Entscheidungsstichwort (Thema)
Wohngebäudeversicherung. Unterversicherung. Hinweis- und Beratungspflichten bei Vertragsabschluss. Ermittlung des Versicherungswerts 1914. Darlegungs- und Beweislast
Leitsatz (redaktionell)
Zur Darlegungs- und Beweislast bei den Hinweis- und Beratungspflichten des Wohngebäudeversicherers bei Vertragsabschluss, wenn die Bestimmung des Versicherungswerts dem Versicherungsnehmer überlassen wird.
Normenkette
BGB §§ 242, 280; VVG § 75
Verfahrensgang
OLG Köln (Entscheidung vom 26.06.2009; Aktenzeichen 20 U 257/07) |
LG Aachen (Entscheidung vom 23.11.2007; Aktenzeichen 9 O 151/07) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wird die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 26. Juni 2009 zugelassen, soweit das Berufungsgericht die Klage hinsichtlich einer weiteren Forderung von 52.198,74 € sowie weiterer vorgerichtlicher Anwaltsgebühren in Höhe von 262,68 €, jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. April 2007 abgewiesen hat.
Im Umfang der Zulassung wird das vorbezeichnete Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 52.198,74 €
Gründe
I.
Der Kläger verlangt von der Beklagten aus einer Wohngebäudeversicherung eine restliche Entschädigung wegen eines Brandschadens in seinem Wohnhaus.
Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Neuwertversicherung von Wohngebäuden gegen Feuer-, Leitungswasser- und Sturmschäden (VGB 62) sowie die Sonderbedingungen der Beklagten für die gleitende Neuwertversicherung von Wohn-, Geschäftsund landwirtschaftlichen Gebäuden zugrunde. Der danach für die Neuwertversicherungssumme maßgebliche Versicherungswert 1914 wurde auf 30.000 Mark festgelegt.
Der von der Beklagten nach dem Brand beauftragte Sachverständige ermittelte einen Neuwert von 38.500 Mark (1914). Aufgrund der von ihr angenommenen Unterversicherung legte die Beklagte eine Neuwertversicherungssumme (Wert 1914) von 30.900 Mark zugrunde und kürzte sowohl den Neuwertschaden als auch den Mietausfallschaden entsprechend. Für die Erneuerung der Holzvertäfelung leistete die Beklagte nur insoweit eine Entschädigung, als die Fläche schwarz verbrannt war.
Der Kläger hält einen Austausch der gesamten Vertäfelung für erforderlich, weil sie infolge des Brandes mit polyzyklischen Kohlenwasserstoffen (PAK) belastet sei. Er behauptet, eine Aufklärung oder ein Hinweis, welche Gefahren mit einer Unterversicherung verbunden sein könnten, sei ihm bei Abschluss des Vertrages durch den Versicherungsagenten der Beklagten nicht zuteil geworden.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers teilweise stattgegeben und die Revision nicht zugelassen. Es hat auch die zuerkannten Ersatzansprüche wegen Unterversicherung gekürzt und weitere Kosten für einen Austausch der Holzvertäfelung nicht berücksichtigt.
Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision, mit der er seinen Klageantrag in Höhe von 52.198,74 € weiterverfolgen will.
II.
Die Beschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
1.
Zum einen hat das Berufungsgericht den Vortrag des Klägers, der Versicherungsagent der Beklagten habe ihn bei Vertragsschluss nicht auf die Gefahren einer Unterversicherung hingewiesen, nicht in der nach Art. 103 Abs. 1 GG gebotenen Weise zu Kenntnis genommen und sich damit auseinandergesetzt.
a)
Den Gebäudeversicherer treffen gesteigerte Hinweis- und Beratungspflichten bei Abschluss des Vertrages, wenn er die Bestimmung des Versicherungswertes dem Versicherungsnehmer überlässt und Versicherungsbedingungen verwendet, nach denen die Feststellung des richtigen Versicherungswertes, ohne dass dies offen zutage läge, so schwierig ist, dass sie selbst ein Fachmann nur mit Mühe treffen kann. So liegt es bei der richtigen Ermittlung des Versicherungswertes 1914, die ungewöhnlich schwierige Bewertungsfragen aufwirft. Zu der für einen bautechnischen Laien schon schwierigen Bewertung von Bauleistungen kommt hinzu, dass örtliche, heute kaum noch feststellbare Preisunterschiede aus einer lange zurückliegenden Zeit zu berücksichtigen sind. Außerdem hat die fortschreitende Bautechnik zunehmend zu Baumethoden und Baustoffen geführt, die mit den 1914 gängigen schwer zu vergleichen sind. Überdies sind die DIN-Normen über die Berechnung des umbauten Raumes seither verschiedentlich geändert worden. Die richtige Bestimmung dieses Versicherungswertes gilt deshalb als selbst für Bausachverständige äußerst schwierig. Mit den Geboten von Treu und Glauben ist es nicht zu vereinbaren, dass ein Versicherer eine derart problematische Bestimmung des Versicherungswertes dem Versicherungsnehmer überlässt, ohne ihn deutlich darauf hinzuweisen, welche Gefahr er mit einer vorschnellen Bezeichnung des Versicherungswertes läuft und wie er dem begegnen kann. Der Versicherer muss den Versicherungsnehmer in geeigneter Form sowohl auf die Schwierigkeiten der richtigen Festsetzung des Versicherungswertes wie auf die Gefahren einer falschen Festsetzung aufmerksam machen. Zu einer ordnungsgemäßen Belehrung gehört auch der Hinweis, dass ein im Bauwesen nicht sachverständiger Versicherungsnehmer mit der Bestimmung des richtigen Versicherungswertes 1914 in aller Regel überfordert sein wird, und dass es sich deshalb empfehlen kann, einen Sachverständigen hinzuzuziehen. Seiner Hinweispflicht kann der Versicherer auch dadurch genügen, dass er selbst dem Versicherungsnehmer eine fachkundige Beratung anbietet.
