Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 28.04.2020; Aktenzeichen 12 Js 1876/18 21 KLs 1/20) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 28. April 2020 wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
- soweit der Angeklagte im Fall II. 3 der Urteilsgründe verurteilt wurde;
- im Fall II. 4 der Urteilsgründe im Strafausspruch sowie im Ausspruch über die aus den Einzelstrafen für die Fälle II. 3 und 4 der Urteilsgründe gebildeten Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hattingen vom 28. September 2015 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, wegen vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 28. Juni 2017 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten und wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Rz. 2
Die Verurteilung wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung im Fall II. 3 der Urteilsgründe hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 3
1. Nach den Feststellungen stieß der Angeklagte die Geschädigte auf ein Bett, fixierte sie mit seinem Körpergewicht, drückte ihre Handgelenke zusammen und hielt diese fest. Nachdem er der Zeugin mit der anderen Hand zunächst an die nackten Brüste gegriffen hatte, fasste er ihr unter Hose und Unterhose „an die Vulva”. Die Zeugin presste ihre Beine zusammen und versuchte die Berührungen des Angeklagten abzuwehren. Dennoch gelang es ihm, die Zeugin „zwischen ihren Schamlippen an der Klitoris zu berühren”. Nachdem er zunächst von ihr abgelassen und der Zeugin vorgehalten hatte, dass sie nicht mit ihm schlafen wolle, ging er erneut auf sie zu, fasste sie an den Hals und drückte sie gegen eine Wand. Die Zeugin verspürte dabei Schmerzen.
Rz. 4
Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB gewertet. Die Berührung der Klitoris stelle ein „Eindringen mit dem Finger” dar, weil die zu den äußeren Genitalien der Frau gehörende Klitoris – wie der Scheidenvorhof – hinter den Schamlippen liege und bereits ein Eindringen in den Scheidenvorhof bzw. ein Kontakt mit dem Scheidenvorhof für die Erfüllung des Tatbestandes ausreichend sei.
Rz. 5
2. Die Urteilsgründe ergeben nicht, dass der Angeklagte eine ähnliche sexuelle Handlung mit besonderer Erniedrigungswirkung im Sinne des § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB begangen hat.
Rz. 6
a) Nach § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB liegt ein besonders schwerer Fall des sexuellen Übergriffs im Sinne des § 177 Abs. 6 Satz 1 StGB regelmäßig dann vor, wenn der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder an ihm eine ähnliche sexuelle Handlung vornimmt, die dieses besonders erniedrigt, insbesondere, wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist (Vergewaltigung). Nach ständiger Rechtsprechung ist „Beischlaf” das Eindringen des männlichen Gliedes in die Scheide; dafür reicht es bereits aus, dass das männliche Glied mit dem Scheidenvorhof in Kontakt tritt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2014 – 1 StR 106/14, NStZ-RR 2014, 208; Urteil vom 25. Oktober 2000 – 2 StR 242/00, BGHSt 46, 176 mwN). Ob eine andere ähnliche sexuelle Handlung das Opfer besonders erniedrigt, bedarf grundsätzlich der positiven Feststellung der Umstände des Einzelfalls, die in wertender Betrachtung die Annahme der besonderen Erniedrigung des Tatopfers stützen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2001 – 4 StR 79/01, NJW 2001, 2185, 2186; Urteil vom 18. November 1999 – 4 StR 389/99, NJW 2000, 672, 673 [jew. zu § 177 Abs. 2 StGB aF]). Einem Eindringen in den Körper kommt dabei nach dem – insoweit unverändert gebliebenen – Gesetzestext ein besonderes Gewicht zu. Eine besondere Erniedrigung ist danach in der Regel („insbesondere”) anzunehmen, wenn die sexuelle Handlung mit einem Eindringen in den Körper verbunden war (vgl. BGH, Beschluss vom 24. April 2001 – 1 StR 94/01, NStZ 2001, 598; Wolters in SSW-StGB, 5. Aufl., § 177 Rn. 104; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 177 Rn. 100; krit. in Bezug auf nicht erzwungene Penetrationen Fischer, StGB, 68. Aufl., § 177 Rn. 118 und 133).
