Verfahrensgang
LG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 09.03.2021; Aktenzeichen 24 KLs 10/20) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 9. März 2021
im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte
in Fall II.1 der Urteilsgründe der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit Raub und mit Körperverletzung,
in Fall II.2 der Urteilsgründe der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit dem Unternehmen, sich den Besitz einer jugendpornographischen Schrift zu verschaffen, und mit der Verbreitung pornographischer Schriften sowie
in Fall II.9 der Urteilsgründe des Unternehmens, sich den Besitz einer kinderpornographischen Schrift zu verschaffen,
schuldig ist;
aufgehoben
aa) im Schuldspruch zu den Fällen II.3 bis 8 der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen, wobei diejenigen zum äußeren Tatgeschehen bestehen bleiben,
bb) im Ausspruch über die Einzelstrafe in Fall II.9 der Urteils gründe sowie
cc) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexuellen Übergriffs” in Tateinheit mit Raub und Körperverletzung (Fall II.1), wegen „sexuellen Übergriffs in Tateinheit mit Besitz einer pornographischen Schrift und Überlassen einer pornographischen Schrift an eine Person unter achtzehn Jahren und des unaufgeforderten Gelangenzulassens” (Fall II.2), wegen versuchten sexuellen Übergriffs in Tateinheit mit dem Unternehmen, sich „in den Besitz einer jugendpornographischen Schrift zu bringen,” in sechs Fällen (Fälle II.3 bis 8), wegen versuchten sexuellen Übergriffs in Tateinheit mit dem Unternehmen, sich den Besitz einer kinderpornographischen Schrift zu verschaffen (Fall II.9), und wegen Unternehmens, sich den Besitz einer jugendpornographischen Schrift zu verschaffen (Fall II.10), zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Rz. 2
1. Der Senat berichtigt den Schuldspruch zu den Fällen II.1 und 2 entsprechend den rechtsfehlerfreien Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils.
Rz. 3
a) Erfolgen die sexuellen Handlungen – wie hier – unter Anwendung von Gewalt (Fall II.1, UA S. 30) oder unter Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (Fall II.2, UA S. 32) im Sinne von § 177 Abs. 5 Nr. 1 beziehungsweise Nr. 2 StGB (aF), lautet der Schuldspruch entsprechend der gesetzlichen Überschrift auf „sexuelle Nötigung”.
Rz. 4
b) In Fall II.2 stellt die unverlangte Übersendung des Fotos mit pornographischem Inhalt (§ 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB aF) an die minderjährige Geschädigte (§ 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF) nur eine Tat des Verbreitens pornographischer Schriften dar. Ferner war in diesem Fall der auf „Besitz einer pornographischen Schrift” lautende Schuldspruch wie aus der Beschlussformel ersichtlich zu ändern (vgl. UA S. 32), zumal das Unternehmen (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB), sich den Besitz an einer jugendpornographischen Schrift zu verschaffen (§ 184c Abs. 3 Alt. 1 StGB aF), den bloßen Besitz verdrängt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2008 – 3 StR 215/08; NStZ 2009, 208).
Rz. 5
2. Der Schuldspruch im Fall II.9 der Urteilsgründe hält revisiongerichtlicher Überprüfung nicht stand. Insoweit hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte der 13-jährigen Geschädigten – erfolglos – „fernschriftlich” Geld unter anderem für ein Entkleiden während eines Videotelefonats anbot.
Rz. 6
Diese Feststellungen tragen die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchten sexuellen Übergriffs nicht. Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB). Ein unmittelbares Ansetzen besteht in einem Verhalten des Täters, das nach seinem Tatplan in ungestörtem Fortgang ohne weitere Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen soll; dies kann schon gegeben sein, bevor der Täter eine der Beschreibung des gesetzlichen Tatbestands entsprechende Handlung vornimmt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Januar 2020 – 4 StR 397/19, NStZ 2020, 353, 354; vom 28. April 2020 – 5 StR 15/20, NJW 2020, 2570, jeweils mwN). Hieran gemessen hat der Angeklagte noch nicht im Sinne des § 22 StGB unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestandes des § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB (aF) angesetzt. Denn die Vornahme der sexuellen Handlung war nach seiner Vorstellung ersichtlich von der Bereitschaft der Nebenklägerin, sich auf sein Ansinnen einzulassen, und damit von einem wesentlichen Zwischenakt abhängig (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2021 – 5 StR 42/21; Urteil vom 10. Oktober 2013 – 4 StR 258/13, StV 2014, 413, 414).
