Verfahrensgang
LG Hildesheim (Urteil vom 21.08.2001) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 21. August 2001 mit den Feststellungen – ausgenommen denjenigen zum äußeren Tatgeschehen, die bestehen bleiben – aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung – jeweils in vier rechtlich zusammentreffenden Fällen –, mit Sachbeschädigung und mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat im wesentlichen Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen dringen nicht durch. Insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 29. Januar 2002. Im übrigen kommt es auf die Verfahrensbeschwerden, soweit diese sich gegen die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags richten, nicht an, weil das Urteil insoweit schon auf die Sachbeschwerde aufzuheben ist. Denn die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, entbehrt einer tragfähigen Grundlage.
2. Das Landgericht hat festgestellt:
Der nicht bestrafte Angeklagte ist gelernter Maurer und betrieb zuletzt mit seiner Frau eine Firma im Bereich des Maurer- und Stahlbetonbaus. Nach anfänglich harmonischer Ehe kam es insbesondere wegen geschäftlicher Schwierigkeiten etwa ein halbes Jahr vor der Tat zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau zu zunehmenden Spannungen. Dabei blieb der Angeklagte gewöhnlich nach außen hin ruhig und kontrolliert, „fraß” aber seine Probleme in sich hinein. Nur unter Alkoholeinfluß reagierte er mitunter aggressiv. Am Tatabend nahmen der Angeklagte und seine Ehefrau an einer Geburtstagsfeier teil, die in einem Landgasthaus, einem Fachwerkbau, stattfand. Auch bei dieser Feier kam es wieder zu Streitigkeiten zwischen den Eheleuten, aber erst, nachdem der Angeklagte in erheblichen Mengen Alkohol zu sich genommen hatte. Kurz nach 3.00 Uhr drängte der Angeklagte seine Ehefrau zum Aufbruch. Diese saß zu diesem Zeitpunkt mit drei anderen Gästen an einem Tisch, etwa zwei Meter von dem Fenster entfernt, vor dem der Angeklagte mit Front zum Gebäude seinen Pkw Audi A 6 geparkt hatte. Während seine Ehefrau ihm bedeutete, sie werde „gleich” kommen, verließ der Angeklagte schon zweimal das Lokal, um jeweils nach kurzer Zeit zurückzukehren. Bevor er sodann das Lokal zum dritten Mal verließ, versetzte er ihr einen leichten „Stubs” an den Hinterkopf. Die Ehefrau und die drei anderen Gäste saßen noch an dem Tisch, als der Angeklagte seinen Pkw in einem leichten Bogen etwa 15 m von der Parkfläche bis zu der davor verlaufenden öffentlichen Straße zurücksetzte und dort zunächst quer zur Fahrbahn stehen blieb. Nach wenigen Minuten blendete er dreimal auf, fuhr gleich danach an, beschleunigte seinen Pkw auf 25 bis 35 km/h und fuhr genau in Höhe des Fensters, hinter dem sich die vier Personen befanden, gegen die Hauswand. Der Pkw durchbrach die Mauer und drang mit seiner Front etwa 1,50 m in den dahinterliegenden Raum ein, bevor er zum Stehen kam. Die vier in dem Raum befindlichen Personen wurden durch den Aufprall zur Seite geschoben, was Prellungen u.a. zur Folge hatte.
Der Angeklagte hat die Tat nicht in Abrede gestellt, sich aber auf Erinnerungslosigkeit berufen. Das Landgericht stützt deshalb seine Annahme, der Angeklagte habe mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, allein auf objektive Umstände. So entnimmt es dem Umstand, daß der Angeklagte, bevor er anfuhr, dreimal aufblendete, daß er die Geschädigten „weiterhin hinter dem Fenster sitzend wähnte, weil er sonst keine Adressaten des Aufblendens gehabt hätte” (UA 13). Dem Angeklagten sei berufsbedingt bekannt gewesen, daß bei dem Fachwerk wegen der geringeren Stabilität des Mauerwerks die Wand an der betreffenden Stelle einem stärkeren Anstoß ebensowenig wie das darauf gesetzte Fenster würde standhalten können. Weiter heißt es: „Bei dem Einsatz des schweren und großen Pkw Audi A 6 durfte er deswegen bei der festgestellten mittleren bis stärkeren Beschleunigung nicht darauf vertrauen, daß die Zeugen hinter dem Fester durch das Auto selbst, durch in den Raum geschleudertes Mauerwerk oder durch herumfliegende Glassplitter – Umstände, die die Tat objektiv lebensbedrohlich machen – keine tödlichen Verletzungen erleiden würde, zumal er keinerlei Einfluß auf die konkreten Auswirkungen seiner Tat innerhalb des Gebäudes hatte und es somit dem Zufall überließ, ob sich die Lebensgefahr für die Zeugen hinter dem Fenster verwirklichte” (UA 14).
