Leitsatz (amtlich)
Der Anwalt hat durch geeignete Organisationsmaßnahmen sicherzustellen, dass bei ausbleibender Reaktion des Gerichts auf sein Fristverlängerungsgesuch noch vor Ablauf der beantragten verlängerten Frist dort Nachfrage gehalten wird, ob und in welchem Umfang dem Antrag stattgegeben wurde. Kommt er dem nicht nach, wird die Wiedereinsetzungsfrist spätestens zu dem Zeitpunkt in Gang gesetzt, zu dem er eine klärende Antwort auf eine solche Nachfrage erhalten hätte (im Anschluss an BGH Beschl. v. 13.10.2011 - VII ZR 29/11, NJW 2012, 159; Abgrenzung zu BGH v. 28.3.2001 - XII ZB 100/00, VersR 2002, 1045).
Normenkette
FamFG § 117 Abs. 5; ZPO §§ 233, 234 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
OLG München (Beschluss vom 26.03.2012; Aktenzeichen 33 UF 2143/11) |
AG Pfaffenhofen a.d. Ilm (Beschluss vom 21.10.2011; Aktenzeichen 1 F 971/10) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 33. Zivilsenats - zugleich Familiensenat - des OLG München vom 26.3.2012 wird auf Kosten der Antragsgegnerin verworfen.
Wert: 11.975 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Antragsgegnerin wendet sich in einer Familienstreitsache gegen die Verwerfung ihrer Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist und die Verweigerung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Rz. 2
In dem Verfahren wird die Antragsgegnerin vom Antragsteller, ihrem früheren Ehemann, auf Gesamtschuldnerausgleich nach rechtskräftig geschiedener Ehe in Anspruch genommen. Die Antragsgegnerin begehrt mit ihrem Widerantrag die Zustimmung des Antragstellers zum Verkauf eines Grundstücks. Das AG hat dem Antrag überwiegend stattgegeben und den Widerantrag zurückgewiesen. Gegen den ihr am 26.10.2011 zugestellten Beschluss des AG hat die Antragsgegnerin am 22.11.2011 Beschwerde eingelegt.
Rz. 3
Am 9.12.2011 hat die Geschäftsstelle des OLG der Antragsgegnerin den Eingang der Beschwerde bestätigt sowie fälschlich den 26.11.2011 als Zustellungsdatum und den 26.1.2012 als das Ende der Beschwerdebegründungsfrist bezeichnet. Die Beschwerdebegründung ist beim OLG am 18.1.2012 eingegangen. Mit Beschluss vom 16.2.2012 hat das OLG die Beteiligten darauf hingewiesen, dass bei streitiger Durchführung des Verfahrens mit erheblichen Kosten wegen eines einzuholenden Sachverständigengutachtens zu rechnen sei. Deswegen werde der Abschluss eines Vergleichs empfohlen.
Rz. 4
Mit Verfügung vom 9.3.2012, die der Antragsgegnerin am 15.3.2012 zugestellt worden ist, hat das OLG darauf hingewiesen, dass die Beschwerde nicht rechtzeitig begründet worden und deshalb deren Verwerfung beabsichtigt sei. Am 15.3.2012 hat die Antragsgegnerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Ihre Verfahrensbevollmächtigte hat anwaltlich versichert, sie habe mit einem per Computerfax übermittelten Schriftsatz vom 20.12.2011 die Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist um einen Monat beantragt. Den Schriftsatz sowie ein Faxprotokoll, das einen "OK"-Vermerk für die Versendung des Faxes am 20.12.2011 ausweist, hat sie beigefügt. Dieser Schriftsatz ist beim OLG nicht eingegangen.
