Verfahrensgang
LG Meiningen (Urteil vom 14.09.2005) |
Tenor
Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 14. September 2005 aufgehoben. Die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung entfällt.
Die Kosten des Verfahrens über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung und die notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.
Die Entscheidung über die Entschädigung des Verurteilten wegen der erlittenen Strafvollstreckungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
Der Unterbringungsbefehl des Landgerichts Meiningen vom 3. November 2004 wird aufgehoben. Der Verurteilte ist in dieser Sache sofort auf freien Fuß zu setzen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b Abs. 1 StGB angeordnet. Dagegen richtet sich die Revision des Verurteilten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Rz. 2
1. Gegen den Verurteilten wurde vom Amtsgericht Sonneberg durch Urteil vom 22. November 2000 wegen Vergewaltigung (Einzelstrafe zwei Jahre und sechs Monate) unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Hildburghausen vom 6. April 2000 eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verhängt. Wegen dieser Sache befand er sich vom 17. Dezember 2001 bis zum 16. Dezember 2004 in Strafhaft. Am 23. September 2004 beantragte die Staatsanwaltschaft Meiningen, gemäß § 66 b StGB nachträglich die Sicherungsverwahrung anzuordnen. Der Verurteilte befand sich bis zum heutigen Tage auf Grund des Unterbringungsbefehls des Landgerichts Meiningen vom 3. November 2004 gemäß § 275 a Abs. 5 StPO in Haft.
Rz. 3
2. a) Der zu diesem Zeitpunkt bereits mehrfach vorbestrafte Angeklagte wurde durch Urteil des Kreisgerichts Sömmerda vom 3. Mai 1988 u. a. wegen versuchter Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.
Rz. 4
Durch Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 29. November 1993 wurde gegen ihn wegen Raubes in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt. Die Einzelstrafen aus diesem Urteil sowie die Einzelstrafe von 120 Tagessätzen zu je 4 DM aus einem Urteil des Amtsgerichts Sömmerda vom 10. März 1994 wurden in ein Urteil des Landgerichts Erfurt vom 1. Februar 1995 einbezogen. Durch dieses Urteil des Landgerichts Erfurt wurde er wegen Vergewaltigung (die Höhe dieser Einzelstrafe ist nicht mitgeteilt) unter Einbeziehung der erwähnten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Danach wurde er durch Urteil des Landgerichts Erfurt vom 4. Dezember 1995 wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
Rz. 5
Bereits am 31. Oktober 1999 war der Verurteilte in Haft genommen worden und hatte zunächst die Strafen aus den Verurteilungen aus dem Jahre 1995 verbüßt, bevor er sich in Strafhaft wegen der Verurteilung des Amtsgerichts Sonneberg vom 22. November 2000 befand.
Rz. 6
b) Das Landgericht hat sachverständig beraten festgestellt, dass „dem Verurteilten eine ausgeprägt schlechte allgemeine Sozial- und Kriminalprognose gestellt werden muss” und „ein extrem hohes Risiko für neue erhebliche Straftaten besteht”. Der Tatrichter hat dies aus einer Gesamtschau der Persönlichkeitsstruktur des Verurteilten einerseits und seiner „Kriminalkarriere” (UA S. 4) andererseits hergeleitet.
Rz. 7
c) Der Tatrichter führt aus, dass der Verurteilte wegen seiner sozialen Lernfähigkeit bis auf nachfolgend dargestellte „Ausbrüche” (UA S. 18) im Vollzug unauffällig sei. Er werde zwar bei geringen Anlässen verbal gewalttätig; tätliche Angriffe auf das Vollzugspersonal seien jedoch nicht bekannt. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Verurteilte im Vollzug „lediglich” (UA S. 20) wie folgt auffällig:
Rz. 8
Am 4. Januar 2001 äußerte der Verurteilte nach einer Meinungsverschiedenheit mit einem Vollzugsbeamten diesem gegenüber, dass er dem Zeugen „die Brille von der Fresse schlagen würde; das sei ihm zwei Jahre Nachschlag wert.” Im Laufe dieses Tages sagte er laut zu einem Zeugen, dass „alle Beamten der JVA Prügel bekommen müssten, damit sie wüssten, wo es lang geht.”
Rz. 9
Am 9. März 2001 drohte der Verurteilte bei einem Streit darüber, ob auch Behördenpost geöffnet abgegeben werden müsse, sich den Hals aufzuschlitzen. Der Verurteilte hatte dann während eines Gesprächs mit dem Abteilungsdienstleiter eine Rasierklinge in der Hand, die er sich in den Mund steckte. Er konnte überwältigt und die Rasierklinge aus seinem Mund entfernt werden. Am 29. Oktober 2003 verlangte der Verurteilte eine Einzelzelle und Arbeit und sagte zu dem Zeugen L. „man solle ihn in den Arrest legen, sonst garantiere er für nichts und lege jemanden um.”