Verletzt der Versicherer schuldhaft seine Aufklärungspflicht, so ist er dem Versicherungsnehmer wegen Verschuldens bei Vertragsschluss zum Schadensersatz verpflichtet. Er hat den Versicherungsnehmer im Schadensfall dann so zu stellen, wie wenn er ihn ordnungsgemäß beraten hätte. Dabei kann nach der Lebenserfahrung bis zum Beweis des Gegenteils davon ausgegangen werden, dass ein Versicherungsnehmer einem entsprechenden Hinweis gefolgt und die Versicherungssumme dementsprechend festgesetzt worden wäre. Das kann im Ergebnis darauf hinauslaufen, dass der Versicherer gehindert ist, sich auf die Unterversicherung zu berufen. Allerdings muss sich der Versicherungsnehmer infolge der unterlassenen Belehrung etwa erzielte Vorteile (z.B. ersparte höhere Prämien) anrechnen lassen (Senatsurteil vom 7. Dezember 1988 - IVa ZR 193/87, NJW-RR 1989, 410, 411; so auch Senatsbeschluss vom 23. Mai 2007 - IV ZR 93/06, VersR 2007, 1411 Rn. 2; Römer in ders./Langheid, VVG, 2. Aufl., § 56 Rn. 2, § 50 Rn. 6 m.w.N.; Kollhosser in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 56 Rn. 22 m.w.N.).
b)
Das Berufungsgericht ist von diesen Grundsätzen ausgegangen und hat eine Hinweis- und Beratungspflicht der Beklagten zugrunde gelegt. Nach seiner Auffassung ist der Kläger aber beweisfällig dafür geblieben, dass die Beklagte die sie treffenden Pflichten verletzt habe. Damit hat das Berufungsgericht die sekundäre Behauptungslast der Beklagten verkannt und zugleich die Darlegungs- und Beweislast des Klägers überspannt.
aa)
Zunächst hat der Versicherungsnehmer darzulegen, dass der Versicherer bzw. dessen Agent ihn nicht beraten, sondern seinerseits den Versicherungswert falsch ermittelt habe. Hat der Versicherungsnehmer seiner diesbezüglichen Behauptungslast genügt, so ist es Sache des Versicherers, im Einzelnen darzulegen, dass er bzw. sein Agent den Versicherungsnehmer dennoch in dem oben beschriebenen Sinne aufgeklärt hat. Erst dann kommt es auf die Beweislast des Versicherungsnehmers für eine Pflichtwidrigkeit des Versicherers an (Senatsurteil vom 7. Dezember 1988 aaO).
bb)
Der Kläger hat behauptet, der Versicherungswert sei bei Vertragsschluss im so genannten Kästchenverfahren ermittelt worden, indem ihm verschiedene Fragen zum zu versichernden Objekt gestellt worden seien, anhand derer der Versicherungswert 1914 ermittelt worden sei. Eine Aufklärung und/oder der Hinweis, welche Gefahren mit einer Unterversicherung verbunden seien oder sein könnten, habe er bei Abschluss des Vertrages durch den Versicherungsagenten der Beklagten nicht erhalten. Beweis hat der Kläger in erster Instanz durch "Zeugnis des Versicherungsmaklers" angeboten. Nachdem ihm das Berufungsgericht aufgegeben hatte klarzustellen, ob der Vertragsschluss über einen Agenten oder einen Makler erfolgt sei, hat der Kläger ausgeführt, es sei bereits in erster Instanz unstreitig gewesen, dass der Versicherungsvertrag durch einen Agenten der Beklagten und nicht durch einen Makler vermittelt worden sei. Soweit er im Verfahren erster Instanz irrtümlich den Begriff "Makler" verwendet habe, sei der Versicherungsvermittler gemeint gewesen, der Agent der Beklagten gewesen sei. Mehr musste der Kläger nicht vortragen, um darzulegen, dass der Versicherungsagent der Beklagten ihn bei Vertragsschluss nicht über die Gefahren einer Unterversicherung belehrt habe.
