Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart - 19. Zivilsenat - vom 23. Dezember 2021 gemäß § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen
eines Monats
Stellung zu nehmen.
Gründe
Rz. 1
I. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Beklagte zu 1 die am 6. Februar 2018 verstorbene Erblasserin beerbt hat und die Beklagten zu 2 und 3 nicht deren Erben geworden sind.
Rz. 2
Die Beklagte zu 1 ist das einzige Kind der verwitwet verstorbenen Erblasserin. Die Beklagten zu 2 und 3 sind die Kinder der Beklagten zu 1. Der Kläger ist Träger für Leistungen nach dem SGB II, der an die Beklagte zu 1 seit dem Jahr 2005 Sozialleistungen in Höhe von insgesamt 149.522,09 € - davon 12.804,25 € im Zeitraum von Februar 2018 bis Februar 2020 - erbrachte.
Rz. 3
Nach dem Tod der Erblasserin schlug die Beklagte zu 1 mit Erklärung vom 9. März 2018 gegenüber dem Nachlassgericht die Erbschaft aus. Das Nachlassgericht erließ einen Erbschein, wonach die Erblasserin von den Beklagten zu 2 und 3 je zu ½ beerbt worden ist. Der Wert des Nettonachlasses betrug circa 500.000 €.
Rz. 4
Mit Bescheid vom 3. November 2021 nahm der Kläger die Beklagte zu 1 auf Erstattung von im Zeitraum vom 1. März 2018 bis zum 30. September 2021 bezogener Leistungen in Höhe von 23.236,90 € in Anspruch. Gegen diesen Bescheid legte die Beklagte zu 1 Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden ist.
Rz. 5
Soweit für die Revision noch von Interesse hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Beklagte zu 1 Alleinerbin nach der Erblasserin und die Beklagten zu 2 und 3 nicht Erben geworden sind. Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.
Rz. 6
II. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass die Klage unzulässig ist. Dem Kläger fehle ein rechtsschutzwürdiges Feststellungsinteresse. Er nehme für sich nicht in Anspruch, durch Erbfolge am Nachlass beteiligt zu sein. Ein Feststellungsinteresse ergebe sich auch nicht etwa vor dem Hintergrund, dass das Recht der Beklagten zu 1 zur Ausschlagung der Erbschaft kraft Gesetzes auf ihn übergegangen wäre. Das Ausschlagungsrecht stelle keinen Anspruch im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II dar und stehe allein dem Erben zu. Ein Feststellungsinteresse ergebe sich nicht unter dem Aspekt eines feststellungsfähigen Drittrechtsverhältnisses. Der Kläger habe kein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung des Erbrechts. Dieses betreffe den Kläger als Dritten nicht rechtlich, da er nicht zum Kreis der potentiellen Erben gehöre. Zwischen den als Erben in Betracht kommenden Parteien bestehe dagegen kein Streit über das Erbrecht. Das Interesse des Klägers, der Beklagten zu 1 aufgrund mangelnder Hilfebedürftigkeit zukünftig Hilfeleistungen zu versagen und bereits erbrachte Leistungen ggf. zurückzufordern, sei ein lediglich mittelbares wirtschaftliches Interesse. Die Feststellungsanträge seien auch unbegründet. Miterben seien die Beklagten zu 2 und 3 infolge wirksamer Ausschlagung, die nicht wegen Sittenwidrigkeit nichtig sei.
Rz. 7
III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
Rz. 8
1. Eine Zulassung der Revision ist insbesondere nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung oder zur Rechtsfortbildung geboten. Das Berufungsgericht hat die Revision mit der Begründung zugelassen, dass im Streitfall sowohl das Feststellungsinteresse als auch die Sittenwidrigkeit der Ausschlagung der Erbschaft eines nicht behinderten Beziehers von Sozialleistungen noch nicht höchstrichterlich abschließend geklärt seien. Der Fall gibt jedoch keinen Anlass zu einer Grundsatzentscheidung.
Rz. 9
a) Die Zulässigkeit der Klage wirft keine Rechtsfragen auf, die über den Streitfall hinaus klärungsbedürftig sind.
Rz. 10
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 unter 1 a [juris Rn. 5] m.w.N.). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklarheiten bestehen unter anderem dann, wenn die Rechtsfrage vom Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird oder wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden (Senatsbeschluss vom 23. Februar 2022 - IV ZR 150/20, NJW-RR 2022, 684 Rn. 14 m.w.N.). In diesem Sinne klärungsbedürftig ist die Frage, ob in der hier gegebenen Fallkonstellation dem Sozialleistungsträger ein Interesse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO an der Feststellung der Erbenstellung eines Leistungsempfängers zusteht, nicht. Es ist weder konkret dargetan noch sonst ersichtlich, dass sie in der Rechtsprechung oder im Schrifttum umstritten wäre. Ob im vorliegenden Einzelfall ein Feststellungsinteresse besteht, ist keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern anhand der bereits geklärten Voraussetzungen des Feststellungsinteresses gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zu beantworten.
