Entscheidungsstichwort (Thema)
Revision gegen zweites Versäumnisurteil des Berufungsgerichts. Nichtzulassungsbeschwerde/Revison. Fehlende Zulassung. Anwaltswechsel. Niederlegung des Mandats durch Anwalt. Mandatsentziehung. Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zwischen Mandant und Prozessbevollmächtigtem. Terminverlegung nach Anwaltswechsel
Leitsatz (amtlich)
a) Gegen ein zweites Versäumnisurteil des Berufungsgerichts findet die Revision ohne Zulassung statt.
b) Ein Anwaltswechsel nach einer Erschütterung des Vertrauensverhältnisses ist nur dann ein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung, wenn die Partei darlegt, dass der Anwalt den Vertrauensverlust verschuldet hat.
Normenkette
BGB § 140; ZPO §§ 227, 341a, 345, 347, 514, 539, 543-544, 551, 565
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 12.09.2006; Aktenzeichen 9 U 236/04) |
LG Paderborn (Entscheidung vom 07.10.2004; Aktenzeichen 3 O 437/03) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Zweiten Versäumnisurteil des 9. Zivilsenats des OLG Hamm vom 12.9.2006 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.
Streitwert: 53.818,58 EUR
Gründe
I.
[1] Das OLG hat die Berufung des Beklagten gegen seine Verurteilung zur Zahlung von 53.818,58 EUR durch Versäumnisurteil am 28.3.2006 zurückgewiesen, weil in dem Termin zur mündlichen Verhandlung für den Beklagten niemand erschienen war. Nach Eingang des form- und fristgerechten Einspruchs bestimmte der Vorsitzende des Berufungsgerichts Verhandlungstermin auf den 12.9.2006. In der Terminsladung war in Abweichung von der Terminsverfügung als Ladungszweck angegeben: "Zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil". Im August 2006 teilte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten mit, dass er die Vertretung unter Aufrechterhaltung des Rechtsmittels niederlege. Am 4.9.2006 meldete sich ein neuer Prozessbevollmächtigter und beantragte, den Termin aufzuheben, weil ohne Einsicht in die Gerichtsakte und Erörterung der Angelegenheit eine sachgerechte Vertretung nicht möglich sei. Der Anwaltswechsel sei aufgrund der Mandatsentziehung notwendig geworden. Nach Zurückweisung des Gesuchs erneuerte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten am 11.9.2006 seinen Antrag mit der Begründung, der Beklagte habe sich nach einem anderen Rechtsanwalt umgesehen, weil das Vertrauensverhältnis zum bisherigen Prozessbevollmächtigten erschüttert sei. In der mündlichen Verhandlung am 12.9.2006 erschien - wie angekündigt - für den Beklagten niemand. Das Berufungsgericht verwarf den Einspruch durch ein zweites Versäumnisurteil.
[2] Dagegen legte der Beklagte "Nichtzulassungsbeschwerde/Revision" ein. Innerhalb der verlängerten Begründungsfrist reichte er eine von ihm derart bezeichnete "Nichtzulassungsbeschwerdebegründung" ein mit dem Antrag, die Revision zuzulassen; ein Revisionsantrag wurde nicht angekündigt.
II.
