Tenor
1. Die Beschwerden des Nebenklägers gegen die Verfügungen des Oberlandesgerichts München vom 6. Juli 2022 und vom 12. September 2022 werden verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Rechtsmittel zu tragen.
Gründe
Rz. 1
1. Das Oberlandesgericht München führt gegen den Angeklagten ein Strafverfahren wegen Sichbereiterklärens zum Mord in Tateinheit mit Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat sowie mit unerlaubtem Besitz und Führen einer Schusswaffe. Die Hauptverhandlung vor dem 9. Strafsenat des Oberlandesgerichts hat am 16. Juni 2022 begonnen.
Rz. 2
2. Mit Verfügung vom 6. Juli 2022 hat der Vorsitzende des Senats der Nebenklägervertreterin Akteneinsicht bewilligt mit Ausnahme von sieben im Einzelnen bezeichneten Aktenordnern und von Teilen der Anklageschrift, die als "VS-vertraulich amtlich geheimgehalten" bzw. "GEHEIM amtlich geheim gehalten" eingestuft sind, sowie eines Auswertevermerks des Bundeskriminalamts. Mit Verfügung vom 12. September 2022 hat der Senatsvorsitzende zudem den Antrag der Nebenklägervertreterin auf Akteneinsicht in ein Schreiben des Verteidigers K. vom 4. August 2022 abgelehnt, in dem eine Einlassung des Angeklagten in Aussicht gestellt wird und das als "VS-vertraulich" eingestuft ist. Die Versagung der Akteneinsicht hat der Vorsitzende des Senats jeweils damit begründet, dass einer Einsicht in die genannten Aktenteile überwiegende schutzwürdige Belange des Angeklagten gemäß § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO entgegenstünden.
Rz. 3
3. Die Beschwerden, die bei verständiger Würdigung als vom Nebenkläger erhoben anzusehen sind, erweisen sich jedenfalls als unbegründet.
Rz. 4
a) Dahinstehen kann, ob die Rechtsmittel statthaft sind.
Rz. 5
Zwar ergibt sich aus dem Umkehrschluss aus § 406e Abs. 5 Satz 4 StPO, dass die Entscheidung des erkennenden Gerichts über die Gewährung von Akteneinsicht für den Nebenkläger nach Abschluss der Ermittlungen gemäß § 304 Abs. 1 StPO anfechtbar ist (vgl. Hans. OLG Hamburg, Beschluss vom 24. Oktober 2014 - 1 Ws 110/14, NStZ 2015, 105 Rn. 3; OLG Braunschweig, Beschluss vom 3. Dezember 2015 - 1 Ws 309/15, NStZ 2016, 629; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. Februar 2021 - 2 Ws 27/21, juris Rn. 3; KG, Beschluss vom 21. November 2018 - 3 Ws 278/18, NStZ 2019, 110 Rn. 6; SSW-StPO/Schöch, 4. Aufl., § 406e Rn. 18; BeckOK StPO/Weiner, 45. Ed., § 406e Rn. 19).
Rz. 6
Dem steht hier auch nicht die Regelung in § 304 Abs. 4 Satz 2 StPO entgegen. Nach dessen Halbsatz 2 ist gegen Beschlüsse und Verfügungen des Oberlandesgerichts im ersten Rechtszug, die grundsätzlich unanfechtbar sind, eine Beschwerde ausnahmsweise dann zulässig, wenn die Entscheidung in einem der dort benannten Fälle getroffen worden ist. Eine Beschwerde wegen einer verweigerten Auskunft aus den Akten ist nur für die unmittelbar an dem betreffenden Strafverfahren Beteiligten statthaft (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 2005 - StB 6/04, BGHR StPO § 304 Abs. 4 Akteneinsicht 3). Die Aufnahme von Entscheidungen über die Gewährung von Akteneinsicht in den Katalog des § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO rechtfertigt sich aus der besonderen Bedeutung, welche die Aktenkenntnis für die Verfahrensbeteiligten hat. Bei der notwendigen restriktiven Auslegung der Vorschrift verbietet es dieser Bezug des Akteneinsichtsrechts auf das anhängige Strafverfahren, die Beschwerde auch in solchen Fällen als statthaft anzusehen, bei denen die sachgerechte Verteidigung oder Mitwirkung in diesem Verfahren nicht in Frage steht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Januar 2005 - StB 6/04, BGHR StPO § 304 Abs. 4 Akteneinsicht 3; vom 18. Februar 2014 - KRB 12/13, BGHSt 59, 183 Rn. 5; vom 19. Dezember 1989 - KRB 4/89, BGHSt 36, 338, 339). Vorliegend kann die begehrte Akteneinsicht für den am Verfahren beteiligten Nebenkläger für den Schuldspruch von Bedeutung sein.
Rz. 7
Bedenken hinsichtlich der Statthaftigkeit der Beschwerden könnten sich jedoch vor dem Hintergrund der Regelung in § 305 Satz 1 StPO ergeben. In der Literatur und teilweise in der obergerichtlichen Rechtsprechung wird für die Akteneinsicht des Verteidigers und des Angeklagten vertreten, die Ablehnung der Akteneinsicht unterliege gemäß § 305 Satz 1 StPO als der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung nicht der Beschwerde (vgl. KK-StPO/Zabeck, 8. Aufl., § 305 Rn. 6; MüKoStPO/Neuheuser, § 305 Rn. 16; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 10. Juli 2001 - 3 Ws 651/01, NStZ-RR 2001, 374; OLG Naumburg, Beschluss vom 29. September 2009 - 1 Ws 602/09, juris Rn. 5 ff.; OLG Hamm, Beschluss vom 5. August 2004 - 2 Ws 200/04, NStZ 2005, 226; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18. Mai 2015 - 1 Ws 189/15, juris Rn. 9). Ob dieser Auffassung zu folgen und zudem die Akteneinsicht des Nebenklägers und des Verletzten, die in § 406e Abs. 5 StPO speziell normiert ist, in gleicher Weise zu beurteilen wäre, braucht der Senat - angesichts des Umstandes, dass die Rechtsmittel jedenfalls in der Sache keinen Erfolg haben - nicht zu entscheiden.
Rz. 8
b) Die Beschwerden sind nicht begründet. Die Einsicht in die eingangs unter 2. genannten als "VS-vertraulich amtlich geheimgehalten" oder "GEHEIM amtlich geheim gehalten" eingestuften Aktenbestandteile, den Auswertevermerk und das Schreiben des Verteidigers K. vom 4. August 2022, das als VS-vertraulich eingestuft wurde, ist zu versagen, da schutzwürdige Interessen des Beschuldigten entgegenstehen (§ 406e Abs. 2 Satz 1 StPO). Zur Begründung wird auf die vollumfänglich zutreffenden Ausführungen in der Nichtabhilfeentscheidung des Senatsvorsitzenden vom 6. Oktober 2022 Bezug genommen.
Berg Hohoff Anstötz
Fundstellen
Dokument-Index HI15467054 |