Rz. 11
b) Die Begründetheit der Klage und damit die Frage der Wirksamkeit der Ausschlagung sind nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens. Das Berufungsgericht hält die Klage zwar nicht nur für unzulässig, sondern auch in der Sache für unbegründet. Nach ständiger Rechtsprechung ist aber eine gleichzeitige Prozess- und Sachabweisung in demselben Urteil wegen der unterschiedlichen Rechtskraftwirkungen einer Sach- gegenüber einer Prozessabweisung nicht zulässig. Der Teil des Urteils, der sich auf die fehlende Begründetheit bezieht, gilt in einem solchen Fall als nicht geschrieben (vgl. BGH, Urteile vom 4. Mai 2018 - V ZR 266/16, NJW-RR 2018, 974 Rn. 15; vom 19. März 1997 - XII ZR 277/95, NJW 1997, 2176 unter 2 [juris Rn. 20]; jeweils m.w.N.).
Rz. 12
2. Die Revision hat keine Aussicht auf Erfolg. Die Klage ist, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat, mangels Feststellungsinteresses unzulässig.
Rz. 13
a) Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, wenn dem Recht oder der Rechtslage des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und wenn das erstrebte Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen. Ein allgemeines Klärungsinteresse reicht nicht aus (Senatsbeschluss vom 30. Mai 2018 - IV ZR 402/16, juris Rn. 10). Eine gegenwärtige Gefahr oder Rechtsunsicherheit droht dem Recht oder der Rechtslage des Klägers unter anderem dadurch, dass der Beklagte das Recht ernstlich bestreitet oder sich eines Rechts gegen den Kläger berühmt (Senatsbeschluss vom 30. Mai 2018 aaO). Gegenstand einer Feststellungsklage kann hierbei, wie sich auch aus § 27 ZPO ergibt, das Bestehen oder Nichtbestehen eines Erbrechts sein (vgl. Senatsurteil vom 14. April 2010 - IV ZR 135/08, ZEV 2010, 468 Rn. 8 m.w.N.).
Rz. 14
aa) Auf dieser Grundlage ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger ein Feststellungsinteresse nicht auf die Behauptung stützen kann, ihm stünde das Recht zur Ausschlagung der Erbschaft zu, da es aufgrund der an die Beklagte zu 1 erbrachten Leistungen gemäß § 33 Abs. 1 SGB II auf ihn übergegangen sei; dieses Recht sei dadurch gefährdet, dass sich die Beklagte zu 1 nach ihrer Ausschlagungserklärung als Nicht-Erbin und die Beklagten zu 2 und 3 als Erben gerierten. Im Zivilprozess kann ein Streit zwischen Parteien, die kollidierende Rechte geltend machen, zwar grundsätzlich im Wege der Feststellungsklage nach § 256 ZPO geklärt werden (vgl. Senatsurteil vom 14. April 2010 - IV ZR 135/08, ZEV 2010, 468 Rn. 8). Hier fehlt es aber bereits an der schlüssigen Behauptung eines möglichen Rechts des Klägers, auf das er ein Feststellungsinteresse stützen könnte. Das Recht zur Ausschlagung der Erbschaft ist ein allein dem Erben beziehungsweise seinen Rechtsnachfolgern, den Erbeserben, persönlich zustehendes Recht (vgl. Senatsbeschluss vom 16. März 2022 - IV ZB 27/21, NJW 2022, 1748 Rn. 11). Der Sozialhilfeträger kann das Ausschlagungsrecht nicht auf sich überleiten und ausüben (vgl. zu § 93 SGB XII Senatsurteil vom 19. Januar 2011 - IV ZR 7/10, BGHZ 188, 96 Rn. 30 m.w.N.). Andernfalls erhielte der Sozialhilfeträger die Möglichkeit, auf die Erbfolge Einfluss zu nehmen, was generell nicht dem Erblasserwillen entspricht und nach dem Gesetz den Bedachten selbst vorbehalten ist (Senatsurteil vom 19. Januar 2011 aaO).
Rz. 15
bb) Zu Recht hat das Berufungsgericht weiter angenommen, dass der Kläger gegenüber der Beklagten zu 1 auch im Übrigen kein Feststellungsinteresse bezüglich der Erbenstellung hat. Bei einer Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO muss das streitige Rechtsverhältnis grundsätzlich zwischen den Prozessparteien bestehen (Senatsurteil vom 19. Januar 2000 - IV ZR 57/99, VersR 2000, 866 [juris Rn. 7]). Zwar kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Gegenstand einer Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO auch ein Rechtsverhältnis zwischen einer Partei und einem Dritten sein (vgl. Senatsurteil vom 27. Juni 2018 - IV ZR 222/16, BGHZ 219, 142 Rn. 17) bzw. im vorliegenden Fall ein Rechtsverhältnis - die Erbenstellung nach der Erblasserin -, an dem der Kläger nicht beteiligt ist. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen Klage ist aber, dass dieses Rechtsverhältnis zugleich für die Rechtsbeziehungen der Prozessparteien untereinander von Bedeutung ist und der Kläger ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Klärung dieser Frage hat (vgl. Senatsurteile vom 27. Juni 2018 aaO; vom 11. Juli 2012 - IV ZR 164/11, VersR 2012, 1237 Rn. 24 m.w.N.). Ausreichend ist, dass der Kläger vom Bestehen oder Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses in seinem Rechtsbereich wenigstens mittelbar betroffen wird (Senatsurteil vom 11. Juli 2012 aaO m.w.N.).
