Tenor
Der Senat hält für den Fall gemeinschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln an seiner Rechtsprechung zur einschränkenden Auslegung des Qualifikationstatbestandes des bewaffneten Handeltreibens nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG fest, die eine uneingeschränkte Zurechnung der Bewaffnung nach § 25 Abs. 2 StGB gegenüber einem Mittäter ausschließt (BGHSt 42, 368).
Gründe
Der 3. Strafsenat (Beschluß vom 14. Dezember 2001 – 3 StR 369/01) beabsichtigt zu entscheiden:
„Den Tatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG verwirklicht bei gemeinschaftlicher Tatbegehung nicht nur derjenige Täter, der selbst unmittelbar Zugriff auf die mitgeführte Schußwaffe hat; vielmehr kann die vom gemeinsamen Tatplan umfaßte Bewaffnung eines Täters seinen Mittätern nach allgemeinen Grundsätzen (§ 25 Abs. 2 StGB) zugerechnet werden (Aufgabe von BGHSt 42, 368).”
Daran sieht er sich durch die Rechtsprechung des 1. Strafsenats gehindert. Er hat dem Senat deshalb die Frage vorgelegt, ob dieser an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung (BGHSt 42, 368; Beschluß vom 10. September 1998 – 1 StR 446/98) festhalte. Der Senat bejaht die Frage. Er bleibt bei seiner Rechtsprechung.
1. Der Senat hat in seinem Urteil vom 14. Januar 1997 – 1 StR 580/96 – (BGHSt 42, 368) – dort tragend – den Tatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG für die Fälle der Mittäterschaft einschränkend ausgelegt: Die Vorschrift setzt voraus, daß der Täter die Schußwaffe „mit sich führt”. Das ist nur dann der Fall, wenn er selbst die Waffe gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat, daß er sich ihrer jederzeit bedienen kann. Die erhöhte Mindeststrafdrohung von fünf Jahren Freiheitsstrafe (nach § 30a Abs. 1, 2 BtMG) knüpft nach dem Gesetzeswortlaut daran an, daß der Täter selbst „ausreichende Sachherrschaft” über die Waffe ausübt. Die Bewaffnung eines Mittäters kann ihm nicht über § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden.
2. Diese restriktive Auslegung des Tatbestandes des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) für die Fälle der Mittäterschaft rechtfertigt sich aus der Weite des Merkmals des Handeltreibens sowie aus der hohen Mindeststrafdrohung des § 30a Abs. 1, 2 BtMG von fünf Jahren Freiheitsstrafe. Sie ist aus dem Wortlaut der Vorschrift und der vom Gesetzgeber vorgezeichneten Systematik des materiellen Strafrechts herzuleiten.
a) Der Tatbestand der in Rede stehenden Qualifikation verlangt ein „Mitsichführen” der Waffe. Bestraft wird, „wer” bei der umschriebenen Tathandlung „eine Schußwaffe oder sonstige Gegenstände mit sich führt”, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind. Dies deutet bereits sprachlich in der Verbindung von „wer” und „mit sich” auf ein Erfordernis eigenhändiger Zugriffs- und Einwirkungsmöglichkeit hin („wer … mit sich” im Sinne von: „nur derjenige, welcher”). Diese Wendung setzt sich zudem systematisch ab von der Formulierung, daß „der Täter oder ein anderer Beteiligter” gefährliche Mittel bei sich führen muß (so § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, § 244 Abs. 1 Nr. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB), aber auch von der Qualifikation nach § 177 Abs. 3 Nr. 1 StGB, die den zu Bestrafenden als „Täter” erwähnt („wenn der Täter … bei sich führt”).