Rz. 7
Auch Penetrationen mit dem Finger, die eindeutig sexuell konnotiert sind, können beischlafähnliche sexuelle Handlungen mit besonderer Erniedrigungswirkung sein. Dies ist für eine mit dem Finger vorgenommene Penetration der Scheide (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2004 – 2 StR 351/03, NStZ 2004, 440 Rn. 8; Beschluss vom 24. April 2001 – 1 StR 94/01, NStZ 2001, 598; Beschluss vom 17. September 1999 – 3 StR 524/99, BGHR StGB § 177 Abs. 2 Vergewaltigung 1 – Finger in Scheide [jeweils zu § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB aF], siehe dazu auch BGH, Urteil vom 8. Dezember 2016 – 4 StR 389/16 Rn. 10; Beschluss vom 14. April 2011 – 2 StR 65/11, NJW 2011, 3111 Rn. 6 [jeweils zu § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB]), des Scheidenvorhofs (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2017 – 2 StR 345/17, BGHR StGB § 176a Abs. 2 Nr. 1 Sexuelle Handlung 2; Beschluss vom 26. Mai 2004 – 4 StR 119/04, NStZ 2005, 90; Urteil vom 25. Oktober 2000 – 2 StR 242/00, NStZ 2001, 312 [jeweils zu § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB]) oder des Anus (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2016 – 4 StR 389/16 Rn. 10; Beschluss vom 24. April 2001 – 1 StR 94/01, NStZ 2001, 598; Beschluss vom 24. März 1999 – 1 StR 685/98, NStZ-RR 1999, 321 Nr. 24 bei Pfister [jeweils zu § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB aF]) anerkannt. Wurden derartige Penetrationen erzwungen, ist eine weitere Erörterung der Frage, ob eine besondere Erniedrigung gegeben ist, in der Regel entbehrlich (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 2004 – 2 StR 351/03, NStZ 2004, 440 Rn. 8; Beschluss vom 24. April 2001 – 1 StR 94/01, NStZ 2001, 598 [zu § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB aF).
Rz. 8
b) Die getroffenen Feststellungen und die sie tragende Beweiswürdigung ergeben nicht, dass es bereits zu einem Eindringen in den Körper der Geschädigten kam. Die zwischen den großen Vulvalippen liegende Klitoris reicht bis an die Körpervorderseite. Ihre Berührung setzt nicht notwendig ein Überschreiten der Körpergrenze voraus. Die Geschädigte hat hierzu lediglich angegeben, dass der Angeklagte sie „am Kitzler berührt” habe und er bei seinem Griff in ihre ungeöffnete Hose „nur bis zu ihrem Kitzler gekommen” sei. Dass der Angeklagte mit seinem Finger in die Geschädigte eingedrungen ist, kann daher auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnommen werden.
Rz. 9
Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt die Verurteilung insgesamt auf, um dem neuen Tatrichter umfassende Neufeststellungen zum Tathergang zu ermöglichen.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 10
Bereits die Aufhebung der Verurteilung im Fall II. 3 der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe mit der Einzelstrafe aus Fall II. 4 der Urteilsgründe nach sich. Um dem neuen Tatrichter eine einheitliche Strafzumessung zu ermöglichen, hebt der Senat auch die im Fall II. 4 der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe auf.
Rz. 11
Bei einer erneuten Verurteilung im Fall II. 3 der Urteilsgründe wird zu beachten sein, dass dem Angeklagten ein „Locken” der Geschädigten in eine für sie ausweglose Situation nur dann angelastet werden kann, wenn dies rechtsfehlerfrei festgestellt ist. Außerdem wird der neue Tatrichter bei der Strafzumessung zu beachten haben, dass in Bezug auf die durch die Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafe erledigten und deshalb nicht mehr nach § 55 Abs. 1 StGB einbeziehungsfähigen Einzelgeldstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Hattingen vom 11. März 2019 ein Härteausgleich zu gewähren ist (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 2014 – 1 StR 299/14 Rn. 17; von Heintschel-Heinegg in MünchKommStGB, 4. Aufl., § 55 Rn. 25 mwN). Schließlich wird auch das Gesamtstrafenübel in den Blick zu nehmen sein (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2018 – 1 StR 582/17 Rn. 5 mwN).
Unterschriften
Sost-Scheible, Quentin, Bartel, Rommel, Maatsch
Fundstellen
Haufe-Index 14321209 |
NStZ-RR 2021, 105 |
NStZ-RR 2021, 363 |
NStZ-RR 2021, 5 |
StV 2021, 301 |