Verfahrensgang
LG Gießen (Urteil vom 17.07.2020; Aktenzeichen 301 Js 33686/18 7 KLs) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 17. Juli 2020, soweit er verurteilt worden ist,
- im Schuldspruch dahingehend geändert, dass die Verurteilung wegen Unterschlagung entfällt,
mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
aa) hinsichtlich der Entscheidung über die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung und
bb) soweit von einer Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht – Strafrichter – Gießen zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen versuchten Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit Unterschlagung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Rz. 3
Der betäubungsmittelabhängige Angeklagte entschloss sich aus finanzieller Not, am 16. Juli 2018 die Wochenendeinnahmen eines Getränkemarkts zu stehlen. Er hatte zuvor in Erfahrung gebracht, dass eine Angestellte die Einnahmen in der Regel in einer Einkaufstasche transportierte. Als er sah, dass eine Angestellte des Getränkemarkts mit einem für den Transport der Einnahmen üblicherweise verwendeten Stoffbeutel den Parkplatz betrat, schoss er mit der von ihm mitgeführten Schreckschusswaffe in die Luft und löste damit einen lauten Knall aus.
Rz. 4
Die Angestellte, die – wie vom Angeklagten beabsichtigt – weder ihn noch die Waffe gesehen hatte, ließ vor Schreck u.a. ihr Mobiltelefon fallen. Der Angeklagte entriss ihr in diesem Schreckmoment die Stofftasche mit den vermuteten Wochenendeinnahmen und rannte davon. Auf der Flucht bemerkte er, dass sich in der Tasche an Stelle des Geldes lediglich Zigaretten und Lebensmittel befanden. Eine Mini-Wassermelone, die er der Tasche entnahm, verspeiste er; im Übrigen warf er die Tasche nebst Inhalt weg, der später teilweise in Tatortnähe aufgefunden wurde.
Rz. 5
2. Die Verurteilung wegen (tateinheitlicher) Unterschlagung der Mini-Wassermelone hat keinen Bestand, weil die Unterschlagung aufgrund der Subsidiaritätsklausel in § 246 Abs. 1 StGB hinter dem versuchten Diebstahl mit Waffen zurücktritt.
Rz. 6
Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte die Stofftasche lediglich deshalb an sich genommen, weil er darin Bargeld vermutete, das er für sich behalten wollte. Damit hat sich der Angeklagte jedoch (noch) nicht das Behältnis nebst übrigem Inhalt zugeeignet (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 494/12, NStZ-RR 2013, 309, 310 mwN). Zutreffend ist das Landgericht deshalb auch vom fehlgeschlagenen Versuch eines Diebstahls mit Waffen ausgegangen, weil sich in der Tasche – anders als vom Angeklagten erwartet – kein Bargeld befand (vgl. auch BGH, Urteil vom 11. Oktober 1989 – 3 StR 336/89, BGHR StGB § 249 Abs. 1 Zueignungsabsicht 4). Dass sich der Angeklagte tatzeitnah aufgrund eines neuen Entschlusses einen Teil des Tascheninhaltes zugeeignet hat, erfüllt zwar den Tatbestand der Unterschlagung (vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 494/12, NStZ-RR 2013, 309, 310); wegen der Subsidiaritätsklausel, die für alle Delikte mit höherer Strafdrohung gilt, kommt ein dahin gehender Schuldspruch gleichwohl nicht in Betracht (vgl. auch Senat, Beschluss vom 16. Januar 2018 – 2 StR 527/17, NStZ-RR 2018, 118, 119; BGH, Beschluss vom 16. August 2017 – 4 StR 324/17, juris Rn. 3; Urteil vom 6. Februar 2002 – 1 StR 513/01, BGHSt 47, 243, 244 f.).
Rz. 7
3. Die Änderung des Schuldspruches lässt den Strafausspruch unberührt. Unbeschadet dessen, dass die Verwirklichung des zurücktretenden Tatbestands bei der Strafzumessung erschwerend berücksichtigt werden kann (vgl. Senat, Beschluss vom 18. Dezember 2002 – 2 StR 477/02, juris Rn. 1; BGH, Urteile vom 20. Juli 1995 – 4 StR 112/95, NStZ-RR 1996, 20, 21, und vom 14. Januar 1964 – 1 StR 246/63, BGHSt 19, 188, 189 jeweils mwN), hat das Landgericht die tateinheitliche Begehung einer Unterschlagung bei der Bemessung der Freiheitsstrafe hier nicht zum Nachteil des Angeklagten gewertet. Die Strafzumessung hält auch im Übrigen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts rechtlicher Nachprüfung stand.