Rz. 5
Das OLG hat die Beschwerde der Antragsgegnerin unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags verworfen. Hiergegen richtet sich ihre Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 6
Die gem. §§ 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Der Sache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu (§§ 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§§ 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
Rz. 7
1. Das OLG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die Beschwerdebegründungsfrist sei mit dem 27.12.2011 abgelaufen. Sie sei bei Eingang der Beschwerdebegründung am 18.1.2012 daher bereits verstrichen gewesen. Der Antragsgegnerin sei keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren, da der entsprechende Antrag nicht binnen der Monatsfrist der §§ 117 Abs. 5 FamFG, 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO gestellt worden sei. Die Antragsgegnerin sei spätestens zwei bis drei Wochen nach Stellung des Verlängerungsantrags gehalten gewesen nachzufragen, ob die beantragte Fristverlängerung bewilligt worden sei. Auch wenn eine Erkundigungspflicht erst am Ende der beantragten verlängerten Frist angenommen werde, hier also zum 27.1.2012, sei die Wiedereinsetzungsfrist mit dem 27.2.2012 abgelaufen. Der am 15.3.2012 eingegangene Wiedereinsetzungsantrag sei daher verspätet.
Rz. 8
2. Diese Ausführungen halten sich im Rahmen der Rechtsprechung des BGH und lassen auch sonst keinen Zulassungsgrund erkennen.
Rz. 9
a) Das OLG hat zutreffend erkannt, dass die Antragsgegnerin die Beschwerdebegründung erst nach dem Ende der mit dem 27.12.2011 ablaufenden Zweimonatsfrist des § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG und damit verspätet eingereicht hat (vgl. BGH v. 22.7.2015 - XII ZB 583/14, FamRZ 2015, 1878 Rz. 10).
Rz. 10
b) Auch die Entscheidung des OLG, der Antragsgegnerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Verschuldens ihrer Rechtsanwältin zu versagen, steht mit der Rechtsprechung des BGH in Einklang.
Rz. 11
aa) Ein Rechtsanwalt darf auf die Gewährung einer beantragten Fristverlängerung nicht so lange vertrauen, wie er keine anders lautende Nachricht vom Gericht erhält (BGH Beschl. v. 24.11.2009 - VI ZB 69/08, FamRZ 2010, 370 Rz. 9). Er hat vielmehr durch geeignete Organisationsmaßnahmen sicherzustellen, dass bei ausbleibender Reaktion des Gerichts auf sein Fristverlängerungsgesuch noch vor Ablauf der beantragten verlängerten Frist dort Nachfrage gehalten wird, ob und in welchem Umfang dem Antrag stattgegeben wurde (BGH Beschl. v. 16.10.2014 - VII ZB 15/14, NJW-RR 2015, 700 Rz. 12 m.w.N.). Kommt der Rechtsanwalt dem nicht nach, wird die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO spätestens zu dem Zeitpunkt in Gang gesetzt, zu dem er eine klärende Antwort auf eine solche Nachfrage erhalten hätte. Denn die Wiedereinsetzungsfrist beginnt, sobald die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter erkannt hat oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können, dass die Begründungsfrist versäumt worden ist (BGH Beschl. v. 13.10.2011 - VII ZR 29/11, NJW 2012, 159 Rz. 9 m.w.N.). Soweit dem Senatsbeschluss vom 28.3.2001 (XII ZB 100/00, VersR 2002, 1045, 1046) im Hinblick auf die - dort verneinte - Erforderlichkeit, sich über den Eingang eines Fristverlängerungsantrags bei Gericht zu erkundigen, eine abweichende Auffassung entnommen werden kann, hält der Senat an diesen, die seinerzeitige Entscheidung ohnehin nicht tragenden, Ausführungen nicht fest.