Rz. 7
Da auszuschließen ist, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitergehende Feststellungen getroffen werden könnten, hat der Senat den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO geändert. Die Schuldspruchänderung entzieht der für diese Tat verhängten Freiheitsstrafe von zwei Monaten die Grundlage.
Rz. 8
3. Der Schuldspruch in den Fällen II.3 bis 8 der Urteilsgründe wegen sechs Fällen des versuchten sexuellen Übergriffs in Tateinheit mit dem Unternehmen, sich „in den Besitz einer jugendpornographischen Schrift zu bringen,” unterliegt der Aufhebung. Nach den hierzu getroffenen Feststellungen bedrohte der Angeklagte in der Zeit vom 12. bis zum 27. Januar 2019 über den Nachrichtendienst WhatsApp die Geschädigte sechsmal, unter anderem mit ihrer Vergewaltigung beziehungsweise Tötung, sollte sie ihm nicht ein verlangtes Nacktbild übermitteln oder sich per Videotelefonie vor ihm entkleiden (Fälle II.3 bis 7). Eine weitere Drohung auf demselben Weg und mit demselben Ziel erfolgte am 12. August 2019 (Fall II.8).
Rz. 9
a) Zum einen erweist sich die Annahme von sechs rechtlich selbstständigen Taten als rechtsfehlerhaft. Denn das Landgericht hat nicht in Betracht gezogen, dass mehrere natürliche Handlungen, wie die wiederholten Drohungen des Angeklagten, als eine Tat im Rechtssinne anzusehen sein können, wenn sie sich als Teilakte einer sukzessiven Tatausführung zur Erreichung eines einheitlichen Erfolges – hier dem Erlangen von Nacktbildern oder einem Entkleidungsvideo – darstellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. April 2020 – 5 StR 96/20, Rn. 3, und vom 22. November 2011 – 4 StR 480/11, NStZ-RR 2012, 79). Diese tatbestandliche Einheit ist dann nicht mehr gegeben, wenn der Täter den deliktischen Erfolg erreicht hat oder ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt, von dem er nicht mehr strafbefreiend zurücktreten kann. Ein solcher Fehlschlag ist gegeben, wenn der Täter nach dem Misslingen des vorgestellten Tatablaufs zu der Annahme gelangt, er könne die Tat nicht mehr ohne zeitliche Zäsur mit den bereits eingesetzten und anderen bereitliegenden Mitteln vollenden und deshalb ein erneutes Ansetzen notwendig ist, um zum gewünschten Ziel zu gelangen (vgl. BGH, Urteile vom 19. Dezember 1997 – 5 StR 569/96, BGHSt 43, 381, 387, und vom 30. November 1995 – 5 StR 465/95, BGHSt 41, 368, 369). Angesichts des zudem engen zeitlichen Zusammenhangs der Fälle II.3 bis 7 der Urteilsgründe lag zumindest insoweit die Annahme einer einheitlichen Tat nahe.
Rz. 10
b) Der Schuldspruch hat überdies deshalb keinen Bestand, weil das Landgericht die Möglichkeit strafbefreiender Rücktritte (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB) nicht in Betracht gezogen hat. Der Umstand, dass die Geschädigte dem Verlangen nicht entsprochen hat, begründet für sich genommen noch keinen Fehlschlag des Versuchs. Das Landgericht hätte die insofern allein maßgebliche subjektive Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung feststellen müssen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2020 – 6 StR 43/20, Rn. 9; Beschluss vom 5. September 2019 – 4 StR 394/19, NStZ 2020, 82, Rn. 6; jeweils mwN). Zu diesem Rücktrittshorizont lassen sich dem Urteil keine Feststellungen entnehmen.
Rz. 11
c) Die Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen II.3 bis 8 zieht die Aufhebung der für sich gesehen rechtsfehlerfreien tateinheitlichen Verurteilungen wegen des Unternehmens, sich den Besitz einer jugendpornographischen Schrift zu verschaffen, nach sich. Hingegen können die rechtsfehlerfreien Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen in den Fällen II.3 bis 8 jeweils bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StGB); ergänzende Feststellungen dürfen getroffen werden, wenn sie den bisherigen nicht widersprechen.
Rz. 12
4. Die teilweise Aufhebung des Schuldspruchs sowie die Schuldspruchänderung zu Fall II.9 entziehen den jeweils verhängten Strafen sowie dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
Unterschriften
Ri'in BGH Dr. Schneider ist urlaubsbedingt an der Unterschrift gehindert Sander, Sander, Feilcke, Tiemann, Fritsche
Fundstellen
Haufe-Index 14965505 |
StV 2022, 231 |