Rz. 8
4. Als rechtsfehlerhaft erweist sich, dass die Strafkammer von einer Unterbringungsanordnung gemäß § 64 StGB mit der Begründung abgesehen hat, eine solche wäre hier unverhältnismäßig.
Rz. 9
a) Die begangene Tat stellt eine erhebliche Straftat dar. Dies gilt unbeschadet des Umstands, dass der Einsatz der Waffe lediglich dazu dienen sollte, die Geschädigte möglichst effektiv zu erschrecken. Das sachverständig beratene Landgericht hat auch nachvollziehbar dargelegt, dass der Angeklagte einen Hang im Sinne des § 64 StGB hat, und dass wegen des weiterhin bestehenden Konsums von Betäubungsmitteln, den der Angeklagte durch Straftaten finanziert, die Gefahr vergleichbarer Taten besteht.
Rz. 10
b) Zutreffend hat der Generalbundesanwalt allerdings ausgeführt:
„Wenn aber mit erheblichen Eigentumsdelikten unter Einsatz einer Waffe zu rechnen ist, geht die Annahme, Grundsätze der Verhältnismäßigkeit stünden einer Maßregel gemäß § 64 StGB entgegen, von einem rechtlich nicht mehr vertretbaren Maßstab aus. Insbesondere steht zu besorgen, dass die Strafkammer den vorrangigen Sicherungszweck der Maßregel nicht berücksichtigt hat. Denn auch eine Maßregel gemäß § 64 StGB hat sich an den Belangen der öffentlichen Sicherheit auszurichten und dient in erster Linie dem Schutz der Öffentlichkeit vor gefährlichen Tätern, auch wenn sich dieser Zweck durch Besserung erreichen lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Mai 1996 – 1 StR 257/96 –, Rn. 8, juris). Die Ausführungen des Landgerichts lassen vielmehr besorgen, dass es sich bei der Frage der Verhältnismäßigkeit nicht von den Modalitäten der Ausgangstat und der erheblichen Gefährlichkeit vergleichbarer zu erwartender Straftaten hat leiten lassen, sondern von dem Umstand, dass die voraussichtliche Dauer der Unterbringung von zwei Jahren die verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr deutlich übersteigt. Die Ablehnung einer Unterbringung allein mit der Erwägung, die Höhe der Begleitstrafe bliebe zeitlich hinter der prognostischen Unterbringungsdauer zurück, wäre jedoch rechtsfehlerhaft (BGH, Beschluss vom 4. Juni 2019 – 3 StR 196/19 –, Rn. 4, juris).
Der Hinweis, dass zur Verhinderung der vom Angeklagten zu erwartenden Straftaten „möglicherweise auch eine Maßnahme nach § 35 BtMG ausreichen könne, soweit diese zumindest zunächst stationär durchgeführt werde” (UA S. 18), lässt zudem besorgen, dass das Landgericht von einem unzutreffenden Verhältnis der Maßnahmen ausgegangen ist. Denn die Unterbringung nach § 64 StGB hat Vorrang vor einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nach §§ 35, 36 BtMG, da diese Bestimmungen erst im Vollstreckungsverfahren Platz greifen und auf das Erkenntnisverfahren keinen Einfluss haben dürfen. Die Möglichkeit eines Vorgehens nach diesen Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes kann daher auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung gemäß § 62 StGB keine rechtliche Bedeutung haben (BGH, Beschluss vom 15. Mai 1996 – 1 StR 257/96 –, Rn. 9, juris).”
Rz. 11
c) Über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. Senat, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362).
Rz. 12
5. Wegen des inneren Zusammenhangs zwischen der bei Prüfung der Maßregelvoraussetzungen des § 64 StGB vorzunehmenden Gefahrenprognose einerseits und der Beurteilung der Kriminalprognose nach § 56 Abs. 1 StGB andererseits, die hier überdies widersprüchlich ist (vgl. zum einen UA S. 17 oben und zum anderen UA S. 18, dritter Absatz), erstreckt der Senat die Aufhebung des angefochtenen Urteils auch auf die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung.
Rz. 13
6. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 3 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das zuständige Amtsgericht Gießen zurück.
Unterschriften
Franke, Krehl, Eschelbach, Zeng, Meyberg
Fundstellen
Haufe-Index 14408077 |
NStZ-RR 2021, 212 |