3. Die Würdigung des Landgerichts zur subjektiven Tatseite begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar liegt es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, daß der Täter auch mit der Möglichkeit, daß das Opfer dabei zu Tode kommen könne, rechnet. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß der Täter die Gefahr des Todes nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, dieser „Erfolg” werde nicht eintreten. Der Schluß auf bedingten Tötungsvorsatz ist daher nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter in seine Erwägungen alle Umstände einbezogen hat, die ein solches Ergebnis in Frage stellen (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 30 m.w.N.).
Eine solche Gesamtabwägung hat das Landgericht hier nicht vorgenommen. Insbesondere hat es unterlassen, die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten und dessen psycho-physische Verfassung zur Tatzeit in seine Beurteilung einzubeziehen. Darauf kam es hier aber an. Auch wenn die mißverständliche, nämlich ihrem Wortlaut nach auf Fahrlässigkeit hindeutende Formulierung, der Angeklagte habe „nicht darauf vertrauen dürfen”, daß es zu keinen tödlichen Verletzungen kommen würde, dahin zu verstehen ist, der Angeklagte habe die Möglichkeit tödlicher Verletzungen „erkannt”, beträfe dies allein das Wissenselement des Vorsatzes, das aber nicht ohne weiteres den Schluß auf die zumindest bedingte Inkaufnahme des tödlichen Erfolges zuläßt (st. Rspr.; BGH StV 1988, 328). Hier kommt aber hinzu, daß der Angeklagte zur Tatzeit erheblich alkoholisiert war (seine aufgrund einer Blutprobe zutreffend ermittelte Blutalkoholkonzentration betrug 2,77 ‰) und das Landgericht – darin dem gehörten Sachverständigen folgend – aus dem Zusammenwirken der Alkoholisierung und des Affektaufbaus, „den der Angeklagte mangels Krisenmanagements nicht habe verarbeiten können” (UA 11) „positiv” (UA 12) zur Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB gelangt ist. In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß in solcher psycho-physischen Ausnahmesituation die Erkenntnisfähigkeit und Willenskräfte des Täters beeinträchtigt sind. Hochgradige Alkoholisierung und affektive Erregung gehören deshalb zu den Umständen, die der Annahme eines Tötungsvorsatzes entgegenstehen können und deshalb ausdrücklicher Erörterung in den Urteilsgründen bedürfen (st. Rspr.; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 6, 7, 9, 15, 40, 41, 48). Das gilt umso mehr, wenn – wie hier – ein einleuchtendes Motiv für eine Tötung nicht ersichtlich ist und dem Tatgeschehen auch kein vergleichbares Vorverhalten des Angeklagten entspricht (BGH StV 1994, 13, 14).
4. Der aufgezeigte Rechtsfehler berührt für sich genommen nur die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags, stellt aber den Schuldspruch im übrigen nicht in Frage. Dies gilt auch, soweit das Schwurgericht den Angeklagten der gefährlichen Körperverletzung für schuldig befunden hat. Denn Zweifel am (bedingten) Tötungsvorsatz stehen der Annahme vorsätzlichen Handelns nach § 224 StGB in den vom Landgericht angenommenen Tatbestandsalternativen von Absatz 1 Nr. 2 und 5 der Vorschrift nicht entgegen. Gleichwohl ist das Urteil wegen der tateinheitlichen Verwirklichung der Delikte insgesamt aufzuheben. Ausgenommen hiervon bleiben allerdings die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt, die von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt sind. Nur vorsorglich weist der Senat darauf hin, daß es sich bei der Angabe der Tatzeit „4.30 Uhr” (UA 8) im Zusammenhang mit der Berechnung der Tatzeit-BAK ersichtlich um einen Schreibfehler handelt; wie sich zweifelsfrei aus den Zeitangaben auf UA 6, 9 und 12 ergibt, fand die Tat gegen 3.30 Uhr statt.
Die Aufhebung des Schuldspruch entzieht auch der an sich nicht zu beanstandenen Anordnung der Maßregel nach §§ 69, 69 a StGB die Grundlage. Auch hierüber wird deshalb neu zu befinden sein.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Solin-Stojanović, Ernemann, Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 2559939 |
DAR 2002, 274 |
DAR 2003, 295 |
ZfS 2002, 304 |
PVR 2002, 316 |