Tatbestand

›... Nach § 304 Abs. 5 StPO ist gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des BGH die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Beschlagnahme oder Durchsuchung betreffen. Die Anordnung von Erzwingungshaft nach § 70 Abs. 2 StPO betrifft eine Verhaftung i. S. des § 304 Abs. 5 StPO.

Allerdings hat der Senat in BGHSt 30, 52 [hier: IV (458) 136 b] die Auffassung vertreten, daß das Rechtsmittel der Beschwerde gegen einen Beschluß des Ermittlungsrichters des BGH, mit dem er die Erzwingungshaft gegen einen Zeugen anordnet, nicht statthaft sei. Der Senat hat dies aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift gefolgert. Daraus ergebe sich, daß ›Verhaftung‹ in § 304 Abs. 4 und 5 StPO denselben Inhalt habe wie in § 310 StPO, der die weitere Beschwerde zulasse, wenn sie eine Verhaftung oder einstweilige Unterbringung betreffe. Für § 310 StPO sei schon vor der Änderung des § 304 StPO durch das Gesetz zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutz-Strafsachen vom 8. 9. 1969 (BGBl. I S. 1582) anerkannt gewesen, daß mit ›Verhaftung‹ nur die Verhängung von Untersuchungshaft, nicht aber die Verhängung von Erzwingungshaft gemeint sei.

Nach erneuter Überprüfung gibt der Senat die in BGHSt 30, 52 vertretene Auffassung auf. Zwar mögen die Gesetzesverfasser aus den dort genannten Gründen unter dem Ä die Beschwerde eröffnenden Ä Begriffder Verhaftung lediglich die Anordnung von Untersuchungshaft nach den §§ 110 ff. StPO verstanden haben. Dem kommt jedoch keine ausschlaggebende Bedeutung zu, weil der in § 304 Abs. 5 StPO zum Ausdruck gekommene objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus Wortlaut, Sinnzusammenhang und erkennbarem Zweck der Vorschrift ergibt (vgl. hierzu BGHSt 31, 128, 130), auch die Anfechtungsmöglichkeit einer Anordnung von Erzwingungshaft erfaßt.

Der Senat hält zwar an dem Grundsatz fest, daß die Vorschrift des § 304 Abs. 5 StPO wegen ihres Ausnahmecharakters eng auszulegen ist (BGHSt 32, 365, 366 [hier: IV (458) 143 c]; 34, 34, 35 [hier: IV (458) 145 a]). Das schließt aber nicht aus, den in ihr genannten Katalog beschwerdefähiger Entscheidungen nicht formal, sondern nach Sinn und Zweck der zugrundeliegenden gesetzgeberischen Konzeption zu bestimmen. So hat der Senat die in § 304 Abs. 5 StPO nicht ausdrücklich genannten Arrestanordnungen des Ermittlungsrichters des BGH zur Sicherstellung des Verfalls von Wertersatz für beschwerdefähig erklärt, weil der nach § 111 d StPO angeordnete dingliche Arrest mit den vom Gesetz als Beschlagnahme bezeichneten Fällen in einem inneren Zusammenhang stehe und in seiner Wirkung für den Betroff. der Beschlagnahme gleichkomme (BGHSt 29, 13, 14 f. [hier: IV (458) 129 b]). Dieselben Erwägungen sprechen für die Nichtherausgabe einer zu beschlagnahmenden Sache nach § 95 Abs. 2, § 70 Abs. 2 StPO. Sie müssen aber auch für die Anordnung von Erzwingungshaft bei unberechtigter Aussageverweigerung gelten. Dem Wortsinn nach kann die Anordnung von Erzwingungshaft unter den in § 304 Abs. 5 StPO genannten Begriff der Verhaftung subsumiert werden. Erzwingungshaft ist ebenso wie Untersuchungshaft eine gesetzlich zugelassene Beschränkung des durch Art. 2 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 1 GG verbürgten Freiheitsrechts des Betroffenen. In ihrer Eingriffsintensität ist sie dem Vollzug von Untersuchungshaft vergleichbar. Vorschriften, die Ä wie § 304 Abs. 5 StPO Ä das gerichtliche Verfahren einer Freiheitsbeschränkung regeln, müssen so ausgelegt werden, daß das Auslegungsergebnis der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf persönliche Freiheit Rechnung trägt (vgl. Leibholz/Rinck/Hesselberger, Grundgesetz 6. Aufl. Art. 104 Rdnr. 5). Dies spricht dafür, einem bis zur Dauer von 6 Monaten zulässigen Freiheitsentzug durch Erzwingungshaft nicht die Beschwerdefähigkeit zu versagen, wenn dieselbe Vorschrift jeden Eingriff in Besitz und Eigentum durch Beschlagnahme für beschwerdefähig erklärt. Eine solche Wertung widerspricht auch nicht dem Regelungszusammenhang des § 304 Abs. 5 StPO und der Intention, die das StVÄG 1979 (BGBl. I S. 1645) mit dessen Einfügung in die StPO verfolgt hat. Die dort genannten beschwerdefähigen Eingriffe der Verhaftung, einstweiligen Unterbringung, Beschlagnahme oder Durchsuchung wurden in Anlehnung an die Fälle des § 304 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StPO aufgeführt, in denen ausnahmsweise die Beschwerde gegen Entscheidungen der OLG zulässig ist (vgl. die Begründung des Entw. eines StVÄG BTDrucks. 8/976 S. 29/30, 58). Die in § 304 Abs. 4 Satz 2 StPO vorgesehene Beschwerdemöglichkeit soll nach dem Willen des Gesetzgebers solche Beschlüsse und Verfügungen der OLG betreffen, ›die besonders nachhaltig in die Rechtssphäre der Betroff. eingreifen, den Abschluß des Verfahrens herbeiführen sollen oder aus anderen Gründen von erheblichem Gewicht sind‹ (.. BTDrucks. V/4269 S. 6). Im Hinblick auf diesen auch für § 304 Abs. 5 StPO maßgeblichen Regelungszweck erschiene es ungereimt, wenn nicht systemwidrig, zwar Beschlagnahme und Durchsuchung, nicht aber Erzwingungshaft als beschwerdefähig anzusehen. ...

Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, daß die angeführten Gründe nicht für die Beschwerdefähigkeit der Festsetzung von Ersatzordnungshaft (§ 51 Abs. 1 Satz 2, § 70 Abs. 1 Satz 2, § 161 a Abs. 2 Satz 2, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO, Art. 6 Abs. 2, Art. 8 EGStGB) gelten. Sie wird lediglich für den Fall, daß das verhängte Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, festgesetzt und ist daher ein bloßer Annex der das Ordnungsgeld betreffenden Entscheidung. ...‹

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992985

BGHSt 36, 192

NJW 1989, 2702

DRsp IV(458)155c

NStZ 1989, 384

MDR 1989, 759

StV 1989, 329

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