Rz. 10
d) Das Landgericht ist danach der Auffassung, dass ein wesentlicher Teil der Entscheidungsgrundlagen, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen, erst im Vollzug der Freiheitsstrafe nach Verurteilung wegen der Anlasstat erkennbar geworden sei (UA S. 37).
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 11
Die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung war aufzuheben; der diesbezügliche Antrag der Staatsanwaltschaft war zurückzuweisen.
Rz. 12
Es kann dahinstehen, ob der Antrag der Staatsanwaltschaft die gebotene Begründung enthält (vgl. Urteil des Senats vom 25. November 2005 – 2 StR 272/05 – zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen); denn im Ergebnis hält die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung im vorliegenden Fall der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 13
1. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass das Landgericht nicht hinreichend bedacht hat, dass Umstände, die für den ersten Tatrichter erkennbar waren, als neue Tatsachen im Sinne des § 66 b StGB ausscheiden (vgl. Senatsurteil aaO m.w.N.). Die Urteilsausführungen zur Persönlichkeitsstruktur und Kriminalkarriere des Verurteilten legen nahe, dass bereits für das Amtsgericht Sonneberg die Gefährlichkeit des Verurteilten erkennbar war und sich eine Verweisung an das Landgericht aufdrängte. Das Verfahren nach § 66 b StGB dient nicht der Korrektur rechtsfehlerhafter früherer Entscheidungen, die von der Staatsanwaltschaft nicht beanstandet wurden (vgl. Senatsurteil aaO m.w.N.). Nur wenn wirklich erhebliche neue Tatsachen während des Vollzugs erkennbar werden, kann dies zur Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung führen.
Rz. 14
2. Solche erheblichen neuen Tatsachen während des Vollzugs sind hier jedoch nicht hinreichend dargetan. Soweit das Landgericht solche Umstände in den unter I. 2.c dargestellten Vorfällen sieht, folgt dem der Senat nicht. Es fehlt diesen an einer im Lichte des Verhältnismäßigkeitsprinzips erforderlichen erheblichen Indizwirkung für die Gefährlichkeit des Verurteilten. Allerdings kann, jedenfalls bei einem – wie hier – wegen Gewaltdelikten Vorbestraften, auch verbal aggressives Verhalten gegen Vollzugsbeamte ein prognoserelevanter Umstand sein. Im vorliegenden Fall ist der Verurteilte zwar wiederholt verbal aggressiv geworden, aber nach den Feststellungen in einem Zeitraum von mehreren Jahren nur an drei Tagen, wobei er seine Drohungen nie umsetzte, sondern keine körperlichen Angriffe auf Vollzugsbeamte vornahm. Diese Vorfälle sind weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit von einer solchen Erheblichkeit, die einen derart schwerwiegenden Eingriff wie die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung, die „nur bei einer geringen Anzahl denkbarer Fälle in Betracht kommen soll” (vgl. Senatsurteil aaO), rechtfertigen würde.
III.
Rz. 15
Der Senat schließt – insbesondere im Hinblick darauf, dass der Tatrichter selbst betont hat, lediglich die aufgezeigten Vorfälle hätten stattgefunden – aus, dass bei einer neuen Hauptverhandlung weitere Tatsachen festgestellt werden können, die die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten, und hat deshalb auf den Wegfall der Anordnung erkannt.
IV.
Rz. 16
Der Unterbringungsbefehl des Landgerichts Meiningen vom 3. November 2004 war demgemäß aufzuheben und der Verurteilte in dieser Sache sofort auf freien Fuß zu setzen.
V.
Rz. 17
Die Entscheidung über eine Entschädigung des Verurteilten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen muss dem Landgericht überlassen bleiben (vgl. Senatsurteil aaO m.w.N.). Die Prüfung, ob und in welchem Umfang eine Entschädigung zu gewähren ist, hat sich auf den gesamten Sachverhalt zu erstrecken, der die Strafvollstreckungsmaßnahme ausgelöst hat. Die Entscheidung stellt mithin vorrangig eine tatrichterliche Aufgabe dar.
Unterschriften
RiBGH Dr. Bode ist wegen Erkrankung an der Unterschriftsleistung gehindert. Rothfuß, Rothfuß, Fischer, Roggenbuck, Appl
Fundstellen