[3] 1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist nicht statthaft. Der Beschwerde unterliegen nur Urteile des Berufungsgerichts, in denen die Revision nicht zugelassen ist (§ 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Sie setzt voraus, dass die Revision nicht ohnehin zulässig ist. Das ist hier der Fall. Gegen ein zweites Versäumnisurteil des Berufungsgerichts findet die Revision ohne Zulassung statt, §§ 565, 514 Abs. 2 ZPO (Wenzel in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 565 Rz. 3; Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 539 Rz. 20; Wieczorek/Schütze/Prütting, ZPO, 3. Aufl., §§ 543 Rz. 3, 542 Rz. 51 und 565 Rz. 3; Musielak/Ball, ZPO, 5. Aufl., § 539 Rz. 16 und § 543 Rz. 2; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 66. Aufl., § 565 Rz. 3; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 27. Aufl., § 565 Rz. 2; Hk-ZPO/Kayser 2. Aufl., § 565 Rz. 2; ebenso zu § 566 ZPO a.F. BGH, Urt. v. 11.10.1978 - IV ZR 101/77, NJW 1979, 166; a.A. Hannich in Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002 mit Zustellungsreformgesetz § 543 Rz. 4). Das ergibt sich aus § 565 ZPO. Wenn dort hinsichtlich der Anfechtbarkeit von Versäumnisurteilen die Vorschriften des Berufungsverfahrens für entsprechend anwendbar erklärt werden, kann dies im Hinblick auf § 514 Abs. 2 Satz 2 ZPO nur bedeuten, dass wie die Berufung (§ 511 Abs. 2 ZPO) auch die Revision ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstandes oder eine Zulassung zulässig ist. Andernfalls entstünden im Hinblick auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes des von einem zweiten Versäumnisurteil Betroffenen (Art. 103 Abs. 1 GG) bedenkliche Lücken, weil ohne Zulassung durch das Berufungsgericht, die in Fällen einer Säumnisentscheidung eher unwahrscheinlich ist, die Wertgrenze nach § 26 Nr. 8 EGZPO überschritten sein müsste, um zu einer Überprüfung der Entscheidung durch das Revisionsgericht zu gelangen. Für dieses Ergebnis spricht schließlich, dass der Gesetzgeber den Verweis auf die Vorschriften über die Anfechtbarkeit von Versäumnisurteilen im Wortlaut aus § 566 ZPO in der bis 31.12.2001 geltenden Fassung unverändert übernommen hat, obwohl ihm bekannt war, dass der BGH (Urt. v. 11.10.1978 - IV ZR 101/77, NJW 1979, 166) daraus abgeleitet hat, dass die Anfechtbarkeit von Versäumnisurteilen auch in der Revision keiner Zulassung bedarf.
[4] Die Entscheidungen des BAG, denen zufolge die Revision gegen ein zweites Versäumnisurteil des Berufungsgerichts nur nach Zulassung statthaft ist (BAGE 53, 396; NZA 2007, 944; NZA 2004, 871; DB 1994, 2556), stehen dieser Auslegung von § 565 ZPO nicht entgegen. Die Auffassung des BAG beruht auf den Besonderheiten der Regelung des Zugangs zum Revisionsgericht im Arbeitsgerichtsgesetz, insb. der eigenständigen Regelung von Zulassungsgründen für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG (BAG NZA 2004, 871; NZA 2007, 944).
[5] 2. Die unzulässige Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann nicht als Revision behandelt werden.
[6] a) Mit der Einreichung einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision und mit der Begründungsschrift wird nicht zugleich eine Revision eingelegt und begründet. Das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision und das Revisionsverfahren sind verschiedene Verfahren. Das Gesetz trennt in § 544 ZPO klar zwischen dem Zulassungs- und dem Revisionsverfahren, und die Begründung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ersetzt die Revisionsbegründung nicht, wie § 551 Abs. 3 Satz 2 ZPO zeigt (BGH, Beschl. v. 20.12.2007 - III ZR 27/06 z. V. b.).
[7] b) Die danach erforderliche Revisionsbegründung (§ 551 ZPO) hat der Beklagte nicht eingereicht. Da der Beklagte ursprünglich nicht nur Nichtzulassungsbeschwerde, sondern zugleich auch Revision eingelegt hat, wäre dies zu erwarten gewesen.
