Leitsatz (amtlich)
Entscheidet das Beschwerdegericht in einer vom Gesetz dem Kollegium zugewiesenen Sache (hier: Betreuungssache) unbefugt durch den Einzelrichter, so liegt darin eine von Amts wegen zu berücksichtigende Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters, die als absoluter Rechtsbeschwerdegrund zur Aufhebung der Entscheidung führt (im Anschluss an Senatsbeschluss v. 25.11.2015 - XII ZB 105/13 - juris).
Normenkette
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; FamFG § 68 Abs. 4
Verfahrensgang
LG Hanau (Beschluss vom 30.04.2015; Aktenzeichen 3 T 74/15) |
AG Hanau (Entscheidung vom 23.03.2015; Aktenzeichen 20 XVII 837/09) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des LG Hanau vom 30.4.2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
Wert: 1.056 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Der Beteiligte zu 1) (im Folgenden: Betreuer) hat im vorliegenden Verfahren die Festsetzung der Betreuervergütung für die Zeit vom 11.2.2014 bis zum 10.2.2015 gegen die Staatskasse beantragt.
Rz. 2
Das AG hat den Antrag zurückgewiesen, weil die Betroffene mit einem Hausgrundstück über einsetzbares Vermögen verfüge und somit nicht mittellos sei. Das LG hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen durch den Einzelrichter zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom LG zugelassene Rechtsbeschwerde der Betroffenen.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.
Rz. 4
Der angefochtene Beschluss leidet an einem Verfahrensmangel, denn er ist unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ergangen.
Rz. 5
Hat das LG über eine Beschwerde in einer Betreuungssache nach §§ 58 ff. FamFG zu entscheiden, ist hierzu gem. § 68 Abs. 4 Halbs. 1 FamFG i.V.m. § 75 GVG die mit drei Richtern besetzte Zivilkammer berufen (Senat, Beschl. v. 25.11.2015 - XII ZB 105/13 - juris Rz. 8; vgl. Keidel/Sternal FamFG 18. Aufl., § 68 Rz. 95). Eine originäre Einzelrichterzuständigkeit (etwa nach § 81 Abs. 6 Satz 1 GNotKG oder § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG) kommt hier nicht in Betracht.
Rz. 6
Eine Übertragung auf den Einzelrichter nach § 68 Abs. 4 Halbs. 1 FamFG ist im vorliegenden Fall nicht erfolgt, so dass dieser zur Entscheidung nicht berufen war. Der sich hieraus ergebende Verfahrensmangel ist von Amts wegen zu berücksichtigen. Zwar ist ein Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters grundsätzlich nur auf eine entsprechende Besetzungsrüge zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des BGH gilt aber eine Ausnahme im Fall der willkürlichen Zuständigkeitsüberschreitung des originären Einzelrichters, welche einen von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel darstellt (BGHZ 154, 200 = FamRZ 2003, 669, 671; BGH v. 25.11.2015 - XII ZB 105/13 - juris Rz. 9; v. 11.9.2003 - XII ZB 188/02, FamRZ 2003, 1922).
Rz. 7
Nichts anderes gilt, wenn der Einzelrichter in einer dem Kollegium zugewiesenen Sache ohne einen vorausgegangenen Übertragungsbeschluss der Kammer entscheidet. Denn auch in diesem Fall liegt eine willkürliche Zuständigkeitsüberschreitung vor. Da es an jeder Grundlage für eine Einzelrichterentscheidung fehlt, ist der Fall auch nicht mit einer etwa unzulässigen, aber bindenden Übertragung auf den Einzelrichter vergleichbar (dazu vgl. BGHZ 170, 180 = FamRZ 2007, 554).
Fundstellen
Haufe-Index 9176859 |
FamRZ 2016, 803 |
FuR 2016, 354 |
NJW-RR 2016, 510 |
FGPrax 2016, 96 |
BtPrax 2016, 123 |
JZ 2016, 314 |
MDR 2016, 607 |