Rz. 12
bb) Dem Rechtsanwalt wäre es allerdings nicht anzulasten, wenn seine irrige Rechtsauffassung über den Fristablauf vom Gericht veranlasst und hierdurch ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden wäre. Voraussetzung hierfür ist aber, dass die zur Fristversäumung führende Fehlvorstellung des Rechtsanwalts unmittelbar durch unzutreffende gerichtliche Hinweise verursacht wurde (vgl. BverfG NJW 2004, 2887, 2888). Im Übrigen gilt auch insoweit, dass der Rechtsanwalt sich auf eine unzutreffende Rechtsauskunft des Gerichts nicht ohne Weiteres verlassen darf, sondern verpflichtet ist, die sich bei der Prozessführung stellenden Rechtsfragen in eigener Verantwortung zu überprüfen. Dementsprechend schließen selbst ursächliche Gerichtsfehler im Allgemeinen ein anwaltliches Verschulden nicht aus (BGH, Urt. v. 15.12.2010 - XII ZR 27/09, FamRZ 2011, 362 Rz. 30 m.w.N.).
Rz. 13
cc) Nach diesen Maßgaben begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das OLG angenommen hat, der am 15.3.2012 gestellte Wiedereinsetzungsantrag sei nach §§ 117 Abs. 5 FamFG, 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO verspätet gestellt.
Rz. 14
(1) Dabei kann offen bleiben, ob die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin - wie das OLG meint - spätestens zwei bis drei Wochen nach Stellung des Verlängerungsantrags gehalten war nachzufragen, ob die beantragte Fristverlängerung bewilligt wurde. Sie hätte - wie das OLG zutreffend ausführt - jedenfalls spätestens zum 27.1.2012, dem letzten Tag der von ihr beantragten verlängerten Frist, beim OLG Nachfrage halten müssen, ob und in welchem Umfang ihrem Verlängerungsantrag stattgegeben wurde.
Rz. 15
Das OLG hat zwar keine ausdrücklichen Feststellungen dazu getroffen, wann die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin eine klärende Antwort auf eine solche Nachfrage erhalten hätte. Es hat diesen Umstand aber für entscheidungserheblich gehalten und ist ersichtlich davon ausgegangen, dass die Auskunft jedenfalls vor dem 15.2.2012 erteilt worden wäre. Dagegen ist nichts zu erinnern.
Rz. 16
(2) Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, eine Nachfragepflicht habe vorliegend nicht bestanden, weil das OLG durch seine Hinweise bei der Antragsgegnerin eine Fehlvorstellung in Bezug auf den Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist hervorgerufen und damit einen Vertrauenstatbestand begründet habe, vermag sie damit nicht durchzudringen.
Rz. 17
Die zweimonatige Beschwerdebegründungsfrist des § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG lief mit dem 27.12.2011 ab und nicht - wie von der Geschäftsstelle des OLG mitgeteilt - mit dem 26.1.2012. Diesen Fehler hätte die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin bei einer Überprüfung bemerken müssen, zumal auch das in der Verfügung angegebene Zustellungsdatum unzutreffend war (26.11.2011, statt richtig: 26.10.2011). Zur eigenverantwortlichen Überprüfung der Frist bestand jedenfalls Anlass, als der Verfahrensbevollmächtigten die Akte im Rahmen einer fristgebundenen Verfahrenshandlung - hier des Antrags auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist - vorgelegt wurde (vgl. BGH v. 15.1.2014 - XII ZB 431/13, NJW-RR 2014, 697 Rz. 8).
Rz. 18
Der Hinweisbeschluss vom 16.2.2012 konnte eine Fehlvorstellung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin, dass die nach ihrem Vorbringen beantragte Fristverlängerung gewährt worden sei, bereits deshalb nicht hervorrufen, weil sich diese Verfügung zur Frage des Fristendes bzw. möglicher gewährter Fristverlängerung nicht verhält.
Fundstellen
Haufe-Index 8975969 |
NJW 2016, 6 |
FamRZ 2016, 366 |
FuR 2016, 227 |
NJW-RR 2016, 376 |
IBR 2016, 191 |
JurBüro 2016, 614 |
WM 2016, 1565 |
JZ 2016, 179 |
MDR 2016, 174 |
FF 2016, 131 |
FamRB 2016, 102 |
BRAK-Mitt. 2016, 65 |
Mitt. 2016, 575 |
NZFam 2016, 238 |
RENO 2016, 24 |