In § 125a Nr. 1 StGB (besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs) hingegen ist – wie auch in § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG – neben dem Täter der „andere Beteiligte” nicht aufgeführt. Das bedingt für den besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs eine restriktive Interpretation dahin, eine Zurechnung fremder Bewaffnung auszuschließen. Auf diese Weise wird bei Gewalttätigkeiten aus Menschenmengen heraus eine ausufernde Zurechnung der Bewaffnung vermieden und der aus dem erhöhten Strafrahmen zu bestrafende Täterkreis eingegrenzt (BGHSt 27, 56, 59; BGH StV 1981, 74), obgleich die Mindeststrafe dort lediglich sechs Monate Freiheitsstrafe beträgt (§ 125a Satz 1 StGB). Freilich steht hier, bei § 30a BtMG, nicht das Merkmal der Menschenmenge in Rede, worauf der anfragende Senat hinweist. Allerdings wird der Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln vom Bundesgerichtshof sehr weit verstanden. Er umfaßt jede eigennützige, auf Güterumsatz gerichtete Tätigkeit, auch wenn sich diese als ein einmaliges, gelegentliches oder vermittelndes Tätigwerden darstellt. Es genügt, daß die einverständliche Übertragung von Betäubungsmitteln von einer Person auf die andere das Endziel ist. Zur Anbahnung bestimmter Geschäfte muß es noch nicht gekommen sein. Darauf, daß durch die Tätigkeit der Umsatz wirklich gefördert wird, kommt es ebenfalls nicht an (vgl. nur BGHSt 30, 277, 278; 30, 359, 360 f.; 31, 145, 147 f.; Franke/Wienroeder BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 64, und Weber BtMG § 29 Rdn. 82 ff., jew. m.w.Nachw.). Mithin können sich beispielsweise Fallgestaltungen ergeben, in denen etwa der bewaffnete Chef einer Drogenhändlerbande aus großer Entfernung mit Mitteln der Telekommunikation seine selbst unbewaffneten Mittäter lenkt und diese Drogengeschäfte anbahnen und abwickeln läßt. Die Bewaffnung des Chefs hat hier keine spezifisch gefahrensteigernde Auswirkung auf das Drogengeschäft im engeren Sinne. So verhält es sich auch, wenn der Drogenhändler, der zuhause über eine Waffe verfügt, von dort aus mit dem Abnehmer über die Anbahnung eines Drogengeschäfts telefonisch verhandelt, das Rauschgift aber von seinem unbewaffneten, weit entfernten Mittäter – in Kenntnis und mit Billigung der Bewaffnung des anderen – bereit gehalten wird und später von diesem übergeben werden soll. Die spezifische Gefahr, daß die Waffe beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zur rücksichtslosen Durchsetzung der Täterinteressen eingesetzt wird, besteht hier nicht. Die Weite des Merkmals des Handeltreibens ist deshalb der Grund für eine aus Wortlaut und Gesetzessystematik herzuleitende einschränkende Auslegung im Sinne der Rechtsprechung des Senats (BGHSt 42, 368).
b) Dieses Verständnis läßt sich mit den Absichten des Gesetzgebers durchaus in Einklang bringen. Hätte dieser angesichts der hohen Mindeststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe für das bewaffnete Handeltreiben mit Betäubungsmitteln eine Zurechnung der Bewaffnung nach § 25 Abs. 2 StGB greifen lassen wollen, so hätte es nahegelegen, den „anderen Beteiligten” – wie bei § 244 Abs. 1 Nr. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB – ausdrücklich im Tatbestand aufzuführen. Das ist nicht geschehen. Nach den Materialien zu § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG soll dieser Tatbestand anzuwenden sein, wenn bei dem Betäubungsmittelgeschäft die mitgeführte Schußwaffe die Gefährlichkeit erhöht, weil die Gefahr besteht, daß die Täter ihre Interessen rücksichtslos durchsetzen und dabei auch von dem gefährlichen Mittel Gebrauch machen (Entwurf eines Verbrechensbekämpfungsgesetzes, BTDrucks. 12/6853 S. 41). Aus dieser Erwägung ist nicht zwingend zu folgern, daß eine Zurechnung der Bewaffnung über § 25 Abs. 2 StGB stattfinden solle. Im Vordergrund steht vielmehr, dem bewaffnungsbegründeten spezifischen Gefährdungspotential entgegenzuwirken. Selbst wenn man die Gesetzesmaterialien anders – im Sinne des Anfragebeschlusses – interpretieren wollte, so gilt, daß eine entsprechende Vorstellung bei der Gesetzgebung sich jedenfalls nicht im Wortlaut des Tatbestandes niedergeschlagen hat.
c) Schließlich verhindert die an der Rechtauffassung des Senats orientierte einschränkende Auslegung des Tatbestandes, daß der Tatrichter in der Praxis wegen der hohen Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren vorschnell in den Strafrahmen des minder schweren Falles ausweicht, der nur sehr viel niedrigere Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zuläßt (§ 30a Abs. 3 BtMG). Dieser kriminalpolitische Gesichtspunkt hat den Gesetzgeber im übrigen auch zu den ausdifferenzierten Strafrahmengestaltungen für das materielle Strafrecht bewogen, wie er sie unter anderem durch das 6. StrRG ins Werk gesetzt hat. Andererseits können auf der Grundlage der Auslegung des Senats keine Strafbarkeitslücken in dem Sinne entstehen, daß schwerwiegende Taten nicht angemessen geahndet werden könnten. Bereits der Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG) sieht – ebenso wie § 30a Abs. 1, 2 BtMG – Freiheitsstrafe bis zu 15 Jahren vor. Auch bei Anwendung jenes Strafrahmens können alle Tatumstände in Rechnung gestellt werden (§ 46 Abs. 1, 2 StGB).