cc)
Hingegen ist die Beklagte ihrer sekundären Behauptungslast nicht nachgekommen. Sie hat sich darauf beschränkt, den Vortrag des Klägers mit Nichtwissen zu bestreiten. Das Bestreiten mit Nichtwissen hat das Berufungsgericht für zulässig gehalten, weil der Kläger mangels geeigneten Beweisantritts dafür beweisfällig geblieben sei, dass der Vertrag über einen Versicherungsagenten der Beklagten und nicht über einen Versicherungsmakler abgeschlossen worden sei. Dabei hat es nicht bedacht, dass sich die Beklagte zum Zustandekommen des Versicherungsvertrages nicht erklärt hat. Insbesondere hat sie nicht vorgetragen, dass sie bzw. einer ihrer Agenten den Kläger aufgeklärt habe oder aber für den Kläger ein Versicherungsmakler tätig geworden sei, der ihn über die Ermittlung des Versicherungswertes hätte beraten müssen. Insoweit wird das Berufungsgericht unter Beachtung der Grundsätze des Senatsurteils vom 7. Dezember 1988 (aaO) der Beklagten Gelegenheit zu ergänzendem Vorbringen geben müssen.
2.
Zum anderen hat das Berufungsgericht das Verfahrensgrundrecht des Klägers aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, soweit es aufgrund des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens zu der Überzeugung gelangt ist, dass ein Austausch der Vertäfelung infolge des Brandes nicht erforderlich geworden sei.
a)
Es hat sich darauf gestützt, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige Dipl.-Ing. G. bei einer Öffnung der Vertäfelung in dem Bereich, in dem aufgrund der örtlichen Verhältnisse mit dem höchsten Rußpartikeleintrag zu rechnen gewesen sei, keine rußbedingte Verfärbung der Wärmedämmung vorgefunden habe und in den vom Brandherd entfernter gelegenen Bereichen erst recht nicht mit einer nennenswerten Belastung zu rechnen gewesen sei. Den Einwand des Klägers, es komme nicht allein auf den Rußpartikeleintrag an, hat das Berufungsgericht nicht durchgreifen lassen. Zwar hätten die im Auftrag des TÜV Rheinland untersuchten Proben den Nachweis von PAK erbracht, es stehe jedoch nicht fest, dass diese Belastungen durch den Brand verursacht worden seien. Aus dem bei einer von drei Proben festgestellten erhöhten PAK-Wert können nach Auffassung des Berufungsgerichts Rückschlüsse auf eine brandbedingte Belastung der Paneele und der dahinter liegenden Dämmpakete schon deshalb nicht gezogen werden, weil unklar sei, wann und wo genau die Proben entnommen worden seien. Darauf hatte die Beklagte in ihrer Klageerwiderung hingewiesen.
b)
Indes hatte der Kläger schon in der Klageschrift angegeben, er habe Proben von der unteren, zum Zwischenraum zeigenden Isolierschicht entnommen und diese durch den TÜV Rheinland prüfen lassen. Ergänzend hat er auf den Einwand der Beklagten den Aufbau der Isolierschicht so beschrieben, dass sich vor einer Glaswollenschicht noch eine Schicht Alufolie, Spanplatten, ein Luftraum und dann erst die Kiefernbretter befunden hätten, und dazu eine Fotodokumentation vorgelegt. Weiterhin hat er unwidersprochen vorgetragen, um die Oberflächenkontamination an der Holzkonstruktion festzustellen, habe er aus dem auf den Fotos erkennbaren Zwischenraum ein Stück Alufolie und Glaswolle entnommen.
Diese Materialien waren Gegenstand der Untersuchung durch den TÜV Rheinland. In seinem Prüfbericht vom 5. Dezember 2006 wird zu der Probe, die den höchsten PAK-Gehalt aufwies, ausgeführt, da es sich hierbei um ein Stück Alufolie, welche mit einem dunklen Niederschlag behaftet gewesen sei, handele, könnten die nachgewiesenen PAK nur aus dem Niederschlag stammen. Dies deute auf eine Beaufschlagung der Alufolie mit Ruß hin, der von einem Brand herrühren könne. Da es sich bei den anderen beiden Proben um poröse Materialien handele, könnten die dort nachgewiesenen PAK auch durch Anreicherung über Jahre durch allgemeine Luftverschmutzung in die Proben gelangt sein. In Kombination mit dem Ergebnis der ersten Probe deuteten die Ergebnisse aber auch hier auf eine Beaufschlagung mit Ruß hin. Das Berufungsgericht hat sich damit nicht befasst und den gerichtlichen Sachverständigen dazu nicht ergänzend befragt. Entsprechende Feststellungen wird es nachzuholen haben.
c)
Das Berufungsurteil wird nicht von der weiteren Begründung getragen, gegen eine brandbedingte Belastung mit PAK spreche das im selbstständigen Beweisverfahren eingeholte Gutachten des Sachverständigenbüros Dr. S. vom 3. August 2005, in dem es heißt, bei der untersuchten Probe der Mineralwollisolierung lägen die PAK-Werte unter der Nachweisgrenze, so dass ein Zusammenhang mit dem Brandschadenereignis nicht festgestellt werden könne. Auf diese Begutachtung konnte sich das Berufungsgericht jedenfalls nicht stützen, ohne sich mit dem späteren Gutachten des TÜV-Rheinland auseinanderzusetzen.
Fundstellen