Verfahrensgang
LG Aachen (Urteil vom 22.05.2017) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 22. Mai 2017 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
Rz. 2
Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten wendet sich, rechtlich wirksam, alleine gegen die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Sie führt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs.
Rz. 3
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die hinreichend konkrete Erfolgsaussicht (§ 64 Satz 2 StGB) für die angeordnete Maßregel ist unzureichend begründetet.
Rz. 4
1. Nach den Feststellungen der Strafkammer konsumierte der zur Tatzeit 40-jährige Angeklagte seit seinem 15./16. Lebensjahr Marihuana, seit seinem 19. Lebensjahr Amphetamin, Ecstasy und Kokain und seit seinem 25. Lebensjahr regelmäßig Heroin. Er ist seit 1998 vielfach wegen Betäubungsmittel- bzw. Beschaffungsdelikten vorbestraft. Zwischen 2003 und seiner letzten Entlassung aus der Strafhaft am 15. Februar 2016 verbüßte er insgesamt mehr als siebeneinhalb Jahre Freiheitsstrafe. Mehrere Zurückstellungen einzelner Freiheitsstrafen mussten widerrufen werden. Langzeittherapien in den Jahren 2008, 2009 und 2011 führten nicht dazu, dass es dem Angeklagten gelang, länger drogenfrei zu leben. Eine nach der letzten Haftentlassung angeordnete Führungsaufsicht blieb fruchtlos. Der neuerlichen Verurteilung liegt die Beschaffung einer größeren Menge Heroin für den Eigenkonsum im November 2016 zugrunde. Beruflich ist der Angeklagte seit 18 Jahren ohne Perspektive. Seine Lebenspartnerin, gleichzeitig Mittäterin des durch die Strafkammer abgeurteilten Betäubungsmitteldelikts, ist ebenfalls seit vielen Jahren drogenabhängig.
Rz. 5
2. Angesichts dieser außerordentlich ungünstigen Umstände, die gegen einen mehr als nur kurzfristigen Behandlungserfolg sprechen (vgl. MüKo/van Gemmeren, StGB, 3. Aufl., § 64 Rn. 64 f. mwN), ist alleine die vom Angeklagten gegenüber der Sachverständigen bekundete Therapiebereitschaft nicht geeignet, eine konkrete Erfolgsaussicht der angeordneten Maßregel im Sinne des § 64 Satz 2 StGB zu begründen.
Rz. 6
Wenngleich nicht jedes Risiko, dass in einer Entziehungsanstalt ein nachhaltiger Behandlungserfolg nicht erzielt wird, zugleich bedeutet, dass keine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2017 – 3 StR 38/17, NStZ-RR 2017, 283, 284), hätte es der eingehenden Darlegung der für eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht sprechenden Gesichtspunkte unter Mitteilung der diesbezüglichen Ausführungen der von der Strafkammer hinzugezogenen psychiatrischen Sachverständigen bedurft (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2014 – 5 StR 454/14, juris Rn. 6). Die Strafkammer wäre gehalten gewesen, das Risiko eines Scheiterns der Behandlung – als mehr oder weniger hoch bzw. gering – zu gewichten, um die Behandlungsaussichten nachvollziehbar zu bewerten. Dabei wären die im Urteilszeitpunkt gegebenen prognosegünstigen Faktoren (bekundete Therapiebereitschaft, relativ gute Deutschkenntnisse) gegen die prognoseungünstigen Faktoren (langjährige Drogenabhängigkeit, wiederholte Inhaftierung, mehrfache erfolglose Langzeittherapien, fehlender sozialer Empfangsraum und berufliche Perspektivlosigkeit) in die Beurteilung einzubeziehen gewesen.
Rz. 7
Einer eingehenden Auseinandersetzung mit der Erfolgsprognose hätte es insbesondere auch deshalb bedurft, weil der Angeklagte primär eine Zurückstellung nach § 35 BtMG erstrebt, die Sachverständige eine Therapienotwendigkeit von zwei Jahren prognostiziert und die Strafkammer lediglich eine Begleitstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt hat. Unter Berücksichtigung der bereits vollstreckten sieben Monate Untersuchungs- und der noch erforderlichen Organisationshaft würde die erwartete Dauer der Maßregel die noch zu vollstreckende Restfreiheitsstrafe übersteigen. Vor diesem Hintergrund bedurfte die gegenüber der Sachverständigen geäußerte Therapiebereitschaft des Angeklagten einer näheren Erörterung, da diese angesichts des angeklagten Vorwurfs des bewaffneten Handeltreibens möglicherweise vor dem Hintergrund einer höheren Straferwartung durch den Angeklagten erklärt worden war.
Rz. 8
3. Über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss deshalb – wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) – neu verhandelt und entschieden werden.
Unterschriften
Appl, Krehl, Eschelbach, Zeng, Schmidt
Fundstellen
Haufe-Index 11373543 |
NStZ-RR 2018, 13 |