Verfahrensgang
LG Münster (Urteil vom 27.05.2003) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 27. Mai 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg.
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 17. September 2003 hierzu ausgeführt:
„Die Revision hat mit der in allgemeiner Form erhobenen Sachrüge Erfolg. Die Würdigung des Landgerichts zur subjektiven Tatseite begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Die Kammer hat die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes im Sinne von § 212 Abs. 1 StGB entscheidend auf die objektive Tatausführung gestützt: Der Angeklagte habe seine geschiedene Ehefrau auch dann noch gewürgt, nachdem diese das Bewusstsein verloren hatte; dabei habe er gewusst, dass er die Herrschaft über das Geschehen aufgegeben und sein Opfer in eine Situation zumindest abstrakter Lebensgefahr gebracht habe (UA S. 11).
Der Schluss auf bedingten Tötungsvorsatz ist jedoch nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter in seine Erwägungen alle Umstände einbezogen hat, die ein solches Ergebnis in Frage stellen (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 30 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht, da es lediglich auf die abstrakte Lebensgefahr des Würgeaktes für das Opfer (UA S. 9) verweist und allein aus der Kenntnis um diese Gefährlichkeit ohne Berücksichtigung der psycho-physischen Verfassung des Angeklagten auf sein Wissen und Wollen zur Tatzeit schließt. Die Feststellung, der Angeklagte habe die – nur abstrakte – Lebensgefährlichkeit seines Vorgehens erkannt, belegt nur das Wissenselement des Vorsatzes. Weshalb der Angeklagte, der nach den Urteilsgründen mindestens eine Minute lang nur mit Verletzungsvorsatz gehandelt hat, während des Tatgeschehens seinen verbrecherischen Willen gesteigert und einen (bedingten) Tötungsvorsatz gefasst haben sollte, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls sind dem Urteil weder äußere noch innere Umstände zu entnehmen, die zu einer solchen Änderung der Motivation des Angeklagten hätten Anlass geben können, zumal offen geblieben ist, wie lange und wie intensiv er seine geschiedene Ehefrau nach deren Bewusstlosigkeit gewürgt hat, und Feststellungen über Art und Ausmaß von eventuell im Halsbereich entstandenen Verletzungen nicht mitgeteilt werden. Die Strafkammer hat es insbesondere verabsäumt, die schon für sich wenig lebensnahe Vorstellung, der Täter handele während eines einheitlichen Tatgeschehens teilweise mit Verletzungs- und teilweise mit Tötungsvorsatz (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 47), mit dem zur verminderten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB führenden Affekt des Angeklagten in Beziehung zu setzen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass in psycho-physischen Ausnahmesituationen die Erkenntnisfähigkeit und Willenskräfte des Täters beeinträchtigt sind. Hochgradige Alkoholisierung und affektive Erregung gehören deshalb zu den Umständen, die der Annahme eines Tötungsvorsatzes entgegenstehen können und deshalb ausdrücklicher Erörterung in den Urteilsgründen bedürfen (st. Rspr.; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 6, 7, 9, 15, 40, 41, 48, 54). Das gilt umso mehr, wenn – wie hier – ein einleuchtendes Motiv für einen Vorsatzwechsel nicht ersichtlich ist, dem Tatgeschehen kein vergleichbares Vorverhalten des Angeklagten entspricht (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 54) und die affektive Erregung die Wahrnehmung selbst eigener körperlicher Schmerzen des Täters – der Angeklagte bemerkte den Biss eines Hundes in seine Wange nicht (UA S. 8) – verhinderte.
Solche Darlegungen waren auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Angeklagte unmittelbar nach der Tat seine geschiedene Ehefrau für tot hielt und selbst gegenüber den seine Selbstanzeige aufnehmenden Polizeibeamten auf ausdrückliche Nachfrage bloße Bewusstlosigkeit ausschloss (UA S. 8, 9). Diese Fehleinschätzung des Handlungserfolges ist für die subjektive Seite des eigentlichen Tatentschlusses ohne tragfähigen Beweiswert, da der Angeklagte nach den Feststellungen sich wegen seiner affektiven Erregung an das Tatgeschehen von Beginn bis zum Ende des Würgens glaubhaft nicht zu erinnern vermochte (UA S. 10, 13). Sie belegt lediglich seinen affektiven Zustand und erklärt seine panikartige Flucht (UA S. 13) sowie seine „schwere Erschütterung mit heftiger körperlicher Reaktion” bei seiner ersten Vernehmung (UA S. 8, 9, 13).
Die unzureichende Erörterung der inneren Tatseite des Totschlags führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer. Diese wird unter Berücksichtigung – soweit feststellbar – der physischen Verletzungsfolgen und der Dauer des Würgevorgangs, insbesondere nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit, unter Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen die Auswirkungen des Affektes auf den Vorsatz als solchen und – für den Fall, dass wiederum von einem Übergehen des Körperverletzungs- in einen (bedingten) Tötungsentschluss auszugehen sein sollte – auf den Vorsatzwechsel zu prüfen und das Ergebnis in den Urteilsgründen darzulegen haben. Wegen der Einheitlichkeit des Schuldspruchs erfasst die Aufhebung auch die für sich genommen nicht zu beanstandende Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung.”
Dem stimmt der Senat zu.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Kuckein, Solin-Stojanović, Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 2558181 |
NStZ 2004, 329 |