d) Der Rechtsmeinung des Senats läßt sich nicht mit Erfolg entgegenhalten, daß sie zu einer „gespaltenen Täterschaft” führe, weil etwa der „Drogenboß” wegen bloßen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Anstiftung zum bewaffneten Handeltreiben, sein untergeordneter, persönlich waffenführender Mittäter aber wegen bewaffneten Handeltreibens verurteilt werden müsse. Auch der sog. „Leibwächter-Fall” (Waffenführen des untergeordneten engen Begleiters; vgl. dazu 2. Strafsenat in BGHSt 43, 8, 14) läßt sich nach Ansicht des Senats auf der Grundlage seiner Gesetzesauslegung ohne Wertungsungereimtheiten lösen. Ein Teil dieser Fallgestaltungen zeichnet sich dadurch aus, daß auch der Mittäter des persönlich bewaffneten Täters kraft der Hierarchie in der Tätergruppe oder aufgrund einer Absprache und wegen der engen räumlichen Nähe zur Waffe deren Gefahrenpotential umgehend einsetzen und in diesem Sinne auf die Waffe zugreifen oder jedenfalls ihren Einsatz veranlassen kann. Auch der Mittäter kann sich ihrer dann selbst jederzeit bedienen; er hat eine – unterschiedlich begründete – tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit. Bei diesem Verständnis wird auch dem vom Gesetzgeber ins Auge gefassten, durch „Waffenpräsenz” bedingten Gefahrenerhöhungsgesichtspunkt angemessen Rechnung getragen. Eine ausufernde Zurechnung der Bewaffnung – angesichts der Weite des Merkmals „Handeltreiben”, aber auch im Blick auf das Gefahrenpotential – fände weiterhin nicht statt. Daraus ergibt sich: Der Chef des weisungsgemäß bewaffneten begleitenden Mittäters, der sich in unmittelbarer Nähe aufhält, wird ebenfalls stets die tatsächliche Zugriffsmöglichkeit auf die Waffe haben. Ähnliches wird bei Mittätern anzunehmen sein, von denen einer absprachegemäß eine Waffe mitführt, auf die aber auch der andere zugreifen kann und so eine jederzeit zu realisierende Herrschaftsmöglichkeit hat. Solches kann auch für den Ausgangsfall des 3. Strafsenats gelten, in dem die Waffe im Handschuhfach des von den beiden Mittätern benutzten Pkw lag, der eine Mittäter die Waffe auf Verlangen des anderen mitgenommen hatte und dieser annahm, der andere, den Pkw steuernde Mittäter führe die Pistole am Körper. Wäre hier aufgrund einer Absprache und im Blick auf die Täterstruktur eine jederzeit zu realisierende Verfügung auch des Angeklagten über die Waffe gegeben gewesen, könnte auch in diesem Falle hinsichtlich des Angeklagten von jederzeitiger Gebrauchsbereitschaft ausgegangen werden (vgl. dazu schon Senat, Beschluß vom 10. September 1998 – 1 StR 448/98). Dann stünde die Rechtsprechung des Senats – der seine in BGHSt 42, 368 vertretene Auslegung insoweit hinsichtlich der Frage der jederzeit zu realisierenden tatsächlichen Herrschaft erweitert (vgl. aaO aber bereits S. 371 unten) – der vom 3. Strafsenat beabsichtigten Entscheidung jedenfalls im Ergebnis nicht entgegen. Ob es sich im Ausgangsfall so verhielt, läßt sich allerdings dem im Anfragebeschluß mitgeteilten Sachverhalt nicht sicher entnehmen.
Schließlich wird in denjenigen Fällen, in denen der selbst unbewaffnete Chef einer Gruppierung von Drogenhändlern eine Bewaffnung der die Drogengeschäfte unmittelbar anbahnenden und durchführenden Mittäter aus der Distanz befiehlt, eine Zurechnung auf der Grundlage mittelbarer Täterschaft in Betracht zu ziehen sein (vgl. BGHSt 40, 218, 236/237).
3. Abschließend weist der Senat auf folgendes hin: Wollte man mit dem anfragenden Senat eine Zurechnung der Bewaffnung des Mittäters nach § 25 Abs. 2 StGB vornehmen, so hätte jedenfalls eine teleologische Reduktion des Tatbestandes des bewaffneten Handeltreibens dahin zu erfolgen, daß sich im Einzelfall der qualifikationsspezifische Gefahrzusammenhang zwischen Bewaffnung und Handeltreiben objektiv konkret feststellen lassen und dieser vom gemeinsamen Tatplan umfaßt sein muß. Eine dahingehende Änderung der Auslegung des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG sollte wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung indessen dem Großen Senat für Strafsachen vorbehalten bleiben.
Unterschriften
Schäfer, Nack, Wahl, Boetticher, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 2559334 |
NJW 2002, 3116 |