[8] Der Schriftsatz kann nicht in eine Revisionsbegründung umgedeutet werden. Eine solche Umdeutung kommt in entsprechender Anwendung von § 140 BGB nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen der umgedeuteten Prozesshandlung eingehalten sind, die Umdeutung dem mutmaßlichen Parteiwillen entspricht und kein schutzwürdiges Interesse des Gegners entgegensteht (BGH, Urt. v. 6.12.2000 - XII ZR 219/98, ZIP 2001, 305; Beschl. v. 26.10.1999 - X ZB 15/99, VersR 2001, 730; Beschl. v. 1.10.1986 - IVb ZB 83/86, FamRZ 1987, 154). Das ist etwa angenommen worden, wenn eine Beschwerdebegründung versehentlich für eine zugelassene und eingelegte Revision eingereicht wird und deren Anforderungen entspricht (BGH, Urt. v. 17.2.2005 - IX ZR 159/03, NJW-RR 2005, 794). Dagegen ist eine Umdeutung nicht möglich, wenn kein offensichtliches Versehen vorliegt und absichtlich eine Beschwerdebegründung eingereicht wird. Dann entspricht die Umdeutung nicht dem mutmaßlichen Willen des Beschwerdeführers und stehen ihr schutzwürdige Interessen des Gegners entgegen. Weil die Anschlussrevisionsfrist mit der Zustellung der Revisionsbegründung beginnt (§ 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO), muss dem Gegner aus Gründen der Rechtssicherheit jedenfalls erkennbar sein, dass ihm eine Revisionsbegründung und nicht eine Beschwerdebegründung zugestellt wird (vgl. BGH, Beschl. v. 20.12.2007 - III ZR 27/06 z. V. b.).
[9] Der innerhalb der Begründungsfrist eingereichte Schriftsatz des Beklagten ist nicht versehentlich, sondern offensichtlich bewusst als Nichtzulassungsbeschwerdebegründung eingereicht. Der Schriftsatz ist ausdrücklich als Nichtzulassungsbeschwerdebegründung bezeichnet worden. In ihm wird die Zulassung der Revision beantragt, ein Revisionsantrag fehlt dagegen. Die Begründung erläutert, dass nach dem Zivilprozessreformgesetz im Gegensatz zum früheren Rechtszustand neben der unverschuldeten Säumnis eine Zulassung der Revision erforderlich sei. Um eine vorsorgliche Behandlung (auch) als Revisionsbegründung wird nicht gebeten, was mindestens zu erwarten gewesen wäre, wenn der Beklagte sich die Möglichkeit hätte erhalten wollen, auch den zweiten mit der Einlegung der kombinierten Nichtzulassungsbeschwerde und Revision eröffneten Weg der Kontrolle der angefochtenen Entscheidung durch den BGH offen zu halten.
[10] 3. Die Revision hätte im Übrigen auch keinen Erfolg.
[11] a) Das Berufungsurteil wäre nicht schon wegen des Fehlens von Tatbestand oder Entscheidungsgründen nach § 547 Nr. 6 ZPO aufzuheben. Das den Einspruch verwerfende zweite Versäumnisurteil muss nach §§ 540 Abs. 2, 313b Abs. 1 Satz 1 ZPO keine Gründe enthalten (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 66. Aufl., § 313b Rz. 3; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 26. Aufl., § 539 Rz. 18; a.A. Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 313b Rz. 1; Wieczorek/Schütze/Rensen, ZPO, 3. Aufl., § 313b Rz. 2). Das zweite Versäumnisurteil wird in § 345 ZPO ausdrücklich als Versäumnisurteil bezeichnet. Versäumnisurteile bedürfen nach § 313b Abs. 1 Satz 1 ZPO weder des Tatbestandes noch der Entscheidungsgründe. Davon sind auch Versäumnisurteile nicht ausgenommen, gegen die nicht der Einspruch, sondern die Berufung oder die Revision stattfindet.
[12] b) Das Berufungsgericht hat den Einspruch zu Recht nach § 345 ZPO durch Versäumnisurteil verworfen.
