzender Nachteil i.S.d. § 719 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht dargetan. Soweit die Beklagten darauf abstellen, dass die Beklagte zu 3), ein Wirtschaftsunternehmen, weitere, ohnedies defizitäre Lokale schließen müsste, ergibt sich bereits kein Nachteil.
Rz. 10
Die - sich allein aus dem Schreiben des Steuerberaters ergebenden - Gewinneinbußen infolge der Räumung des streitgegenständlichen Restaurants bedeuten einen Nachteil, der finanziell ausgeglichen werden kann. Dass die Klägerin hierzu nicht in der Lage wäre (vgl. dazu BGH Beschluss vom 30.1.2007 - X ZR 147/06, NJW-RR 2007, 1138 Rz. 6), wird von den Beklagten nicht einmal behauptet.
Fundstellen
Haufe-Index 7026048 |
NJW 2014, 8 |
EBE/BGH 2014 |
NJW-RR 2014, 969 |
NZM 2014, 707 |
JZ 2014, 561 |
MDR 2014, 926 |
FoVo 2014, 197 |
MietRB 2014, 236 |
NJW-Spezial 2014, 578 |
VE 2014, 150 |
MK 2014, 155 |