Rz. 16
Das ist hier nicht der Fall. Aus einer Erbenstellung der Beklagten zu 1 ergibt sich keine Rechtsfolge im Verhältnis zum Kläger. Die Ansprüche der Parteien auf Leistungen oder Rückerstattung von Leistungen aus dem sozialrechtlichen Rechtsverhältnis sind rechtlich unabhängig davon, ob die Beklagte zu 1 Erbin der Erblasserin geworden ist. Eine Erbenstellung der Beklagten zu 1 kann nur wirtschaftliche Bedeutung erlangen, da sie sich ggf. auf tatsächlicher Ebene auf ihre Hilfebedürftigkeit als Voraussetzung sozialrechtlicher Ansprüche auswirken kann. Der Nachteil der öffentlichen Hand entsteht nur als Reflex durch Aufrechterhaltung der Bedürftigkeit (vgl. zum Pflichtteilsverzicht Senatsurteil vom 19. Januar 2011 - IV ZR 7/10, BGHZ 188, 96 Rn. 21). Dieses wirtschaftliche Interesse reicht jedoch nicht aus, das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung zu begründen. Entgegen der Ansicht des Klägers könnten durch die begehrte Feststellung auch keine - ggf. gemäß § 33 SGB II auf ihn übergehenden - Ansprüche der Beklagten zu 1 gegen die Beklagten zu 2 und 3 auf Herausgabe des Nachlasses begründet werden. Das vom Kläger angestrebte Feststellungsurteil hätte keine Wirkung zwischen der Beklagten zu 1 auf der einen und den Beklagten zu 2 und 3 auf der anderen Seite. Zwischen einfachen Streitgenossen entfaltet ein Urteil keine Rechtskraftwirkung (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2018 - VI ZR 394/17, NJW 2019, 1751 Rn. 12 m.w.N.). Ein Fall notwendiger Streitgenossenschaft liegt dagegen zwischen mehreren - potentiellen - Erben, gegen die auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens des Erbrechts geklagt wird, nicht vor (vgl. Senatsurteil vom 14. April 2010 - IV ZR 135/08, ZEV 2010, 468 Rn. 17 m.w.N.).
Rz. 17
Entgegen der Ansicht der Revision ist dieser Fall auch nicht vergleichbar mit der Feststellungsklage eines Testamentsvollstreckers. Die Klage eines Testamentsvollstreckers auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines von einem Erbprätendenten in Anspruch genommenen Erbrechts ist zulässig, wenn er gerade in dieser seiner Eigenschaft ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung hat (vgl. Senatsurteil vom 4. Februar 1987 - IVa ZR 229/85, NJW-RR 1987, 1090 [juris Rn. 16]); dieses folgt aus seinem eigenständigen Recht, den letzten Willen des Erblassers zu verwirklichen und zu verteidigen (vgl. aaO Rn. 17-18). Der Kläger hat dagegen keine rechtliche Beziehung zum Nachlass.
Rz. 18
b) Soweit sich die Feststellungsklage gegen die Beklagten zu 2 und 3 richtet, kommt ein Feststellungsinteresse bereits deswegen nicht in Betracht, weil es an einer Rechtsbeziehung dieser Parteien zum Kläger fehlt. Das rechtliche Interesse an der alsbaldigen Feststellung des streitigen Rechtsverhältnisses muss aber gerade gegenüber den Beklagten bestehen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 1983 - V ZR 48/82, NJW 1984, 2950 unter II 1 b [juris Rn. 18]).
Rz. 19
c) Im Ergebnis zu Recht ist das Berufungsgericht daher auch davon ausgegangen, dass sich aus den Zweifeln des Klägers an den Erfolgsaussichten einer in die Zuständigkeit der Sozialgerichte fallenden Leistungsklage keine Zulässigkeit der hiesigen Feststellungsklage ergibt. Mangels Feststellungsinteresses kommt es entgegen der Ansicht der Revision nicht darauf an, ob der Kläger eine entsprechende Feststellung vor dem Sozialgericht im Rahmen einer dort erhobenen Leistungsklage auf Rückzahlung von Sozialleistungen erreichen könnte.
Prof. Dr. Karczewski |
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Dr. Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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Dr. Bommel |
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Piontek |
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Fundstellen
Haufe-Index 15602837 |
ZEV 2023, 220 |
ZErb 2023, 259 |