[13] aa) Nach § 345 ZPO ist der Einspruch durch zweites Versäumnisurteil zu verwerfen, wenn der Einspruchsführer in der zur mündlichen Verhandlung bestimmten Sitzung nicht erscheint. Der Beklagte ist in dem zur mündlichen Verhandlung bestimmten Termin nicht erschienen. Dass der Beklagte nicht zur mündlichen Verhandlung über Einspruch und Hauptsache geladen wurde, sondern zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil, hinderte den Erlass eines zweiten Versäumnisurteils nicht. Es kann dahinstehen, ob damit nur zur abgesonderten Verhandlung über den Einspruch oder ob - was aufgrund der Regel des § 341a ZPO, dass der Termin zur mündlichen Verhandlung über Einspruch und Hauptsache bestimmt ist, näher liegt und wie der Beklagte die Ladung nach seinem Terminsverlegungsantrag auch verstanden hat - trotz der verkürzten Formulierung auch zur Verhandlung in der Hauptsache geladen wurde. Ein zweites Versäumnisurteil kann nämlich nach § 345 ZPO auch in einem Termin ergehen, der nur zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch anberaumt ist. Wenn eine abgesonderte Verhandlung über den Einspruch angeordnet ist oder eine Partei eine Ladung so verstanden hat und verstehen konnte, kann sie die Verhandlung zur Hauptsache verweigern, aber nicht auch die Verhandlung über den Einspruch, zu der sie geladen wurde. Auch im Zwischenverfahren nach Anordnung einer abgesonderten Verhandlung ist nach § 347 Abs. 2 ZPO ein Versäumnisurteil zu erlassen, wenn der Einspruch nicht durch ein kontradiktorisches unechtes Versäumnisurteil als unzulässig zu verwerfen ist. Dieses Versäumnisurteil ist ebenfalls ein technisch zweites Versäumnisurteil, das auf Verwerfung des Einspruchs zu lauten hat. Das entspricht nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem Zweck des § 345 ZPO. Mit der Verwerfung des Einspruchs durch das zweite Versäumnisurteil und dem Ausschluss eines weiteren Einspruchs soll dem Säumigen die Möglichkeit abgeschnitten werden, durch eine bloße Wiederholung des Einspruchs den Prozess immer weiter zu verzögern oder gar zum Stillstand zu bringen. Auch mit einer abgesonderten Verhandlung über den Einspruch soll das Verfahren vorangebracht und dem Säumigen nicht die Möglichkeit einer weiteren Prozessverschleppung eingeräumt werden.
[14] bb) Der Beklagte war auch nicht ohne sein Verschulden am Erscheinen im Termin gehindert (§ 337 Abs. 1 ZPO). Mit der Ablehnung der Terminsverlegung verletzte das Berufungsgericht, anders als der Beklagte meint, seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht. Voraussetzung jeder Terminsverlegung ist, dass ein erheblicher Grund nach § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorliegt und dem Gericht unterbreitet worden ist. Die fehlende Vorbereitung eines Termins infolge des Anwaltswechsels ist nach § 227 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO kein erheblicher Grund, es sei denn, der Anwaltswechsel geschah ohne Verschulden der Partei (BGHZ 27, 163, 165; Beschl. v. 24.11.1988 - III ZR 69/88, BGHR ZPO § 227 - Anwaltswechsel 1). Bei einem Verlust des Vertrauensverhältnisses zum früheren Anwalt fehlt ein Verschulden der Partei nur dann, wenn der Anwalt den Vertrauensverlust verschuldet hat (BVerwG NJW 1986, 339) und der Grund zum Anwaltswechsel erst zu diesem Zeitpunkt im Rechtsstreit offenbar wurde. Ein solches Verschulden seines früheren Anwalts hat der Beklagte ggü. dem Berufungsgericht nicht einmal dargelegt, nachdem ihm durch die Verfügung des stellvertretenden Vorsitzenden des Berufungszivilsenats vor Augen geführt worden war, dass ein schlichter Anwaltswechsel keinen Grund zur Vertagung gibt.
Fundstellen
Haufe-Index 1976681 |
HFR 2008, 1087 |
BGHR 2008, 768 |
EBE/BGH 2008 |
NJW-RR 2008, 876 |
WuB 2009, 415 |
MDR 2008, 706 |
VersR 2009, 802 |
Info M 2009, 37 |
BRAK-Mitt. 2008, 184 |
Mitt. 2008, 286 |